13Der Grundsatz der Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB ist nur anwendbar, soweit dazu keine Regelungen im Vertrag zu finden sind und auch keine spezielleren gesetzlichen Sonderregelungen greifen.Krebs/Jung, in: NK-BGB, a.a.O., § 313 BGB, Rn. 16. Wird von einer speziellen gesetzlichen Regelung nicht der gesamte Tatbestand erfasst (und eine abschließende Regelung getroffen), kann § 313 BGB ausnahmsweise eingreifen.Finkenauer, in: Münchener Kommentar, BGB, a.a.O., § 313 BGB, Rn. 139; Krebs/Jung, in: NK-BGB, a.a.O., § 313 BGB, Rn. 17 Sonderregeln für den Umgang von spezifischen Fällen der gestörten/ veränderten Geschäftsgrundlage stellen u.a. folgende Paragraphen dar: §§ 321, 490, 519, 527, 528, 530, 543 Abs. 1, 569 Abs. 1, 2, 2 a, 593, 594 e, 605, 626, 650, 651 j, 723, 775 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 779, 1023 Abs. 1, 1026, 1038 Abs. 1 S. 2, 1219, 1301, 2077, 2079 BGB, § 87 Abs. 2 AktG, Art. 79 CISG, § 323 ZPO, § 16 BetrAVG, § 12 Abs. 6 ArbEG, §§ 32, 32 a, 36 UrhG, § 29 UStG, §§ 41, 203 Abs. 2 VVG, § 60 VwVfG, § 59 Abs. 1 SGB X, § 10 Abs. 2 S. 3 WEG, § 8 WBVG, § 9 a ErbbauRG.vgl. zu Sonderregelgungen auch Grünewald, in: Palandt, a.a.O., § 313, Rn. 16
14Die Geschäftsgrundlage muss vom Vertragsinhalt abgegrenzt werden. Ein Vorliegen einer Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB kann nur bejaht werden, wenn der Umstand bzw. die Vorstellung nicht im Inhalt des Vertrages wiedergefunden werden kann. Der Parteiwille hat demnach vor einer Anpassung nach § 313 BGB Vorrang;Krebs/Jung, in: NK-BGB, a.a.O., § 313 BGB, Rn. 19 so z.B. eine Force-Majeure-/Höhere-Gewalt-Klausel. Dies bedeutet auch, dass zunächst im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu ermitteln ist, ob durch die Auslegung des Vertragsinhalts eine Rechtsfolge im Interesse der Parteien bestimmt werden kann, bevor auf eine Störung der Geschäftsgrundlage zurückgegriffen wird.BGH, Urteil v. 01.02.1984 – VIII ZR 54/83 (München), NJW 1984, 1177 (1178); Finkenauer, in: Münchener Kommentar, BGB, a.a.O., § 313 BGB, Rn. 144
15Genauso tritt § 313 BGB aber auch hinter vielen anderen spezifischeren Normen zurück. Dies trifft auch auf den Tatbestand der Anfechtung zu. Anders als bei der Anfechtung gemäß §§ 119, 120 BGB kann eine Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 2 BGB jedoch auch aufgrund eines beidseitigen Motivirrtums vorliegen.Looschelders, in: Schuldrecht AT, § 37 Rn. 749 Zudem wird in der Literatur vertreten, dass § 313 BGB nicht von der Anfechtung verdrängt wird, wenn beide Parteien sich über den relevanten Umstand geirrt haben, da anderenfalls lediglich denjenigen eine Schadensersatzpflicht treffen würde, der die Anfechtung gemäß § 122 Abs. 1 BGB erklärt hat.Looschelders, in: Schuldrecht AT, § 37 Rn. 749; Finkenauer, in: Münchener Kommentar, BGB, § 313 BGB, Rn. 150
16Schwierig gestaltet sich die Abgrenzung des § 313 BGB von der Unmöglichkeit im Sinne des § 275 BGB. In dem Gesetzesentwurf zu § 275 Abs. 2 BGB wird zwischen den beiden Regelungen insofern unterschieden, dass § 275 BGB den Gläubigerinteressen und § 313 BGB dem Schuldnerinteresse dienen soll.BT-Drs. 14/6040, 130 So wird der Schuldner in § 275 BGB nur unter sehr strengen Voraussetzungen von der Leistungspflicht befreit und das Vertrauen des Gläubigers auf Leistungserfüllung steht im Vordergrund. Bei einer Störung der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB werden hingegen auch die Interessen des Schuldners berücksichtigt, sodass hier ein besonderer Fall der wirtschaftlichen oder sittlichen Unmöglichkeit und damit bloßen Leistungserschwerung vorliegen muss. Diese Abgrenzung scheint jedoch keinesfalls trennscharf, sondern bedarf viel mehr der Konkretisierung anhand der einzelnen Fallgruppen.
Die tatsächliche Unmöglichkeit genießt grundsätzlich gegenüber den Grundsätzen der Geschäftsgrundlage Vorrang, was mit der historischen Entwicklung begründet wird. So wurde § 313 BGB erst aus dem Bedürfnis heraus entwickelt, dass die Rechtsfolge des Erlöschens der Leistungspflicht in einigen Fällen der Unmöglichkeit nicht angemessen ist und den Vertragsparteien ein Festhalten an dem Vertrag zu veränderten Bedingungen zugemutet werden kann. Eine Abgrenzung ist insofern unproblematisch möglich, da von der tatsächlichen Unmöglichkeit lediglich Fälle umfasst sind, in denen die Leistungserfüllung nicht durch Vollstreckung durchgesetzt werden kannErnst, in: Münchener Kommentar, BGB, § 275 BGB, Rn. 33 und insofern auch eine Vertragsanpassung im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB von vornherein ausscheiden würde, da die Leistung schlichtweg unmöglich ist.
Problematischer ist hingegen die Abgrenzung von der wirtschaftlichen Unmöglichkeit. Eine Leistungserbringung ist zwar gemäß § 275 Abs. 2 BGB möglich, steht jedoch in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers.Ernst, in: Münchener Kommentar, BGB, § 275 BGB, Rn. 73 Dagegen sollen von § 313 BGB Fälle umfasst sein, die lediglich eine Unerschwinglichkeit (nicht zumutbare Überforderung) für den Schuldner darstellen.BT-Drs. 14/6040, 130 Bei der wirtschaftlichen Unmöglichkeit wird aufgrund dieser Unklarheiten erneut zwischen zwei Fallgruppen differenziert.
1. Die Leistungserfüllung ist zwar technisch noch möglich, allerdings erscheint der Aufwand unverhältnismäßig, der dafür erbracht werden müsste.Böttcher, in: Ermann BGB Kommentar, § 313 Rn. 35 In der Literatur ist dieser Fall strittig. So vertritt eine Mehrheit, dass der Fall der bloßen wirtschaftlichen Unmöglichkeit mit der Schuldrechtsmodernisierung nicht mehr von § 275 Abs. 2 BGB umfasst wäre, sondern stattdessen den Grundsätzen der Geschäftsgrundlage zuzuordnen ist.Canaris, JZ 2001, 499(501); Grüneberg, in: Palandt, § 313 Rn. 32; Zimmer, in: NJW 2002, 1 (3) Andere Stimmen gehen hingegen von einer Wahlmöglichkeit des Schuldners zwischen den beiden Regelungen aus.Finkenauer, in: Münchener Kommentar, BGB, § 313 BGB, Rn.163
2. Die Leistung ist zwar sowohl technisch als auch wirtschaftlich möglich, dennoch steht diese in einem krassen Missverhältnis zu der Gegenleistung, sodass dem Schuldner ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist.Böttcher, in: Ermann BGB Kommentar, § 313 Rn. 35 Diese Voraussetzungen stellen nach h.M. einen Fall des § 313 BGB dar, wie der Wortlaut bereits erkennen lässt.Böttcher, in: Ermann BGB Kommentar, § 313 Rn. 35
Die Zweckerreichung ist hingegen grundsätzlich dem Unmöglichkeitsrecht zuzuordnen.Finkenauer, in: Münchener Kommentar, BGB, § 313 BGB, Rn. 158 Gemeint sind Fälle, in denen der Leistungserfolg bereits ohne die Leistung des Schuldners erreicht wurde und die Erbringung der Leistung insofern unmöglich geworden ist.Böttcher, in: Ermann BGB Kommentar, § 313 Rn. 36 Etwas anderes ergibt sich nur dann, wenn der Leistungserfolg nicht mehr eintreten kann, weil der Zweck, zu dem der Vertrag geschlossen wurde, nicht mehr erreicht werden kann.Böttcher, in: Ermann BGB Kommentar, § 313 Rn. 36 Allerdings findet auch § 313 BGB auf diese Fälle nur dann Anwendung, wenn der Verwendungszweck zu einem Teil der Geschäftsgrundlage geworden ist.Böttcher, in: Ermann BGB Kommentar, § 313 Rn. 36
Abzugrenzen ist die moralische Unmöglichkeit im Sinne des § 313 BGB von der persönlichen Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 3 BGB. Der wesentliche Unterschied bezieht sich darauf, dass die Anwendung von § 275 Abs. 3 BGB eine höchstpersönliche Pflicht erfordert. Denn nur diese kann unmöglich werden, weil die Person beispielsweise aufgrund von Krankheit die Leistung nicht selbst erbringen kann.Reiner/Schulze, in: Schulze BGB, §313 Rn. 9 Bei der moralischen Unmöglichkeit ist es dem Schuldner hingegen möglich, die Leistung zu erbringen, dieser kann die Erbringung lediglich nicht mit seinen Moralvorstellungen in Einklang bringen.Reiner/Schulze, in: Schulze BGB, §313 Rn. 9 So verhält es sich beispielsweise, wenn sich herausstelle, dass bei der Leistungserfüllung durch den Verpflichteten der Tierschützer ist, das Tierwohl gefährdet werden müsste (z.B. Lieferant hat Tierfutter zu liefern; neue wissenschaftliche Studien ergeben, dass das Futter krebserregende Substanzen enthält).
20Die Grundsätze der Geschäftsgrundlage finden keine Anwendung auf die Regelungen des Mängelgewährleistungsrechts, da diese den § 313 BGB verdrängen.BGH, Urteil v. 06.06.1986 – V ZR 67/85 (Frankfurt/Kassel), NJW 1986, 2824 (2824); Stadler, in: Jauernig BGB, § 313 Rn. 10 Anderenfalls könnten die spezifischeren Regeln des Mängelgewährleistungsrechts durch § 313 BGB umgangen werden.BGH, Urteil v. 30.09.2011 – V ZR 17/11 (OLG Hamm), NJW 2012, 373 (374) Anderes gilt lediglich für den Fall, dass eine Anwendung des Mängelgewährleistungsrechts von vornherein ausscheidet,BGH, Urteil v. 30.09.2011 – V ZR 17/11 (OLG Hamm), NJW 2012, 373 (374) nicht jedoch, wenn ein Gewährleistungsanspruch beispielsweise wegen Verjährung oder eines wirksamen Haftungsausschlusses nur nicht durchsetzbar ist.BGH, Urteil v. 07.02.1992 – V ZR 246/90 (München), NJW 1992, 1384 (1385); Stadler, in: Jauernig BGB, § 313 Rn. 10
21Als problematisch erweist sich die Abgrenzung von § 313 BGB gegenüber der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund gemäß § 314 BGB, da beiden Regelungen ähnliche Umstände zugrunde liegen. Für die Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses wird in § 314 Abs. 1 BGB ein wichtiger Grund gefordert; ein solcher wird in der Regel jedoch auch bei einer Störung der Geschäftsgrundlage vorliegen.OLG Saarbrücken, Urteil v. 27.04.2010 – 4 U 41/09, BeckRS 2010, 14170
22In der Literatur werden sowohl Ansätze vertreten, die § 314 BGB einen Vorrang einräumen, da dieser speziellere Regelungen zur tatsächlichen Auflösung beinhaltet, als auch solche, die § 313 BGB als lex specialis ansehen.Finkenauer, in: Münchener Kommentar, BGB, § 313 BGB, Rn. 169 Die herrschende Meinung ist wiederum der Auffassung, dass eine mögliche Anpassung des Vertrages im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB den Vorrang genießt, da im Sinne des allgemein geltenden Rechtsgrundsatzes ,,pacta sunt servanda“ eine Vertragsanpassung einer Kündigung stets vorzuziehen wäre.BT-Drucks. 14/6040, 177; BGH, Urteil v. 09.10.1996 – VIII ZR 266/95 (OLG Dresden), DtZ 1997, 50 (51) Sollte eine Vertragsanpassung jedoch nicht möglich sein, fänden die Regelungen zur Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 314 BGB Anwendung und würden § 313 Abs. 3 BGB verdrängen.Stadler, in: Jauernig BGB, § 313 Rn. 12
Für eine solche Anwendung ergibt sich jedoch die Problematik, dass durch den Versuch der Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB die Kündigungsfrist des § 314 Abs. 3 BGB verstreichen könnte und dem Betroffenen in einem solchen Fall, sollten die Vertragsverhandlungen scheitern, kein Kündigungsrecht mehr zustehen würde.Hirsch, in: Kündigung aus wichtigem Grund und Geschäftsgrundlage, § 22 S. 163 Ein solcher Nachteil kann nicht beabsichtigt gewesen sein, insbesondere wenn man bedenkt, dass die Anforderungen des § 313 BGB viel höher sind, als die des § 314 BGB.Finkenauer, in: Münchener Kommentar, BGB, § 313 BGB, Rn. 171 Dem Betroffenen würde also von vornherein gemäß § 314 BGB ein Kündigungsrecht zustehen, auf dessen Fortbestehen dieser bei dem Versuch, den Vertrag aufrecht zu erhalten, auch vertrauen können sollte.OLG Saarbrücken, Urteil v. 27.04.2010 – 4 U 41/09, BeckRS 2010, 14170; Feldhahn, NJW 2005, 3381 (3383) Aus diesem Grund sollte § 313 BGB vielmehr als Spezialfall von § 314 BGB angesehen werden.Finkenauer, in: Münchener Kommentar, BGB, § 313 BGB, Rn. 171
23Eine Überschneidung von § 313 BGB und der Zweckverfehlungskondiktion aus § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB scheidet von vornherein aus. Zwar kann der verfehlte Zweck in einem Wegfall der Geschäftsgrundlage begründet liegen, der entscheidende Unterschied besteht jedoch darin, dass die Zweckvereinbarung im Sinne des § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB nicht den ,,Charakter einer vertraglichen Bindung“ hat, wie es bei § 313 BGB der Fall ist.BGH, Urteil v. 17.06.1992 – XII ZR 253/90 (Celle), NJW 1992, 2690 (2690); Reiner, in: Schulze BGB, § 313 Rn. 11; Stadler, in: Jauernig BGB, § 313 Rn. 13
24Gegenüber dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne des § 242 BGB genießt § 313 BGB aufgrund seiner spezielleren Regelungen den Vorrang.Finkenauer, in: Münchener Kommentar, BGB, § 313 BGB, Rn. 183
25Praktische Fälle
§ 313 BGB spielte in der Praxis, sofern seine Anwendung nicht subsidiär hinter anderen Normen und Regelungen zurückstand, in der Vergangenheit durchaus eine Rolle. Neben den nachfolgend zunächst dargestellten allgemeinen Fällen der Störung der Geschäftsgrundlage, hat diese Norm im Jahre 2020 insbesondere aufgrund der Corona-Pandemie eine besondere Aufmerksamkeit erfahren.
I.
Allgemeine Fälle
1. Absatz 1 – Wegfall der Geschäftsgrundlage (nach Vertragsabschluss)
26Insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen, wie der Miete oder dem Erbbauzins, kann es vorkommen, dass die Kaufkraft im Laufe des Vertragsverhältnisses sinkt. Dadurch wird jedoch nicht automatisch eine Störung der Geschäftsgrundlage begründet, selbst wenn ein äquivalentes Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung, wie es anfänglich von den Vertragsparteien vereinbart wurde, nicht mehr besteht.BGH, Urteil v. 22.12.2004 – VIII ZR 41/04 (LG Potsdam), NZM 2005, 144 (144); Grüneberg, in: Palandt, § 313 Rn. 26
So hat der BGH entschieden, dass ein Anspruch auf Erhöhung des Erbbauzinses lediglich besteht, wenn ein Festhalten an den unveränderten Vertragsbedingungen für den Gläubiger nicht tragbar ist.BGH, Urteil v. 18.11.2011 – V ZR 31/11 (LG Lübeck), NJW 2012, 526 (528) Dies sei erst dann der Fall, wenn die Lebenserhaltungskosten seit dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt um mindestens 150 % gestiegen sind.BGH, Urteil v. 19.09.1992 – V ZR 116/91 (Celle), NJW 1993, 52 (52) Dabei ist es unerheblich, ob eine Wertsicherungsklausel vereinbart wurde oder nicht, auch diese kann unter den gleichen Voraussetzungen angepasst werden.BGH, Urteil v. 18.11.2011 – V ZR 31/11 (LG Lübeck), NJW 2012, 526 (528)
27Ähnliche Anforderungen sind an eine Mietpreiserhöhung zu stellen, die wegen Kaufkraftentwertung und einen damit verbundenen Wegfall der Geschäftsgrundlage angeglichen werden soll. Der BGH entschied dazu 2004 einen Fall, in dem die Kläger die monatliche Miete ihres Hauses, das auf dem ehemaligen Grund und Boden der DDR stand, von 110,35 DM (56,42 €) auf 362,80 € erhöhen wollten.BGH, Urteil v. 22.12.2004 – VIII ZR 41/04 (LG Potsdam), NZM 2005, 144 (144) Die Vermieter konnten eine Mieterhöhung in dem Zeitraum von 1990 bis 1995, in dem Verordnungen für die Anpassung von Mietverträgen an die Mietbedingungen der Bundesrepublik Deutschland in Kraft waren, nicht vornehmen, da der Rückübertragungsbescheid für das Haus erst 1997 bestandskräftig wurde. Der BGH entschied, dass in diesem Fall die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen der Vertrag geschlossen wurde, nicht mit den marktwirtschaftlichen Verhältnissen der BRD vergleichbar waren und insofern ein Festhalten an dem früher vereinbarten Mietpreis eine unzumutbare Belastung für den Vermieter darstellen würde.BGH, Urteil v. 22.12.2004 – VIII ZR 41/04 (LG Potsdam), NZM 2005, 144 (145) Eine Anpassung des Mietpreises auf die ortsübliche Vergleichsmiete ist insofern zwar möglich, aber nur, wenn ein Festhalten an den ursprünglichen Regelungen zu einem untragbaren Ergebnis für den Gläubiger führen würde, welches mit Recht und Gerechtigkeit nicht vereinbar wäre.BGH, Urteil v. 25.02.1993 – VII ZR 24/92 (BezG Dresden), NJW 1993, 1856 (1860)
28Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB kann auch für den Fall bejaht werden, dass die Rechtslage nach dem Abschluss des Vertrages geändert wird und die Parteien den Vertrag in Kenntnis der nunmehr gültigen Rechtslage nicht zu diesen Konditionen geschlossen hätten.BGH, Urteil v. 15.11.1951 – IV ZR 15/51 (OLG Bremen), BeckRS 1951, 31372922 Dies wird anhand eines Falles deutlich, der 1959 entschieden wurde.BGH, Urteil v. 13.10.1959 – VIII ZR 120/58 KG 11.07.1958, BeckRS 1959, 31201286 Zu dieser Zeit benötigte man gemäß der Richtlinie über die Verleihung von Apothekenbetriebsrechten eine Realkonzession zum Betrieb einer Apotheke. Eine solche erwarb die Beklagte 1956 durch notariellen Vertrag von der Klägerin. Allerdings änderte sich die Rechtslage 1957 aufgrund eines Verstoßes der Richtlinie gegen Art. 12 GG, sodass für die Inbetriebnahme einer Apotheke nur noch eine Betriebsberechtigung erforderlich war. Insofern entsprach der Preis von 60.000 DM, den die Beklagte für die Realkonzession bezahlt hatte, nicht mehr annähernd dem Verkaufswert der Realkonzession nach der Änderung der Rechtslage. Zum einen aus dem Grund, dass für den Betrieb einer Apotheke nun keine Realkonzession mehr erforderlich war und zum anderen aus dem Grund, dass die Anzahl der Apotheken in einem Gebiet nicht mehr begrenzt waren wie zuvor bei der Realkonzession. Daher war das Gleichwertigkeitsverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung derart verschoben, dass das Festhalten an dem unveränderten Kaufpreis nicht mit Treu und Glauben zu vereinen war. Insofern handelt es sich um eine Entwertung der Sachleistung, die außerhalb des vertragstypischen Risikos liegt.Looschelders, in: Schuldrecht AT, § 37 Rn. 764
2. Absatz 2 – Fehlende Geschäftsgrundlage (bei Vertragsschluss)
29Liegt bei dem Abschluss des Vertrages auf beiden Seiten ein Motivirrtum (doppelter Motivirrtum) vor, können sich die Parteien auf die Grundsätze über das Fehlen der Geschäftsgrundlage berufen. Dies gilt beispielsweise für eine Abfindungserklärung, bei der beide Parteien, in diesem Fall sowohl die Versicherung als auch der Geschädigte, davon ausgehen, dass der materielle Schaden nicht von der Abfindungserklärung umfasst ist.BGH, Urteil v. 08.11.2001 – IX ZR 64/01 (Karlsruhe), NJW 2002, 292 (294)
30Ähnliches wurde für den Fall eines Kommanditisten entschieden, der einem Rechtsirrtum über die Möglichkeit des Widerrufs eines Testaments unterlag.BGH, Urteil v. 10.12.1973 – II ZR 53/72 (Frankfurt), NJW 1974, 498 (498) Sowohl der Kläger als auch der Beklagte waren Kommanditisten einer KG, deren persönlich haftender Gesellschafter ihr gemeinsamer Vater war. Die Eltern regelten in einem gemeinschaftlichen Testament, dass der Kapitalanteil des Vaters zu gleichen Teilen auf die Söhne übergehen sollte. Als die Mutter kurz darauf verstarb, vereinbarten der Vater und die beiden Söhne in einer Neufassung des Gesellschaftsvertrags jedoch abweichend von dem Testament, dass auf den Kläger lediglich 9/20 und den Beklagten 11/20 des Kapitalanteils übergehen sollten. Der Kläger erklärte, dass er dem Gesellschaftsvertrag jedoch nur zugestimmt habe, da sein Vater ihm gedroht habe, anderenfalls das Testament zu ändern und ihn zu enterben.BGH, Urteil v. 10.12.1973 – II ZR 53/72 (Frankfurt), NJW 1974, 498 (499) Dabei war dem Kläger jedoch nicht bewusst, dass das Widerrufsrecht für wechselbezügliche Verfügungen mit dem Tod eines Ehegatten gemäß § 2271 Abs. 2 BGB erlischt und sein Vater daher das Testament nach dem Tod seiner Mutter gar nicht mehr widerrufen konnte.BGH, Urteil v. 10.12.1973 – II ZR 53/72 (Frankfurt), NJW 1974, 498 (500) Dieser hätte der Verschlechterung seiner Rechtsstellung durch den Gesellschaftsvertrag wohl kaum zugestimmt, wenn er gewusst hätte, dass dies die einzige Möglichkeit war, die testamentarischen Bestimmungen zu seinen Lasten abzuändern.BGH, Urteil v. 10.12.1973 – II ZR 53/72 (Frankfurt), NJW 1974, 498 (501) Das Gericht entschied daher, dass unter solchen Voraussetzungen die Geschäftsgrundlage für den Gesellschaftsvertrag fehlen würde und der Vertrag von Anfang an als nichtig anzusehen wäre. Zudem müsse der Irrtum in einem solchen Fall nicht auf beiden Vertragsseiten vorliegen, sondern die Kenntnis der anderen Seite über den Irrtum des Klägers würde ausreichen.
31Auch steuerrechtlich kann das Fehlen der Geschäftsgrundlage von Bedeutung sein. Dies zeigt sich anhand der Rückabwicklung eines Kaufvertrages über die Anteile an einer Kapitalgesellschaft.BGH, Urteil v. 28.10.2009 – IX R 17/09 (FG Mecklenburg-Vorpommern), NJW 2010, 1631 (1632) Die Vertragsparteien hatten den Kaufvertrag vollständig wegen des Fehlens der Geschäftsgrundlage rückabgewickelt, weshalb auch die Besteuerung im Sinne des § 17 Abs. 1 EStG entfiel. Aber auch ein Irrtum über die Besteuerung des Geschäfts selbst kann eine fehlende Geschäftsgrundlage darstellen. Dafür muss die Erheblichkeitsschwelle der daraus resultierenden steuerlichen Mehrbelastung überschritten sein und der Irrtum muss auf beiden Vertragsseiten bestehen.OLG Köln, Urteil v. 13.11.1992 – 19 U 77/92, NJW-RR 1993, 784 (784); Grüneberg, in: Palandt, § 313 Rn. 38
3. Absatz 3 – Vertragsauflösung
33 32Die Auflösung des Vertrags im Sinne des § 313 Abs. 3 BGB kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn eine Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB nicht möglich ist oder die Anpassung einer der Vertragsparteien nicht zugemutet werden kann. § 313 Abs. 3 BGB ist somit subsidiär zu Abs. 1. Dabei ist der Anwendungsbereich des § 313 Abs. 3 nicht schon dann eröffnet, wenn die andere, bevorteilte Vertragspartei vorprozessuale Verhandlungen über eine Vertragsanpassung gem. § 313 Abs. 1 BGB abgelehnt hat, wie folgender Fall zeigt:
Die Vertragsparteien hatten sich vertraglich über den Tausch zweier Grundstücksflächen im Tauschverhältnis 1:1 geeinigt.BGH, Urteil v. 30.09.2011 – V ZR 17/11 (OLG Hamm), NJW 2012, 373 (373) Anschließend stellte sich jedoch heraus, dass das eine Grundstück, statt der im Text des Vertrags geschätzten 28.699 qm lediglich eine Fläche von 18 632 qm umfasste und die andere Vertragspartei sich insofern auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 BGB berufen konnte.BGH, Urteil v. 30.09.2011 – V ZR 17/11 (OLG Hamm), NJW 2012, 373 (374) Die bevorteilte Partei weigerte sich vorprozessual, den Vertrag anzupassen.
In diesem Fall war für ein Berufen auf das - gegenüber Abs. 1 - subsidiäre Rücktrittsrecht aus § 313 Abs. 3 nicht bereits ausreichend, dass die gütlichen Anpassungsversuche der benachteiligten Partei (§ 313 Abs. 1 BGB) scheitern. Nicht jede außerprozessuale Ablehnung einer Vertragsanpassung führt per se zur Eröffnung des Anwendungsbereiches des § 313 Abs. 3. Dies würde den Grundsatz pacta sunt servanda, dessen Ausfluss § 313 Abs. 1 BGB gerade ist, ad absurdum führen und jede außergerichtliche Weigerung der Vertragsanpassung zum gesetzlichen Rücktrittsfall nach § 313 Abs. 3 BGB erklären. Es ist demnach einer benachteiligten Vertragspartei nicht unzumutbar, an dem für sie nachteiligen Vertrag festzuhalten und den (hier wohl bestehenden) Anspruch auf Vertragsanpassung gerichtlich gegenüber dem sich vorprozessual sperrenden Vertragspartner durchzusetzen.BGH, Urteil v. 30.09.2011 – V ZR 17/11 (OLG Hamm), NJW 2012, 373 (375) Denn ein Rücktrittsrecht gemäß § 313 Abs. 3 BGB kommt lediglich dann in Betracht, wenn eine Anpassung unmöglich ist oder der benachteiligten Vertragspartei ein Festhalten an dem Vertrag unzumutbar ist und dieser durch das Festhalten noch weitere Nachteile entstehen würden.BGH, Urteil v. 21.11.1968 – VII ZR 89/66 (Hamm), NJW 1969, 233 (234) Im vorliegenden Fall kam die Anwendung des Rücktrittsrechts nur ausnahmsweise deshalb in Betracht, weil die bevorteilte, sich zur Vertragsanpassung weigernde Vertragspartei nur das Vorliegen der Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 bzw. 2 BGB und nicht auch diejenigen des § 313 Abs. 3 BGB in Abrede gestellt hatte.BGH, Urteil v. 30.09.2011 – V ZR 17/11 (OLG Hamm), NJW 2012, 373 (375) Der fünfte Zivilsenat judizierte hierzu auszugsweise wie folgt:
33„Auch ohne wirksamen Rücktritt kommt es aber dann zu einer von der benachteiligten Partei gewünschten Rückabwicklung des Vertrages, wenn die Gegenseite im Prozess nur die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB in Abrede stellt, ohne sich für den Fall, dass das Gericht eine Störung der Geschäftsgrundlage annehmen sollte, gegen die Rückabwicklung des Vertrages als deren Rechtsfolge zu wenden. Angesichts der Pflicht, an einer Vertragsanpassung mitzuwirken, kommt einem solchen Verhalten der objektive Erklärungswert zu, mit dem Vorschlag der Gegenseite (Rückabwicklung) einverstanden zu sein (vgl. dazu Senat, Urteil vom 12. Mai 2006 - V ZR 97/05, 26 27 - 12 - NJW 2006, 2843, 2845 Rn. 26). Die in § 313 Abs. 3 BGB angeordnete Nachrangigkeit des Rücktritts steht dem nicht entgegen. Sie beruht auf dem Gedanken, dass die Auflösung eines Vertrages tiefer in die Privatautonomie eingreift als dessen Anpassung (vgl. PWW/Medicus/Stürner, BGB, 6. Aufl., § 313 Rn. 25), kommt also nicht zum Tragen, wenn beiden Parteien nicht (mehr) an einer Aufrechterhaltung des Vertrages gelegen ist.“
(BGH, Urteil v. 30.09.2011 – V ZR 17/11, Rn. 27)
34Etwas anderes gilt, wenn eine der Parteien sich hartnäckig gegen eine Anpassung des Vertrages weigert.Böttcher, in: Ermann BGB Kommentar, § 313 Rn. 44b Der BGH entschied dazu einen Fall, in dem die Beklagte eine Erhöhung ihrer Gegenleistung für Pumpenstunden verlangte, da die Ausführungsunterlagen nicht mit der Realität übereinstimmten und es zudem zu einem unerwartet starken Grundwasseranfall gekommen war.BGH, Urteil v. 21.11.1968 – VII ZR 89/66 (Hamm), NJW 1969, 233 (233) Die Klägerin lehnte eine Erhöhung der Vergütung ab, bestand aber weiterhin auf Fortsetzung der Arbeiten durch die Beklagte. Insofern war es der Beklagten nicht zumutbar, an dem Vertrag festzuhalten und ein Urteil erst dann zu erwirken, wenn diese die Arbeit zu den alten Bedingungen ausgeführt hätte, wie es das Berufungsgericht in unzutreffender Weise feststellte.BGH, Urteil v. 21.11.1968 – VII ZR 89/66 (Hamm), NJW 1969, 233 (234) Zwar genießt eine Vertragsanpassung und auch deren gerichtliche Durchsetzung stets den Vorrang vor einer Anwendung von § 313 Abs. 3 BGB, jedoch nicht, wenn dem Beklagten dadurch weitere Nachteile entstehen, wie es vorliegend der Fall gewesen wäre.
35Besondere Vorschriften gelten für den Ausschluss eines Gesellschafters aus einer KG. Entfällt die Geschäftsgrundlage, die den maßgeblichen Beweggrund für die Aufnahme des Gesellschafters dargestellt hatte, kann daraus nicht automatisch ein Ausschluss des Gesellschafters aus § 313 BGB begründet werden.BGH, Urteil v. 13.05.1953 – II ZR 157/52 (Hamburg), NJW 1953, 1548 (1548) Anderenfalls würden die spezifischeren Vorschriften des Gesellschaftsrechts umgangen werden, in dem vorliegenden Fall § 140 HGB.BGH, Urteil v. 13.05.1953 – II ZR 157/52 (Hamburg), NJW 1953, 1548 (1550) Durch eine Anwendung von § 313 BGB sollen weder bei dem Ausschluss eines Gesellschafters, noch bei der Auflösung einer Gesellschaft die strengeren Anforderungen des Gesellschaftsrechts umgangen werden. Der Ausschluss eines Gesellschafters soll aus Gründen der Rechtssicherheit gerade nicht ohne weiteres möglich sein, weshalb auch der Ausschluss eines Gesellschafters auf der Grundlage von § 313 BGB nur durch richterliche Entscheidung erfolgen kann.
II.
36Corona-Rechtsprechung
Die Covid-19-Pandemie hat eine Vielzahl von Leistungsstörungen hervorgerufen. Diese Leistungsstörungen haben alle gemeinsam, dass sie durch einen nicht vorhersehbaren Umstand hervorgerufen worden sind und keine der Vertragsparteien diesen Eintritt in irgendeiner Form zu verantworten oder ihn verursacht hat.Bacher, Die Corona-Pandemie und allgemeine Regeln über Leistungsstörungen – Höhere Gewalt, Unmöglichkeit und Wegfall der Geschäftsgrundlage, in: MDR 2020, 514 (516), Rn. 12
Damit könnte der Begriff der höheren Gewalt erfüllt sein. Höhere Gewalt (auch „force majeure“) ist nach der Rechtsprechung ein „betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist“.BGH, Urteil vom 22. April 2004 – III ZR 108/03 = BGHZ 159, 19, Rn. 12 Dementsprechend stellt die Covid-19 -Pandemie (ebenso wie die Sars-CoV 1 Epidemie in ChinaAG Augsburg, Urteil vom 09. November 2004 – 14 C 4608/03) einen Fall der sog. höheren Gewalt dar.
Der Eintritt höherer Gewalt kann dazu führen, dass der Schuldner, der das Beschaffungsrisiko übernommen hat und dementsprechend unabhängig vom Verschulden haftet, von dem Haftungsrisiko befreit wird. Dies wird, soweit keine vertraglichen oder gesetzlichen Sonderregelungen vorliegen, auf § 313 BGB in Verbindung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB gestützt.Bacher, in: MDR 2020, 514 (516), Rn. 17 Haben die Parteien hingegen – auch ohne Corona konkret vorherzusehen – sicherheitshalber eine force-majeure-Klausel in ihrem Vertrag vereinbart, die Pandemien, Epidemien oder Krankheiten, die besondere Maßnahmen wie Quarantäne und andere Eindämmungsmaßnahmen zur Folge haben, ist diese Klausel zwischen den Parteien vorrangig anzuwenden.Beyer/Hoffmann: COVID-19 als Act of God / Force Majeure / Höhere Gewalt?, NJOZ 2020, 609 [610] Strittig sind solche Fälle, in denen zwar eine force-majeure-Klausel implementiert, aber nicht eingegrenzt wurde, welche Fälle höherer Gewalt die Parteien dem Anwendungsbereich dieser Vertragsklausel unterwerfen wollen. Wenn keine derartige Klausel vereinbart wurde, ist der Anwendungsbereich des § 313 BGB eröffnet, sodass das durch die Covid-19-Pandemie entstandene Leistungshindernis, unter Anwendung von § 313 BGB, ein Anpassungs-, Rücktritts- bzw. Kündigungsrecht der Parteien begründen kann. Dabei muss auch hier zunächst unter Prüfung aller Umstände des Einzelfalls abgewogen werden, inwiefern ein Festhalten an dem Vertrag für eine der Vertragsparteien eine unzumutbare Belastung darstellt.
Bevor eine Anwendung von § 313 BGB – mangels Höherer-Gewalt-Klausel – jedoch überhaupt in Betracht kommt, müssen auch die spezifischeren Regelungen des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020 herangezogen werden, die durch das Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22. Dezember 2020 noch konkretisiert wurden. Die Regelungen dienen insbesondere der Unterstützung von Verbrauchern und Kleinstunternehmen, die durch das SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten gelangt sindBT-Drs. 19/18110 S. 1 und können daher auch abschließende Wirkung gegenüber anderen allgemeineren Regelungen wie auch den Grundlagen der Geschäftsstörung entfalten.LG Heidelberg, Urteil v. 30.07.2020 – 5 O 66/20, COVuR 2020, 541 (544)
1. Mietvertrag von gewerblichen Flächen
37Von besonders großer Relevanz ist in der Situation der Corona-Pandemie die Vermietung von gewerblichen Flächen, da eine Vielzahl von Einzelhandelsgeschäften und Gastronomiebetrieben mehrere Wochen schließen mussten und müssen, um den Anstieg an Infektionen mit dem SARS-COV-2-Virus einzudämmen. In dieser Zeit konnten und können die Mieter ihre Geschäftsräume nicht wie gewohnt nutzen und haben daher häufig erhebliche Umsatzeinbußen erlitten bzw. werden diese weiterhin erleiden. Die Voraussetzungen für eine Vertragsanpassung gemäß § 313 BGB scheinen daher zunächst vorzuliegen, da es dem Mieter unter diesen Umständen kaum zumutbar ist, an dem Vertrag festzuhalten. Allerdings gilt es auch hier zu berücksichtigen, dass vertragliche Vereinbarungen stets vorrangig zu prüfen sind. Zwar wird in den wenigsten Fällen eine vertragliche Absprache über den Eintritt einer Pandemie getroffen worden sein, viele Mietverträgen über gewerbliche Flächen enthalten jedoch Mietzahlungsausschlüsse oder Beschränkungen, die auch in dem Fall einer Pandemie als Anhaltspunkte dienen können.LG Zweibrücken, Urteil v. 11.09.2020 – HK O 17/20, COVuR 2020, 693 (694) So enthielt beispielsweise der Mietzins eines Einzelhandelsgeschäfts eine Sockelmiete in Höhe von 2.500,00 €, der entsprechend an den jeweiligen Jahresumsatz angepasst wurde.LG Heidelberg, Urteil v. 30.07.2020 – 5 O 66/20, COVuR 2020, 541 (541) In einem solchen Fall ist die Mindestmiete unabhängig von jeglichen Umsatzeinbußen fällig und eine Anwendung von § 313 BGB bezüglich extremer Umsatzeinbußen scheidet von vorne herein aus.
Aber auch die allgemeinen gesetzlichen Regelungen, insbesondere die mietrechtlichen Gewährleistungs- und Gestaltungsrechte genießen gegenüber den Grundsätzen der Geschäftsgrundlage Vorrang.BT-Drs. 19/25322 S. 15 Bei Mietverträgen kommt diesbezüglich ein Sachmangel gemäß § 536 Abs. 1 S. 1 BGB sowie auch der Tatbestand der Unmöglichkeit in Betracht. Offenkundig ist dabei jedoch, dass beide Tatbestände nicht für den Fall der behördlich angeordneten Betriebsuntersagung konzipiert wurden. Durch die Betriebsuntersagung weicht die konkrete Beschaffenheit der Mietsache weder von dem vertraglich vereinbarten Soll ab, sodass von einem Sachmangel im Sinne des § 536 Abs. 1 S. 1 BGB auszugehen wäre (abweichend hierzu LG München I, 3 O 4495/20, s. unten), noch ist es dem Mieter dadurch unmöglich, seine Geschäftsräume weiterhin als Lagerräume oder zu anderen Zwecken zu nutzen. Darin wird in aller Regel zwar nicht der Grund für den Abschluss des Mietvertrages begründet liegen; die Pflicht des Vermieters beläuft sich jedoch grundsätzlich lediglich darauf, dem Mieter die Mietsache in der vertraglich vereinbarten Weise zur Verfügung zu stellen. Dabei ist es unerheblich, ob dieser seine wirtschaftlichen Ziele auch tatsächlich durch die Anmietung verwirklichen kann.
Die behördliche Anordnung wirkt sich insofern regelmäßig auf das Verwendungsrisiko des Mieters und weniger auf das konkrete Vertragsverhältnis zwischen Mieter und Vermieter aus.Streyl, in: Schmidt, COVID-19, § 3 Rn. 64 Das Vorliegen eines Sachmangels aufgrund öffentlich-rechtlicher Beschränkungen, wie es der Gesetzgeber anscheinend für möglich hält,BT-Drs. 19/25322 S. 14 kann sich daher nur auf ein Minimum an besonders gelagerten Fällen beziehen. Zu denken wäre etwa an Fallkonstellationen, in denen es dem Gewerbetreibenden nicht möglich ist, sein Mietobjekt zu betreten und der Vermieter aufgrund der behördlichen Anordnung dazu verpflichtet ist, dem Mieter den Zugang zu verwehren. So etwa bei der Shop-in-Shop-Vermietung oder einer grundsätzlichen Ausgangsperre. Auch die Beschränkung, nur Geschäfte öffnen zu dürfen, die eine bestimmte Verkaufsfläche nicht überschreiten, wie etwa die 800qm-Regel Mitte April 2020, könnte einen Sachmangel begründen, der an die Beschaffenheit der Mietsache selbst anknüpft.Streyl, in: Schmidt, COVID-19, § 3 Rn. 73 Diese spezielleren Fallkonstellationen werden in der Gesamtheit jedoch eher Einzelfälle bleiben und können insofern keine geeignete Lösung darstellen, um die wirtschaftliche Belastung der Corona-Pandemie insgesamt gerecht zwischen den Mietvertragsparteien aufzuteilen.Das Ziel der gesetzlichen Anpassungen im Miet- und Pachtrecht besteht darin ,,die wirtschaftlichen Folgen gerecht zwischen den Mietvertragsparteien“ aufzuteilen, BT-Drs. 19/25322 S. 14
Umso mehr gewinnt das Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage als einzig verbleibendes Recht zur Vertragsanpassung an Bedeutung. Auch der Gesetzgeber scheint die besondere Notwendigkeit dieser Regelung in der momentanen Pandemiesituation erkannt zu haben. So wurde in Art. 240 EGBGB in § 7 ,,Störung der Geschäftsgrundlage von Miet- und Pachtverträgen“ nun explizit klargestellt, dass § 313 BGB auf gewerbliche Miet- und Pachtverträge grundsätzlich Anwendung findet. Diese Normierung schien insbesondere erforderlich, da zuvor immer wieder diskutiert wurde, ob Leistungsverweigerungsrechte aufgrund des Ausschlusses in Art. 240 § 1 Abs. 4 BGB überhaupt auf Miet- und Pachtverträge angewendet werden können.BT-Drs. 19/18110 S. 35; LG Zweibrücken, Urteil v. 11.09.2020 – HK O 17/20, COVuR 2020, 693 (694)
In dem ersten Gesetzesentwurf zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie hieß es noch, dass der Mieter grundsätzlich zur Entrichtung der Miete verpflichtet bleibe und ihm in diesem Zeitraum lediglich nicht gekündigt werden könne, wenn die Nichtleistung auf den Folgen der Corona-Pandemie beruht.BT-Drs. 19/18110 S. 35 Ein darüberhinausgehendes Leistungsverweigerungsrecht schien vom Gesetzgeber jedoch nicht beabsichtigt gewesen zu sein, da dieser explizit betonte, welch schweren Eingriff in die Vertragsfreiheit ein temporäres Leistungsverweigerungsrecht darstellen würde.BT-Drs. 19/18110 S. 35 Selbst bei der Beschränkung des Kündigungsrechts gemäß Art. 240 § 2 Abs. 1 EGBGB obliegt es dem Mieter die überwiegende Wahrscheinlichkeit nachzuweisen, dass seine Nichtleistung auf den Folgen der Corona-Pandemie beruht.BT-Drs. 19/18110 S. 36; BGH, Beschl. v. 21.12.2006 – IX ZB 60/06, NJW-RR 2007, 776 (777)
Dieses strenge Festhalten an den ursprünglich ausgehandelten Vertragsbedingungen ließ sich in der darauffolgenden Zeit an einer eher verhaltenen Anwendung von § 313 BGB beobachten (siehe a. Anwendung von § 313 – 1. Corona-Welle). So blieben die meisten Einzelhändler während der einzelnen Lockdowns zur vollen Mietzahlung verpflichtet und konnten sich nur selten auf ein Entgegenkommen ihrer Vermieter verlassen.Merkur, Große Modekette wollte wegen Corona Miete nicht zahlen – und kassiert empfindliche Schlappe vor Gericht, abrufbar unter: https://www.merkur.de/wirtschaft/c-und-a-mode-corona-miete-urteil-muenchen-gericht-filiale-adidas-deichmann-geschaeft-zr-90202126.html, Stand: 12.04.2021 Dieser Zustand ist für die Mieter natürlich nur schwer tragbar. Insbesondere wenn man bedenkt, welches zeitliche Ausmaß die behördlich angeordneten Schließungen seit der 2. und 3. Corona-Welle angenommen haben und sich viele Gewerbetreibende seit dem 2. November 2020 dadurch quasi in ,,Dauerhaftung“ befinden.vgl. hierzu, DIE WELT, Hoffen auf Paragraf 313, abrufbar unter: https://www.wiso-net.de/document/WELT__0a28f306a9c6c80a5349fa70ee6baba2a6ba6103, Stand: 12.04.2021 Auch für den Einzelhandel ändert sich durch das sogenannte ,,Click and Meet“ Shopping, welches den Kunden ermöglicht unter Angabe ihrer Kontaktdaten für einen bestimmten Zeitraum einen Termin in dem Geschäft zu vereinbaren, daran nur wenig. Die Kosten steigen vielmehr, da nur wenige Kunden von dem Angebot Gebrauch machen und die Filialen trotzdem, aufgrund der geltenden Arbeits-, und Brandschutzvorkehrungen, mit dem gesamten Personal besetzt sein müssen.WDR, Warum “Click and Meet” für den Einzelhandel kein gutes Geschäft ist, abrufbar unter: https://www1.wdr.de/nachrichten/themen/coronavirus/click-and-meet-einkaufen-nrw-100.html, Stand: 12.04.2021
Dieser Problematik könnte mit der neuen Normierung von Art. 240 § 7 EGBGB entgegengewirkt werden, da das Vorliegen eines Umstandes im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, nun grundsätzlich vermutet wird, wenn die gemietete Fläche nur mit erheblichen Einschränkungen genutzt werden kann und insofern stets eine Vertragsanpassung vorgenommen werden müsste. Entsprechende Anhaltspunkte, die in eine dahingehende Richtung deuten, lassen sich auch bereits aus der Rechtsprechung entnehmen (siehe b. Anwendung von § 313 – 2. Und 3. Corona-Welle). Eine solche Entwicklung könnte dazu führen, dass Mieter auch für die bereits vergangen Zeiträume rückwirkend eine Anpassung der Miete verlangen können.Römermann, NJW 2021, 265 (269)
a. Anwendung von § 313 – 1. Corona-Welle
Eine Vertragsanpassung gewerblicher Mietverträge durch die Anwendung von § 313 BGB wurde von der Rechtsprechung seit dem Beginn der Pandemie in Betracht gezogen. Dabei kamen die Gerichte zumeist auch zu dem Ergebnis, dass der Eintritt einer globalen Pandemie und die daraus folgende Betriebsuntersagung, einen Umstand darstellen würde, der nicht von den Vorstellungen der Vertragsparteien bei Vertragsschluss gedeckt war (Reales Element).LG Heidelberg, Urteil v. 30.07.2020 – 5 O 66/20, COVuR 2020, 541 (544); LG Mannheim, Endurteil v. 23.07.2020 – 23 O 22/20, BeckRS 2020, 26351 Rn. 17 Auch hätten die Parteien den Mietvertrag mit Kenntnis der veränderten Sachlage kaum in dieser Form geschlossen (Hypothetisches Element).LG München I, Endurteil v. 22.09.2020 – 3 O 4495/20, COVuR 2020, 868 (871)
Kritisch wurde allerdings das normative Element der Risikoverteilung bewertet.LG Mannheim, Endurteil v. 23.07.2020 – 23 O 22/20, BeckRS 2020, 26351 Rn. 18 Wie sich dem Wortlaut von § 313 Abs. 1 BGB entnehmen lässt, ist einer Vertragspartei das Festhalten an dem unveränderten Vertrag nämlich zumutbar, wenn die vertragliche oder gesetzliche Risikoverteilung allein auf deren Seite begründet liegt. Das Verwendungs- und Gewinnerzielungsrisiko trägt bei Mietverträgen der Mieter in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich selbst.BGH, Urteil v. 16.02.2000 – XII ZR 279/97 (Naumburg), NJW 2000, 1714 (1715); LG Heidelberg, Urteil v. 30.07.2020 – 5 O 66/20, COVuR 2020, 541 (542); LG Frankfurt a. M., Urteil v. 02.10.2020 – 2-15 O 23/20, BeckRS 2020, 26613; Sittner, NJW 2020, 1169 (1172) Aus diesem Grund sind auch an das Kriterium der Unzumutbarkeit besonders hohe Anforderungen zu stellen. Ein Umsatzrückgang von 54 % reicht dafür nicht automatisch aus.LG Frankfurt a. M., Urteil v. 02.10.2020 – 2-15 O 23/20, BeckRS 2020, 26613 Vielmehr geht die Rechtsprechung davon aus, dass ein vor dem Eintritt der Corona-Pandemie wirtschaftlich gesundes Unternehmen, für einen kurzen Zeitraum schwankende Umsatzahlen verkraften kann.LG Zweibrücken, Urteil v. 11.09.2020 – HK O 17/20, COVuR 2020, 693 (696) Unter einen kurzen Zeitraum fällt dabei wohl auch die Schließung der Geschäfte für ungefähr einen Monat, wie im Frühjahr 2020. Schließlich bleibt zu berücksichtigen, dass auch der Vermieter laufende Finanzierungs- und Erhaltungskosten zu tragen hatLG Zweibrücken, Urteil v. 11.09.2020 – HK O 17/20, COVuR 2020, 693 (695) und, nicht zuletzt, der gewerbetreibende Mieter ergänzend von den staatlichen Ausgleichsansprüchen wie Kurzarbeitergeld oder Reduzierung der Umsatzsteuer profitieren und damit Einkommensverluste teilweise kompensieren kann.LG Zweibrücken, Urteil v. 11.09.2020 – HK O 17/20, COVuR 2020, 693 (695)
Die aufgrund des COVID-19-Virus eingetretene Vertragsstörung hat letzten Endes keine der Parteien zu verantworten,Sittner, NJW 2020, 1169 (1172) das Risiko des geschäftlichen Erfolgs trägt jedoch der Mieter.LG Heidelberg, Urteil v. 30.07.2020 – 5 O 66/20, COVuR 2020, 541 (542) Insofern kann die Einrede der Unzumutbarkeit nur in extremen Ausnahmefällen Anwendung finden. Die Vertragserfüllung müsste schon ,,existenziell bedeutsame Folgen“LG Frankfurt a. M., Urteil v. 02.10.2020 – 2-15 O 23/20, BeckRS 2020, 26613 für den Mieter haben und es müssten zuvor andere Möglichkeiten, wie der Verkauf der Waren über Online-Shops, Gutschein-Modelle oder bei Gastronomie beispielsweise Take-Away-Essen vollends ausgeschöpft worden sein.Sittner, NJW 2020, 1169 (1172)
Das LG München I vertrat in einem durchaus vergleichbaren Fall über Gewerberaummietflächen eine andere Ansicht und entschied den dortigen Fall zugunsten des Mieters über die spezielleren und § 313 BGB verdrängenden Normen des Mietrechts (LG München I Endurteil v. 22.9.2020 – 3 O 4495/20). Die dritte Zivilkammer vertrat unter Bezugnahme auf Reichsgerichtsrechtsprung und stärkere Stimmen in der Literatur die Ansicht, dass
„öffentlich-rechtliche Beschränkungen als rechtliche Verhältnisse einen Mangel darstellen können, wenn sie sich auf Beschaffenheit, Benutzbarkeit oder Lage der Sache beziehen, wobei es auf den vereinbarten Geschäftszweck ankommt und die Beschränkung grundsätzlich bestehen muss“.LG München I Endurteil v. 22.9.2020 – 3 O 4495/20, BeckRS 2020, 28189 Rn. 23, 24, beck-online
In der Folge bejahte das LG München I das Recht zur Mietminderung, weil die durch die Covid-19/behördlich verordnete Ladenschließung bewirkte Beschränkung in der Nutzbarkeit der Mietsache, einen Mangel begründe. Diese Entscheidung lässt nach der diesseits vertretenen Ansicht durchaus Zweifel daran aufkommen, dass die zuvor zitierten richterlichen Auffassungen in dieser Absolutheit uneingeschränkt vertretbar sind, wobei dies weniger auf Eben des § 313 BGB, als eher im vorrangigen Mietrecht diskutiert werden muss. Im Übrigen bejaht das LG München I (wohl) der Vollständigkeit halber – unter Betonung des Vorrangs des Mietrechts in solchen Fällen - konsequenterweise, auch eine Störung der Geschäftsgrundlage, „da die Parteien die Folgen einer eintretenden Coronapandemie und Infektionsschutzmaßnahmen durch den Staat offenkundig nicht bedacht haben und so den Vertrag kaum geschlossen hätten (vgl. § 313 Abs. 1, Abs. 2 BGB).“LG München I Endurteil v. 22.9.2020 – 3 O 4495/20, BeckRS 2020, 28189 Rn. 33, beck-online
b. Anwendung von § 313 – 2. und 3. Corona-Welle
Ein Wandel in der Rechtsprechung, was die zuvor noch verhaltene Anwendung von § 313 BGB auf gewerbliche Miet-und Pachtverträge betrifft, lässt sich nach in Kraft treten des Gesetzes vom 22.12.2020 beobachten. So entschied das OLG Dresden Anfang 2021in einer entsprechenden Fallkonstellation, dass zwar kein Sachmangel im Sinne des § 536 Abs. 1 BGB, jedoch regelmäßig eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegen würde, wenn die staatlich angeordnete Schließung einen Monat überschreite.OLG Dresden, Urteil v. 24.02.2021 – 5 U 1782/20, COVuR 2021, 212 (212); zum Thema von Entschädigungsansprüchen aufgrund solcher Schließungen s. Falter, Michael „Mögliche Entschädigungsansprüche wegen Betriebsschließung aufgrund der Corona Virus Pandemie“, https://kommentar.de/Entschaedigungsanspruch-nach-dem-Infektionsschutzgesetz Es könne keiner der Vertragsparteien zugemutet werden, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie alleine zu tragen, da der Eintritt des Coronavirus SARS-CoV-2 weder vorhersehbar gewesen wäre noch eine der Parteien das Risiko für eine staatliche Schließungsanordnung trage.OLG Dresden, Urteil v. 24.02.2021 – 5 U 1782/20, COVuR 2021, 212 (214)
Daran ändere sich auch nichts durch das normative Element der gesetzlichen oder auch vertraglichen Risikoverteilung, welches bei einer schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB zwingend vorliegen muss. Auch wenn das Verwendungsrisiko grundsätzlich beim Mieter liegt, stelle das Risiko einer globalen Pandemie einen besonderen Umstand dar, der weder vollständig in die Pflicht zur Gebrauchsüberlassung des Vermieters falle noch in das Verwendungsrisiko des Mieters.OLG Dresden, Urteil v. 24.02.2021 – 5 U 1782/20, COVuR 2021, 212 (217) Vielmehr liege eine Systemkrise vor, die sich nicht nur auf die Umstände eines einzelnen Vertrags auswirkt, sondern zu einer Veränderung der gesamten wirtschaftlich und sozialen Rahmenbedingungen führt.Finkenauer, in: Münchener Kommentar, a.a.O., § 313 BGB, Rn. 17 Eine solche Störung der großen Geschäftsgrundlage könne regelmäßig nicht dem Risikobereich einer Vertragspartei zugeordnet werden. Dies würde auch durch die Neuregelung in Art. 240 § 7 EGBGB deutlich zum Ausdruck kommen.
Selbst wenn sich dem Vertrag durch Auslegung eine Risikozuweisung entnehmen ließe, wie in der vorgenannten Fallkonstellation etwa aus § 1 Nr. 2 des Mietvertrages:
,,Der Vermieter übernimmt keine Gewähr dafür, dass etwaige erforderliche behördliche Genehmigungen für die Nutzung der Mieträume durch den Mieter erteilt werden, soweit die Genehmigungen nicht aus Gründen versagt werden, die ausschließlich auf der Beschaffenheit der Lage des Mietobjekts beruhen.“OLG Dresden, Urteil v. 24.02.2021 – 5 U 1782/20, COVuR 2021, 212 (212)
steht dies eine Anpassung des Vertrages gemäß § 313 BGB nicht entgegen.OLG Dresden, Urteil v. 24.02.2021 – 5 U 1782/20, COVuR 2021, 212 (217)
Durch das Urteil wird darüber hinaus deutlich, welche Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit zu stellen sind. So ist einem Mieter das Festhalten an dem unveränderten Vertrag nicht lediglich dann unzumutbar, wenn dieser dadurch in eine ,,existenzgefährdende Lage“ gerät, wie es noch von der Vorinstanz des LG Chemnitz angenommen wurde.LG Chemnitz, Endurteil v. 26.08.2020 – 4 O 639/20, BeckRS 2020, 42519 Rn. 29 Das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit bezieht sich vielmehr auf die konkrete Äquivalenzstörung zwischen Leistung und Gegenleistung und nicht darauf, ob der Mieter dadurch in eine finanzielle Notlage gerät.OLG Dresden, Urteil v. 24.02.2021 – 5 U 1782/20, COVuR 2021, 212 (217) Als unzumutbare Äquivalenzstörung wird bei einem Mietverhältnis angesehen, wenn der Mieter mit seiner Zahlungspflicht über einen Monat im Rückstand steht.BGH, Urteil v. 23.07.2008 – XII ZR 134/06, NJW 2008, 3210 (3212) Ein ähnlicher Maßstab müsste auf die behördliche Schließungsanordnung e contrario Anwendung finden und ein grobes Missverhältnis regelmäßig dann vorliegen, wenn der Mieter über einen Monat seine angemietete Fläche nicht in der in dem Vertrag vorgesehenen Weise verwenden kann. Die vertraglich vereinbarte Kaltmiete wird dann im Verhältnis 50:50 gerecht zwischen den Vertragsparteien aufgeteilt, da keine der Parteien die Ursache für eine Störung der Geschäftsgrundlage gesetzt hat, noch der Pandemieeintritt für diese vorhersehbar war.OLG Dresden, Urteil v. 24.02.2021 – 5 U 1782/20, COVuR 2021, 212 (218)
Ungeklärt bleibt jedoch, inwiefern sich staatliche Hilfen, die der Mieter oder Vermieter erhalten hat, auf die Vertragsanpassung im Sinne des § 313 BGB auswirken. In dem vorliegenden Fall ging es um einen Textileinzelhandel, der keine staatlichen Zahlungen erhielt und das Gericht insofern nicht entscheiden musste, ob eine Vertragsanpassung in einem anderen Verhältnis vorzunehmen ist als der gleichmäßigen Aufteilung der Kaltmiete zwischen den Vertragsparteien. Von einer entsprechenden Anpassung ist jedenfalls dann auszugehen, wenn man bedenkt, dass der Mieter anderenfalls doppelt begünstigt würde. Zum einen erhielte er durch den Zuwendungsbescheid die monatliche Kaltmiete in der Höhe der bisherigen Kaltmiete und zum anderen würde seine Miete durch die Ausübung des Gestaltungsrechts um die Hälfte herabgesetzt werden. Andererseits lässt sich diesem Argument damit begegnen, dass der Rechtsgrund von § 313 BGB bzw. die Eröffnung des Tatbestandes des § 313 BGB in solchen Fällen in einer Nutzungsbeeinträchtigung, also einer Störung des Gleichgewichtes von Leistung und Gegenleistung, und nicht darin liegt, ob staatliche Fördergelder ausgezahlt wurden.Römermann, NJW 2021, 265 (268) Denn eine Äquivalenzstörung des Vertragsverhältnisses würde naturgemäß weiterhin auch dann vorliegen, wenn an eine der Vertragsparteien ein staatliches Förderungsgeld ausgezahlt würde, weshalb in der Konsequenz auch eine entsprechende Vertragsanpassung gemäß § 313 BGB vorgenommen werden müsste.Römermann, NJW 2021, 265 (268) Ungeklärt bleibt dabei lediglich die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung. Zu einer ,,Corona-Bereicherung“ wie es Römermann formuliert, hat der Gesetzgeber bisweilen jedenfalls keine Stellung bezogen.Römermann, NJW 2021, 265 (268) Sicherlich hat sich zu dieser ungeklärten Rechtsfrage noch keine hinreichend belastbare Rechtsprechung entwickelt. Die Frage, ob sich die auf eine Vertragsanpassung gem. § 313 BGB pochende Partei im Ergebnis öffentliche Hilfen „anrechnen“ lassen muss, wird Gerichte noch beschäftigen und beschäftigen müssen. Eine allzu schadensersatzrechtliche Betrachtungsweise, den Schuldner nicht besser zu stellen, als ohne das schädigende Ereignis, erscheint in den Fällen des § 313 BGB nicht sachgerecht. Denn die Zielrichtung und die Natur der „staatlichen Hilfen“ gehen nicht dahin, Vermögensschäden auf „null“ bzw. den Status quo zu kompensieren, sondern den Unternehmen eine Stütze in schwierigen Zeiten zu geben. Von einer Übervorteilung oder „doppelten Begünstigung“ kann wohl in keinem Falle gesprochen werden, weil die Vermögenseinbußen aufgrund von längeren Betriebsschließungen gravierender sind als die abfedernden staatlichen Zuwendungen.
Ausblick: Durch den neuen Gesetzesentwurf und die darauf aufbauende Rechtsprechung ist zu erwarten, dass weitere Lösungsansätze entwickelt werden, durch die die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie gleichmäßig auf den Schultern von Mieter und Vermieter aufgeteilt werden. Unter normalen Umständen würde die gesetzliche Risikoverteilung sicherlich einen wichtigen Aspekt darstellen, der gegen eine Anwendung von § 313 BGB sprechen würde. Die globale Corona-Pandemieerfordert hingegen eine andere Betrachtungsweise, wie in dem „Blitzgesetzgebungsverfahren“ vom 22.12.2020 deutlich zum Vorschein trat und dabei ausdrücklich von einer Anwendung des § 313 BGB auf gewerbliche Miet- und Pachtverträge ausgegangen wurde. Art. 240 § 7 EGBGB dahingehend auszulegen, dass sich die Vermutungswirkung lediglich auf das Vorliegen des realen Elements der Störung einer Geschäftsgrundlage beziehe, eine Anwendung jedoch insgesamt aufgrund der gesetzliche Risikoverteilung nicht in Betracht käme, würde wohl eindeutig dem Sinn und Zweck dieser Gesetzesänderung widersprechen.Römermann, NJW 2021, 265 (268)
Gewerbemieter können insofern auf eine gestärkte Handlungsposition bei der Anpassung ihrer monatlichen Kaltmiete in Zeiten der Corona-Pandemie hoffen. Außerdem verspricht der neue § 44 EGZPO zusätzliche Rechtssicherheit, indem Verfahren über die Anpassung der Miete oder Pacht, die im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie stehen, vorrangig und beschleunigt behandelt werden.BT-Drs. 19/25322 S. 15 Konkret bedeutet dies, dass ein früher erster Termin gemäß § 44 Abs. 2 EGZPO spätestens einen Monat nach Zustellung der Klageschrift stattfinden soll. Die Vorschrift findet dabei nicht nur auf Verfahren zur Vertragsanpassung im Sinne des § 313 BGB Anwendung, sondern auch wenn die Anpassung der Miete als Einrede erhoben wird oder die Vertragsanpassung auf einer anderen Anspruchsgrundlage beruht.BT-Drs. 19/25322 S. 15
2. Versicherungsleistung
38Ein Gastronomiebetrieb kann eine Versicherungsleistung wegen coranabedingter Schließung fordern, entschied das LG Magdeburg am 6. Oktober 2020.LG Magdeburg, Urteil v. 06.10.2020 – 31 O 45/20, juris Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung, die sie gegen Schäden einer behördlich angeordneten Betriebsschließung aufgrund des Infektionsschutzgesetzes absichern sollte. Aufgrund der behördlich angeordneten Schließung ihres Restaurantbetriebs in dem Zeitraum vom 23.03.2020 bis zum 03.05.2020 aufgrund des neuartigen Corona Virus SARS-CoV-2 wollte die Klägerin daher Versicherungsschutz in Anspruch nehmen. Die Beklagte verweigerte die Leistung jedoch und berief sich auf den Umstand, dass sie den Vertrag nicht zu diesem Inhalt geschlossen hätte, wenn sie die Veränderungen vorausgesehen hätte und insofern ein Fall des § 313 Abs. 1 BGB vorliegen würde. Der Corona Virus wäre in dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 26.05.2018 noch nicht von dem Infektionsschutzgesetz umfasst gewesen, weshalb eine darauf basierende Schließung auch nicht von dem Versicherungsschutz umfasst sei. Die Beklagte verkennt nach Auffassung des LG Magdeburg dabei jedoch, dass der Vertrag eine dynamische Verweisung auf das Infektionsschutzgesetz enthält und insofern der Zeitraum des streitgegenständlichen Schadens und nicht der Zeitpunkt des Vertragsschlusses von Relevanz ist. Insofern ist es ausreichend, dass das Bundesministerium für Gesundheit das Infektionsschutzgesetz bereits am 30.01.2020 auf das Corona Virus ausgeweitet hat, da der maßgebliche Schaden erst danach eintrat. Schließlich hat die Beklagte mit dem Versicherungsvertrag gerade das Risiko für eine behördlich angeordnete Schließung aufgrund des Infektionsschutzgesetzes übernommen und kann sich daher nicht auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen, weil nun ein solches Risiko tatsächlich eingetreten ist. Auch wenn in dem Vertrag geregelt ist, dass dem Versicherungsnehmer ein Ersatzanspruch nur dann zusteht, wenn dieser keine öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechte beanspruchen kann, so kann dieser Ausschluss nur dann Geltung haben, wenn sich der Versicherungsnehmer durch die Inanspruchnahme der öffentlich-rechtlich gewährten Leistungen tatsächlich – auch dem Staat gegenüber – schadlos hält.
3. Fitnessstudiovertrag und der Mitgliedsbeitrag in einem Golf-Club
39Für den Fall der behördlich angeordneten Fitnessstudioschließung gegen die Ausbreitung des Corona Virus wurde von dem AG Emmendingen entschieden, dass dem Verbraucher ein außerordentliches Kündigungsrecht gemäß § 313 Abs. 3 S. 2 BGB zustehen kann.AG Emmendingen, Urteil v. 02.09.2020 – 7 C 92/20, COVuR 2020, 653 (653) Eine Vertragsanpassung im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB genießt zwar grundsätzlich den Vorrang, auch bei einem Dauerschuldverhältnis wie dem Fitnessvertrag, jedoch nicht, wenn einer der Vertragsparteien ein Festhalten an dem Vertrag unzumutbar ist.AG Emmendingen, Urteil v. 02.09.2020 – 7 C 92/20, COVuR 2020, 653 (654) Dies ist nicht automatisch der Fall, wenn die Partei den Vertrag in Voraussicht der Corona Pandemie nicht mit diesem Inhalt geschlossen hätte. Allerdings liegt ein Fall der Unzumutbarkeit vor, wenn bei der Betrachtung des hypothetischen Parteiwillens in Kenntnis der geänderten Umstände offensichtlich ist, dass die Partei den Vertrag auch nicht geschlossen hätte, wenn der Vertrag auf die Umstände angepasst worden wäre.OLG Saarbrücken, Urteil v. 04.10.2012 – 8 U 391/11-106, NJW 2012, 3731 (3734); Finkenauer, in: Münchener Kommentar, BGB, § 313 BGB, Rn. 105 Daran ändert sich auch nichts, wenn der Fitnessstudiobetreiber seinen Mitgliedern als Ausgleich für die wöchentliche Beitragszahlung einen angemessenen Gutschein für anschließende beitragsfreie Monate ausstellt. Schließlich muss der Verbraucher auch nach der erneuten Öffnung des Fitnessstudios mit Einschränkungen rechnen, wie vorliegend die Saunen und die Duschen nicht nutzen zu können, das Training auf eine Stunde zu beschränken und die benutzten Geräte anschließend zu desinfizieren.AG Emmendingen, Urteil v. 02.09.2020 – 7 C 92/20, COVuR 2020, 653 (655) Durch die sofortige Kündigung hat der Kläger deutlich zum Ausdruck gebracht, dass dieser den Vertrag nicht geschlossen hätte, wenn er gewusst hätte, dass die Nutzung des Fitnessstudios mehrere Monate nicht möglich sein würde.
Etwas anderes gilt für den Mitgliedsvertrag in einem Golf Club. In diesem Fall geht das Mitglied von vornherein davon aus, dass es die Golfanlage witterungsbedingt nicht in dem gesamten beitragspflichtigen Zeitraum nutzen kann.AG Nürtingen, Urteil v. 17.07.2020 – 44 C 2310/20, BeckRS 2020, 21390, 19 So beläuft sich die Golfsaison meistens auf den Zeitraum von April bis November, die Mitglieder bezahlen jedoch das ganze Jahr über die Mitgliedsbeiträge, da die Kosten für den Erhalt des Golfplatzes auch in den Wintermonaten anfallen. Zwar könnte auch hier der hypothetische Willen der Mitglieder so ausgelegt werden, dass diese den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie gewusst hätten, dass sie den Platz nicht nur in den Wintermonaten nicht benutzen können, sondern aufgrund der Corona Pandemie auch nicht in den Monaten April und Mai.AG Nürtingen, Urteil v. 17.07.2020 – 44 C 2310/20, BeckRS 2020, 21390, 25 Allerdings ist die vertragliche Risikoverteilung vorliegend eine andere, als bei dem Fitnessstudiovertrag. So heißt es beispielsweise in dem Mitgliedsvertrag des vorliegenden Urteils, dass Aufnahme- oder Spielrechtsgebühren nicht erstattet werden, weil die Spiel- und Nutzungsberechtigungen nicht in Anspruch genommen werden.AG Nürtingen, Urteil v. 17.07.2020 – 44 C 2310/20, BeckRS 2020, 21390, 22 Das Risiko der Nichtnutzung liegt vorliegend daher eindeutig auf der Seite der Mitglieder. Etwas anderes könnte sich lediglich ergeben, wenn eine der Parteien die Folgen der Corona-Pandemie dadurch gänzlich alleine trägt und dieser dadurch eine Existenzvernichtung droht.OLG Karlsruhe, Urteil v. 15.05.1992 – 15 U 297/91, NJW 1992, 3176 (3177); AG Nürtingen, Urteil v. 17.07.2020 – 44 C 2310/20, BeckRS 2020, 21390, 25 Dies ist vorliegend jedoch nicht ersichtlich, da die Mitglieder auch bei einer Bespielbarkeit des Platzes die gleichen Ausgaben gehabt hätten.AG Nürtingen, Urteil v. 17.07.2020 – 44 C 2310/20, BeckRS 2020, 21390, 25 Vielmehr könnte der Betreiberin des Golfclubs durch die fehlenden Beiträge eine Existenzvernichtung drohen, da diese die Instandhaltung der Golfanlage weiterhin finanzieren muss. Diese Kosten bleiben unabhängig davon bestehen, ob die Mitglieder die Golfanlage benutzen. Vielmehr muss die Betreiberin noch auf Einnahmen verzichten, da Golfkurse und Ähnliches entfallen. Schließlich erwarten die Mitglieder umgekehrt eine gepflegte Golfanlage, wenn die Nutzung der Golfanlage wieder möglich ist. Insofern ist es den Mitgliedern auch zumutbar, die Mitgliedsbeiträge weiterhin zu erbringen.
4. Reiserecht
a) Pauschalreiserecht
40Im Pauschalreiserecht kann eine Störung der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB in den Fällen Anwendung finden, in denen eine kostenlose Kündigung gemäß § 651h III BGB von vornherein ausgeschlossen ist, da die außergewöhnlichen Umstände nicht in dem Zielgebiet selbst, beispielsweise in Form einer Reisewarnung begründet liegen. Zu dieses Fällen zählt die behördlich angeordnete sowie die freiwillige Quarantäne und die Einstufung Deutschlands als Risikogebiet durch das Zielgebiet.Tonner, in: MDR 2020, 519, 520 (521) Als Rechtsfolge von § 313 BGB könnte in diesem Fall die Halbierung der Stornogebühren in Betracht kommen, da grundsätzlich jede Partei das Verwendungsrisiko selbst trägt und keine der Vertragsparteien insofern die veränderten Umstände durch das Corona Virus zu vertreten hat.Tonner, in: MDR 2020, 519, 520 (521)
b) Luftbeförderungsvertrag
41Bei einem Luftbeförderungsvertrag finden die Grundsätze der Geschäftsgrundlage keine Anwendung, da der Luftbeförderungsvertrag durch die spezielleren Regelungen des Werkvertragsrechts und der FluggastrechteVO geregelt ist.
c) Beherbergungsvertrag
42Für den Beherbergungsvertrag kommt eine Anwendung von § 313 BGB in Betracht, wenn eine Übernachtung in der Unterkunft grundsätzlich möglich ist, der Gast jedoch aufgrund eines Einreiseverbotes nicht zu der Unterkunft gelangt.Staudinger/ Achilles-Pujol, in: RRa 2020, 154 (163) Soweit die Anreise nicht Vertragsbestandteil des Beherbergungsvertrages geworden ist, kann der Schuldner die Leistung weiterhin erbringen und es liegt insofern keine Unmöglichkeit vor.Staudinger/ Achilles-Pujol, in: RRa 2020, 154 (163) Es könnte jedoch eine Störung der Geschäftsgrundlage in Betracht kommen, da diese Konstellation vergleichbar mit der Situation ist, in der Gäste aufgrund einer Naturkatastrophe nicht an die Unterkunft gelangen können.Staudinger/ Achilles-Pujol, in: RRa 2020, 154 (163) In diesen Fällen wurde von der Rechtsprechung eine Vertragsanpassung oder Kündigung auf der Grundlage des § 313 BGB für möglich erachtet, da das Ereignis von keiner der Vertragsparteien beherrschbar ist.AG Viechtach, Urteil v. 30.11.2006 – 2 C 463/06, NJOZ 2007, 5068 (5070) Zu bejahen dürfte eine Anwendung von § 313 BGB für solche Beherbergungsverträge sein, die an eine Veranstaltung gekoppelt waren, die Corona-bedingt ausgefallen ist. Denkbar ist z.B., dass ein Hotelzimmer an einem Ort gebucht wurde, um ein Konzert oder eine Veranstaltungsreihe besuchen zu können und dieser Umstand sowohl vom Hotelier als auch vom Gast zur Grundlage der Buchung gemacht wurde.
5. Arbeitsrecht (Home-Office)
43Sowohl für den Arbeitgeber als auch den Arbeitnehmer könnte aus § 313 BGB ein Recht begründet werden, das den Arbeitnehmer verpflichtet, die Arbeitsleistung weisungsgebunden im Home-Office zu erbringen.Weller/Lieberknecht/Habrich, in: NJW 2020, 1017 (1018) Diese Regelung ist auf Arbeitgeberseite neu, da das Weisungsrecht des Arbeitgebers grundsätzlich nur auf den im Arbeitsvertrag genannten Ort der Leistungserfüllung beschränkt ist.Gröne, in: NZA-RR 2019, 287 (287). Die besonderen Umstände des Corona-Virus lassen es jedoch notwendig erscheinen, das Weisungsrecht auch auf den Wohnraum des Arbeitnehmers auszudehnen.Gröne, in: NZA-RR 2019, 287 (287). Ebenso könnte für den Arbeitnehmer aus § 313 BGB ein Anspruch auf Home-Office in Form einer Anpassung des vertraglich vereinbarten Leistungsortes begründet werden, wenn dieser die Arbeitsleistung auch von Zuhause erbringen kann und anderenfalls einem Infektionsrisiko ausgesetzt ist.Gröne, in: NZA-RR 2019, 287 (287) Zum Zeitpunkt der Erstellung der Kommentierung (16.04.2021) besteht für den Arbeitnehmer auf der Grundlage der aktuellen Corona-Arbeitsschutzverordnung sogar ein zwingendes Recht auf Home-Office, wenn keine wichtigen betriebsbedingten Gründe dagegenstehen.Die Bundesregierung, Homeoffice-Regelung wird verlängert, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/verordnung-zu-homeoffice-1841120 , Stand: 16.04.2021