§ 708 Haftung der Gesellschafter
Ein Gesellschafter hat bei der Erfüllung der ihm obliegenden Verpflichtungen nur für diejenige Sorgfalt einzustehen, welche er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt.
Für den Rechtsverkehr
(für Nichtjuristen)
zum Expertenteil (für Juristen)
Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle
1Die Vorschrift des § 708 BGB regelt die Haftung des Gesellschafters im Innenverhältnis zu seinen Mitgesellschaftern und gegenüber der Gesellschaft.Schäfer in: Münchener Kommentar, BGB, 8. Aufl. 2020, § 708 BGB, Rn. 1 Eine Anwendung im Außenverhältnis bzw. gegenüber Dritten findet nicht statt.Sprau in: Palandt, BGB, 76. Aufl. 2017, § 708 BGB, Rn. 2 Der Haftungsmaßstab für die Gesellschafter wird von § 708 BGB auf die eigenübliche Sorgfalt, die sogenannte diligentia quam in suis rebus, die in § 277 BGB legaldifiniert ist, beschränkt. Eine Haftung für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz bleibt davon unberührt. Dieser aus dem römischen Recht stammende Haftungsmaßstab findet sich daneben auch in den Normen § 690 BGB, § 1359 BGB und § 1664 BGB.
Anwendbar ist diese Haftungsmilderung nur, wenn ein Gesellschafter in seiner Funktion eine schadensverursachende Handlung bei der Erfüllung seiner sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Verpflichtungen begeht. Ausgenommen sind demnach Schäden, die bloß bei Gelegenheit durch den Gesellschafter verursacht werden und nicht bei der Ausführung spezifischer Gesellschafterpflichten. Die jeweiligen Pflichten des Gesellschafters ergeben sich aus dem Gesellschaftsvertrag.Schäfer in: Münchener Kommentar, BGB, a.a.O., § 708 BGB, Rn. 7
2§ 708 BGB bezieht sich auf Schadensersatzansprüche der Gesellschaft und der Mitgesellschafter aus dem Gesellschaftsvertrag. Wirkt sich ein Schaden, der aufgrund einer Verletzung der Sorgfaltspflicht entstanden ist, auf das Gesamthandsvermögen der Gesellschaft aus, so stehen der Gesellschaft gegen den schädigenden Gesellschafter Ansprüche auf Schadensersatz nach § 280 I BGB zu. Ist ferner ein Mitgesellschafter unmittelbar geschädigt worden, hat er ebenfalls einen persönlichen Anspruch auf Schadensersatz. Umstritten ist, ob deliktische Ansprüche infolge derselben schädigenden Handlung durch eine Anwendung von § 708 BGB ausgeschlossen werden, da ansonsten die Haftungsprivilegierung des § 708 BGB leerlaufen würdeBGH Urteil vom 20.12.1966 – VI ZR 53/65 = NJW 1967, 558; BGH, Urteil vom 20.10.1953 – I ZR 125/52 = NJW 1954, 145; Schäfer in: Münchener Kommentar, BGB, a.a.O., § 708 BGB, Rn. 4 oder ob deliktische Ansprüche - wie im deutschen Recht üblich - neben vertraglichen Ansprüchen bestehen, dabei allerdings der Haftungsmaßstab des § 708 BGB auf das Deliktsrecht übertragen wird,Schöne in BeckOK, § 708 BGB Rn. 13 wobei letztere Auffassung dogmatisch Zuspruch verdient.
3§ 708 ist eine dispositive Regelung, d.h. sie kann abbedungen werden, und zwar auch stillschweigend.Habermeier in: Staudinger, BGB, 2003, § 708 BGB, Rn. 15; Sprau, in: Palandt, BGB, a.a.O., § 708 BGB, Rn. 1 Die Gesellschafter können eigene Haftungsregelungen im Gesellschaftsvertrag festhalten und sich dabei auf einen milderen Haftungsmaßstab (nur Vorsatz) oder auf eine gegenüber § 708 BGB verschärfte Haftung nach den allgemeinen Vorschriften des § 276 I BGB (Vorsatz und Fahrlässigkeit einschließlich leichter Fahrlässsigkeit) einigen. Solche Regelungen zwischen den Gesellschaftern gehen § 708 BGB vor.Schäfer in: Münchener Kommentar, BGB, a.a.O., § 708 BGB, Rn. 3; Schöne, in: Bamberger/Roth, BGB, 3. Auflage 2012, § 708 BGB, Rn. 3
§ 708 BGB kommt nicht nur Gesellschaftern der BGB-Gesellschaft (GbR) zugute, sondern gilt aufgrund der Verweisung in den Normen § 105 III HGB und § 161 II HGB auch für die Haftung im Innenverhältnis bei der Offenen Handelsgesellschaft (OHG), der Kommanditgesellschaft (KG), sowie durch die Verweisung in § 1 IV PartGG auch bei der Partnerschaftsgesellschaft.
Bei einer Pflichtverletzung eines Gesellschafters im Straßenverkehr soll nach der Rechtsprechung des BHG die Haftungsmilderung nach § 708 BGB keine Anwendung finden. Begründet wird dies mit der besonderen Gefahr im Straßenverkehr und dem „Grundsatz der haftungsrechtlichen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer“ nach § 17 StVG.BGH Urteil vom 20.12.1966 – VI ZR 53/65 = NJW 1967, 558 (559); a.A. Schäfer in: Münchener Kommentar, BGB a.a.O., § 708 BGB, Rn. 14
Expertenhinweise
(für Juristen)
1) Allgemeines
4§ 708 BGB regelt den Haftungsmaßstab bei Pflichtverletzungen eines Gesellschafters im Innenverhältnis der Gesellschaft. Die Haftung wird auf die diligentia quam in suis rebus, also die eigenübliche Sorgfalt, beschränkt. Die Vorschrift verweist auf § 277 BGB, welcher die eigenübliche Sorgfalt definiert und die Haftung für grobe Fahrlässigkeit von der Privilegierung ausnimmt.
2) Definitionen
6a) Gesellschafter
Die Haftungsprivilegierung des § 708 BGB gilt nach seinem eindeutigen Wortlaut für jeden Gesellschafter, und zwar unabhängig davon, ob ihm Geschäftsführungsaufgaben zugewiesen sind oder nicht. Unbeachtlich ist, ob die Tätigkeit entgeltlich oder unentgeltlich erbracht wird.Schäfer in: Münchener Kommentar, a.a.O., § 708 BGB, Rn. 6; Schöne, in: BeckOK BGB, 55. Ed. 01.05.2020, § 708 BGB, Rn. 10
3) Abgrenzungen, Kasuistik
4) Zusammenfassung der Rechtsprechung
Vergleiche die in der laufenden Kommentierung zitierten Gerichtsentscheidungen.
5) Literaturstimmen
9Ballerstedt, Der gemeinsame Zweck als Grundbegriff des Rechts der Personengesellschaften, JuS 1963, 253-263
BeckOK BGB/Schöne, 55. Ed. 1.5.2020, BGB § 708
Bergmann, in: JurisPK-BGB, Band 2, 9. Aufl. 2020, § 708 BGB
Fleischer/Danninger, Der Sorgfaltsmaßstab in der Personengesellschaft, NZG 2016, 481-492
GroßkommHGB/Fischer, Zweiter Band, 1.Halbband: §§ 105 – 144; 4. Aufl. 1973, § 116 HGB
Grundmann, in: Münchener Kommentar, BGB, 8. Aufl. 2019, § 277 BGB
Habermeier, in: Staudinger, BGB, 2003, § 708 BGB
Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Auflage, 1971
Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, Recht der Schuldverhältnisse, 1988
NK-BGB/Heidel, 3. Aufl. 2016, § 708 BGB
Schäfer, in: Münchener Kommentar, BGB, 8. Aufl. 2020, § 708 BGB
Schöne, in: Bamberger/Roth, BGB, 3. Auflage 2012, § 708 BGB
Schöne, in: BeckOK BGB, 55. Ed. 01.05.2020, § 708 BGB
Sprau, in: Palandt, 76. Auflage 2020, § 708
Westermann, in Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 708 BGB
Würdinger, Gesellschaften, Teil 1: Recht der Personengesellschaften, 1937
6) Häufige Paragraphenketten
10Die in § 708 BGB genannten eigenübliche Sorgfalt ist in § 277 BGB geregelt, weshalb dieser grundsätzlich mitzitiert wird. Weiter ergibt sich der Schadensersatzanspruch der Gesellschaft und/oder der Mitgesellschafter aus § 280 I BGB.
Bei einem sorgfaltswidrigen Handeln eines geschäftsführenden Gesellschafters gibt es gem. der Normen § 93 II 2 AktG, § 116 AktG eine Beweislasterleichterung für die betroffene Gesellschaft.
In den Normen § 161 II HGB, § 105 III HGB und § 1 IV PartGG erfolgt eine Verweisung auf den § 708 BGB, sodass dieser auch bei einer OHG, KG und PartG anzuwenden ist.
7) Prozessuales
11Beweislast
Die Darlegungs- und Beweislast richtet sich grundsätzlich nach den allgemeinen Vorschriften. Der Geschädigte, also die Gesellschaft oder der geschädigte Mitgesellschafter, trägt die Beweislast für die anspruchsbegründenden Umstände (Schadensverursachung, Pflichtverletzung, Verschulden und Schaden), sofern ihm nicht die einschlägigen Beweiserleichterungen zugutekommen.
8) Anmerkungen
12An der Regelung des § 708 BGB wird seit langem rechtspolitische Kritik ausgeübt. Bei Betrachtung des Normzwecks passe eine Anwendung von § 708 BGB überall da nicht, wo es an der persönlichen Verbundenheit zwischen den Gesellschaftern fehle.Würdinger, Gesellschaften, 1. Teil: Recht der Personengesellschaften, 1937, S. 36