§ 313 Störung der Geschäftsgrundlage
(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.
(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.
Für den Rechtsverkehr
(für Nichtjuristen)
zum Expertenteil (für Juristen)
Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle
1Die Vorschrift des
Liegt ein Wegfall oder Fehlen, mithin eine Störung der Geschäftsgrundlage vor, so besteht für die benachteiligte Partei zunächst gem.
Bedingt durch die weltweiten Auswirkungen der Corona-Pandemie (COVID-19) kommt dieser Norm, die in der Vergangenheit eher restriktiv angewendet wurde, derzeit eine besondere Rolle in der Praxis zu. So führen beispielsweise abgesagte Großveranstaltungen, Reisebeschränkungen, Kurzarbeit oder Corona-bedingte Zahlungs- und Lieferengpässe zu nachhaltigen Störungen von z.T. seit Jahren funktionierenden Geschäftsbeziehungen. Anwälte und Gerichte beschäftigen sich in der Konsequenz zunehmend mit der Frage, ob auch COVID-19-bedingte Änderungen von Vertragsumständen über
Expertenhinweise
(für Juristen)
1) Allgemeines
2Bei
2) Definitionen
3Der Begriff Geschäftsgrundlage umfasst nach dem Wortlaut des
Eine Differenzierung verschiedener Umstände erfolgt in objektive und subjektive Geschäftsgrundlagen sowie in große und kleine Geschäftsgrundlagen.
4Objektive und subjektive Geschäftsgrundlage: Zur Geschäftsgrundlage können zunächst einmal objektive Umstände gehören, vgl.
5Große und kleine Geschäftsgrundlage: Unter einer großen Geschäftsgrundlage versteht man die Annahme der Parteien, dass sich während der Vertragslaufzeit die dem Vertrag zugrunde gelegten wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen nicht verändern werden und ferner auch die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse aufgrund von Krieg, Naturkatastrophen, Hyperinflation, RevolutionBGH, Urteil vom 08.02.1984 – VIII ZR 254/82 = NJW 1984, 1746 (1747) o.ä. sich nicht grundlegend verändern werden. Im Gegensatz dazu spricht man von kleinen Geschäftsgrundlagen, sofern es nur um Umstände geht, die sich spezifisch auf den konkreten Vertrag beziehen.Böttcher, in: Erman, BGB, a.a.O.,
6Störung der Geschäftsgrundlage: Die Störung der Geschäftsgrundlage umfasst gem.
7Eine Veränderung der Vertragsrahmenbedingungen oder anderer grundlegenden Umstände, die nicht voraussehbar waren sowie eine irrige Annahme der Beteiligten stellen nicht immer direkt eine Störung i.S.d.
Diese Begriffe werden als Synonyme verwendet.Lorenz, in: BeckOK BGB, a.a.O.,
8Für eine Störung der Geschäftsgrundlage muss ein gewisses Maß an Erheblichkeit überschrittet werden, welches sich v.a. daraus ergibt, dass
9Weiter müsste das Festhalten am unveränderten Vertrag durch die Störung unzumutbar geworden sein.Pfeiffer in: JurisPK-BGB, a.a.O.,
10Maßgeblich ist zunächst der Vertragsinhalt. Wurden hier Regelungen für den Fall des Wegfallens oder Fehlens einer Geschäftsgrundlage festgehalten, so liegt grundsätzliche keine Grundlagenstörung im Sinne des
11Die gesetzliche Risikoverteilung umfasst hauptsächlich Regelungen aus dem Leistungsstörungs- und Vertragsrecht und der Mängelhaftung. Eine Korrektur der dort festgelegten Wertungen darf nicht durch eine Anwendung von
12Ferner muss bei Beurteilung der Unzumutbarkeit beachtet werden, dass gegebenenfalls die Vorhersehbarkeit des Risikos ein Festhalten am Vertrag zumutbar macht.Pfeiffer, in: JurisPK-BGB, a.a.O.,
3) Abgrenzungen, Kasuistik
13Der Grundsatz der Störung der Geschäftsgrundlage gem.
4) Literaturstimmen
Böttcher, in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020,
Canaris, Die Reform des Rechts der Leistungsstörungen, in: JZ 2001, Heft 10, 499-524
Ernst, in: Münchener Kommentar, BGB, 8. Aufl. 2019,
Feldhahn, Die Störung der Geschäftsgrundlage im System des reformierten Schuldrechts, in: NJW 2005, Heft 47, S. 3381-3383
Finkenauer, in: Münchener Kommentar, BGB, 8. Aufl. 2019,
Grüneberg, in: Palandt, 78. Auflage 2019
Gröne, Kein Weisungsrecht des Arbeitgebers zur Arbeit im Home Office, in: NZA-RR 2019, 287
Hirsch in: Kündigung aus wichtigem Grund und Geschäftsgrundlage, 1. Aufl. 2011
Krebs/Jung, in: NK-BGB, Aufl. 2016,
Lorenz in: BeckOK BGB, 55. Ed. 1.8.2020, BGB § 313
Looschelders in: Schuldrecht Allgemeiner Teil, 15. Aufl. 2017
Pfeiffer in: JurisPK-BGB, 9. Aufl., Stand: 03.04.2020,
Reiner in: Schulze BGB, 10. Aufl. 2019,
Römermann, Mietrechtliche ,,Blitzgesetzgebung“ in Pandemiezeiten, in: NJW 2021, 265-269
Rösler, Grundfälle zur Störung der Geschäftsgrundlage, in: JuS 2004, 1058-1062
Sittner, Mietrechtspraxis unter Covid-19, in: NJW 2020, 1169-1174
Stadler, in: Jauernig, BGB, 17. Aufl. 2018,
Staudinger/ Achilles-Pujol, Auswirkungen der Corona-Pandemie im Reiserecht, in: RRa 2020, 154-164
Streyl, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 3.
Bacher, Die Corona-Pandemie und allgemeine Regeln über Leistungsstörungen – Höhere Gewalt, Unmöglichkeit und Wegfall der Geschäftsgrundlage, in: MDR 2020, 514-519
Tonner, Corona-Pandemie und Reiserecht – Die kostenlose Kündigung und ihre Rechtsfolgen bei Pauschal- und Individualreisen, in: MDR 2020, 519-526
Weller/Lieberknecht/Habrich, Virulente Leistungsstörungen – Auswirkungen der Corona-Krise auf die Vertragsdurchführung, in: NJW 2020, 1017-1022
Zimmer, Das neue Recht der Leistungsstörungen, in: NJW 2002, 1-12
5) Prozessuales
45Die Vorschrift des
Wird der Anspruch auf Vertragsanpassung nach
46Die Darlegungs- und Beweislast liegt grundsätzlich bei der Partei, die sich auf die Störung der Geschäftsgrundlage beruft.BGH, Urteil vom 08.11.2002 – V ZR 398/01 = NJW 2003, 510 Etwas anderes gilt, wenn nur die andere Partei die notwendigen, für die Darlegungs- und Beweislast maßgeblichen, Informationen besitzt und es ihr auch zugemutet werden kann, diese anzugeben.BGH, Urteil vom 27. 3. 2002 - XII ZR 143/00 = NJW-RR 2002, 1297 (1298)
47Für die Rechte aus