Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Michael Falter / § 712

§ 712 Entziehung und Kündigung der Geschäftsführung

(1) Die einem Gesellschafter durch den Gesellschaftsvertrag übertragene Befugnis zur Geschäftsführung kann ihm durch einstimmigen Beschluss oder, falls nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen entscheidet, durch Mehrheitsbeschluss der übrigen Gesellschafter entzogen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt; ein solcher Grund ist insbesondere grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung.

(2) Der Gesellschafter kann auch seinerseits die Geschäftsführung kündigen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt; die für den Auftrag geltende Vorschrift des § 671 Abs. 2, 3 findet entsprechende Anwendung.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

1§ 712 BGB regelt einerseits den Entzug der Geschäftsführungsbefugnis auch gegen den Willen des Betroffenen durch die Mitgesellschafter (§ 712 Abs. 1 BGB), und andererseits die Kündigung der Geschäftsführung durch den betroffenen Gesellschafter selbst (§ 712 Abs. 2 BGB).

Sowohl die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis als auch die Niederlegung der Geschäftsführung (im Gesetz als Kündigung bezeichnet) setzt einen wichtigen Grund voraus. Dies ist dadurch begründet, dass nach dem gesetzlichen Leitbild die Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts eine Arbeits- und Haftungsgemeinschaft bilden. Ausfluss dieses Leitbildes ist, dass, sofern der Gesellschaftsvertrag nichts Abweichendes bestimmt, alle Gesellschafter zur Geschäftsführung berechtigt und verpflichtet sind (Pflichtrecht). Nur, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, sieht das Gesetz eine Abweichung von diesem Leitbild vor.

Ein wichtiger Grund liegt dann vor, wenn die Fortsetzung der Geschäftsführungstätigkeit für die Mitgesellschafter unzumutbar wäre. Auf ein Verschulden des Geschäftsführers kommt es grundsätzlich nicht an.

Typischer Anwendungsfall in der Praxis ist die nachhaltige Verletzung der Geschäftsführerpflichten und die damit einhergehende Störung der Erreichung des Gesellschaftszwecks. § 712 Abs. 1 BGB entspricht in seiner Zielsetzung § 117 HGB, der die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis für Geschäftsführer einer offenen Handelsgesellschaft (oHG) regelt, mit dem Unterschied, dass § 117 HGB den Entzug der Geschäftsführungsbefugnis durch Gestaltungsurteil und nicht durch Beschluss der Gesellschafter vorsieht. Dieser Unterschied in der Verfahrensgestaltung dient der Rechtssicherheit und trägt dem Umstand Rechnung, dass die oHG nach der Vorstellung des Gesetzgebers am Rechtsverkehr teilnimmt und deshalb ein höheres Bedürfnis besteht, die Vertretungsmacht und die Geschäftsführungsbefugnis im Interesse Dritter rechtssicher zu gestalten. Für die Bestimmung, ob ein wichtiger Grund im Sinne des § 712 BGB vorliegt, kann aber auf die (umfangreichere) Judikatur zu § 117 HGB zurückgegriffen werden.

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

a) Anwendungsbereich

2§ 712 BGB findet nach heute wohl herrschender Auffassung sowohl auf Fälle der übertragenen Geschäftsführung als auch der Gesamtgeschäftsführung nach § 709 BGB Anwendung.Carsten Schäfer in: Gesellschaft bürgerlichen Rechts und Partnerschaftsgesellschaft, Systematischer Kommentar, 6. Aufl. 2013, § 712 Rn. 1 ff.; von Ditfurth in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB-Kommentar, 11. Aufl. 2016, § 712 Rn. 2; von Ditfurth in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 1, 4. Aufl. 2014, § 7 Rn. 66

2) Definitionen

Voraussetzungen

a) Wichtiger Grund

6Voraussetzung für die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Ein wichtiger Grund für die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis nach § 712 Abs. 1 BGB liegt nach der Rechtsprechung des BGH vor, wenn das Verhältnis der übrigen Gesellschafter zu dem Geschäftsführer nachhaltig zerstört und es den Gesellschaftern

3) Abgrenzungen, Kasuistik

9Das Gesetz nennt als wichtigen Grund sowohl grobe Pflichtverletzung als auch Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung.

a) Grobe Pflichtverletzung 

Eine grobe Pflichtverletzung, die zur Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis berechtigt, wurde von der Rechtsprechung bejaht bei hartnäckiger Nichtbeachtung der Mitwirkungsrechte anderer Gesellschafter,BGH NJW 1984, 173 bei grundloser Kündigung von Angestellten gegen den Willen eines Mitgesellschafters,BGH ZIP 2002, 396 Blockade der Gesellschaft durch nachhaltige Verweigerung der Zustimmung oder Widerspruch aus offensichtlich sachfremden MotivenBGH NJW 1984, 172

b) Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung  

10Die Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung kann beispielsweise aus dauernder Erkrankung, Verminderung der Einsichtsfähigkeit oder aus sonstigen nicht verschuldeten Gründen resultieren.

c) Vertrauensverlust als wichtiger Grund

11Demgegenüber soll der bloße Vertrauensverlust nicht ohne Weiteres ausreichen, um die Geschäftsführungsbefugnis zu entziehen. Vielmehr sollen auch die Gründe des Vertrauensentzugs zu berücksichtigen seinCarsten Schäfer in: Gesellschaft bürgerlichen Rechts und Partnerschaftsgesellschaft, Systematischer Kommentar, 6. Aufl. 2013, § 712 Rn. 10. Es stellt sich aber die Frage, ob nicht regelmäßig der bloße Vertrauensentzug, gleich aus welchem Grunde, eine Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis rechtfertigen kann.

Die persönliche Haftung für sämtliche Verbindlichkeiten der Gesellschaft (§ 128 HGB analog) setzt ein Mindestmaß an Vertrauen in die geschäftsführenden Mitgesellschafter voraus. Immerhin nehmen diese mittelbar Zugriff auf das gesamte Vermögen sämtlicher Mitgesellschafter. Ist die Kündigung der Gesellschaft vertraglich für einen längeren Zeitraum ausgeschlossen oder aus anderen Gründen nicht zumutbar (etwa bei einer Abfindung unter dem Verkehrswert, wenn eine Fortsetzungsklausel vorliegt), so muss der objektiv nachvollziehbare Vertrauensverlust der Mitgesellschafter ausreichen, um eine Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis zu rechtfertigenSo im Ergebnis auch OLG Köln, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 18 U 218/11. Der Schutz des betroffenen Gesellschafters gebietet dann andererseits, ihm ein außerordentliches Austrittsrecht zuzugestehen.

4) Rechtsfolgen

12Die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis wird wirksam mit Bekanntgabe des Beschlusses an den betroffenen Gesellschafter. 

Umstritten ist, ob durch die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis automatisch die gesellschaftsvertraglichen Regelungen durch die gesetzliche Regelung des § 709 BGB ersetzt werden oder ob lediglich dem betroffenen Gesellschafter die Geschäftsführungsbefugnis entzogen wird, es im Übrigen aber bei der gesellschaftsvertraglichen Regelung über die Geschäftsführungsbefugnis verbleibt. 

Nach zutreffender Auffassung gilt, dass im Falle einer gesellschaftsvertraglichen Übertragung der Geschäftsführungsbefugnis es immer dann bei der gesellschaftsvertraglichen Regelung verbleibt, wenn auch anderen Gesellschaftern Geschäftsführungsbefugnis eingeräumt wurde. In diesem Fall ist für eine Ersetzung der gesellschaftsvertraglichen Regelungen durch die gesetzliche Regelung kein Raum. Die gesetzliche Regelung des § 709 BGB tritt vielmehr nur dann ein, wenn allen Gesellschaftern, denen durch den Gesellschaftsvertrag die Geschäftsführungsbefugnis übertragen worden ist, durch einen Beschluss nach § 712 Abs. 1 BGB die Geschäftsführungsbefugnis entzogen worden ist. Ist demgegenüber Gegenstand der Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis die gesetzliche Gesamtgeschäftsführungsbefugnis eines Gesellschafters, so wird durch den Entziehungsbeschluss notwendigerweise die Geschäftsführungsbefugnis der Gesellschaft dahingehend modifiziert, dass der von der Geschäftsführung ausgeschlossene Gesellschafter nicht mehr nach § 709 BGB zur Gesamtgeschäftsführung berechtigt ist. Einer gesonderten vertraglichen Regelung bedarf es nicht. 

§ 712 Abs. 1 BGB ist dispositives Recht. Der Gesellschaftsvertrag kann die Entziehung erleichtern oder erschweren. Nach umstrittener Ansicht soll sogar ein vollständiger Ausschluss des Entziehungsrechts zulässig sein. Begründet wird dies damit, dass den anderen Gesellschaftern in jedem Fall das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 723 BGB sowie das Ausschließungsrecht nach § 737 BGB verbleibt.Carsten Schäfer in: Gesellschaft bürgerlichen Rechts und Partnerschaftsgesellschaft, Systematischer Kommentar, 6. Aufl. 2013, § 712 Rn. 23 Diese Auffassung überzeugt deshalb, weil es den Gesellschaftern freisteht, den Fortbestand der Haftungsgemeinschaft an den Fortbestand der Arbeitsgemeinschaft zu knüpfen. Soll die gemeinsame Tätigkeit Voraussetzung für den Fortbestand der Gesellschaft sein, können die Gesellschafter dies vereinbaren.

5) Prozessuales

13Die gerichtliche Überprüfung des Entziehungsbeschlusses erfolgt im Rahmen einer Feststellungsklage, abweichend von den §§ 117, 127 HGB nicht durch Gestaltungsklage. Jeder Gesellschafter hat ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 ZPO. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen des wichtigen Grundes und für das Zustandekommen des Gesellschafterbeschlusses trägt derjenige, der sich auf die Wirksamkeit der Entziehung beruft. 

6) Anmerkungen

Kündigung der Geschäftsführungsbefugnis

14§ 709 BGB normiert grundsätzlich eine Tätigkeitspflicht der geschäftsführungsbefugten Gesellschafter (sog. Pflichtrecht). § 712 Abs. 2 BGB gibt dem einzelnen geschäftsführenden Gesellschafter das Recht, aus wichtigem Grund die Geschäftsführung zu kündigen. Er wird dadurch in die Lage versetzt, die Gesellschaft nicht kündigen zu müssen, selbst wenn ihm die weitere Tätigkeit in der Gesellschaft unzumutbar geworden ist.

Auch die Kündigung setzt das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus, der so schwerwiegend sein muss, dass es dem Kündigenden unzumutbar ist, in der Gesellschaft weiter tätig zu sein.

Wie im Fall des § 712 Abs. 1 BGB ist die Kündigung sowohl im Falle übertragener Geschäftsführungsbefugnis als auch im Rahmen der Gesamtgeschäftsführungsbefugnis nach § 709 BGB zulässig. Auch in diesem Fall wird man als Folge der einseitigen Beendigung der Arbeitsgemeinschaft den Mitgesellschaftern ein außerordentliches Kündigungsrecht einräumen müssen, da den Mitgesellschaftern eine Fortsetzung der Gesellschaft als bloße Haftungsgemeinschaft regelmäßig unzumutbar sein wird, sich jedenfalls als grundlegende Änderung der Gesellschaftsstruktur darstellt.

Die Kündigung ist eine empfangsbedürftige einseitige Willenserklärung, die allen Mitgesellschaftern gegenüber zu erklären ist. Die Einhaltung einer Kündigungsfrist ist nicht erforderlich. Nach allgemeinen Grundsätzen ist aber die Kündigung zur Unzeit ausgeschlossen.

§ 712 Abs. 2 BGB ist grundsätzlich dispositives Recht, es kann allerdings in entsprechender Anwendung des § 673 Abs. 3 BGB nicht im Vorgriff auf das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund wirksam verzichtet werden.


Fußnoten