§ 715b Gesellschafterklage
(1) Jeder Gesellschafter ist befugt, einen auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Anspruch der Gesellschaft gegen einen anderen Gesellschafter im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen, wenn der dazu berufene geschäftsführungsbefugte Gesellschafter dies pflichtwidrig unterlässt. Die Befugnis nach Satz 1 erstreckt sich auch auf einen Anspruch der Gesellschaft gegen einen Dritten, wenn dieser an dem pflichtwidrigen Unterlassen mitwirkte oder es kannte.
(2) Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche das Klagerecht ausschließt oder dieser Vorschrift zuwider beschränkt, ist unwirksam.
(3) Der klagende Gesellschafter hat die Gesellschaft unverzüglich über die Erhebung der Klage und die Lage des Rechtsstreits zu unterrichten. Ferner hat er das Gericht über die erfolgte Unterrichtung in Kenntnis zu setzen. Das Gericht hat auf eine unverzügliche Unterrichtung der Gesellschaft hinzuwirken.
(4) Soweit über den Anspruch durch rechtskräftiges Urteil entschieden worden ist, wirkt die Entscheidung für und gegen die Gesellschaft.
Für den Rechtsverkehr
(für Nichtjuristen)
zum Expertenteil (für Juristen)
Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle
1Bei der Gesellschafterklage handelt es sich um eine allgemein anerkannte Prozessführungsbefugnis eines Gesellschafters, der nicht oder zumindest nicht allein zur Vertretung der Gesellschaft befugt ist.Keller, ZJS 2022, 469 (469); Schäfer, ZHR 2023, 78 (79) Dabei handelt es sich lediglich um eine Notkompetenz. Grundsätzlich gilt im Personengesellschaftsrecht nämlich, dass nur der Gesellschafter zur Führung und Vertretung der Gesellschaft berechtigt ist, der auch dazu ermächtigt ist. Bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), als Grundform der Personengesellschaft, sind alle Gesellschafter gemäß
2Mit dieser (Einzel-) Geschäftsführungsbefugnis können allerdings auch Probleme einhergehen. Denkbar ist zum Beispiel, dass der Alleingeschäftsführer es pflichtwidrig unterlässt, Ansprüche der Gesellschaft rechtlich zu verfolgen. Ein denkbarer Grund für ein derartiges Unterlassen könnte beispielsweise sein, dass er sich selbst oder ein naher Angehöriger sich gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig gemacht hat, und der Geschäftsführer einen Anspruch gegen sich selbst oder eine ihm nahestehende Person verfolgen müsste. Wegen des bestehenden Interessenkonflikts wird der geschäftsführende Gesellschafter häufig von der Verfolgung des Anspruchs absehen und durch diese Blockadehaltung die Vermögenslage der Gesellschaft nachhaltig schädigen. Dies kann sich sowohl auf den Wert der Gesellschaft im Ganzen als auch auf die jeweiligen Beteiligungen der einzelnen Gesellschafter auswirken.Mock, JuS 2015, 590 (590)
3Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dieses Problem schon früh erkannt und richterrechtlich über Jahre hinweg die unter Juristen als actio pro socio (Klage für die Gesellschaft) bekannte Gesellschafterklage herausgebildet. Eine gesetzliche Grundlage für diese Klagemöglichkeit eines GbR-Gesellschafters gab es bis zur Einführung dieses
4Diese – nunmehr auch im Gesetz ausdrücklich geregelte – Gesellschafterklage ermöglicht es jedem Gesellschafter, in der gesetzlich vorgesehenen Situation, Ansprüche der Gesellschaft in eigenem Namen für die Gesellschaft gerichtlich zu verfolgen.Servatius in: GbR Kommentar,
5Für den einzelnen Gesellschafter bestünden, neben der actio pro socio, auch alternative Möglichkeiten, um eine Durchsetzung des Anspruchs herbeizuführen. Dazu zählt die Ausschließung des sich weigernden Gesellschafters aus wichtigem Grund gemäß
Expertenhinweise
(für Juristen)
1) Allgemeines
6Die Gesellschafterklage ist in der Rechtsprechung und Literatur schon lange unter dem Namen der actio pro socio allgemein anerkannt. Dabei war lange Zeit umstritten, ob es sich bei Sozialansprüchen um Individualansprüche der einzelnen Gesellschafter handelt oder um Ansprüche der Gesellschaft. Spätestens mit Anerkennung der Rechtsfähigkeit der GbRBGH, Urteil v. 29.01.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056 (1056). lässt sich jedoch nicht erklären, warum neben der Gesellschaft auch die einzelnen Gesellschafter Inhaber des Sozialanspruchs sein sollten.Fleischer/Harzmeier, ZGR 2017, 239 (264); Schäfer, in: GbR Kommentar,
7Dabei muss stets beachtet werden, dass durch die actio pro socio die primäre Geschäftsführungs- und Vertretungsordnung umgangen wird und sie daher nur erhoben werden darf, wenn ein pflichtwidriges Unterlassen durch die Geschäftsführung vorliegt. Die actio pro socio stellt für die Gesellschafter daher lediglich eine Notbefugnis dar, die gegenüber einer Geltendmachung der Ansprüche durch die geschäftsführungs- und vertretungsbefugten Gesellschafter stets subsidiär ist. Auch kann sie grundsätzlich nur zur gerichtlichen Geltendmachung von sogenannten Sozialansprüchen herangezogen werden, worin sie sich von der Notgeschäftsführungsbefugnis aus
8Ein Ausschluss der actio pro socio im Gesellschaftsvertrag unwirksam (Abs. 2, Alt. 1). Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen, die keinen generellen Ausschluss, aber Modifikationen vorsehen, unwirksam sind. Denn das Gesetz normiert, dass nur solche Vereinbarungen unwirksam sind, die das Klagerecht generell ausschließen „oder dieser Vorschrift zuwider“ beschränken. E contrario sind solche Vereinbarungen wirksam, die das Klagerecht nicht ausschließen oder „715b BGB-zuwider“ beschränken (s. hierzu unten auch „f. Unabdingbarkeit“).Servatius in: GbR Kommentar,
9Die Tatsache, dass es sich bei der actio pro socio lediglich um eine Notkompetenz handelt, wird auch anhand der in
10Die Änderungen durch das MoPeG traten am 01.01.2024 in Kraft. Eine Übergangsregelung sieht das Gesetz nicht vor, allerdings können Gesellschafter gemäß Art. 229
2) Definitionen
a. Actio pro socio
11Der Begriff actio pro socio bedeutet übersetzt ,,Klage im Namen des Gesellschafters“.Mock, JuS 2015, 590 (591). Andere übersetzen sie hingegen als ,,Klage für einen Gesellschafter“ und halten es daher für notwendig, sie in actio pro societate, ,,Klage für die Gesellschaft“, umzubenennen, da es sich um keinen Anspruch des untätigen Gesellschafters, sondern der Gesellschaft handelt.
3) Abgrenzungen, Kasuistik
48Abzugrenzen ist die Gesellschafterklage von der grundsätzlichen Geschäfts- und Vertretungsbefugnis des geschäftsführenden Gesellschafters sowie von der Notgeschäftsführungsbefugnis in
a. Primäre Geschäftsführungs- und Vertretungsordnung
49Der Gesellschafter ist gemäß
4) Zusammenfassung der Rechtsprechung
a. Die actio pro socio gegen den Fremdgeschäftsführer
54Seit dem BGH Urteil vom 25.01.2022BGH, Urteil v. 25.1.2022 – II ZR 50/20, NZG 2022, 516 (516) ist in der Literatur zunehmend die Diskussion aufgekommen, inwiefern die actio pro socio auch auf den Fremdgeschäftsführer einer GmbH angewendet werden kann.Tödtmann/Pieper, NZG 2023, 641 (641 ff.); Waclawik, NZG 2022, 652 (652 ff.)
5) Literaturstimmen
Fleischer, Holger/ Harzmeier, Lars, Die actio pro socio im Personengesellschaftsrecht – Traditionslinien, Entwicklungsverläufe, Zukunftsperspektiven-, ZGR 2017, Heft. 3, S. 239-272
Keller, Christoph, Die Zulässigkeit der Gesellschafterklage bei der Personengesellschaft, ZJS 2022, Heft 4, S. 469-475
Kumkar, Lea Katharina, Zum Theorienstreit im Recht der actio pro socio, ZGR 2021, Heft 1, S. 123-155
Mock, Sebastian, Die Gesellschafterklage (actio pro socio), JuS 2015, Heft 7, S. 590-596
Schäfer, Carsten, Actio pro socio – neue Impulse durch das MoPeG und aktuelle Rechtsprechung, ZHR 2023, Heft 1, S. 78-106
Schäfer, Carsten, Gesellschaft bürgerlichen Rechts Partnerschaftsgesellschaft Kommentar, 9. Auflage, Mannheim 2022
Servatius, Wolfgang, Gesellschaft bürgerlichen Rechts §§ 705-740c BGB Kommentar, 1. Auflage, Regensburg 2022
Tödtmann, Ulricht/ Pieper, Julius, Zulässigkeit der Gesellschafterklage gegen den GmbH-Fremdgeschäftsführer - Die actio pro socio im Wandel?, NZG 2023, Heft 14, S. 641-645
6) Prozessuales
71Die Gesellschafterklage ermöglicht dem einzelnen Gesellschafter, Ansprüche der Gesellschaft im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen.BT-Drs. 19/27635 S. 155 Dabei handelt es sich um eine gesetzliche Prozessstandschaft, deren Voraussetzungen das Gericht als Sachurteilsvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen hat.BGH, Urteil v. 18.10.1995 – I ZR 126/93, NJW 1996, 391 (391); Schäfer, in: GbR Kommentar,