§ 714 Vertretungsmacht
Soweit einem Gesellschafter nach dem Gesellschaftsvertrag die Befugnis zur Geschäftsführung zusteht, ist er im Zweifel auch ermächtigt, die anderen Gesellschafter Dritten gegenüber zu vertreten.
Für den Rechtsverkehr
(für Nichtjuristen)
zum Expertenteil (für Juristen)
Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle
1Während § 712 BGB das Recht und die Pflicht zur Führung der Geschäfte der Gesellschaft bürgerlichen Rechts durch die Gesellschafter regelt, enthält § 714 BGB eine an die Geschäftsführungsbefugnis anknüpfende Auslegungsregel, nach der vermutet wird, dass die Geschäftsführer ermächtigt sind, die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (nach früher herrschender Meinung dem Wortlaut der Norm entsprechend die Gesellschafter) im Außenverhältnis zu vertreten. In Abgrenzung zur Geschäftsführungsbefugnis bestimmt die Vertretungsmacht das rechtliche Können im Außenverhältnis, während die Geschäftsführungsbefugnis das rechtliche Dürfen im Innenverhältnis regelt.
§ 714 BGB geht davon aus, dass die Geschäftsführungsbefugnis und die Vertretungsmacht der Geschäftsführer übereinstimmen, weil dies dem Willen der Gesellschafter im Regelfall entspricht.
Die Vorschrift ist dispositiv. Von ihr kann im Gesellschaftsvertrag beliebig abgewichen werden, d.h. Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht müssen nicht notwendig deckungsgleich sein.
Die Bestimmungen der §§ 164 ff. BGB sind auf die organschaftliche Vertretung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts entsprechend anzuwenden.
Expertenhinweise
(für Juristen)
1) Allgemeines
Grundlage
2Nach der früher herrschenden Auffassung hat der Geschäftsführer nicht die Gesellschaft als solche, sondern, dem Wortlaut des § 714 BGB entsprechend, die anderen Gesellschafter kraft deren Vollmacht vertreten.BGHZ 74, 240 (242); NJW 1979. 1281
Da nach heute herrschender Meinung und Rechtsprechung die Gesellschaft bürgerlichen Rechts rechtsfähig ist,BGH NJW 2001, 1056; BGH NJW 2002, 368; BGH NJW 2002, 1207; BGH NJW 2008, 1378 ist diese Auffassung nicht länger haltbar. Vielmehr handelt der Geschäftsführer für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts selbst, also mit Wirkung für das Gesellschaftsvermögen im Sinne einer organschaftlichen Vertretung.BGH DStR 2005, 614; Beuthien NJW 1999, 1142; Sprau in: Palandt, BGB-Kommentar, 78. Aufl. 2019, § 714 Rn. 1
§ 714 BGB enthält damit eine Auslegungsregel, wonach die Geschäftsführer im Zweifel zur organschaftlichen Vertretung der Gesellschaft berechtigt sind.
Von der organschaftlichen Vertretungsmacht zu unterscheiden ist die Vertretungsbefugnis von Gesellschaftern oder Dritten, die durch rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung begründet werden kann, u.U. auch konkludent.BGH DStR 2005, 614 Auf die rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung ist § 714 BGB nicht anwendbar. In diesem Fall sind die §§ 164 ff. BGB unmittelbar anwendbar.
Schließlich kann sich eine Vertretungsmacht auch aus einem Notgeschäftsführungsrecht analog § 744 Abs. 2 BGB ergeben.
2) Abgrenzungen, Kasuistik
a) Umfang der Vertretungsmacht
aa) Keine entsprechende Anwendung von § 126 HGB
3Nach herrschender Meinung ist § 126 HGB auf die Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht entsprechend anwendbar. Nach § 126 HGB ist der Umfang der Vertretungsmacht des Geschäftsführers einer offenen Handelsgesellschaft unbeschränkt und unbeschränkbar. Teilweise wird in der Literatur vertreten, dass gute Gründe für eine entsprechende Anwendung des § 126 HGB auf die unternehmenstragende Außen-GbR sprechen würden.Carsten Schäfer ZIP 2003, 1225, 1233 f Diese Auffassung entspricht jedoch nicht der herrschenden Meinung und ist auch nicht sachgerecht.
Gegen die Auffassung, dass auch in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts die Geschäftsführer unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht haben, spricht jedenfalls der Wortlaut des § 714 BGB, der die Vertretungsmacht nur „soweit“ der Auslegungsregel unterwirft, als dem Gesellschafter nach dem Gesellschaftsvertrag die Befugnis zur Geschäftsführung zusteht. Es wäre mit dem Wortlaut der Norm daher unvereinbar, wenn diese Grenze der Vertretungsmacht durch eine analoge Anwendung des § 126 HGB durchbrochen werden würde.
Für eine analoge Anwendung des § 126 HGB besteht auch kein Bedürfnis. Soweit eine unternehmenstragende Außen-GbR nicht schon nach Rechtsscheingrundsätzen Erklärungen ihrer Geschäftsführer gegen sich gelten lassen muss, liegt das Risiko fehlender Vertretungsmacht bei den Vertragspartnern. Das ist sachgerecht, da letztlich nur solche Fälle nicht nach den Grundsätzen von Anscheins- und Duldungsvollmacht zu lösen sein werden, in denen der Gesellschaft ein Rechtsschein nicht zuzurechnen ist.
bb) Gesellschaftsvertrag als Maßstab
4Der Umfang der Vertretungsmacht richtet sich nach dem Umfang der Geschäftsführungsbefugnis. Fehlt es an einer gesellschaftsvertraglichen Regelung hierfür, so sind die Geschäftsführer zur Gesamtvertretung berechtigt.
Begrenzt ist die Vertretungsmacht im Zweifel entsprechend etwaiger Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis durch den Gesellschaftsvertrag, selbst wenn solche Beschränkungen nach Außen nicht erkennbar sind sowie durch den Gesellschaftszweck. Aus dieser Begrenzung folgt, dass Änderungen des Gesellschaftsvertrags, Erhöhungen der Beiträge, die Aufnahme neuer Gesellschafter und die Veräußerung des Vermögens der Gesellschaft als Ganzes jedenfalls von der Vertretungsmacht nicht gedeckt sind.
(1) Überschreitung der Vertretungsmacht
5Überschreitet der Geschäftsführer die ihm nach dem Gesellschaftsvertrag zustehende Vertretungsmacht, so handelt er grundsätzlich als Vertreter ohne Vertretungsmacht. Die §§ 177, 179 BGB finden Anwendung. Die Mitgesellschafter können sein Handeln nachträglich genehmigen.
Umstritten ist, ob aus Gründen des Verkehrsschutzes im Einzelfall eine wirksame Vertretung trotz Handelns außerhalb der Vertretungsmacht in Betracht kommt. Maßgeblich hierfür soll sein, ob die Gesellschaft bürgerlichen Rechts durch ihr Handeln im Rechtsverkehr den Anschein einer Handelsgesellschaft erweckt.Carsten Schäfer in: Gesellschaft bürgerlichen Rechts und Partnerschaftsgesellschaft, Systematischer Kommentar, 6. Aufl. 2013, § 714 Rn. 28
Bei näherer Betrachtung handelt es sich hierbei um eine standardisierte Form der Anscheinsvollmacht. Sie unterstellt, dass eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die im Rechtsverkehr ähnlich wie eine Handelsgesellschaft auftritt und am Rechtsverkehr teilnimmt, zugleich den Anschein setzt, ihre Geschäftsführer handelten mit unbeschränkter Vertretungsmacht. Für die Schaffung einer solchen standardisierten Anscheinsvollmacht besteht indes kein Bedürfnis.
Es mag zutreffen, dass eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die im Rechtsverkehr wie eine Handelsgesellschaft auftritt, häufig einen Rechtsschein dahingehend setzt, dass ihre Geschäftsführer gleich dem Gesellschafter einer oHG unbeschränkte Vertretungsmacht haben. Ob dies der Fall ist, ist indes weiterhin im Einzelfall zu entscheiden. In der Konsequenz bedeutet dies, dass weiterhin derjenige, der sich auf den Anschein unbeschränkter Vertretungsmacht beruft, die Voraussetzungen einer Anscheinsvollmacht zu beweisen hat und nicht umgekehrt die Gesellschaft bürgerlichen Rechts beweisen muss, dass sie keinen zurechenbaren Rechtsschein gesetzt hat.
(2) Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 BGB)
6§ 181 BGB ist auf Geschäftsführer der Gesellschaft bürgerlichen Rechts anwendbar. Ihnen ist verboten, mit sich selbst zu kontrahieren, soweit keine gegen den § 181 BGB vorgesehenen bzw. von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen vorliegen.
(3) Passivvertretung
7Für die Entgegennahme von Willenserklärungen oder ähnlichen Erklärungen genügt ein vertretungsberechtigter Gesellschafter. Für die Wirksamkeit der Zustellung an die Gesellschaft bürgerlichen Rechts bei mehreren vertretungsberechtigten Gesellschaftern genügt die Zustellung an einen davon.BGH NJW 2006, 2191; BGH NJW 2011, 615
(4) Zurechnung von Gesellschafterhandeln und Gesellschafterwissen
8Die Handlungen eines Gesellschafters sind der Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Organhandeln gem. § 31 BGB zuzurechnen.BGH NJW 2003, 1445; BGH NJW 2003, 2984; BAG NZA 2008, 348 Dies gilt auch für den Scheingesellschafter.BGH NJW 2007, 2490 – für den Rechtsanwalt einer Scheinsozietät Die früher vertretene Auffassung, wonach die Zurechnung des Gesellschafterhandelns über die § 278 BGB bzw. § 831 BGB als Erfüllungs- bzw. Verrichtungsgehilfe erfolgen sollte, hat sich mit der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts überholt.
b) Akzessorische Haftung der Gesellschafter
9Im Grundsatz gilt, dass die Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts entsprechend § 128 HGB unmittelbar, primär und auf die gesamte Leistung unbeschränkt haften. Die Haftung trifft auch den Scheingesellschafter, also solche Personen, die in zurechenbarer Weise den Anschein erweckt haben, Gesellschafter zu seinOLG Hamm NZG 2011, 137 sowie ausgeschiedene Gesellschafter, die den Rechtsschein weiterer Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts dulden.BGH WM 2012, 323
Die Haftung umfasst Ansprüche aus Rechtsgeschäften und aus gesetzlichen Schuldverhältnissen.BGH NJW 2003, 1445
c) Notgeschäftsführung
Unabhängig von der gesellschaftsvertraglichen Regelung berechtigt § 744 Abs. 2 BGB analog jeden Gesellschafter dazu, die zur Gefahrenabwehr oder zur Erhaltung eines bestimmten Gegenstandes des Gesamthandvermögens erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.BGH, Urteil vom 26.06.2018, II ZR 205/16; NJW 2018, 3014, 3015 Voraussetzung eines Notgeschäftsführungsrechts ist das Vorliegen einer akuten Gefahr für die Gesellschaft, zu deren Abwendung rasches Handeln erforderlich ist.
Die analoge Anwendbarkeit des § 744 Abs. 2 BGB auf die GbR ist in der Rechtsprechung des BGH anerkannt.BGH NJW 2014, 3779
3) Prozessuales
10Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist aktiv- und passivlegitimiert und parteifähig im Sinne des § 50 ZPOBAG NJW 2005, 1004 . Eine Klage gegen die Gesellschaft bürgerlichen Rechs ist aber ohne weiteres auch gegen die Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Gesamtschuldner zulässig. Häufig wird dies in der Praxis auch zweckmäßig sein. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts kann neben den Gesellschaftern verklagt werden.BGH NJW 2007, 2257
Dem gegenüber sind Gesellschafterstreitigkeiten, also Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern beispielsweise über die Wirksamkeit von Beschlüssen, das Bestehen oder Nichtbestehen von Mitgliedschaftsrechten des Gesellschafters oder die Wirksamkeit von gesellschaftsvertraglichen Regelungen, zwischen den Gesellschaftern und nicht zwischen der Gesellschaft und dem betroffenen Gesellschafter auszutragen.