Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Corinna Stiehl / § 1943

§ 1943 Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Der Erbe kann die Erbschaft nicht mehr ausschlagen, wenn er sie angenommen hat oder wenn die für die Ausschlagung vorgeschriebene Frist verstrichen ist; mit dem Ablauf der Frist gilt die Erbschaft als angenommen.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

1Im Moment des Versterbens eines Menschen geht sein Vermögen automatisch auf den oder die Erben über („Anfall der Erbschaft“, siehe im einzelnen § 1942 BGB). Es tritt ein Schwebezustand ein: Der Erbe ist vorläufiger Inhaber der Erbschaft. Er hat nun gemäß § 1943 BGB sowohl die Möglichkeit sie endgültig zu behalten, indem er sie „annimmt“, als auch sie endgültig loszuwerden, indem er sie „ausschlägt“. Beides bringt abschließende Klarheit über die Frage, ob er Erbe sein möchte. Dadurch wird der Schwebezustand beendet.

Annahme

2Die „Annahme“ der Erbschaft beinhaltet die Bestätigung des Erben, dass er die Erbschaft endgültig behalten will. Er kann die Annahme ausdrücklich erklären (z.B. mit der Äußerung: „Ich nehme das Erbe an.“). Ausreichend ist aber auch ein Verhalten, mit dem er gegenüber anderen unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass er Erbe sein will (z.B. indem er bei Gericht einen Erbschein für sich als Erben beantragt oder indem er als Inhaber des Vermögens auftritt und Gelder des Verstorbenen für sich verbraucht).

Ausschlagung

3Möchte er nicht Erbe sein, muss er aktiv werden und vor dem zuständigen Nachlassgericht innerhalb der Ausschlagungsfrist eine Ausschlagungserklärung abgeben.  

Die Frist beträgt im Regelfall 6 Wochen ab Kenntnis vom Tod und dem Grund für die Erbenstellung (gesetzliche Erbfolge oder ein bestimmtes Testament). Bei Fällen mit Auslandsbezug kann die Frist ausnahmsweise 6 Monate betragen. Näher zur Ausschlagungsfrist: § 1944 BGB. Die Frist räumt dem Erben etwas Zeit ein, um sich einen Überblick über den Nachlass zu verschaffen und besser entscheiden zu können, ob er die Erbschaft behalten möchte. Gleichzeitig ist sie im Interesse der Beteiligten, insbesondere der Gläubiger, möglichst kurz bemessen, damit schnell Klarheit über die Person des Erben eintritt.

Die Ausschlagungserklärung muss bestimmte Formalien erfüllen, damit sie wirksam wird (Einzelheiten zur Ausschlagungserklärung: § 1945 BGB).

Eine form- und fristgerechte Ausschlagung führt dazu, dass die Erbschaft – rückwirkend auf den Todestag – dem Nächstberufenen anfällt (§ 1954 BGB).

Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist

4Bleibt der Erbe einfach untätig oder gibt er keine wirksame Ausschlagungserklärung ab (z.B. weil die Erklärung die gesetzlichen Formerfordernisse nicht erfüllt oder die Ausschlagungsfrist nicht eingehalten wurde), gilt die Erbschaft als angenommen. Das Gesetz unterstellt in diesem Fall den Willen, die Erbschaft endgültig zu behalten (§ 1943 BGB letzter Halbsatz).

Schwebezustand

5Oft ist der Erbe anfangs noch unsicher, ob er die Erbschaft behalten soll. Insbesondere bei ungeordneten Nachlässen ist unklar, welche Vermögensgegenstände er erbt und ob im Nachlass hohe Verbindlichkeiten sind. Da der Erbe nicht nur positives Nachlassvermögen, sondern auch Schulden erbt, sollte er sich vor einer endgültigen Annahme oder Ausschlagung einen Überblick über den Nachlass verschaffen.

Wenn ein vorläufiger Erbe möglichst schnell einen aussagekräftigen Überblick über den Nachlass erhalten möchte, kann er Auskunftsrechte gegenüber diversen Behörden bzw. Gerichten geltend machen. Insbesondere kann er gegenüber Nachlassgericht, Betreuungsgericht, Grundbuchamt, Einwohnermeldeamt und Finanzamt auf ein Recht auf Akteneinsicht, Erteilung von Abschriften, Registerauszügen oder auf sonstige Auskünfte bestehen. Welche Möglichkeiten der vorläufige Erbe im Einzelfall hat und welche Auskünfte sinnvollerweise eingeholt werden, kann unter Einschaltung anwaltlicher Hilfe geklärt und ggf. zeitnah umgesetzt werden.

Fordert der Erbe in der Übergangsphase Auskünfte an, sollte er vermeiden, als endgültiger Erbe aufzutreten und ggf. durch schlüssiges Verhalten die Erbschaft anzunehmen. Sinnvollerweise teilt er mit, dass seine Erbenstellung noch nicht abschließend feststeht, er jedoch als vorläufiger Erbe die Auskunft mit berechtigtem Interesse verlangt.

Wenn in den ersten Wochen nach Anfall der Erbschaft trotzdem schon Regelungen für den Nachlass getroffen werden müssen (Beispiele können sein: Organisation der Beerdigung, Handwerkerbeauftragung bei Wasserrohrbruch in einer Nachlassimmobilie etc.), sollte man ebenfalls vermeiden, als endgültiger Erbe aufzutreten. Einzelheiten zur Geschäftsführung als vorläufiger Erbe ergeben sich aus § 1959 BGB (siehe die dortige Kommentierung).

Ende des Schwebezustands

6Hat der Erbe die Erbschaft angenommen, kann er sie nicht mehr ausschlagen.

Hat er die Erbschaft ausgeschlagen, kann er sie nicht mehr annehmen. Spätestens mit Ablauf der gesetzlichen Ausschlagungsfrist ist der Schwebezustand beendet: Wenn der vorläufige Erbe bis zu diesem Zeitpunkt nicht gehandelt hat, ist und bleibt er Erbe.

Möglich ist in den genannten Fällen lediglich noch, die bereits erfolgte Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft wieder anzufechten. Dies ist nur unter engen gesetzlichen Voraussetzungen möglich (siehe im Einzelnen die Kommentierung zu §§ 1954 BGB ff.).

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

7Mit dem sofortigen Übergang der Erbschaft im Todesfall auf den Erben zum Zeitpunkt des Erbfalls („Vonselbsterwerb“, § 1942 BGB) wird dieser ohne eigenes Zutun Erbe. Es entsteht eine Übergangsphase, in der er die Möglichkeit hat, die Erbschaft endgültig anzunehmen oder sich ihrer wieder zu entledigen, indem er sie ausschlägt.

Da die Ausschlagung gemäß § 1953 Abs. 1 BGB den Anfall der Erbschaft rückwirkend entfallen lässt, soll aus Gründen der Rechtssicherheit der Zeitraum, in dem eine Ausschlagung möglich ist, nach dem Gesetz möglichst kurz sein. Dem steht das Interesse des Erben gegenüber, sich einen Überblick über den Nachlass zu verschaffen, um seine Entscheidung über die endgültige Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft treffen zu können.

Die Vorschrift des § 1943 BGB regelt daher, dass mit erfolgter Annahme die Möglichkeit der Ausschlagung entfällt und spätestens mit dem Ablauf der Ausschlagungsfrist (§ 1944 BGB) die Erbschaft als angenommen gilt. Mit der Annahme der Erbschaft wird die vorläufige Erbenstellung beendet; die vorläufige Erbschaft wird zur endgültigen Erbschaft.

2) Definitionen

8a) Annahme

Das Gesetz gibt keine Legaldefinition für den Begriff der Annahme. Bei der Annahme handelt es sich um eine formfreie Willensäußerung des vorläufigen Erben, mit der er aus objektiver Sicht ausdrückt, dass er endgültig Erbe sein will, d.h. den Nachlass endgültig behalten will.

Die Annahme kann durch mündliche oder schriftliche Erklärung erfolgen (aa), durch schlüssiges Verhalten (bb) oder durch Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist (cc).

9aa) Annahmeerklärung

Die Annahmeerklärung ist eine Willenserklärung des Erben, aus der objektiv erkennbar ist, dass er sich für den Erben hält und die Erbschaft endgültig behalten will. Die Erklärung ist nicht empfangsbedürftig, insbesondere muss sie nicht etwa gegenüber dem Nachlassgericht erfolgen. Sie ist formfrei. Die Erklärung kann gegenüber jedermann erfolgen.Damrau/Masloff, § 1943 BGB Rn 2, Palandt/Weidlich § 1943 Rn 1 Nach anderer Ansicht soll eine bindende Annahmeerklärung grundsätzlich nur dann vorliegen, wenn die Willenserklärung gegenüber einem Nachlassbeteiligten abgegeben wird.MüKo/Leipold, § 1943 Rn 3

Relevant ist ein objektiver Maßstab. Bei abweichendem inneren Willen kommt lediglich eine Anfechtung gemäß §§ 1954 ff. in Betracht.

10bb) Konkludente Erklärung

Der Wille, die Erbschaft endgültig behalten zu wollen, kann auch aus einem schlüssigen Verhalten deutlich werden. Der vorläufige Erbe nimmt die Erbschaft auch dann an, wenn sein Verhalten Dritten gegenüber eindeutig zum Ausdruck bringt, dass er Erbe sein und die Erbschaft behalten möchte.

In folgenden Situationen wurde eine konkludente Annahmeerklärung bejaht:

  • Antrag auf Erteilung eines ErbscheinsBGH NJW 2006, 3064; BayObLG FamRZ 1999, 1172
  • Umschreibung eines Nachlassgrundstücks auf den ErbenKG OLGE 38, 263
  • Verpfändung des ErbteilsRGZ 80, 377, 385
  • Ansichnehmen von Nachlassgegenständen, um sie für sich zu behaltenBayObLG SeuffBl 76 (1911), 636f.
  • Führen von VergleichsverhandlungenOLG Stettin LZ 1929, 278, 279f.
  • Verhandlungen mit VersicherungenKG OLGE 16, 40, 41
  • Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen gegenüber dem Versicherer an Stelle des Erblassers und unter Hinweis auf das TestamentOLG Koblenz ZEV 2001, 440
  • Aufnahme eines anhängigen ProzessesPalandt/Weidlich § 1943 Rn 2
  • Prozessführung als ErbeBGH NJW 1989, 2885
  • Abgabe eines Verkaufsangebots für ein Nachlassgrundstück bzw. Anbieten über einen MaklerOLG Oldenburg NJW-RR 1995, 141

    
Eine schlüssige Annahme soll ferner in folgenden Verhaltensweisen liegenDamrau/Masloff Rn 3:

  • Antrag auf Erlass eines Gläubigeraufgebots
  • Antrag auf Grundbuchberichtigung
  • Antrag auf Nachlassinsolvenz
  • Erhebung der Klage gerichtet auf Erbauseinandersetzung
  • Erlass von Nachlassschulden

Von einer konkludenten Annahmeerklärung sind bloße Fürsorgehandlungen abzugrenzen, die während der Schwebezeit der vorläufigen Erbschaft erfolgen. Dem vorläufigen Erben steht das Recht zur Verwaltung des Nachlasses zu (§ 1959 BGB). Erbringt er lediglich Handlungen zur Sicherung oder Erhaltung des Nachlasses (z.B. Kontensperrung), kann daraus nicht zwingend ein objektiver Annahmewille gefolgert werden. Der Verkauf, die Übertragung, die Verwendung von Nachlassgegenständen und die Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten bringen die Annahme zum Ausdruck, wenn die Rechtsgeschäfte über Fürsorgemaßnahmen für die laufende Verwaltung hinaus gehen.OLG Koblenz ZEV 2001, 440; RG DJZ 1912, 1185; BayObLGZ 1983, 153, 159 Bestehen Zweifel daran, ob ein Annahmewille erkennbar geworden ist, soll eine Annahme regelmäßig zu verneinen sein.Damrau/Masloff, § 1943 Rn 3; MüKo/Leipold § 1943 Rn 5

Keine konkludente Annahmeerklärung soll in folgenden Fällen vorliegen:

  • Antrag auf Nachlassverwaltung
  • Antrag auf Testamentseröffnung
  • Aufstellung eines Nachlassverzeichnisses
  • Begleichen der Beerdigungskosten
  • Erheben einer Auskunftsklage
  • Erklärungen über den Nachlass beim Nachlassgericht
  • Verfolgen abhanden gekommener Nachlassgegenstände
  • Verschenken verderblicher oder sperriger Nachlassgegenstände

Die Fortführung eines Handelsgeschäfts soll als Maßnahme der laufenden Verwaltung geboten und daher auch dann nicht als Annahmeverhalten zu werten sein, wenn der Erbe in das Handelsregister eingetragen wird.MüKo/Leipold § 1943 Rn 5; RG DJZ 1909, 1329; Friedrich, Die Haftung des endgültigen Erben und des „Zwischenerben“ bei Fortführung eines einzelkaufmännischen Unternehmens, 1990, S. 192

11cc) Gesetzliche Fiktion: Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist

Spätestens mit Ablauf der gesetzlichen Ausschlagungsfrist (§ 1944 BGB) gilt die Erbschaft gemäß § 1943 letzter Halbsatz als angenommen. Ein Annahmewille ist nicht erforderlich. Das Gesetz leitet aus der objektiv vorliegenden Untätigkeit des vorläufigen Erben seinen Willen zum endgültigen Behaltenwollen der Erbschaft ab. Dieser kann nach Ablauf der Ausschlagungsfrist die Annahme nur noch durch Anfechtung gemäß §§ 1954 ff. BGB rückgängig machen, siehe insbesondere § 1956 BGB.

12b) Besonderheiten in der Person des Annehmenden

aa) Grundsatz

Die Erbschaft kann grundsätzlich nur durch den Erben selbst angenommen werden. Dies setzt seine Geschäftsfähigkeit voraus. Die Entscheidung über die Annahme kann nicht von Dritten wie z.B. Insolvenzverwalter oder Sozialleistungsträger an sich gezogen werden (vgl. die Kommentierung zu § 1942, siehe auch § 83 Abs.1 S. 1 InsO).

13bb) Geschäftsunfähige/beschränkt geschäftsfähige Personen

Ist der Erbe geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, entscheidet sein gesetzlicher Vertreter über die Annahme der Erbschaft. Eine Genehmigung des Familiengerichts ist hierfür nicht erforderlich; diese ist lediglich für eine Ausschlagung erforderlich.

Für die Annahmefiktion durch Ablauf der Ausschlagungsfrist (§ 1943 letzter Halbsatz BGB) soll keine Geschäftsfähigkeit des Erben erforderlich sein. Dieser soll dadurch hinreichend geschützt sein, dass für den Beginn der Ausschlagungsfrist auf die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters abgestellt wird.Damrau/Masloff § 1943 Rn 11; Staudinger/Otte § 1943 Rn 15

14cc) Rechtsgeschäftliche Vertretung

Eine rechtsgeschäftliche Vertretung durch Bevollmächtigung ist grundsätzlich gem. §§ 164 ff. BGB möglich, wobei das Verbot des Insichgeschäfts gemäß § 181 BGB dazu führen kann, dass Testamentsvollstrecker, Nachlasspfleger oder Nachlassverwalter nicht als Bevollmächtigte in Frage kommen.

15c) Rechtsfolge

Durch die erfolgte Annahme wird der Schwebezustand der vorläufigen Erbschaft beendet; die vorläufige Erbschaft erstarkt zur endgültigen Erbschaft. Die einmal angenommene Erbschaft kann nicht mehr ausgeschlagen werden (§ 1943 erster Halbsatz BGB). Lediglich unter den engen Voraussetzungen der Anfechtung einer bereits erfolgten Erbschaftsannahme ist es gemäß §§ 1954 ff. möglich, sich von der Erbschaft wieder zu lösen.

Mit erfolgter Annahme können Nachlassgläubiger ihre Ansprüche gegenüber den Erben geltend machen (§ 1958 BGB) und in das Eigenvermögen der Erben vollstrecken (§§ 778 Abs. 1, 780 Abs. 1 ZPO), ferner die Eigengläubiger des Erben in den Nachlass vollstrecken (§ 778 Abs. 2 ZPO). Die erfolgte Annahme ist Voraussetzung für die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins (§ 2357 Abs. 3 BGB). Ab Annahme der Erbschaft besteht keine Verpflichtung des Nachlassgerichts mehr, für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen (§ 1960 Abs. 1 BGB). Nach erfolgter Annahme muss der Erbe einen unterbrochenen Rechtsstreit fortsetzen (§ 239 Abs. 5 ZPO).

3) Prozessuales

Die Beweislast für die erfolgte Annahme trifft in den Fällen der §§ 1958 BGB, 239 ZPO, 778 ZPO die Gläubiger.


Fußnoten