Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Carsten Seeger / § 650g

§ 650g Zustandsfeststellung bei Verweigerung der Abnahme; Schlussrechnung

(1) Verweigert der Besteller die Abnahme unter Angabe von Mängeln, hat er auf Verlangen des Unternehmers an einer gemeinsamen Feststellung des Zustands des Werks mitzuwirken. Die gemeinsame Zustandsfeststellung soll mit der Angabe des Tages der Anfertigung versehen werden und ist von beiden Vertragsparteien zu unterschreiben.

(2) Bleibt der Besteller einem vereinbarten oder einem von dem Unternehmer innerhalb einer angemessenen Frist bestimmten Termin zur Zustandsfeststellung fern, so kann der Unternehmer die Zustandsfeststellung auch einseitig vornehmen. Dies gilt nicht, wenn der Besteller infolge eines Umstands fernbleibt, den er nicht zu vertreten hat und den er dem Unternehmer unverzüglich mitgeteilt hat. Der Unternehmer hat die einseitige Zustandsfeststellung mit der Angabe des Tages der Anfertigung zu versehen und sie zu unterschreiben sowie dem Besteller eine Abschrift der einseitigen Zustandsfeststellung zur Verfügung zu stellen.

(3) Ist das Werk dem Besteller verschafft worden und ist in der Zustandsfeststellung nach Absatz 1 oder 2 ein offenkundiger Mangel nicht angegeben, wird vermutet, dass dieser nach der Zustandsfeststellung entstanden und vom Besteller zu vertreten ist. Die Vermutung gilt nicht, wenn der Mangel nach seiner Art nicht vom Besteller verursacht worden sein kann.

(4) Die Vergütung ist zu entrichten, wenn

  • 1. der Besteller das Werk abgenommen hat oder die Abnahme nach § 641 Absatz 2 entbehrlich ist und
  • 2. der Unternehmer dem Besteller eine prüffähige Schlussrechnung erteilt hat.

Die Schlussrechnung ist prüffähig, wenn sie eine übersichtliche Aufstellung der erbrachten Leistungen enthält und für den Besteller nachvollziehbar ist. Sie gilt als prüffähig, wenn der Besteller nicht innerhalb von 30 Tagen nach Zugang der Schlussrechnung begründete Einwendungen gegen ihre Prüffähigkeit erhoben hat.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

Das Verhältnis von Zustandsfeststellung zur Abnahme

Die Zustandsfeststellung ist in der Vorschrift des § 650g Abs. 1-3 BGB verankert und mit dem Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts am 01.01.2018 eingeführt worden. Die Zustandsfeststellung ist rechtlich weniger, als die Abnahme. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn die Abnahme durch den Auftraggeber unter Angabe von Mängeln verweigert wird.

Sinn und Zweck der Vorschrift

1Der Sinn und Zweck der Zustandsfeststellung erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Vorschrift den Auftragnehmer bei Verweigerung der Abnahme wegen Mängeln durch den Auftraggeber unterstützen. Es gilt die gesetzliche Vermutung, die widerlegt werden kann, dass ein offenkundiger Mangel, der in der Zustandsfeststellung nicht angegeben wurde, erst nach der Zustandsfeststellung entstanden ist und vom Besteller zu vertreten ist. Diese gesetzliche Vermutung gilt jedoch nur für offenkundige Mängel, die also ersichtlich und erkennbar sind. Dagegen sind Mängel, die nicht erkannt werden können, insbesondere wenn eine Bauteilzerstörung damit einhergehen müsste (Feuchtigkeit im Untergrund) oder Mängel, die von ihrer Art nicht vom Besteller verursacht sein können (Planungsmängel), keine offenkundigen Mängel, sodass für derartige Mängel die gesetzliche Vermutung nicht gilt. Offenkundige Mängel liegen immer dann vor, wenn es zu mechanischen Beschädigungen in der Oberfläche von verbauten Materialien kommt, so etwa Kratzer im Parkett.

Die Zustandsfeststellung soll bewirken, dass der beweisbelastete Auftragnehmer im Hinblick auf die Mängelfreiheit bis zur Abnahme durch diese Vermutung entlastet wird und es nunmehr die Sache des Auftraggebers ist, die Vermutung zu widerlegen. Erst durch die Abnahme findet grundsätzlich eine Beweislastumkehr statt. Vor Abnahme hat der Auftragnehmer die Mängelfreiheit seines Gewerks darzulegen und zu beweisen. Nach Abnahme hat der Auftraggeber darzulegen und zu beweisen, dass ein Mangel vorliegt. Durch die Zustandsfeststellung soll dem vorgegriffen werden, in dem es bereits in der Phase vor Abnahme unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Beweislastumkehr kommt.

2Der Gesetzgeber sieht vor, dass eine gemeinsame Zustandsfeststellung trotz der Verweigerung der Abnahme erfolgt. Dies ist das Idealbild des Gesetzgebers. Es kann jedoch auch nur eine einseitige Zustandsfeststellung durch den Auftragnehmer vorgenommen werden, wenn der Auftraggeber nicht mitwirken will.

Voraussetzungen der Zustandsfeststellung

Die Zustandsfeststellung kommt nur dadurch zustande, wenn (1.) der Auftragnehmer die Zustandsfeststellung verlangt. Genauso wie das Abnahmeverlangen ist die Zustandsfeststellung ein einseitiges empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft. (2.) Weiter ist notwendig, dass der Auftraggeber das Werk in Gebrauch nimmt. Dafür ist die Besitzerlangung durch den Auftraggeber notwendig.

Gemeinsame Zustandsfeststellung

Eine gemeinsame Zustandsfeststellung setzt voraus, dass der Zustand in Anwesenheit beider Parteien, also von Auftragnehmer und Auftraggeber erfolgt. Dabei können sich die Parteien vertreten lassen. Hierzu können auch Dritte wie Sachverständige hinzugezogen werden. Die Zustandsfeststellung ist mit einem Datum und beiden Unterschriften der Vertragsparteien zu versehen.

Einseitige Zustandsfeststellung

Wenn der Auftraggeber eine gemeinsame Zustandsfeststellung verweigert, bleibt dem Auftragnehmer nur eine einseitige Zustandsfeststellung. Hierzu nimmt der Auftragnehmer den Zustand seiner Bauleistungen auf. Es ist wichtig, diesen Status quo zu dokumentieren, nicht nur durch ein Aufmaß, sondern auch durch Fotos oder Videos. Die Zustandsfeststellung muss mit einem Datum versehen werden und auch dem Auftraggeber übersandt werden. Es ist notwendig, dass die Zustandsfeststellung dem Auftraggeber zugeht. Denn es soll verhindert werden, dass nachträglich an der Zustandsfeststellung noch Änderungen vorgenommen werden. Darüber hinaus soll die Zustandsfeststellung den tatsächlichen Zustand im Zeitpunkt der Feststellung auch dokumentieren.

Fälligkeit des Werklohns

3Die Vorschrift hat aber auch noch einen weiteren Absatz mit § 650g Abs. 4 BGB. Durch diese Vorschrift ist eine Angleichung der Fälligkeit der Vergütung des Auftragnehmers zum VOB-Vertrag vorgenommen worden. Nunmehr setzt auch die Fälligkeit des Werklohns beim BGB-Vertrag nicht nur die Abnahme voraus, sondern der Werklohn ist nur fällig bei Abnahme und Erteilung einer prüfbaren Schlussrechnung. Das war früher beim BGB Vertrag anders. Hier war nur die Abnahme erforderlich. Es musste seinerzeit noch nicht einmal eine Rechnung gestellt werden. Dies ist jetzt anders und genauso wie beim VOB-Vertrag geregelt. Dieser Gleichschritt zwischen BGB-Vertrag und VOB-Vertrag ist rechtlich sinnvoll.

Prüffähigkeit der Schlussrechnung

4Prüffähig ist eine Schlussrechnung nur dann, wenn dem Informationsinteresse des Auftraggebers gerecht wurde. Das ist der Fall, wenn der Auftraggeber die erbrachten Leistungen des Auftragnehmers nachvollziehen kann. Das wird nur dann der Fall sein, werden der Schlussrechnung ein Aufmaß beiliegt und bei Stundenlohnarbeiten ordnungsgemäß ausgefüllte Stundenlohnzettel, die sowohl als Inhalt die eingesetzten Personen, als auch die Leistung oder die Örtlichkeit genau beschreiben. Ordnungsgemäße Stundensätze sind bares Geld wert. Lückenhafte Stundenlohnzettel führen immer dazu, dass der Auftragnehmer nie den vollen Vergütungsanspruch erzielen kann.

Auch hier tritt eine gesetzliche Vermutung ein, dass eine Schlussrechnung als prüffähig gilt, wenn sie nicht innerhalb von 30 Tagen vom Auftraggeber als nicht prüffähig zurückgewiesen wurde. Der Gesetzgeber wollte so vermeiden, dass der Auftraggeber noch in einem zeitlich später folgenden Klageverfahren diesen Einwand erheben kann. Mithin muss der Auftraggeber innerhalb von 30 Tagen reagieren. Seine Reaktion kann aber nicht allein sein, dass er die Schlussrechnung pauschal als nicht prüffähig zurückweist. Vielmehr hat der Auftraggeber konkret aufzuzeigen, aus welchem Grunde er die Schlussrechnung nicht prüfen kann.

5In der Baupraxis kommt es immer wieder vor, dass Auftraggeber selbst nach Prüfung der Schlussrechnung diese als nicht prüffähig zurückweisen, weil Leistungspositionen nicht richtig berechnet wurden. Vielen Auftraggeber ist dabei jedoch nicht klar, dass der Parameter der Prüffähigkeit nichts mit dem Parameter der Richtigkeit zu tun hat. Indem der Auftraggeber die Berechnung dieser Leistungsposition geprüft hat und zu einem anderen Ergebnis kommt, so geht es allein um die Richtigkeit dieser Leistungsposition. In dem Zusammenhang soll mit dem Irrglauben in der Baupraxis aufgeräumt werden, dass der Auftragnehmer verpflichtet sein soll, eine richtige Schlussrechnung zu stellen. Fälligkeitsvoraussetzung für den Werklohn ist allein die Erteilung einer prüffähigen Schlussrechnung. Die Prüfung dient gerade dazu, dass der Auftraggeber feststellt, ob die Positionen, die der Auftragnehmer in seine Schlussrechnung eingestellt hat, richtig oder falsch sind. Deshalb ist der Auftragnehmer auch nicht verpflichtet, eine richtige Schlussrechnung zu stellen. Dieses Verlangen einiger Auftraggeber ist falsch und vertragswidrig.

Expertenhinweise

(für Juristen)


Fußnoten