§ 823 Schadensersatzpflicht
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
Für den Rechtsverkehr
(für Nichtjuristen)
zum Expertenteil (für Juristen)
Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle
1Bei
Normzweck ist die Sanktionierung von Handlungen, durch die fremde Rechtsgüter geschädigt werden. Zudem kommt der Norm in Verbindung mit den Grundsätzen des Schadensrechts Ausgleichs-, Genugtuungs- und Präventionswirkung zu.
Mit
Exkurs Verkehrsunfälle
Ob der Tatbestand des
Tatbestand des
Beispielsfall:
Auf einer stark befahrenen Verkehrskreuzung in der Innenstadt ereignete sich ein schwerer Verkehrsunfall zwischen einem Pkw und einem Linienbus mit hohem Sach- und Personenschaden.
Rechtsgutsverletzung
Leben
Bei dem Verkehrsunfall fuhr der Fahrer F des Pkw von links kommend in die vordere Seite des Busses (Fahrerseite). Der Busfahrer erlag seinen Verletzungen im Krankenhaus. Sein Recht auf Leben ist verletzt.
Körper und Gesundheit
Eine Körperverletzung erkennt man an der Schädigung der körperlichen Substanz, z.B. durch eine Wunde, während die Gesundheitsbeeinträchtigung den inneren Zustand betrifft, der vom Normalzustand abweicht. Häufig liegt in einer Verletzungshandlung sowohl eine Körperverletzung, als auch eine Gesundheitsbeeinträchtigung.
Durch den Aufprall wurden auch viele Insassen des Busses verletzt. So wurde die A von einem durch die Luft fliegenden Glassplitter getroffen, der in ihrem Oberarm stecken blieb und starke Blutungen verursachte. In diesem Fall ist die körperliche Substanz verletzt und es liegt zumindest eine Körperverletzung vor.
Wenn es durch den Glassplitter zusätzlich zu einer Blutvergiftung der A kommen würde, könnte man zusätzlich von einer Gesundheitsbeeinträchtigung sprechen.
Der Passagier B stieß mit dem Kopf heftig gegen die Fensterscheibe und erlitt dabei eine Gehirnerschütterung. In diesem Fall liegt eine Gesundheitsschädigung vor, wobei sich nach allgemeiner Erfahrung wohl auch eine Schwellung und ein Hämatom zeigen wird und damit gleichzeitig eine Substanzverletzung bejaht werden kann.
Passagier C erleidet einen Schock. Auch er wurde in seiner Gesundheit verletzt. Es ist folglich unerheblich, ob der Betroffene physisch oder psychisch verletzt wurde. Beides ist von der Vorschrift umfasst.
Freiheit
F war kurz vor dem Unfall bei seiner Ex-Freundin zu Besuch, die sich frisch von ihm getrennt hatte. F wollte mit ihr über den Verbleib des gemeinsamen Sohnes S reden. Die Diskussion eskalierte und F nahm S gegen seinen Willen mit ins Auto und fuhr davon. Da S aus dem fahrenden Auto nicht fliehen kann, ohne seinerseits schwer verletzt zu werden, ist er in seiner körperlichen Fortbewegungsfreiheit verletzt. In diesem Fall ist kein Vermögensschaden entstanden, es könnte aber ein Anspruch auf Schmerzensgeld gem.
Eigentum
Der Linienbus, der im Eigentum des städtischen Verkehrsunternehmens stand, trug durch den Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des F erhebliche Blechschäden an der vorderen linken Fahrzeugseite davon, mehrere Fensterscheiben sind zerborsten und die technischen Vorrichtungen der Fahrerkabine größtenteils nicht mehr zu gebrauchen. Wegen dieser Eigentumsverletzung kann die Stadt gegen F vorgehen.
Sonstiges Recht
Der Fahrgast C saß vor dem Aufprall auf einem 4-er Sitz im hinteren Busbereich. Er hatte ein hochmodernes Notebook auf dem Schoß und arbeitete damit. Das Notebook hatte er vor 3 Monaten unter Vereinbarung von 12 Monatsraten und einem Eigentumsvorbehalt von einem Elektro-Fachhändler gekauft. Gegenstand dieses Eigentumsvorbehaltskaufs war die Vereinbarung, dass das Eigentum an dem Notebook erst mit Zahlung der letzten Kaufpreisrate auf C übergehen sollte. Er hat erst 3 Raten beglichen, sodass er noch kein Eigentümer geworden ist. Infolge des Aufpralls wurde das Notebook zur Seite geschleudert und prallte gegen eine Haltestange, sodass auf dem Display nichts mehr zu erkennen war. Für C besteht die Möglichkeit, die Kosten für die Reparatur des Notebooks oder für die Ersetzung durch ein neues Gerät gem.
Verletzungshandlung
Die Verletzungshandlung kann in einem aktiven Tun oder auch in einem Unterlassen liegen. Die Unterscheidung richtet sich nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit im Einzelfall. Für die Vorwerfbarkeit eines Unterlassens muss aber zumindest eine konkrete Handlungspflicht des Schädigers bestanden haben.
Eine solche Pflicht besteht dann, wenn der Schädiger für den Eintritt eines Schadens in besonderer Weise verantwortlich ist, etwa weil er die Gefahrenquelle selbst geschaffen hat. Herausragende Bedeutung kommt insofern den sogenannten Verkehrssicherungspflichten zu. Eine Handlungspflicht kann aber auch in Form einer sogenannten Garantenpflicht bestehen, wenn der Schädiger für den Geschädigten in besonderer Weise verantwortlich ist, weil er zum Beispiel aufsichtspflichtig ist. Besondere Sorgfaltspflichten hat daher auch der Arzt gegenüber seinen Patienten.
Verletzung durch aktives Tun:
An der Unfallkreuzung befand sich eine Lichtzeichenanlage, die für F Rotlicht anzeigte. F fuhr gleichwohl auf die Kreuzung und es kam zu dem Zusammenstoß der Fahrzeuge. Es stellt sich nun die Frage, ob ihm ein Tun oder Unterlassen vorgeworfen werden kann. Für ein Unterlassen könnte sprechen, dass er es unterlassen hat, die Lichtzeichenanlage zu beachten. Als Verkehrsteilnehmer wäre er dazu jedoch nach den Regelungen der StVO (Straßenverkehrsordnung) verpflichtet gewesen. Gegen die Annahme eines Unterlassens spricht, dass es allein durch die Nichtbeachtung des Rotlichts noch nicht zu einer Rechtsgutsverletzung kam. Diese ist erst dadurch eingetreten, dass F sein Fahrzeug auf die Kreuzung steuerte und gegen den Bus fuhr. Somit liegt die Vorwerfbarkeit in einem aktiven Tun des F.
Verletzung durch Unterlassen:
Arzt A hat die Patientin P, die mit starken Rückenschmerzen in seine Sprechstunde kam, mit Schmerzmitteln nach Hause geschickt. Nachdem P sich zwei Wochen später eine zweite Meinung eingeholt hatte, stellte sich heraus, dass sie eine Rückenmarksverletzung hat, die operiert werden muss. A hat es unterlassen, P ordnungsgemäß und umfassend über ihr Krankheitsbild aufzuklären. Es handelt sich um einen Behandlungsfehler. P kann für die Schmerzen, welche sie in den 2 Wochen zwischen den Arztbesuchen erlitten hat, vor Gericht Schmerzensgeld gegen A geltend machen.
Rechtswidrigkeit
Die Rechtsgutsverletzung muss „widerrechtlich“ gewesen sein. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist die tatbestandmäßige Handlung, also das Herbeiführen einer Rechtsgutsverletzung, bereits ein Indiz für die Rechtswidrigkeit. Wenn also keine anerkannten Rechtfertigungsgründe wie z. B. Notwehr gem.
Bei dem Verkehrsunfall hat F durch das Einfahren in den Kreuzungsbereich tatbestandsmäßig gehandelt. Ein Rechtfertigungsgrund ist nicht ersichtlich, daher ist die Rechtswidrigkeit zu bejahen.
Verschulden
Unter Verschulden versteht man individuelle Zurechenbarkeit. Die Rechtsgutsverletzung muss dem Schädiger zuzurechnen sein. Der Wortlaut des
Im vorliegenden Ausgangsfall ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass F den Verkehrsunfall herbeiführen wollte oder die Möglichkeit in Betracht zog, dass es zu dem Unfall kommen könnte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er die Lichtzeichenanlage aus Unachtsamkeit übersehen hat. Der Straßenverkehr birgt besonders große Gefahren für hohe Rechtsgüter wie Leib und Leben. Daher ist eine erhöhte Sorgfalt aller Verkehrsteilnehmer erforderlich. Diese hat F missachtet und somit fahrlässig gehandelt.
Kausalität
Unter Kausalität versteht man die Ursächlichkeit des Handelns des Schädigers. Es muss sowohl für die Rechtsgutsverletzung, als auch für den Schaden ursächlich sein.
Erforderlich ist, dass die Handlung des Schädigers generell geeignet gewesen sein muss, die in Frage stehende Verletzung herbeizuführen. Strittig ist das beispielsweise häufig bei Personenschäden aufgrund von Verkehrsunfällen. Hier stellt sich die Frage, ob der Unfallmechanismus geeignet war, die Verletzung hervorzurufen.
Hätte F sein Fahrzeug nicht auf die Kreuzung und gegen den Linienbus gesteuert, wäre es nicht zu dem Verkehrsunfall gekommen und der Busfahrer wäre nicht verstorben, A und B wären nicht verletzt worden, usw. Für jeden einzelnen Unfallbeteiligten, der Ansprüche gegen F geltend macht, ist die Kausalität zu prüfen.
Schaden
Über die Voraussetzung des Schadens wird die Verknüpfung mit dem Schadensrecht der §
Ein materieller Schaden kann in Geld ausgedrückt und gem.
Passagierin A hat durch den Glassplitter in ihrem Oberarm starke Schmerzen erlitten. Außerdem ist ihre neue weiße Bluse im Wert von 200 € von dem Glassplitter durchtrennt worden und blutgetränkt. A kann vom Unfallverursacher F 200 € Schadensersatz für die Bluse gem. §
Der übliche Ablauf ist ein außergerichtliches Schadensregulierungsverfahren der Versicherungen von A und F, gegebenenfalls unter anwaltlicher Beteiligung, in dem man sich auf die Zahlung eines bestimmten Betrags einigt. Wenn keine Einigung zustande kommt, kann A den F verklagen.
Tatbestand des
Die deliktische Haftung nach
Erforderlich ist, dass der Schädiger gegen ein Gesetz verstößt, welches den Schutz des Geschädigten bezweckt.
Schutzgesetz
Der Wortlaut des
Bei dem Verkehrsunfall kommt für den F unter anderem der Vorwurf der fahrlässigen Tötung des Busfahrers gem.
Auch die Missachtung des Rotlichts durch F könnte durch ein Schutzgesetz abgedeckt sein. Sie stellt einen Verstoß gegen
Ein vor einem privaten Wohnhaus vom Hauseigentümer aufgestelltes Schild mit der Aufschrift „Achtung spielende Kinder!“ soll die Kinder, die in der Nähe des Schildes in Straßennähe spielen, vor verkehrstypischen Gefahren schützen. Das Schild ist zwar ein gut gemeinter Hinweis, entfaltet aber keine Verbindlichkeit für vorbeifahrende Fahrzeuge. Ein Gesetz kann nur hoheitlich, also vom Staat erlassen werden. Da das Schild hier von einer Privatperson aufgestellt wurde, handelt es sich nicht um ein Schutzgesetz im Sinne des
Schutzgesetzverletzung
Das Schutzgesetz muss durch den Schädiger verletzt worden sein.
F hat durch das Fahren gegen den Bus den Tod des Busfahrers herbeigeführt. Er handelte dabei fahrlässig (s.o.). Der Tatbestand des
F ist ohne Beachtung der Lichtzeichenanlage in die Kreuzung eingefahren. Da die Anlage „Rot“ anzeigte, hat er gegen
Rechtswidrigkeit
Die Verletzungshandlung muss auch rechtswidrig gewesen sein, was durch die Schutzgesetzverletzung indiziert wird. Diesbezüglich ergeben sich keine Unterschiede zu
Verschulden
Auch
F hat als Halter seines Fahrzeugs durch die Herbeiführung des Unfalls gegenüber A zugleich den Tatbestand des
Schaden
Auch
Expertenhinweise
(für Juristen)
1) Allgemeines
2
Das Deliktsrecht hat im Allgemeinen die Einstandspflicht für schuldhaftes Unrecht zum Gegenstand. Die §
2) Definitionen
a) Tatbestand des § 823 I BGB
aa) Rechtsgutsverletzung
(1) Leben
3Das Leben ist das höchste Rechtsgut in unserer Rechtsordnung. Es wird durch Art. 2 II 1 GG geschützt. Dieser grundrechtliche Schutz wird durch den Ersatzanspruch aus
3) Abgrenzungen, Kasuistik
36Besteht zwischen Geschädigtem und Schädiger ein vertragliches Verhältnis, so begründet sich ein Schadensersatzanspruch vorrangig daraus.
Eine deliktsrechtliche Haftung kann sich aus verschuldetem Unrecht ergeben, dies vorrangig aus
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, etwa aus
Zuletzt kann die Pflicht zur Leistung von Schadensersatz aus Anspruchsgrundlagen folgen, denen eine Gefährdungshaftung zugrunde liegt, z. B.
Darüber hinaus können neben
4) Zusammenfassung der Rechtsprechung
Zum Verkehrsunfall:
- BGH NJW 2013, 3634, 3635
- BGH NJW 1978, 2154, 2156
- BGH NJW 2014, 2493
- OLG Köln, NZV 2017, 33
- OLG Saarbrücken NZV 2018, 218
- OLG Brandenburg NJOZ 2019, 1572, 1573
Zur Arzthaftung:
- BGH NJW 2005, 2614, 2615 und 1716, 1717
- BGH Urt. v. 03.02.1976 – VI ZR 235/74
- BGH NJW 2000, 2741, 2742
- BGH NJW-RR 2007, 310 f.
- BGH NJW 2011, 1088, 1089
- OLG Bamberg, VersR 2012, 725
5) Literaturstimmen
- Born in NZV 2016, 545 ff.: Frankenstein oder Pretty Woman: gleiches Recht für alle? Die Auswirkungen von Geschlecht und Alter auf die Höhe des Schmerzensgeldes
- Canaris in VersR 2005, 577 ff.: Grundstrukturen des deutschen Deliktsrechts
- Förster in: Hau/Poseck BeckOK BGB, 56. Edition, 01.11.2020
- Hausch in VersR 2007, 167 ff.: Beweisprobleme bei der therapeutischen Aufklärung
- Mäsch in NJW 2013, 1354 ff.: Demokratisches Schamanentum in Wahlkampfzeiten, Risiken und Nebenwirkungen des Patientenrechtegesetzes
- Musielak in JA 2013, 241 ff.: Kausalität und Schadenszurechnung im Zivilrecht
- Neumann in JA 2016, 167 ff.: Die Haftung bei Verkehrsunfällen – eine Einführung
- Raab in JuS 2002, 1041 ff.: Die Bedeutung der Verkehrspflichten und ihre systematische Stellung im Deliktsrecht
- Rädler in NJW 1998, 1621 ff.: Art. 3 III GG als Schutzgesetz i. S. von
§ 823 II BGB? Zur Renaissance der unmittelbaren Drittwirkung in der Gestalt des Schutzgesetzes - Roßner in NJW 1990, 2291 ff.: Verzicht des Patienten auf eine Aufklärung durch den Arzt
- Reinkenhof in JuS 2002, 645 ff.: Parteivernehmung und „Vier-Augen-Gespräche“ – BVerfG, NJW 2001, 2531 -
- Schwab in JuS 2016, 1030 ff.: Schuldrecht BT: Kein hypothetisches Einverständnis mit anderem als dem vorgesehenen Operateur
6) Häufige Paragraphenketten
§ 823 I BGB,§ 249 ff. BGB§ 823 II BGB,§ 249 ff. BGB§ 823 II in Verbindung mit Normen des StGB§ 823 II in Verbindung mit Normen des StVG
7) Prozessuales
a) Arzthaftungsrecht
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