Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Benedikt Quarch, Marie-Christine Heuer / § 648
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§ 648 Kündigungsrecht des Bestellers

Der Besteller kann bis zur Vollendung des Werkes jederzeit den Vertrag kündigen. Kündigt der Besteller, so ist der Unternehmer berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Es wird vermutet, dass danach dem Unternehmer 5 vom Hundert der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung zustehen.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

1§ 648 BGB stellt eine spezielle Kündigungs- und Abwicklungsnorm im Werkvertragsrecht dar. Sie versucht einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zwischen Unternehmer und Besteller zu regeln. Es kann vorkommen, dass der Besteller unter Umständen vor Vollendung des Werkes das Interesse an der Vollendung des Werkes verliert. In diesem Fall soll er sich nach § 648 S. 1 BGB von dem Vertrag frei lösen können, ohne dass ein besonderer Kündigungsgrund vorliegt. Der Unternehmer kann dieser freien Kündigung nicht entgegenwirken. Dies ist allerdings auch nicht nötig. Sein Interesse liegt in der Regel nicht in der Vollendung des Werkes, sondern vielmehr in dem Erhalt der Vergütung. § 648 S. 2, S. 3 BGB sprechen ihm daher einen besonderen Vergütungsschutz zu, sodass er weiterhin eine im Verhältnis zur erbrachten Leistung angemessene Vergütung erhält. Dadurch wird garantiert, dass bei der durch die freie Kündigung ausgelösten Rückabwicklung weder der Besteller noch der Unternehmer Vorteile erhält oder Nachteile erleidet.

§ 648 BGB ist im gesamten Werkvertragsrecht anwendbar. Neben den klassischen Bereichen des Bau-, Architekten- und Ingenieurvertrags findet § 648 BGB daher auch auf den Luftbeförderungsvertrag Anwendung. Bei einer vorzeitigen Kündigung durch den Flugpassagier kann dieser somit nach § 648 BGB zumindest einen Teil des Flugpreises – die sog. Steuern, Gebühren und Zuschläge – zurückverlangen.OLG Düsseldorf, U. v. 23.7.2020 – I-16 U 99/20; Ehlen/Quarch, NZV 2018, 117 (122); Schmidt/Puschkarski, NJW 2018, 657 (658) 

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

2§ 648 BGB entspricht den Regelungen des § 649 a.F. und regelt ein eigenständiges "freies" Kündigungsrecht des Bestellers. Dem Unternehmer wird dagegen in § 643 BGB ein Kündigungsrecht zugesprochen.
Die Vorschrift spricht dem Besteller im Werkvertragsrecht ein besonderes Kündigungsrecht zu. Im Unterschied zu dem allgemeinen Kündigungsrecht bei Dauerschuldverhältnissen nach §

2) Definitionen

§ 648 BGB lässt sich in zwei wesentliche Bereiche unterteilen. § 648 S. 1 BGB bestimmt die Voraussetzungen für das Kündigungsrecht. § 648 S. 2 BGB und § 648 S. 3 BGB regeln dagegen die besonderen Rechtsfolgen, sofern das Kündigungsrecht wirksam ausgeübt wird.

a) Voraussetzungen des § 648 S. 1 BGB

§ 648 S. 1 BGB setzt voraus, dass ein Werkvertrag gekündigt wird.

aa) Werkvertrag

3Es bedarf zunächst des Abschlusses eines wirksamen Werkvertrages.MüKOBGB/Busche, BGB, Aufl. 8 (2020), § 648 Rn. 4 
Ein solcher Werkvertrag kann insbesondere auch ein (Luft-)Personenbeförderungsvertrag sein. Der BGH stellte klar, dass die Vorschriften des Werkvertrages auch auf den (Luft-)Personenbeförderungsvertrag anwendbar sind.

So stellte der BGH in seiner Entscheidung vom 21.12.1973 – IV ZR 158 / 72 fest:

„Unzweifelhaft ist allgemein der entgeltliche Transportvertrag nach deutschem Recht Werkvertrag. Der Luftbeförderungsvertrag weist (…) keine Besonderheiten auf, die eine abweichende rechtliche Qualifizierung erforderlich machen könnten. (…) Das - auch bei der Personenbeförderung zu Land und Wasser gegebene - Vorkommen atypischer, auf unentgeltliche Beförderung gerichteter Beförderungsverträge rechtfertigt es nicht, die Qualifizierung des entgeltlichen Luftbeförderungsvertrags als Werkvertrag aufzugeben.“BGH, Urt. v. 21.12.1973, NJW 1974, 852 (853); diese Rspr. gilt bis heute, vgl. Ehlen/Quarch, NZV 2018, 117 

bb) Kündigung
(1) Form der Kündigung

4Ferner bedarf es einer wirksamen Kündigung. Die Kündigung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung.Jauernig/Mansel, BGB, Aufl. 17 (2018), § 648 Rn. 4 Diese kann auch formlos durch schlüssiges Verhalten erklärt werden, indem der Besteller zum Beispiel unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass er auf jede weitere Tätigkeit des Unternehmers verzichtet.OLG Hamm, Urt. v. 21.02.1992, NJW-RR 1992, 889 (889) So ist der Nichtantritt eines Fluges die Kündigung des Flugbeförderungsvertrags.Allg. M., vgl. z.B. AG Erding, BeckRS 2020, 5365 Die Kündigung wird auch dann konkludent erklärt, wenn ein Drittunternehmen mit den weiteren Werkleistungen beauftragt wird.OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.09.2001, NZBau 2002, 514 (515) Eine außerordentliche Kündigung ist in der Regel dahingehend zu verstehen, dass damit zugleich auch eine freie Kündigung nach § 648 BGB gewollt ist.BGH, Urt. v. 24.07.2003, NJW 2003, 3474 (3474) 

(2) Frist der Kündigung

5§ 648 S. 1 BGB regelt, dass die Kündigung jederzeit bis zur Vollendung des Werkes erklärt werden kann. Daraus ergibt sich die zeitliche Grenze für die Ausübung des Kündigungsrechts.

Die Kündigung ist demnach von Beginn des Vertrages an möglich.BeckOK/Voit, BGB, Edit. 55 (2020), § 648, Rn. 2 Die Kündigung ist auch dann schon möglich, wenn der Werkvertrag unter einer Bedingung geschlossen wurde und die Bedingung noch nicht eingetreten ist. Ein Kündigungsrecht muss dem Besteller auch dann zustehen, wenn er das Interesse bereits vor Eintritt der Bedingung verloren hat, da er andernfalls an einem schwebend wirksamen Vertrag enger festgehalten werden würde, als an einem bereits voll wirksamen Werkvertrag.OLG Brandenburg, Urt. v. 11.11.1997, NJW-RR 1998, 1746 (1747) 

Das Kündigungsrecht erlischt mit Vollendung des Werkes. Inwiefern ein Werk vollendet ist, bestimmt sich nach den für § 646 BGB geltenden Kriterien.MüKOBGB/Busche, BGB, Aufl. 8 (2020), § 648 Rn. 11 Demnach ist das Werk vollendet, wenn es im Wesentlichen als vertragsgemäß hergestellt anzusehen ist, mithin alle geschuldeten Leistungen erbracht wurden.MüKOBGB/Busche, BGB, Aufl. 8 (2020), § 646 Rn. 3 Sofern das Werk Mängel aufweist, ist zu differenzieren: Ist der Mangel unbehebbar, gilt das Werk als vollendet. Eine Kündigung im Sinne des § 648 S. 1 BGB kann nicht mehr erklärt werden. Ist der Mangel dagegen behebbar, so gilt das Werk nicht als vollendet im Sinne des § 648 S. 1 BGB, und eine Kündigung ist weiterhin möglich.OLG Dresden, Urt. v. 16.10.1997, NJW 1998, 882 (882) An Stelle der Vollendung tritt bei abnahmefähigen Werken die Abnahme. Sollte das Werk von dem Besteller abgenommen werden, richtet sich die Kündigung nicht nach der Vollendung, sondern ist bis zur Abnahme des Werkes möglich.Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2014, § 649 Rn. 14 

Die freie Kündigung nach § 648 S. 1 BGB unterliegt keiner Kündigungsfrist – dies gilt auch dann, wenn es sich bei dem Werkvertrag um ein Dauerschuldverhältnis handelt.

b) Rechtsfolgen der § 648 S. 2 BGB und § 648 S. 3 BGB

6Die Rechtsfolgen der §§ 648 S. 2, S. 3 BGB dienen der Vorteilsausgleichung und zielen darauf ab, zwischen den widerstreitenden Interessen des Bestellers und des Unternehmers einen gerechten Ausgleich herbeizuführen.BGH, Urt. v. 20.03.2018, NJW 2018 2039 (2040) Die Vorschriften stellen sicher, dass der Unternehmer keine Nachteile durch die Kündigung erleiden soll.BGH, Urt. v. 20.03.2018, NJW 2018 2039 (2040) Zugleich garantieren sie allerdings auch, dass der Unternehmer keine Vorteile durch die Kündigung zieht.BGH, Urt. v. 20.03.2018, NJW 2018, 2039 (2040) 

aa) Rechtsfolgen des § 648 S. 2 BGB

7Durch die freie Kündigung des Bestellers wird der Unternehmer für die Zukunft von seiner Leistungspflicht befreit.BGH, Urt. v. 20.03.2018, NJW 2018, 2039 (2040) Da der Unternehmer keinerlei Einfluss auf die freie Kündigung durch den Besteller hat, regelt § 648 S. 2 BGB zum Schutze des Unternehmers, dass diesem im Falle einer freien Kündigung des Bestellers ein Anspruch auf die Vergütung zusteht. Hierbei ist zwischen einer Vergütung für bereits erbrachte Leistungen und einer Vergütung für noch nicht erbrachte Leistungen unterschieden werden.

(1) Vergütung von erbrachten Leistungen

8Für die bereits erbrachten Leistungen behält der Unternehmer den diesbezüglichen Vergütungsanspruch.BGH, Urt. v. 20.03.2018, NJW 2018, 2039 (2040) Das bedeutet, dass der Unternehmer für das teilweise erbrachte Werk eine Teilvergütung geltend machen kann. Diese bestimmt sich nach § 645 BGB. Die Teilvergütung entspricht dem Anteil des bereits teilweise errichteten Werks im Verhältnis zum Gesamtwerk.BeckOK/Hau/Poseck, BGB, 55. Edition (2020), § 645, Rn. 24 

Hinsichtlich der im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht erbrachten Leistungen kann der Unternehmer eine anteilige Vergütung abzüglich der ersparten Aufwendungen geltend machen,BeckOK/Hau/Poseck, BGB, 55. Edition (2020), § 648, Rn. 15 so dass ihm letztlich eine Kompensation seines entgangenen Gewinns zusteht.BGH, Urt. v. 20.03.2018, NJW 2018, 2039 (2040) 

(2) Vergütung von noch nicht erbrachten Leistungen

9Zur Bestimmung der Vergütungshöhe ist wie folgt vorzugehen: Zunächst muss die Gesamtvergütung für die erbrachten und die nicht erbrachten Leistungen ermittelt werden. Sofern keine Pauschalvergütung vereinbart wurde, obliegt es dem Unternehmer, die Gesamtvergütungshöhe darzulegen.BeckOK/Hau/Poseck, BGB, 55. Edition (2020), § 648, Rn. 15 Hiervon ist die Teilvergütung, die bereits für die getätigten Leistungen erbracht werden muss, abzuziehen. Die verbliebende Vergütung verringert sich um die Höhe der entsprechenden Umsatzsteuer, da diese nicht mehr zu entrichten ist.BGH, Urt. v. 22.11.2007, NJW 2008, 1522, 1523 Von der verbliebenden Vergütung sind zudem die ersparten Aufwendungen und der Erwerb aus anderweitigen Verwendung der Arbeitskraft abzuziehen. Ersparte Aufwendungen sind Aufwendungen, die der Unternehmer infolge der Nichtausführung des Vertrages nunmehr nicht mehr tätigt. Ein Erwerb aus anderweitiger Verwendung der Arbeitskraft ist jeder Erwerb, der zweifelsfrei durch die Kündigung des Bestellers verursacht worden ist.OLG Saarbrücken, Urt. v. 31.05.2005, NZBau 2005, 693 (695) Es bedarf eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Kündigung des Werkvertrages und der Erteilung des Ersatzauftrags.OLG Saarbrücken, Urt. v. 31.05.2005, NZBau 2005, 693 (695) 

bb) Rechtsfolgen des § 648 S. 3 BGB

10§ 648 S. 3 BGB beinhaltet die gesetzliche Pauschale, dass dem Unternehmer zumindest 5 % der Teilvergütung für die noch nicht erbrachten Leistungen zustehen. Grundlage der Berechnung ist folglich nicht die Gesamtvergütung. Bezugspunkt ist vielmehr die Teilvergütung für die noch nicht erbrachten Leistungen, die nach den oben beschriebenen Grundlagen zu berechnen sind.

3) Abgrenzungen, Kasuistik

11Ein spezieller Anwendungsfall von § 648 BGB findet sich bei der Rückabwicklung eines Luftbeförderungsvertrages nach einer durch den Fluggast ausdrücklich erfolgten Kündigung oder schlichten Nichtantritt des Fluges (der Nichtantritt ist eine konkludente Kündigung, s.o.). Wie bereits erläutert, findet das allgemeine Werkvertragsrecht uneingeschränkt Anwendung auf den Fluggastrechtevertrag. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass der Gesetzgeber den Luftbeförderungsvertrag - anders als den Reisevertrag – nicht spezialgesetzlich regelte.Schmidt/Puschkarski, NJW 2018, 657 (658) Insofern ändert auch die Entscheidung des X. Zivilsenat, wonach "Besonderheiten des Luftbeförderungsvertrags"BGH, Urt. v. 16.02.2016, NJW 2016, 2404 berücksichtigt werden müssten, nichts an der grundlegenden Zuweisung des Vertragstyps.

Kündigt der Flugpassagier vor dem Antritt, so kann er die Erstattung seiner Flugscheinkosten nach § 648 BGB verlangen. Eine Besonderheit ist der mögliche Ausschluss des freien Kündigungsrechts in den AGB des Luftbeförderers, vorausgesetzt, diese wurden wirksam einbezogen.BGH, Urt. v. 20.03.2018, NZV 2018, 473 

Der Luftbeförderungsvertrag kann entweder ausdrücklich vor dem Abflug oder konkludent durch den Nichtantritt des Fluges gekündigt werden (sog. „no-show“).LG Frankfurt, Urt. v. 29.03.2017 - 2-24 S 138/16 Im Falle einer Kündigung steht dem Flugunternehmen nach § 648 S. 2 BGB zwar grundsätzlich eine Vergütung, in dem Fall der Flugpreis bei Ausschluss des freien Kündigungsrechts, weiterhin zu, er muss sich jedoch die in § 648 S. 2 BGB genannten Berechnungsposten anrechnen lassen.

Dies betrifft Aufwendungen, die durch die Nichtausführung des Fluges gespart wurden.LG Kleve, Urt. v. 14.10.2020 – 2 O 252/19 Ersparte Aufwendungen stellen in diesem Fall die auf den betroffenen Fluggast entfallenden Steuern und Gebühren dar, die im Übrigen nach Art. 23 Abs. 1. (EG) VO 1008/2004 neben dem Ticketpreis für den Fluggast auszuweisen sind. Diese fallen nur an, wenn der Fluggast den Flug tatsächlich antritt.LG Berlin, Urt. v. 13.10.2020 – 51 O 133/18 Daher sind die Mehrwertsteuer, Flughafen-Entgelte, Gebühren sowie der Kerosinzuschlag ersparte Aufwendungen, die von dem Vergütungsanspruch abzuziehen sind.OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.7.2020 – I-16 U 99/20 (LG Düsseldorf), BeckRS 2020, 17095 

4) Prozessuales

12Prozessrechtlich ist im Rahmen des § 648 BGB die unterschiedliche Darlegungs- und Beweislast der Parteien zu berücksichtigen.

Im Wesentlichen trifft den Unternehmer die Darlegungs- und Beweispflicht. Er trägt die Beweislast für das Bestehen und die Höhe der Vergütung.MüKOBGB/Busche, BGB, Aufl. 8 (2020), § 646 Rn. 29


Fußnoten