Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Luis Antonio Guijarro Santos / § 715b

§ 715b Gesellschafterklage

(1) Jeder Gesellschafter ist befugt, einen auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Anspruch der Gesellschaft gegen einen anderen Gesellschafter im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen, wenn der dazu berufene geschäftsführungsbefugte Gesellschafter dies pflichtwidrig unterlässt. Die Befugnis nach Satz 1 erstreckt sich auch auf einen Anspruch der Gesellschaft gegen einen Dritten, wenn dieser an dem pflichtwidrigen Unterlassen mitwirkte oder es kannte.

(2) Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche das Klagerecht ausschließt oder dieser Vorschrift zuwider beschränkt, ist unwirksam.

(3) Der klagende Gesellschafter hat die Gesellschaft unverzüglich über die Erhebung der Klage und die Lage des Rechtsstreits zu unterrichten. Ferner hat er das Gericht über die erfolgte Unterrichtung in Kenntnis zu setzen. Das Gericht hat auf eine unverzügliche Unterrichtung der Gesellschaft hinzuwirken.

(4) Soweit über den Anspruch durch rechtskräftiges Urteil entschieden worden ist, wirkt die Entscheidung für und gegen die Gesellschaft.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

1Bei der Gesellschafterklage handelt es sich um eine allgemein anerkannte Prozessführungsbefugnis eines Gesellschafters, der nicht oder zumindest nicht allein zur Vertretung der Gesellschaft befugt ist.Keller, ZJS 2022, 469 (469); Schäfer, ZHR 2023, 78 (79)  Dabei handelt es sich lediglich um eine Notkompetenz. Grundsätzlich gilt im Personengesellschaftsrecht nämlich, dass nur der Gesellschafter zur Führung und Vertretung der Gesellschaft berechtigt ist, der auch dazu ermächtigt ist. Bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), als Grundform der Personengesellschaft, sind alle Gesellschafter gemäß § 715 Abs. 1 BGB zur Führung der Geschäfte berechtigt und verpflichtet sowie gemäß § 720 Abs. 1 BGB zur Vertretung der Gesellschaft im Rechtverkehr befugt.Schäfer, in: MüKo., BGB, § 709 Rn. 3  Von dieser Gesamtvertretungsbefugnis wird aus Gründen der Praktikabilität häufig in dem Gesellschaftsvertrag abgewichen und z.B. nur ein Geschäftsführer eingesetzt. Durch die Verlagerung der Geschäftsführung auf einen Gesellschafter wird vermieden, dass für jede geschäftliche Entscheidung zunächst die Zustimmung aller Gesellschafter eingeholt und ein gemeinsamer Kompromiss herbeigeführt werden muss. Die GbR wird mit der Verlagerung dieser Kompetenz auf nur einen Gesellschafter-Geschäftsführer in der Entscheidungsfindung agiler und ist in der Lage, schneller Geschäftsentscheidungen im Rechtsverkehr zu treffen. 

2Mit dieser (Einzel-) Geschäftsführungsbefugnis können allerdings auch Probleme einhergehen. Denkbar ist zum Beispiel, dass der Alleingeschäftsführer es pflichtwidrig unterlässt, Ansprüche der Gesellschaft rechtlich zu verfolgen. Ein denkbarer Grund für ein derartiges Unterlassen könnte beispielsweise sein, dass er sich selbst oder ein naher Angehöriger sich gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig gemacht hat, und der Geschäftsführer einen Anspruch gegen sich selbst oder eine ihm nahestehende Person verfolgen müsste. Wegen des bestehenden Interessenkonflikts wird der geschäftsführende Gesellschafter häufig von der Verfolgung des Anspruchs absehen und durch diese Blockadehaltung die Vermögenslage der Gesellschaft nachhaltig schädigen. Dies kann sich sowohl auf den Wert der Gesellschaft im Ganzen als auch auf die jeweiligen Beteiligungen der einzelnen Gesellschafter auswirken.Mock, JuS 2015, 590 (590) 

3Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dieses Problem schon früh erkannt und richterrechtlich über Jahre hinweg die unter Juristen als actio pro socio (Klage für die Gesellschaft) bekannte Gesellschafterklage herausgebildet. Eine gesetzliche Grundlage für diese Klagemöglichkeit eines GbR-Gesellschafters gab es bis zur Einführung dieses § 715b BGB allerdings nicht. Der Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) und die damit verbundene Einführung dieses § 715b in das Bürgerliche Gesetzbuch nunmehr eine jahrzehntelange Rechtspraxis in ein Gesetz gegossen. 

4Diese – nunmehr auch im Gesetz ausdrücklich geregelte – Gesellschafterklage ermöglicht es jedem Gesellschafter, in der gesetzlich vorgesehenen Situation, Ansprüche der Gesellschaft in eigenem Namen für die Gesellschaft gerichtlich zu verfolgen.Servatius in: GbR Kommentar, § 715b Rn. 6; Mock, JuS 2015, 590 (591); Schäfer, in: MüKo., BGB, § 705 Rn. 210; Schöne, in: BeckOK, BGB, § 705 Rn. 116 Es handelt sich somit um kein eigenes materielles Recht des Gesellschafters. Vielmehr verfolgt der Gesellschafter einen Anspruch der GesellschaftServatius in: GbR Kommentar, § 715b Rn. 1 und fungiert damit, wenn man so will, als Werkzeug derselben. Denn er setzt etwas um, wozu diese – mangels pflichtmäßig handelnden Geschäftsführers – nicht in der Lage ist. Dies ist deshalb besonders hervorhebenswert, weil eine gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft grundsätzlich nur durch die geschäftsführungs- und vertretungsbefugten Gesellschafter in Betracht kommt. Die Erhebung einer Gesellschafterklage durch einen nichtgeschäftsführungsbefugten Gesellschafter stellt somit einen Ausnahmefall dar, durch den die gesellschaftsrechtliche Zuständigkeitsordnung durchbrochen wird. Die actio pro socio ist daher lediglich als Notkompetenz heranzuziehen, wenn der geschäftsführungsbefugte Gesellschafter es pflichtwidrig unterlässt, Ansprüche der Gesellschaft zu verfolgen.Servatius in: GbR Kommentar, § 715b Rn. 6 Nur dann besteht ausnahmsweise auch eine Klagebefugnis für die nichtgeschäftsführungsbefugten Gesellschafter. 

5Für den einzelnen Gesellschafter bestünden, neben der actio pro socio, auch alternative Möglichkeiten, um eine Durchsetzung des Anspruchs herbeizuführen. Dazu zählt die Ausschließung des sich weigernden Gesellschafters aus wichtigem Grund gemäß § 727 BGB sowie die Entziehung seiner Geschäftsführungsbefugnis durch Gesellschafterbeschluss gemäß § 715 Abs. 5 BGB.Servatius in: GbR Kommentar, § 715b Rn. 6 Allerdings ist für beide Maßnahmen zumindest eine Mehrheitsentscheidung, zumeist jedoch sogar Einstimmigkeit der übrigen Gesellschafter erforderlich.Schäfer, in: MüKO, BGB, § 715 Rn. 78; Schöne, in: BeckOK, BGB, § 727 Rn. 7 Dies ist gerade für Gesellschafter, die nur einen geringen Anteil an der Gesellschaft halten (sog. Minderheitsgesellschafter) wenig erfolgsversprechend.BT-Drs. 19/27635, S. 154; Schöne, in: BeckOK, BGB, § 715b Rn. 1; Servatius in: GbR Kommentar, § 715b Rn. 5 Gerade für diese Gesellschafter stellt die actio pro socio daher ein wichtiges Mittel zur Verstärkung des Minderheitenschutzes dar.Tödtmann/Pieper, NZG 2023, 641 (642). 

 

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

6Die Gesellschafterklage ist in der Rechtsprechung und Literatur schon lange unter dem Namen der actio pro socio allgemein anerkannt. Dabei war lange Zeit umstritten, ob es sich bei Sozialansprüchen um Individualansprüche der einzelnen Gesellschafter handelt oder um Ansprüche der Gesellschaft. Spätestens mit Anerkennung der Rechtsfähigkeit der GbRBGH, Urteil v. 29.01.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056 (1056).

2) Definitionen

a. Actio pro socio

11Der Begriff actio pro socio bedeutet übersetzt ,,Klage im Namen des Gesellschafters“.Mock, JuS 2015, 590 (591). Andere übersetzen sie hingegen als ,,Klage für einen Gesellschafter“ und halten es daher für notwendig, sie in actio pro societate, ,,Klage für die Gesellschaft“, umzubenennen, da es sich um keinen Anspruch des untätigen Gesellschafters, sondern der Gesellschaft handelt.

3) Abgrenzungen, Kasuistik

48Abzugrenzen ist die Gesellschafterklage von der grundsätzlichen Geschäfts- und Vertretungsbefugnis des geschäftsführenden Gesellschafters sowie von der Notgeschäftsführungsbefugnis in § 715a BGB.

a. Primäre Geschäftsführungs- und Vertretungsordnung

49Der Gesellschafter ist gemäß § 715 b Abs. 1 S.

4) Zusammenfassung der Rechtsprechung

a. Die actio pro socio gegen den Fremdgeschäftsführer

54Seit dem BGH Urteil vom 25.01.2022BGH, Urteil v. 25.1.2022 – II ZR 50/20, NZG 2022, 516 (516) ist in der Literatur zunehmend die Diskussion aufgekommen, inwiefern die actio pro socio auch auf den Fremdgeschäftsführer einer GmbH angewendet werden kann.Tödtmann/Pieper, NZG 2023, 641 (641 ff.); Waclawik, NZG 2022, 652 (652 ff.) Diese Frage ist sowohl von Relevanz für die Personenhandelsgesellschaft in Form der GmbH und Co. KG, als auch für das Kapitalgesellschaftsrecht. 

55Bei einer GmbH und Co. KG entschied der BGH 2017, dass ein Kommanditist den Fremdgeschäftsführer der Komplementär-GmbH nicht wegen Verletzung der Geschäftsführungsbefugnis gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG für die Kommanditgesellschaft in Anspruch nehmen kann.BGH, Urteil v. 19.12.2017 – II ZR 255/16, NZG 2018, 220 (220) In dem entschiedenen Fall wollten die Erben der alleinigen Kommanditisten der GmbH und Co. KG sowie ebenfalls alleinigen Gesellschafterin der Komplementär-GmbH den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH in Anspruch nehmen, der als Steuerberater, Vermögensverwalter und Generalbevollmächtigter seit 2001 die wirtschaftlichen Interessen der Erblasserin wahrnahm. Infolgedessen wurde dieser auch zum alleinigen Geschäftsführer der Komplementär-GmbH bestellt, in deren Namen er 2006 ein Grundstück zum Kaufpreis von 7, 2 Mio Euro erwarb. Die Erben wollten den Geschäftsführer daraufhin auf Schadensersatz gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG in Verbindung mit den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (nämlich der Kommanditgesellschaft) in Anspruch nehmen, da er das Grundstück wissentlich zu einem überhöhten Preis gekauft und somit der Kommanditgesellschaft geschadet hätte.

56Die Voraussetzungen der actio pro socio sah das Berufungsgericht als erfüllt an, da die Erben ein besonderes Interesse an der Anspruchsverfolgung für die Kommanditgesellschaft hätten.BGH, Urteil v. 19.12.2017 – II ZR 255/16, NZG 2018, 220 (220) Die Kommanditgesellschaft selbst würde den Anspruch nicht verfolgen, da diese im Rechtsverkehr durch den geschäftsführungsbefugten Gesellschafter der Komplementär-GmbH vertreten wird. Dieser müsste den Anspruch im Namen der Kommanditgesellschaft gegen sich selbst verfolgen, da nur er allein zur Vertretung der Gesellschaft im Rechtsverkehr berechtigt ist. Dies sah das Berufungsgericht als wenig erfolgsversprechend an und sprach den Erben daher eine eigene Prozessführungsbefugnis zu, Ansprüche der Gesellschaft im eigenen Namen für die Kommanditgesellschaft einzuklagen.BGH, Urteil v. 19.12.2017 – II ZR 255/16, NZG 2018, 220 (220) 

57Diese Ansicht hält rechtlicher Nachprüfung indes nicht stand, da es sich bei der actio pro socio um ein Mitgliedschaftsrecht eines jeden Gesellschafters handelt, welches lediglich aufgrund der rechtlichen Sonderbeziehung zwischen den einzelnen Gesellschaftern besteht.BGH, Urteil v. 19.12.2017 – II ZR 255/16, NZG 2018, 220 (220); BGH, Urteil v. 25.1.2022 – II ZR 50/20, NZG 2022, 516 (517) Das Recht, Ansprüche der Gesellschaft im eigenen Namen für die Gesellschaft zu verfolgen, stellt eine absolute Ausnahme von der grundsätzlich innerhalb der Gesellschaft bestehenden Kompetenzordnung dar. Demnach kommt eine Anspruchsverfolgung für die Gesellschaft nur durch das zur Vertretung der Gesellschaft befugte Organ in Betracht.BGH, Urteil v. 19.12.2017 – II ZR 255/16, NZG 2018, 220 (220) Die für das Vorliegen einer actio pro socio erforderliche Sonderbeziehung lässt sich nicht ohne Weiteres auf die Beziehung zwischen Gesellschafter und Fremdgeschäftsführer übertragen. Eine unmittelbare rechtliche Beziehung besteht zwischen diesen schon gar nicht, sondern lediglich zwischen dem Fremdgeschäftsführer und der Gesellschaft.BGH, Urteil v. 25.01.2022 – II ZR 50/20, NZG 2022, 516 (518) Daran ändert auch das bestehende Recht der Gesellschafter nichts, die Geschäftsführer gemäß § 46 Nr. 5 GmbHG bestellen und abberufen zu können.BGH, Urteil v. 25.01.2022 – II ZR 50/20, NZG 2022, 516 (518) Der Fremdgeschäftsführer ist ein Nichtgesellschafter und somit wie ein gesellschaftsfremder Dritte zu behandeln.BGH, Urteil v. 19.12.2017 – II ZR 255/16, NZG 2018, 220 (220) Eine Prozessführungsbefugnis des Kommanditisten, um Ansprüche der Kommanditgesellschaft gegen den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH geltend zu machen, ist nur gegen den geschäftsführungsbefugten Gesellschafter denkbar.BGH, Urteil v. 19.12.2017 – II ZR 255/16, NZG 2018, 220 (220) 

58Über eine derartige Konstellation entschied der BGH bereits im Jahre 1973.BGH, Urteil v. 02.07. 1973 - II ZR 94/71, NJW 1973, 2198 (2198) Die Fallkonstellation betrifft eine Kommanditgesellschaft (die X-KG), an deren Kapital die Y-KG als Kommanditistin mit 95% beteiligt ist. Der Kläger war als persönlich haftender Gesellschafter sowohl an der X-KG als auch an der Y-KG beteiligt. Der Beklagte war als persönlich haftender Gesellschafter an der Y-KG beteiligt sowie für diese geschäftsführungs- und vertretungsbefugt. Der Kläger beabsichtigte, den Geschäftsführer der Y-KG in Anspruch zu nehmen, da dieser an der Kündigung eines Prokuristen der X-KG mitgewirkt hatte. Diese Kündigung stellte sich als sozial ungerechtfertigt heraus und verstieß außerdem gegen die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags, nach denen die Abberufung eines Prokuristen der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedarf. Der Beklagte hatte als organschaftlicher Vertreter der Y-KG den Geschäftsführern der X-KG bei der Kündigung des Prokuristen ,,mit Rat und Tat‘‘ zur Seite gestanden.[1] BGH, Urteil v. 02.07. 1973 - II ZR 94/71, NJW 1973, 2198 (2200) Dabei bewegte er sich innerhalb der vertraglichen Verpflichtungen, die die Y-KG für die X-KG im Rahmen des Gesellschaftsvertrags wahrnahm. Es handelte sich bei der Kündigung somit um die Ausführung einer Verrichtung, die der Beklagte als Geschäftsführer der Y-KG wahrnahm. Anders wäre dies zu beurteilen, wenn eine Beteiligung der Y-KG an der Abberufung von Geschäftsführern nicht vorgesehen wäre und der Beklagte die Aufgabe lediglich bei Gelegenheit wahrgenommen hätte. Da dies vorliegend aufgrund der gesellschaftsvertraglichen Verpflichtung der Y-KG gegenüber der X-KG nicht der Fall ist, muss die Y-KG sich die Handlungen ihres Geschäftsführers gemäß § 31 BGB als eigene zurechnen lassen.[1] BGH, Urteil v. 02.07. 1973 - II ZR 94/71, NJW 1973, 2198 (2200)

59Insofern könnte der Kläger die Y-KG als Mitgesellschafterin für das Handeln des Beklagten in Anspruch nehmen. Der BGH beließ es dabei jedoch nicht, sondern entschied, dass der Gesellschafter der X-KG im Rahmen der actio pro socio ebenso auch den geschäftsführenden Gesellschafter der Y-KG direkt in Anspruch nehmen kann. Dieser haftet der Y-KG schließlich für die entstandenen Gesellschaftsverbindlichkeiten gemäß § 128 HGB persönlich. Ob die Y-KG als Mitgesellschafterin des Gesellschafters der X-KG in Anspruch genommen wird oder der unmittelbar und unbeschränkt haftende Gesellschafter der Mitgesellschafterin, mache nach Auffassung des BGHs keinen Unterschied. Sowohl für die Mitgesellschafterin als auch für deren Gesellschafter handelt es sich um einen Schadensersatzanspruch, der aus einer Gesellschaftsverbindlichkeit resultiert.BGH, Urteil v. 02.07. 1973 - II ZR 94/71, NJW 1973, 2198 (2199) Daraus lässt sich schließen, dass es Gesellschaftern grundsätzlich möglich ist, auch solche Gesellschafter in Anspruch zu nehmen, die nicht unmittelbar in einem Gesellschaftsverhältnis zueinanderstehen, sondern lediglich Gesellschafter einer beteiligten Gesellschaft sind. 

60Diese Erkenntnis ändert jedoch nichts an der anfänglich erwähnten Problematik, ob es auch möglich ist, den Fremdgeschäftsführer einer an der Kommanditgesellschaft beteiligten GmbH in Anspruch zu nehmen. Im Kern bleibt der BGH in seinem zuletzt ergangenen UrteilBGH, Urteil v. 25.01.2022 – II ZR 50/20, NZG 2022, 516 (516) der Linie treu, die er bereits 2017 bei der GmbH & Co. KG vertrat. Die actio pro socio dient dazu, Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis gegen einen Mitgesellschafter geltend zu machen. Zwischen dem Fremdgeschäftsführer und den Gesellschaftern besteht eine solche gesellschaftsrechtliche Sonderbeziehung nicht, weshalb den Gesellschaftern auch keine Prozessführungsbefugnis zukommen kann, Ansprüche der Gesellschaft im eigenen Namen zu verfolgen. 

61Dennoch regt das Urteil, in dem der Minderheitsgesellschafter einer GmbH, deren Fremdgeschäftsführer wegen Forderungsausfällen in Anspruch nimmt, zur Diskussion an. So geht der BGH beispielsweise darauf ein, dass insbesondere Praktikabilitäts- und Effektivitätsgründe dafür sprechen können, die actio pro socio auch auf den Fremdgeschäftsführer auszuweiten.BGH, Urteil v. 25.01.2022 – II ZR 50/20, NZG 2022, 516 (516) Die Rechte des Minderheitengesellschafters würden dadurch gestärkt werden, da dieser den Fremdgeschäftsführer direkt in Anspruch nehmen könnte. Anderenfalls bestünde für den Gesellschafter lediglich die Möglichkeit, den Beschluss der Gesellschafterversammlung über die Nichtverfolgung des Anspruchs durch eine Anfechtungs- oder Beschlussfeststellungsklage anzugreifen. Dadurch wird der Geschäftsführer aber nicht unmittelbar in Anspruch genommen, und der Gesellschafter geht zudem das Risiko ein, dass der Anspruch trotz gerichtlicher Geltendmachung verjährt, da die Verjährungsfrist des Schadensersatzanspruchs gegen den Geschäftsführer durch die Erhebung von Anfechtungs- oder Beschlussfeststellungsklage nicht gehemmt wird.Waclawik, NZG 2022, 652 (655)

62Andererseits entspricht es gerade der Kompetenzverteilung innerhalb der GmbH, dass die Gesellschafterversammlung gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG darüber entscheidet, ob Ersatzansprüche der GmbH gegen Geschäftsführer verfolgt werden. Die Gesellschaft mag mitunter gute Gründe dafür haben, von einer Verfolgung des Anspruchs abzusehen; zudem bleibt bei einer prozessualen Geltendmachung des Anspruchs stets zu beachten, dass dadurch Geschäftsinterna an die Öffentlichkeit gelangen können.Waclawik, NZG 2022, 652 (655) Dies mag für den einzelnen Gesellschafter nicht immer von Vorteil sein, entspricht aber der gesellschaftsrechtlichen Binnenverfassung, mit deren Geltung sich jeder Gesellschafter bei Eintritt in die Gesellschaft einverstanden erklärt hat.BGH, Urteil v. 25.01.2022 – II ZR 50/20, NZG 2022, 516 (519) Zudem besteht für den Gesellschafter neben der Möglichkeit, Anfechtungs- oder Beschlussmängelklage zu erheben, auch die Möglichkeit, gegen seine Mitgesellschafter im Wege der actio pro socio vorzugehen, wenn diese es treuwidrig unterlassen, an der Verfolgung des Anspruchs mitzuwirken.BGH, Urteil v. 25.01.2022 – II ZR 50/20, NZG 2022, 516 (519), a.A. Tödtmann/Pieper, NZG 2023, 641 (644) der die actio pro socio auch gegen den Fremdgeschäftsführer für möglich hält, wenn die Beschlussfassung treuwidrig unterlassen wurde

63Auch ein Vergleich mit dem im Aktienrecht geregelten Klagezulassungsverfahren gemäß § 148 Abs. 1AktG rechtfertigt keine andere Bewertung. Zwar ist es den Aktionären möglich, die Mitglieder des Vorstands im Wege der actio pro socio in Anspruch zu nehmen; es handelt sich dabei jedoch um eine speziell auf das Aktienrecht zugeschnittene Vorschrift. Die Gesellschafter einer GmbH sind mit weitaus stärkeren Mitgliedschaftsrechten ausgestattet, weshalb die Möglichkeit, auch die Geschäftsführung der Gesellschaft durch die actio pro socio in Anspruch zu nehmen, nicht ohne Weiteres auf die GmbH übertragen werden kann.BGH, Urteil v. 25.01.2022 – II ZR 50/20, NZG 2022, 516 (518) 

64Betrachtet man die rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen einer Prozessführungsbefugnis im Rahmen der actio pro socio, wird man sich wohl damit abfinden müssen, dass sich diese grundsätzlich nicht auf die Inanspruchnahme des Fremdgeschäftsführers ausweiten lässt. Eine andere Sichtweise rechtfertigt auch der im Personengesellschaftsrecht neu in Kraft getretene § 715b BGB nicht. Zwar ist in diesem die Möglichkeit verankert, bei einem pflichtwidrigen Unterlassen des geschäftsführungsbefugten Gesellschafters auch einen Dritten in Anspruch zu nehmen, wenn dieser an dem pflichtwidrigen Unterlassen mitwirkte oder es kannte; dabei handelt es sich jedoch um keine Neuregelung, sondern um gefestigte Rechtspraxis, die in § 715b Abs. 1 S. 2 BGB lediglich kodifiziert wurde. 

65Es ist somit nicht zu erwarten, dass durch die Neuregelung des § 715 b BGB eine Änderung der Rechtsprechung bezüglich der Zulässigkeit der actio pro socio gegen den Fremdgeschäftsführer herbeigeführt wird.BGH, Urteil v. 25.01.2022 – II ZR 50/20, NZG 2022, 516 (518); a.A. Tödtmann/Pieper, NZG 2023, 641 (645) 

66In Betracht kommt lediglich, dass sich der Ausnahmetatbestand in § 715b BGB analog auch auf den Fremdgeschäftsführer einer GmbH übertragen lässt. Die Voraussetzungen dafür würden jedenfalls vorliegen, da es sich bei dem Fremdgeschäftsführer um einen Nichtgesellschafter handelt und dieser im Rahmen der actio pro socio somit als gesellschaftsfremder Dritter anzusehen ist. Es erscheint aufgrund der personalistischen Struktur der GmbH auch naheliegend, die in § 715 b Abs. 1 S. 1 BGB verankerten Grundsätze der actio pro socio auch auf die GmbH anzuwenden.Tödtmann/Pieper, NZG 2023, 641 (644 Zudem ist es nicht ersichtlich, warum der Fremdgeschäftsführer vor einer Inanspruchnahme geschützt werden sollte, wenn er an dem pflichtwidrigen Unterlassen mitwirkte oder dieses zumindest kannte. Das kollusive Zusammenwirken zwischen Vertreter und einem Dritten zum Nachteil des Vertretenen stellt bei sämtlichen Rechtsgeschäften die Grenze der Wirksamkeit dar. Insofern ist nicht ersichtlich, warum der Gesellschafter einer GmbH in einer solchen Situation nicht auch den Fremdgeschäftsführer für die Gesellschaft in Anspruch nehmen sollte. Eine andere Problematik ist indes die Frage, wie oft ein solcher Fall in der Rechtspraxis überhaupt vorkommen wird, da es dem Minderheitsgesellschafter häufig gar nicht möglich sein wird, ein kollusives Zusammenwirken zwischen Mehrheitsgesellschafter und Fremdgeschäftsführer nachzuweisen.Waclawik, NZG 2022, 652 (656) 

b. Ausschluss der actio pro socio wegen treuwidrigem Verhalten 

67Beschränkungen für das Recht der actio pro socio können sich wie bei jedem Mitgliedschaftsrecht aus den Grundsätzen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ergeben.Schäfer, in: MüKO., BGB, § 715b Rn. 15. Die Gesellschafter sind durch das Gesellschaftsverhältnis dazu verpflichtet, ihre Mitgliedschaftsrechte im Interesse der Gesellschaft wahrzunehmen und geschäftsschädigende Handlungen zu unterlassen.BGH, Urteil v. 22.01.2019 – II ZR 143/17, NZG 2019, 702 (702) Diese Treuepflicht besteht sowohl gegenüber der Gesellschaft als auch den einzelnen Mitgesellschaftern. 

68Für die actio pro socio war die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht von besonderer Bedeutung, da sie die einzige Möglichkeit darstellte, die Klagebefugnis des Gesellschafters zu begrenzen, als das Subsidiaritätserfordernis noch ungeklärt war. So sah der BGH 2019 das Berufen eines Gesellschafters auf die actio pro socio als rechtsmissbräuchlich an, da dieser seine Klage zeitgleich mit der Klage der Gesellschaft erhoben hatte.BGH, Urteil v. 22.01.2019 – II ZR 143/17, NZG 2019, 702 (702) In dem besagten Fall nahmen die Kommanditgesellschaft (Klägerin zu 1) und deren Kommanditistin (Klägerin zu 2) die Kommanditistin in Form einer weiteren Kommanditgesellschaft (Beklagte zu 1) sowie deren persönlich haftende Gesellschafterin (Beklagte zu 2) wegen Zahlung einer Einlage in Anspruch, da das Haftkapital in Folge eines Grundstücksverkaufs zuvor durch Gesellschafterbeschluss erhöht wurden war. Die Voraussetzungen für die Erhebung einer Gesellschafterklage lagen grundsätzlich vor, da es sich bei den Beklagten um Mitgesellschafter der Klägerin zu 2 handelten und diese mit der Einlageforderung einen Sozialanspruch verfolgte. Der Klage stand dennoch der Einwand unzulässiger Rechtsausübung gemäß § 242 BGB entgegen, da die Klägerin zu 2 die Klage zeitgleich mit der Klägerin zu 1 erhoben hatte. Beide Klagen waren zudem auf das gleiche Leistungsziel ausgerichtet, womit sich die Gesellschafterklage als unverhältnismäßig und als nicht möglichst schonende Ausübung der mitgliedschaftlichen Rechte darstellte.Lubberich, DNotZ 2020, 49 (53) Der BGH führte dazu aus, dass die Klageerhebung zur Durchsetzung der Forderung nicht erforderlich gewesen wäre, da die Gesellschaft selbst bereits Klage erhoben hätte.BGH, Urteil v. 22.01.2019 – II ZR 143/17, NZG 2019, 702 (703) Auch ist nicht ersichtlich, dass die Klage durch die Gesellschaft weniger erfolgsversprechend ist, da die Klägerin zu 2 sowohl sich selbst als auch die Gesellschaft (Klägerin zu 1) im Prozess vertritt. Daher ergeben sich keine schützenswerten Interessen, die eine weitere Klageerhebung durch die Gesellschafterin rechtfertigen würden.BGH, Urteil v. 22.01.2019 – II ZR 143/17, NZG 2019, 702 (703) Vielmehr führt die doppelte Klageerhebung nur zur Verteuerung der Rechtsdurchsetzung und entspricht daher nicht einer Ausübung der Mitgliedschaftsrechte im Interesse der Gesellschaft.BGH, Urteil v. 22.01.2019 – II ZR 143/17, NZG 2019, 702 (703) 

69Eine derart umfangreiche Betrachtung, ob sich eine doppelte Klageerhebung als rechtsmissbräuchlich erweist, wird durch die Kodifizierung der actio pro socio in Zukunft wohl nicht mehr notwendig sein.Schäfer, in: MüKO., BGB, § 715b Rn. 15 Durch die Formulierung ,,wenn der dazu berufene geschäftsführungsbefugte Gesellschafter dies pflichtwidrig unterlässt“ hat der Gesetzgeber das Subsidiaritätserfordernis deutlich zum Ausdruck gebracht.Schäfer, in: MüKO., BGB, § 715b Rn. 9 Die Verfolgung eines Anspruchs im Wege der actio pro socio kommt nur in Betracht, wenn die primären Geschäftsführungs- und Vertretungsorgane dies pflichtwidrig unterlassen. Eine Klageerhebung durch den Gesellschafter wäre von vorneherein ausgeschlossen, wenn die Gesellschaft selbst bereits Klage wegen des gleichen Leistungsziels erhoben hätte, da es bereits an dem Subsidiaritätserfordernis mangelt. 

70Der Einwand treuwidriger Rechtsausübung muss zukünftig also anhand besonderer Verhaltensweisen des Gesellschafters dargelegt werden, die sich in der konkreten Situation als rechtsmissbräuchlich erweisen.Schäfer, in: MüKO., BGB, § 715b Rn. 15 Ein solches Verhalten hat der BGH beispielsweise angenommen, wenn die klagende Gesellschafterin die Mitwirkung an den Jahresabschlüssen aus sachfremden Gründen verweigert und den Mitgesellschafter anschließend wegen Rückzahlung getätigter Entnahmen, die auf den Jahresabschlüssen beruhen, in Anspruch nimmt.BGH, Beschluss v. 26.04.2010 - II ZR 69/09, NJW-RR 2010, 1123 (1123) Das vorangegangene Verhalten der Gesellschafterin wirkt sich auf die actio pro socio aus, auch wenn die Klägerin keinen eigenen Anspruch, sondern einen solchen der Gesellschaft verfolgt. Dies liegt darin begründet, dass die actio pro socio lediglich auf Grundlage des Gesellschaftsverhältnisses besteht.BGH, Beschluss v. 26.04.2010 - II ZR 69/09, NJW-RR 2010, 1123 (1123) Folglich muss bei Ausübung des Mitgliedschaftsrechts auf die gesellschafterliche Treuepflicht geachtet werden.BGH, Beschluss v. 26.04.2010 - II ZR 69/09, NJW-RR 2010, 1123 (1123) Ein Berufen des Gesellschafters auf die actio pro socio kann sich daher aufgrund seines vorangegangenen Verhaltens als rechtsmissbräuchlich darstellen, auch wenn er mit der Klage keinen eigenen Anspruch, sondern einen solchen der Gesellschaft verfolgt.BGH, Beschluss v. 26.04.2010 - II ZR 69/09, NJW-RR 2010, 1123 (1123)

5) Literaturstimmen

Fleischer, Holger/ Harzmeier, Lars, Die actio pro socio im Personengesellschaftsrecht – Traditionslinien, Entwicklungsverläufe, Zukunftsperspektiven-, ZGR 2017, Heft. 3, S. 239-272

Keller, Christoph, Die Zulässigkeit der Gesellschafterklage bei der Personengesellschaft, ZJS 2022, Heft 4, S. 469-475

Kumkar, Lea Katharina, Zum Theorienstreit im Recht der actio pro socio, ZGR 2021, Heft 1, S. 123-155

Mock, Sebastian, Die Gesellschafterklage (actio pro socio), JuS 2015, Heft 7, S. 590-596

Schäfer, Carsten, Actio pro socio – neue Impulse durch das MoPeG und aktuelle Rechtsprechung, ZHR 2023, Heft 1, S. 78-106

Schäfer, Carsten, Gesellschaft bürgerlichen Rechts Partnerschaftsgesellschaft Kommentar, 9. Auflage, Mannheim 2022 

Servatius, Wolfgang, Gesellschaft bürgerlichen Rechts §§ 705-740c BGB Kommentar, 1. Auflage, Regensburg 2022

Tödtmann, Ulricht/ Pieper, Julius, Zulässigkeit der Gesellschafterklage gegen den GmbH-Fremdgeschäftsführer - Die actio pro socio im Wandel?, NZG 2023, Heft 14, S. 641-645

6) Prozessuales

71Die Gesellschafterklage ermöglicht dem einzelnen Gesellschafter, Ansprüche der Gesellschaft im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen.BT-Drs. 19/27635 S. 155 Dabei handelt es sich um eine gesetzliche Prozessstandschaft, deren Voraussetzungen das Gericht als Sachurteilsvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen hat.BGH, Urteil v. 18.10.1995 – I ZR 126/93, NJW 1996, 391 (391); Schäfer, in: GbR Kommentar, § 715b Rn. 18, Werth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 51 Rn. 15


Fußnoten