Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Bernd Nenninger / § 765

§ 765 Vertragstypische Pflichten bei der Bürgschaft

(1) Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger eines Dritten, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen.

(2) Die Bürgschaft kann auch für eine künftige oder eine bedingte Verbindlichkeit übernommen werden.

 

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

11) Begriff (= Definition)

Die Bürgschaft ist ein einseitig verpflichtender Vertrag, durch den sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger eines Dritten (des so genannten Hauptschuldners) verpflichtet für die Erfüllung der Verbindlichkeiten des Dritten einzustehen. 

22) Bedeutung

a) Geschichtliche Dimension

Bürgschaften sind ein sehr altes Rechtsphänomen von unverändert hoher Alltagsrelevanz.

Bereits das Alte Testament warnt an verschiedenen Stellen vor der Übernahme von Bürgschaften (besonders eindringlich: Sprüche 6).

Bedeutende literarische Werke setzen sich mit Bürgschaften auseinander. Während Homer (Odyssee 8, 344-359) und Schiller (Ballade „Die Bürgschaft“) moralische Verpflichtungen und keine Bürgschaft als Kreditsicherheit im Rechtssinne thematisieren, setzen sich andere klassische und insbesondere zeitgenössische Autoren mit den Gefahren der Bürgschaft als Mittel der Kreditsicherung auseinander, z.B. Honorè de Balzac („Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang“) oder Thomas Jonigk (Theaterstück „Martin Salander“).

b) Wirtschaftliche Bedeutung   

Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Bürgschaften ist enorm. Während Banken im Jahr 2013 ein hohes Gesamtvolumen von mehreren Milliarden Euro als Bankbürgschaften ausgelegt haben, haben sie selbst etwa 1/5 dieses Betrages an Bürgschaften als Kreditsicherheit zur Verfügung gestellt bekommen.

33) Abgrenzung

a) Allgemeine Grundsätze

Die Bürgschaft ist die wichtigste akzessorische Personalsicherheit des deutschen Rechtskreises. Sie ist eine Drittsicherheit.

Akzessorisch sind Sicherheiten, wenn die gesicherte Forderung Rechtsgrund (Causa) für Bestellung, Fortbestand und Wegfall der Sicherheit ist. Die Akzessiorität der Bürgschaft durchbricht folglich das Abstraktionsprinzip. Dementsprechend sind abstrakte Sicherheiten unabhängig von Bestellung, Fortbestand oder Wegfall der gesicherten Forderung.

Personalsicherheit ist die persönliche Haftung eines Rechtssubjekts zur Sicherung der Schuld eines anderen Rechtssubjektes. Realsicherheit ist die Hingabe eines konkreten Vermögenswertes zur Sicherung eines Kredites (und zwar eines eigenen Kredites oder des Kredites einer dritten Person).

Drittsicherheit ist die Sicherheit, die eine Person zur Sicherheit einer Schuld hingibt, die nicht selbst Schuldner dieser Schuld ist.

Hieraus ergeben sich die Grundsätze, wie eine Bürgschaft von verwandten Sicherungsmitteln abzugrenzen ist.

b) Verwandte Sicherungsmittel 
aa) Garantie

Die Garantie ist eine abstrakte Realsicherheit, und zwar Drittsicherheit. Sie begründet folglich eine vom Hauptschuldverhältnis unabhängige Verpflichtung. Der Garant kann keinerlei Einwendungen und Einreden aus dem Grundgeschäft erheben, wenn der Gläubiger ihn in Anspruch nimmt. Aus den im konkreten Einzelfall getroffenen Vereinbarungen ist das gewollte Rechtsgeschäft zu ermitteln.     

bb) Schuldmitübernahme (Schuldbeitritt)

Der Schuldbeitritt begründet eine eigenständige Verpflichtung des Beitretenden gegenüber dem Gläubiger, bisheriger Schuldner und Beitretender haften für die Erfüllung der Hauptschuld als Gesamtschuldner.

44) Besondere Arten der Bürgschaft

a) Nachbürgschaft

Der Nachbürge steht dem Gläubiger dafür ein, dass der Bürge (der dann als „Vorbürge“ bezeichnet wird) die Bürgschaftsforderung bedient, wenn er in Anspruch genommen wird.

b) Rückbürgschaft

Der Rückbürge steht dem Bürgen dafür ein, dass der Hauptschuldner die auf den Bürgen übergegangene Hauptforderung bedient, wenn der Gläubiger den Bürgen in Anspruch genommen hat.

c) Ausfallbürgschaft

Die Ausfallbürgschaft ist keine „eigenständige“ Form der Bürgschaft, sondern lediglich eine gewöhnliche Bürgschaft, bei der der Gläubiger gegenüber dem Bürgen erhöhte Verpflichtungen zur Durchsetzung der gesicherten Forderung gegen den Hauptschuldner übernommen hat.

d) Selbstschuldnerische Bürgschaft, § 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB (siehe dort)
e) Mitbürgschaft, § 769 BGB (siehe dort)
f) Bürgschaft auf erstes Anfordern

Die Bürgschaft auf erstes Anfordern ist eine Form der Bürgschaft, bei der der Bürge bei Inanspruchnahme zunächst zahlen muss, wenn bestimmte formelle Voraussetzungen vorliegen. Einwendungen des Bürgen sind nur beachtlich, wenn sie unstreitig oder sonst liquide beweisbar sind. Alle anderen Einwendungen kann der Bürge nur nach Zahlung in einem Rückforderungsprozess gegen den Gläubiger geltend machen. Die Übergänge der Bürgschaft auf erstes Anfordern zur Garantie sind fließend, es kommt auf die vertragliche Ausgestaltung im Einzelfall an.

g) Andere

Da die Bürgschaft von enormer Bedeutung im Wirtschaftsleben ist, gibt es eine Vielzahl von weiteren Ausprägungen und typisierten Ausgestaltungen.

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Definitionen

Bürgschaftsvertrag

5a) Vertragsverhältnisse

aa) Gesicherte Schuld: Gläubiger und Schuldner der Hauptschuld

Die Hauptschuld (meist Darlehen, aber auch Mietvertrag, Werkvertrag usw.) regelt das Verhältnis zwischen Gläubiger und Hauptschuldner. Die Stellung der Bürgschaft ist Pflicht des Hauptschuldners oder Voraussetzung für die Leistung des Gläubigers (z.B. Auszahlungsvoraussetzung des Darlehens).


Fußnoten