§ 1584 Rangverhältnisse mehrerer Unterhaltsverpflichteter
Der unterhaltspflichtige geschiedene Ehegatte haftet vor den Verwandten des Berechtigten. Soweit jedoch der Verpflichtete nicht leistungsfähig ist, haften die Verwandten vor dem geschiedenen Ehegatten. § 1607 Abs. 2 und 4 gilt entsprechend.
Für den Rechtsverkehr
(für Nichtjuristen)
zum Expertenteil (für Juristen)
Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle
1Nach der in
Ist der geschiedene Ehegatte aber nicht oder nur begrenzt leistungsfähig, haften die Verwandten des Berechtigten.
Ebenso haften die Verwandten des Berechtigten, wenn bereits dem Grunde nach keine Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehegatten besteht, z.B. weil die Voraussetzungen für einen nachehelichen Unterhalt nicht gegeben sind oder weil der berechtigte Ehegatte seinen Anspruch verwirkt hat. Da es sich in diesem Fall um eine eigenständige Unterhaltsverpflichtung handelt, können die Verwandten keine Erstattung in Höhe der von ihnen geleisteten Unterhaltszahlungen von dem Verpflichteten fordern.
Ab wann eine Leistungsunfähigkeit besteht, wird kontrovers diskutiert. Die herrschende Meinung vertritt die Ansicht, dass eine Leistungsunfähigkeit gegeben ist, wenn der Mindestselbstbehalt, welchen der Unterhaltspflichtige gegenüber dem unterhaltsberechtigten Ehegatten wahren darf, verletzt wird. Die Höhe des Mindestselbstbehalts eines Ehegatten bestimmt sich nach allgemeinen Maßstäben. Die Oberlandesgerichte haben in ihren Unterhaltsleitlinien diesen Mindestselbstbehalt gegenüber getrennt lebenden und geschiedenen Unterhaltsberechtigten bei Erwerbstätigen aktuell ( 2023 ) auf 1.510,00 € monatlich, bei nicht Erwerbstätigen auf regelmäßig 1.385,00 € beziffert. In diesem Selbstbehalt sind 580,00 € zur Deckung des Wohnbedarfes (davon 435,00 € für Kaltmiete und 145,00 € für Nebenkosten) eingepreist.
Besteht eine Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Ehegatten dem Grunde nach und ist der Unterhaltspflichtige auch leistungsfähig, ist aber eine Rechtsverfolgung gegen den Unterhaltspflichtigen nicht oder nur sehr schwer möglich, tritt in diesem Fall eine Ersatzhaftung der Verwandten ein. Es erfolgt dann nach
Die Erschwernis der Rechtsverfolgung ist bereits gegeben, wenn z.B. durch laufende Ortswechsel oder bei unbekanntem Aufenthalt des Verpflichteten ein Zahlungstitel nicht erwirkt werden kann. Eine Erschwernis liegt auch vor, wenn aus einem vollstreckbaren Titel nicht erfolgreich vollstreckt werden kann, weil der Schuldner unbekannt verzogen ist, seine Arbeitsstelle ständig wechselt, kein pfändbares Einkommen vorliegt. Eine Erschwernis liegt aber vor allem vor, wenn ein Unterhaltstitel aufgrund eines fiktiv angerechneten Erwerbseinkommen erwirkt werden konnte - ein fiktives Einkommen wird dem Unterhaltsschuldner angerechnet, wenn dieser nachhaltig und vorwerfbar gegen seine Erwerbsobliegenheit verstoßen hat -, oder wenn er sich um Ausland aufhält und dort eine Vollstreckung nicht oder kaum möglich ist.
Expertenhinweise
(für Juristen)
1) Allgemeines
2In
2) Abgrenzungen, Kasuistik
a. Regelungsinhalt
aa. Vorrangige Haftung des geschiedenen Ehegatten
3Ist der geschiedene Ehegatte leistungsfähig, haftet er vorrangig vor den Verwandten des unterhaltsberechtigten Ehegatten. Diese Vorranghaftung besteht auch dann, wenn die Eltern des Berechtigten wohlhabend und leistungsfähiger sind als der Unterhaltspflichtige. Ein Wahlrecht hinsichtlich der Inanspruchnahme des geschiedenen Ehegatten oder des Verwandten besteht insofern nicht.
Besteht neben dem Anspruch auf nachehelichen Unterhalt noch ein Anspruch nach
bb. Vorrangige Haftung der Verwandten des Berechtigten
4Die Verwandten haften nur dann vorrangig und damit originär, wenn der geschiedene Ehegatte nicht leistungsfähig ist.
Ist der geschiedene Ehegatte nur teilweise leistungsfähig, verbleibt es bei der vorrangigen Haftung des geschiedenen Ehegatten. Nur hinsichtlich des Teils des Unterhalts, welcher von dem geschiedenen Ehegatten nicht geleistet werden kann, haften die Verwandten vorrangig und damit originär.
Haften die Verwandten aus eigener originärer Verpflichtung für den Unterhalt des geschiedenen Ehegatten, weil der eigentlich vorrangig verpflichtete Ehegatte leistungsunfähig ist, ist kein Rückgriff gegen den leistungsunfähigen Unterhaltspflichtigen über
5Die Verwandten haften aber auch dann originär, wenn kein Anspruch gegen den geschiedenen Ehegatten besteht,
- weil die Voraussetzungen der §§ 1570, 1573, 1575, 1576 BGB nicht erfüllt ist
- weil der Unterhaltsanspruch der Zeit und Höhe nach begrenzt ist nach
- weil der Unterhaltsanspruch verwirkt ist nach
- weil ein Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Ehegatten nach Wiederverheiratung erloschen und nicht wieder aufgelebt ist nach §§ 1586, 1586a BGB
- weil der Unterhaltsanspruch aufgrund wirksamer vertraglicher Vereinbarung nicht mehr besteht.
Ein Unterhaltsverzicht gegenüber dem verpflichteten Ehegatten, welcher erkennbar und gewollt zu Lasten der Verwandten geht, ist jedoch unwirksam.
Hat ein geschiedener Ehegatte seinen Unterhaltsanspruch ganz oder teilweise nach
cc. Leistungsunfähigkeit des Verpflichteten
6Die Frage, wann der Verpflichtete nach der Vorschrift des
Nach der Vorschrift des
Der „eheangemessene“ Unterhalt richtet sich nach den individuellen Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Eheleute und bildet daher eine variable Größe, die dem Bedarf des Bedarf des Berechtigten zuzüglich des Erwerbstätigenbonus aus dem Arbeitseinkommen des Verpflichteten entspricht. Der eheangemessene Selbstbehalt kann daher höher liegen als der angemessene Selbstbehalt.
7Der angemessene Selbstbehalt, welcher nach allgemeinen Maßstäben gegenüber einem unterhaltsberechtigten Ehegatten gewahrt werden soll, wird nach den Unterhaltsleitlinien der Oberlandesgerichte aktuell (2023) mit 1.510,00 € monatlich für einen Erwerbstätigen und mit 1.385,00 € für einen Nichterwerbstätigen angesetzt. Von diesen Betrag sind 580,00 € für den Wohnbedarf (435,00 € Kaltmiete, 145,00 € für Nebenkosten und Heizung) vorgesehen.so z.B. Unterhaltsleitlinien des OLG Frankfurt am Main Punkt 21.4
8Eine Auffassung vertritt die Ansicht, dass sich die Leistungsfähigkeit nach
Die in
9Die Gegenmeinung vertritt dagegen die Ansicht, dass die Leistungsfähigkeit sich nur nach dem angemessenen Selbstbehalt, also bemessen nach allgemeinen Maßstäben, richten könne.Grüneberg/Pückler
So könnte beispielsweise der unterhaltspflichtige Ehegatte unter Verweis auf die hohen Einkommensverhältnisse einen eheangemessenen Selbstbehalt für sich beanspruchen, während die unterhaltspflichtigen Verwandten – zumeist die Eltern des unterhaltsberechtigten Ehegatten – nur einen deutlich niedrigeren Selbstbehalt für sich geltend machen können. Dies hätte das unbillige Ergebnis, dass dem eigentlich vorrangig für den Ehegattenunterhalt haftenden Ehegatten ein höherer Betrag zur Finanzierung seiner eigenen Bedarfspositionen verbleiben würde, als den nachrangig verpflichteten Verwandten.
Dieser zweiten Auffassung ist daher der Vorzug zu geben, da sie zu gerechteren Ergebnissen führt. Sie bietet auch mehr Rechtssicherheit, da sich der angemessene Bedarf aus den Unterhaltsleitlinien der Oberlandesgerichte und auch der Düsseldorfer Tabelle ergibt. Zudem hat diese Auffassung den Vorteil, dass auch in den Fällen, in denen der eheangemessene Bedarf unterhalb des angemessenen Bedarfs liegt, der angemessene Bedarf gewahrt bleibt und die Grenze bildet, ab der die Verwandten vorrangig haften.
dd. Anrechnung fiktive Einkünfte
10Sollte die Leistungsunfähigkeit des unterhaltspflichtigen Ehegatten durch eine Verletzung seiner Erwerbsobliegenheit begründet sein, werden dem Ehegatten die Einkünfte hinzugerechnet, welche er erzielen könnte, wenn er eine Erwerbstätigkeit bezogen auf seine berufliche Qualifikation und Erfahrung ausüben würde.MüKo/Maurer
b. Ersatzhaftung der Verwandten (Satz 3 i.V.m. § 1607 Abs. 2 S. 1 BGB)
11Sollte die Rechtsverfolgung gegen den geschiedenen Ehegatten erheblich erschwert sein, tritt eine Ersatzhaftung der Verwandten des Berechtigten ein. Als Erschwernis können sowohl die Einforderung im Erkenntnisverfahren als auch die Vollstreckung bereits titulierter Ansprüche in Betracht kommen infolge unbekannten oder ständig wechselnden Aufenthalts des Verpflichteten, dauernder Wechsel der Arbeitsstelle, erfolglose Vollstreckungsversuche aufgrund von Vermögenslosigkeit.
Im Fall des Nichtnutzens einer Erwerbsmöglichkeit sind dem Verpflichteten fiktive Einkünfte aus der Erzielung einer zumutbaren Tätigkeit anzurechnen. Soweit sich dann eine Leistungsfähigkeit ergibt, in diese fiktiven Erwerbseinkünfte aber nicht vollstreckt werden kann, ergibt sich insoweit keine vorrangige Haftung der Verwandten nach
Wenn eine inländische Zuständigkeit der anzurufenden Gerichte nicht gegeben ist, kann nach
c. Gesetzlicher Forderungsübergang (S. 3 i.V.m. § 1607 Abs. 2 S. 2 BGB)
12Diese Ersatzhaftung ist keine vorrangige und damit keine originäre Haftung. Vielmehr geht auf den Verwandten, welcher im Wege der Ersatzhaftung nach
Für diesen Forderungsübergang gilt
Die Pfändungseinschränkungen des
d. Schutz des Berechtigten (S. 3 i.V.m § 1607 Abs. 4)
13Zum Schutz des Unterhaltsberechtigten regelt
Bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners dürfen daher Verpflichtungen, welche mit dem Forderungsübergang zusammenhängen, nicht berücksichtigt werden.
Im Vollstreckungsverfahren ist zwar von Amts wegen der Vorrang des Unterhaltsberechtigten vor dem Regressanspruch des Verwandten zu berücksichtigen. Der BGH empfiehlt aber sicherzustellen, dass der Bestand einer solchen berechtigten Forderung bekannt wird. Die Zahlungsverpflichtung soll daher mit der Einschränkung erfolgen, dass der Beschluss nur vollstreckt werden darf, wenn und soweit der Unterhaltsgläubiger bei der Durchsetzung seiner Unterhaltsforderung nicht benachteiligt wird.BGH vom 23.08.2006 – XII ZR 26/04 -, NJW 2006, 3561; MüKo/Maurer
e. Freiwillige Leistung Dritter
14Leisten Dritte an Stelle des Verwandten, geht dieser Anspruch nicht nach
f. Praktische Hinweise
15Die Verwandten haften nur im Rahmen des Verwandtenunterhalts nach den §
Hat der unterhaltsberechtigte Ehegatten seinen Anspruch gegen den unterhaltspflichtigen Ehegatten nach
Vereinbart der Unterhaltsberechtigte in einem Ehevertrag die Beschränkung oder den Verzicht auf den ihm zustehenden nachehelichen Unterhalt, muss im Einzelfall geprüft werden, ob diese vertragliche Vereinbarung der Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle standhält. Ist die Vereinbarung wirksam, muss der Verwandte diese Wirksamkeit auch gegen sich gelten lassen.
Wird insbesondere in einer Scheidungsfolgenvereinbarung eine Beschränkung oder ein Verzicht auf einen Unterhaltsanspruch erklärt, dürfte es sich in der Regel um einen Vertrag zu Lasten Dritter handeln mit der Folge, dass dann auch kein Unterhaltsanspruch gegen den Verwandten besteht.
3) Zusammenfassung der Rechtsprechung
BGH vom 21. 1. 1998 - XII ZR 85/96 -, NJW 1998, 1309
BGH vom 08.10.1989 - IV b ZR 89/88 -, NJW 1990, 1172
BGH vom 23.08.2006 – XII ZR 26/04 -, NJW 2006, 3561
4) Literaturstimmen
MüKo/Maurer
MüKo/Maurer
Grüneberg/von Pückler
Grüneberg/von Pückler
NK-BGB/Sanders
5) Häufige Paragraphenketten
§§ 1570, 1573, 1575, 1576 BGB
§§ 1586, 1586a BGB
6) Prozessuales
16Verfahrensrechtlich handelt es sich bei dem Regressanspruch um eine Unterhaltssache und damit um eine Familienstreitsache nach
Örtlich zuständig ist das Familiengericht am Aufenthaltsort des auf Unterhalt in Anspruch genommenen Verwandten,
Nimmt der berechtigte Ehegatte einen Verwandten in Anspruch, muss dieser Ehegatte die Leistungsunfähigkeit des geschiedenen Ehegatten oder die ausgeschlossene bzw. erheblich erschwerte Rechtsverfolgung im Inland beweisen. Keine Voraussetzung ist ein vorher geführtes gerichtliche Verfahren gegen den geschiedenen Ehegatten, in dem der Unterhaltsanspruch des berechtigten Ehegatten rechtskräftig abgewiesen wurde.
Nimmt der Verwandte den geschiedenen Ehegatten in Regress, muss er die Voraussetzungen für den Anspruchsübergang (fehlende Möglichkeit der Rechtsverfolgung) sowie alle Voraussetzungen für den ursprünglichen Anspruch des unterhaltsberechtigten Ehegatten auf nachehelichen Unterhalt und die Höhe seiner eigenen Unterhaltszahlungen darlegen und beweisen. Der in Anspruch genommene Ehegatte muss, wenn er diesem Regressanspruch entgegentreten will, die Voraussetzungen für eine Beschränkung des Unterhalts nach §§ 1579, 1578b BGB sowie/oder seine eigene Leistungsunfähigkeit darlegen und beweisen.