Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Dorothee Höcker / § 1384

§ 1384 Berechnungszeitpunkt des Zugewinns und Höhe der Ausgleichsforderung bei Scheidung

Wird die Ehe geschieden, so tritt für die Berechnung des Zugewinns und für die Höhe der Ausgleichsforderung an die Stelle der Beendigung des Güterstandes der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

Maßgeblich für die Berechnung des Zugewinns und die Höhe der Ausgleichsforderung ist nach § 1384 BGB der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages und nicht der Zeitpunkt der Beendigung des Güterstandes.

a) Beendigung des Güterstandes

Im Falle der Scheidung endet der Güterstand mit Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses.  

b) Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages

Der Scheidungsantrag wird mit dem Tag rechtshängig, mit dem er dem anderen Ehepartner förmlich zugestellt wird oder aber in einer mündlichen Verhandlung geltend gemacht wird. 

Wird der Scheidungsantrag später im Laufe des Verfahrens zurückgenommen, so entfällt die Rechtshängigkeit und damit auch der maßgebliche Stichtag. Etwas anderes gilt lediglich für den Fall, dass im Rahmen des beantragten laufenden Scheidungsverfahrens der andere Ehegatte mittlerweile selbst einen eigenen Scheidungsantrag gestellt hat. Es bleibt dann bei dem ursprünglich durch den ersten Scheidungsantrag festgelegten ursprünglichen Stichtag.BGH, FamRZ 1996, 1142; Palandt/Brudermüller, BGB, 73. Aufl., 2014, § 1384 Rn. 6  Stellen beide Ehegatten in etwa zeitgleich einen Scheidungsantrag, kommt es darauf an, welcher Scheidungsantrag der jeweils anderen Seite zuerst zugestellt wurde. Die erste Zustellung bestimmt den Stichtag.

Wird der Scheidungsantrag nicht zurückgenommen, ist es unerheblich, wie lange das Scheidungsverfahren andauert. Dies gilt selbst dann, wenn das Scheidungsverfahren jahrelang nicht weiter betrieben wird.BGH, NJW-RR 1993, 898  Ebenfalls unerheblich ist grundsätzlich, wenn sich die Eheleute zwischenzeitlich wieder versöhnen, das Scheidungsverfahren jedoch weiterlaufen lassen. Erfolgt dabei allerdings eine ausdrückliche Einigung darüber, das Scheidungsverfahren nicht aktiv weiterbetreiben zu wollen, wird dies teilweise auch anders bewertet.Hierzu ausführlich: MüKo/Koch, BGB, 6. Aufl., 2013, § 1384 Rn. 7  Die Fälle einer solchen ausdrücklichen Einigung dürften in der Praxis jedoch selten, wenn nicht sogar gar nicht vorkommen. Entweder die Versöhnung ist ernst gemeint. Dann werden die Scheidungsanträge auch regelmäßig zurückgenommen. Oder aber es bestehen weiterhin Zweifel, die einen Ehegatten von der Rücknahme des Scheidungsantrags abhalten. Er wird sich dann regelmäßig offenhalten, das Scheidungsverfahren jederzeit wieder aktiv weiter zu betreiben. Unabhängig davon sollte § 1384 BGB jedoch nicht zuletzt auch aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit und aufgrund seines klaren und eindeutigen Wortlauts keine Aufweichungen zulassen und auch bei anderweitiger ausdrücklicher Einigung über das Nichtweiterbetreiben des Scheidungsverfahrens Anwendung finden, so dass es in jedem Fall mit Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens bei dem einmal gesetzten Stichtag verbleibt.So auch: MüKo/Koch, BGB, 6. Aufl. (2013), § 1384 Rn. 7    

c) Wirkungen

Mit Festlegung des Stichtages für die Berechnung des Zugewinns auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags sind spätere Vermögensverfügungen der Eheleute grundsätzlich irrelevant. Seit dem 01.09.2009 spielen Vermögensveränderungen nach Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages zudem deshalb keine Rolle mehr, weil neben der Festlegung des Stichtages für die Berechnung des Zugewinns nun auch die Höhe der letztlich zu berechnenden Ausgleichsforderung auf diesen Zeitpunkt ermittelt wird. Hiervon zu unterscheiden ist die Fälligkeit des Anspruchs, die nach wie vor erst im Zeitpunkt der Beendigung des Güterstandes, also mit Rechtskraft der Scheidung, eintritt.    

Diese Neuregelung wirkt sowohl zulasten als auch zugunsten des ausgleichsberechtigten Ehegatten. Das bedeutet, dass nach Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags weder vermögensmindernde noch vermögensmehrende Vermögensverschiebungen für die Berechnung der Ausgleichsforderung von Relevanz sind.  

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

2§ 1384 BGB ist relevant für die Berechnung des Zugewinns sowie für die Höhe der Ausgleichsforderung. Die Vorschrift bestimmt hierfür als entscheidenden Zeitpunkt die Zustellung des Scheidungsantrages. Damit wird der für die Berechnung des Endvermögens nach § 1375 I BGB vorgesehene Zeitpunkt, nämlich der Zeitpunkt der Beendigung des Güterstandes, vorverlegt. Hintergrund hierfür ist, dass Vermögensmanipulationen zu Lasten des ausgleichsberechtigten Ehegatten zwischen Zustellung des Scheidungsantrags und Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses verhindert werden sollen. Dieser Zweck wird durch die Regelung zwar erreicht. Sollte der ausgleichsverpflichtete Ehegatte tatsächlich Vermögensmanipulationen zum Nachteil des anderen Ehegatten beabsichtigen, wird er diese im Regelfall jedoch schon vor Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages vorgenommen haben. Auch der Zeitpunkt der Scheidungsantragsstellung kann vor diesem Hintergrund bewusst gewählt werden. Einen weiteren Schutz des ausgleichsberechtigten Ehegatten bietet insoweit § 1375 II BGB

2) Definitionen

3a) Rechtshängigkeit

Wann Rechtshängigkeit eintritt, wird in § 261 ZPO geregelt. Dort heißt es, dass grundsätzlich mit der Erhebung der Klage eine Streitsache bei Gericht rechtshängig wird. Die Klage bzw. der Scheidungsantrag ist erhoben, sobald er der Gegenseite zugestellt wurde. 

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es zu einer sog. Rechtshängigkeitssperre kommen kann, sollten bei ausländischen oder auch gemischt-nationalen Ehen Scheidungsanträge in den jeweils unterschiedlichen Ländern gestellt werden. Das Gericht, bei dem das Scheidungsverfahren später anhängig gemacht wurde, hat dann gem. Artikel 19 I EuEheVOEuEheVO: Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 „über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der VO (EG) 134772000. das Scheidungsverfahren von Amts wegen auszusetzen, bis das zuerst angerufene Gericht seine Zuständigkeit rechtskräftig bejaht oder auch verneint hat. Sollte Ersteres der Fall sein, wird das später angerufene Gericht wegen doppelter Rechtshängigkeit den Scheidungsantrag zurückweisen.Ausführlich hierzu: Gerhardt/v. Heintschel-Heinegg/Klein, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 9. Auflage (2013) 15. Kapitel Rn. 61. 

b) Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses

Der Scheidungsbeschluss ist rechtskräftig, wenn er den Eheleuten bzw. deren Verfahrensbevollmächtigten zugestellt und die Rechtsmittelfrist (Beschwerdefrist) von einem Monat ab Zustellung des Scheidungsbeschlusses abgelaufen ist, ohne dass einer der Ehegatten Beschwerde eingelegt hat. 

Es besteht die Möglichkeit, dass bei anwaltlicher Vertretung beider Ehegatten noch im Scheidungstermin nach Verkündung des Scheidungsbeschlusses von beiden Seiten ein sog. Rechtsmittelverzicht gegen den Scheidungsausspruch erklärt wird. Hierdurch tritt die Rechtskraft der Scheidung bereits im Scheidungstermin ein.

3) Abgrenzungen, Kasuistik

4Während § 1384 BGB den Zeitpunkt der Berechnung des Zugewinns und der Höhe der Ausgleichsforderung bei Scheidung bestimmt, enthält § 1378 II S. 1 BGB eine sog. Kappungsregelung.MüKo/Koch, BGB, 6. Auflage (213), § 1384 Rn. 5. Danach wird die Höhe der Ausgleichsforderung durch den Wert des Vermögens begrenzt, das nach Abzug der Verbindlichkeiten bei Beendigung des Güterstandes vorhanden ist. Die sich danach ergebende Begrenzung der Ausgleichsforderung erhöht sich in den Fällen des § 1375 II S. 1 um den dem Endvermögen hinzuzurechnenden Betrag.

Damit wird auf den ersten Blick der Sinn und Zweck des § 1384 BGB, wonach Vermögensminderungen (ob illoyal oder nicht) nach Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages verhindert werden sollen, mehr oder weniger wieder umgangen. Um dieser Widersprüchlichkeit zu begegnen, wird in der Kommentarliteratur eine sog. teleologische Reduktion des § 1384 befürwortet.MüKo/Koch, BGB, 6. Auflage (213), § 1384 Rn. 5. Das bedeutet, dass für die Berechnung der Höhe der Ausgleichsforderung nicht entsprechend der Regelung des § 1384 BGB der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages, sondern ausnahmsweise der in § 1378 II S. 1 BGB festgelegte Zeitpunkt der Beendigung des Güterstandes als maßgeblich angesehen wird, sollte die Vermögensminderung auf Seiten des ausgleichspflichtigen Ehegatten bis zur Rechtskraft der Scheidung auf nicht von ihm zu vertretende Handlungen zurückzuführen sein. Dies ist zu begrüßen, da damit dem Sinn und Zweck des § 1384 BGB, hauptsächlich illoyale Vermögensminderungen des ausgleichsverpflichteten Ehegatten bis zur Rechtskraft der Scheidung zu vermeiden, weiterhin genüge getan wird. Dagegen spricht allerdings, dass dann in Zweifelsfällen die Abgrenzung, ob die Vermögensminderung illoyal war oder nicht, höchst problematisch sein kann.

4) Zusammenfassung der Rechtsprechung

  • 5OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.07.2013
  • OLG Celle, Beschluss vom 07.08.2012
  • BGH, Urteil vom 04.07.2012

5) Literaturstimmen

  • 6Palandt, BGB Kommentar, 23. Auflage 2014
  • Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 7: Familienrecht I, §§ 1297-1588, GewSchG, VersAusglG, LPartG, 6. Auflage, 2013
  • Prütting/Wegen/Weinreich, BGB Kommentar, 1. Auflage, 2006

6) Prozessuales

7Ist der Stichtag, zu dem der Zugewinn und die Höhe der Ausgleichsforderung berechnet werden soll, streitig, kann hierüber kein gesondertes Gerichtsverfahren angestrengt werden. Vielmehr ist derjenige Ehegatte, der einen anderen Stichtag als den durch die Zustellung des Scheidungsantrages festgelegten, behauptet, hierfür darlegungs- und beweisbelastet.Palandt/Brudermüller, BGB, 73. Aufl., 2014, § 1384 Rn. 10; Prütting-Wegen-Weinreich/Weinreich, BGB, 1. Aufl., 2006, § 1384 Rn. 8  Dieses Problem wird allerdings kaum praxisrelevant, da entweder eine Einigung der Eheleute über den Stichtag erfolgt und daraufhin auch eine entsprechende Einigung über den Zugewinnausgleich oder aber ein Gerichtsverfahren hierüber angestrengt wird und damit regelmäßig das nachweisbare Zustellungsdatum des Scheidungsantrags relevant ist.     

7) Anmerkungen

8Zwar führt der Umstand, dass Vermögensveränderungen nach Zustellung des Scheidungsantrages keine Rolle mehr spielen, dazu, dass Manipulationen betreffend das aktive Vermögen verhindert werden bzw. irrelevant sind. Gleichwohl können so auch unverschuldete finanzielle Schwierigkeiten mit Ausnahme der Fälle, in denen die teleologische Reduktion greift, grundsätzlich keine Berücksichtigung mehr finden. Sollte mithin ein Ehegatte nach der Zugewinnausgleichsberechnung einen bestimmten Betrag zahlen müssen, ist hierzu im Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruches, d.h. mit Rechtskraft der Scheidung, jedoch finanziell nicht mehr in der Lage, kann er sich grundsätzlich nicht auf grobe Unbilligkeit im Sinne des § 1381 BGB berufen. Nur im extremen Ausnahmefall ist eine grobe Unbilligkeit anzunehmen. 


Fußnoten