Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Andreas Gerhardinger / § 614

§ 614 Fälligkeit der Vergütung

Die Vergütung ist nach der Leistung der Dienste zu entrichten. Ist die Vergütung nach Zeitabschnitten bemessen, so ist sie nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

1Nach § 614 S. 1 BGB ist der Dienstverpflichtete grundsätzlich vorleistungspflichtig, d.h. er erhält seine Vergütung erst nach Erbringung der Dienste („Ohne Arbeit kein Lohn“). Für Arbeitsverhältnisse typisch ist die Vergütung nach Zeitabschnitten, § 614 S. 2 BGB, z.B. nach Tagen, Wochen oder Monaten. Da die Vorschrift nicht zwingend ist, wird die Vorleistungspflicht in der Praxis häufig durch vertragliche Regelungen oder Sondervorschriften abweichend bestimmt.

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

2In Abweichung von der Grundregel des § 271 BGB, wonach eine Leistung grundsätzlich sofort fällig und erfüllbar ist, bestimmt § 614 BGB eine Vorleistungspflicht des Dienstverpflichteten bzw. Arbeitnehmers. Diese gesetzliche Verschiebung des Fälligkeitszeitpunktes stellt keine Stundung im rechtlichen Sinne dar. Faktisch führt die Vorleistungspflicht aber dazu, dass der Dienstverpflichtete das Vergütungsrisiko trägt. Im Arbeitsverhältnis wird dieses Risiko relativiert durch den Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung von Insolvenzgeld bei Insolvenz des Arbeitgebers. Die praktische Bedeutung der Vorschrift ist gleichwohl begrenzt, da sie im Arbeitsverhältnis häufig durch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen abbedungen wird und außerdem vorrangige gesetzliche Sonderregelungen vorhanden sind.

2) Definitionen

a) Vorschuss- und Abschlagszahlungen

3aa) Als Vorschuss wird eine Geldleistung bezeichnet, die bereits vor dem Fälligkeitszeitpunkt erbracht und sodann bei Fälligkeit auf die Forderung des Dienstverpflichteten verrechnet wird.Zur Rechtsnatur des Vorschussanspruches BAG NZA 1987, 485, https://www.jurion.de/de/document/show/0:93011,0/ Üblich sind Vorschusszahlungen vor allem im Arbeitsverhältnis, um vorübergehende finanzielle Engpässe des Arbeitnehmers zu überbrücken. Unter besonderen Voraussetzungen hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Vorschuss- oder Abschlagszahlungen.z.B. bei einer Notlage des Dienstverpflichteten aufgrund der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, vgl. Palandt/Weidenkaff, Rdnr. 3 zu § 614 BGB Die Verrechnung der Vorschuss- oder Abschlagszahlung mit der endgültigen Vergütung erfordert keine Aufrechnungserklärung des Dienstberechtigten. Vielmehr sind Vorschuss- oder Abschlagszahlungen als vorzeitige Erfüllung anzusehen und mindern daher unmittelbar den Vergütungsanspruch.Palandt/Weidenkaff, Rdnr. 3 zu § 614 BGB; LAG Hamm, Urteil v. 22.02.2001 – Gz. 16 Sa 1328/00,https://www.jurion.de/de/document/show/0:271995,0/ Als Vorschuss des Arbeitgebers ist z.B. auch das negative Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto anzusehen.BAG, Urteil v. 26.01.2011 – 5 AZR 819/09 (= NZA 2011, 640), http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&sid=977bc511560b25c9b444a9e059f96ae0&nr=15152&pos=0&anz=1  

4bb) Abschlagszahlungen sind demgegenüber Leistungen für bereits erbrachte Dienste, d.h. nach Fälligkeit des ggf. noch nicht endgültig berechneten oder berechenbaren Vergütungsanspruches. Die Verrechnung kann, wie bei der Abschlagszahlung, auch ohne Aufrechnungserklärung erfolgen.BAG, Urteil v. 13.12.2000 – Gz. 5 AZR 334/99 (= BB 2001, 1585), http://lexetius.com/2000,4567 Der Dienstverpflichtete kann die Annahme von Abschlagszahlungen allerdings gem. § 266 BGB verweigern. Die Rückforderung überzahlter und nicht mehr verrechenbarer Vorschüsse/Abschlagszahlungen richtet sich nicht nach §§ 812 ff. BGB, sondern hat ihren Rechtsgrund in der Vereinbarung der Vertragsparteien.BAG, Urteil v. 25.02.1993 – Gz. 6 AZR 334/91 (= NZA 1994, 705),https://web.archive.org/web/20100122041333/http://www.betriebsraete.de/bag-1994/6-azr-334-91.html; a.A. Legleitner in jurisPK-BGB, 6. Aufl., Rdnr. 16 zu § 614 BGB Auf Entreicherung kann sich der Dienstverpflichtete mithin nicht berufen.

b) Zeitabschnitte

5Speziell im Arbeitsverhältnis und bei anderen auf Dauer angelegten Dienstverhältnissen erfolgt die Entlohnung in der Regel nach Zeitabschnitten, zumeist nach Ablauf eines Monats. Sind keine abweichenden arbeitsvertraglichen Regelungen hinsichtlich des Zeitpunkts der Lohnzahlung getroffen worden sind, tritt der Verzug zum jeweils Ersten des Folgemonats nach Entrichtung der Leistungen ein (LAG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 28.03.2017, Gz. 3 Sa 475/14). Auch die Vereinbarung anderer Zeitabschnitte (Wochen, Tage, Stunden) ist zulässig, wobei die Entlohnung in diesen Fällen nach der Verkehrssitte in der Regel am Ende einer Woche erfolgt.Staudinger/Richardi, Rdnr. 12 zu § 614 BGB Hiervon zu unterscheiden ist der nicht nach Zeitabschnitten, sondern nach Arbeitsmengen berechnete Akkordlohn. Soweit die Fälligkeit der Akkordvergütung nicht ohnehin einzel- oder kollektivvertraglich geregelt ist, besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf regelmäßige Abschlagszahlungen.MüKo-BGB/Glöge, Rdnr. 11 zu § 614 BGB  
 

3) Abgrenzungen, Kasuistik

6§ 614 BGB umfasst sämtliche Arten von Dienstverhältnissen (Dienst-, Arbeits-, Geschäftsbesorgungsverträge) und gilt sowohl für die Zeitvergütung als auch für die Akkordvergütung. Im Bereich der entgeltlichen Geschäftsbesorgung (§ 675 BGB) ist die Fälligkeit zusätzlich von einer ordnungsgemäßen Rechnungsstellung abhängig.BGH, Urteil v. 03.02.1988 – Gz. IVa ZR 196/86 (= NJW-RR 1988, 1264 f.),https://www.jurion.de/de/document/show/0:66467,0/

4) Zusammenfassung der Rechtsprechung

11BAG, Urteil v. 15.05.2013 - Gz. 10 AZR 325/12 (= NZA 2013, 6 ff.), http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm& Datum=2013&anz=34&pos=0&nr=16855&linked=urt: „1. Wird im Arbeitsvertrag keine ausdrückliche Vereinbarung über die Dauer der Arbeitszeit getroffen, so ist anzunehmen, dass die Parteien die betriebsübliche Arbeitszeit vereinbaren wollen. Das gilt auch für außertarifliche Angestellte. 2. Verlangt der Arbeitnehmer auf der Grundlage einer Vereinbarung über ein Arbeitszeitkonto eine verstetigte Vergütung für einen bestimmten Zeitraum, obwohl er die geschuldete Arbeitsleistung in dem betreffenden Zeitraum nicht in vollem Umfang erbracht hat, ist sein Vortrag nur dann schlüssig, wenn er erkennen lässt, dass er einen Vorschuss und nicht eine bereits verdiente Vergütung verlangt.“ (amtl. Orientierungssatz)

LAG Hamm, Urteil v. 21.04.2006 – Gz. 10 Sa 2044/05, http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/hamm/lag_hamm/j2006/10_Sa_2044_05urteil20060421.html: Verrechnung eines Vorschusses bei der Bestimmung von restlichen Arbeitsentgelt; Begriff des Vorschusses; Zulässigkeit der Einordnung von Vorschüssen als vorweggenommene Lohntilgungen.

LAG Hessen, Urteil v. 09.03.2005 - Gz. 2 Sa 1550/04, http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/s15/page/bslaredaprod.psml?&doc.id=KARE600012751%3Ajuris-r01&showdoccase=1&doc.part=L: Folgen der Aufrechnung eines Vorschusses mit einer nicht pfändbaren Forderung; Rechtsnatur eines Vorschusses.

LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 17.10.2013 - Gz. 5 Sa 111/13, http://www.iww.de/quellenmaterial/id/101329: „Wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines Streits über die Berechnung künftiger Lohnansprüche zu Unrecht die Voraussetzungen eines Zurückbehaltungsrechts annimmt, kann die beharrliche Verweigerung der Arbeitsleistung einen verhaltensbedingten Grund zur außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung darstellen. Der Arbeitnehmer trägt insoweit grundsätzlich das Irrtumsrisiko.“ (amtl. Leitsatz)

5) Häufige Paragraphenketten

12§ 611 i.V.m. § 614 BGB: Bestimmung des Fälligkeitszeitpunktes der Vergütung.

§ 614 i.V.m. § 280 Abs. 2 BGB: Schadensersatzpflicht bei Zahlungsverzug des Dienstberechtigten.BAG, Urteil v. 14.05.1998 – Gz. 8 AZR 634/96 (= NZA-RR 1999, 511),https://web.archive.org/web/20071212172218/http://betriebsraete.de/bag-1998/8-azr-634-96.html 

6) Prozessuales

13Die Verrechnung von Vorschüssen oder Abschlägen auf künftig fällig werdende Vergütungsansprüche sollte nicht in Form einer Aufrechnung erklärt werden, da in diesem Falle wegen § 394 BGB u. U. Pfändungsgrenzen der §§ 850 ff. ZPO zu beachten sind. Da die Vorschuss- oder Abschlagszahlung den Vergütungsanspruch von selbst mindert, ist es vorteilhafter, Vorschüsse oder Abschläge einfach von der Endvergütung abzuziehen. Wendet der Dienstverpflichtete ein, dass der Vorschuss durch die geleisteten Dienste bereits verdient sei, obliegt ihm hierfür die Darlegungs- und Beweislast.OLG Düsseldorf, Urteil v. 09.10.1997 – Gz. 13 U 153/96, https://www.juris.de/jportal/portal/page /jurisw.psml/t/null?res=null&appversion=null&login=Login&doc.id=KORE712859900&javascript_active=no&appname=null&showdoccase=1&action=portlets.jw.CopySessionState&fromPsml=null 


Fußnoten