§ 651h Rücktritt vor Reisebeginn
(1) Vor Reisebeginn kann der Reisende jederzeit vom Vertrag zurücktreten. Tritt der Reisende vom Vertrag zurück, verliert der Reiseveranstalter den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Der Reiseveranstalter kann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen.
(2) Im Vertrag können, auch durch vorformulierte Vertragsbedingungen, angemessene Entschädigungspauschalen festgelegt werden, die sich nach Folgendem bemessen:
- 1. Zeitraum zwischen der Rücktrittserklärung und dem Reisebeginn,
- 2. zu erwartende Ersparnis von Aufwendungen des Reiseveranstalters und
- 3. zu erwartender Erwerb durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen.
Werden im Vertrag keine Entschädigungspauschalen festgelegt, bestimmt sich die Höhe der Entschädigung nach dem Reisepreis abzüglich des Werts der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie abzüglich dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwirbt. Der Reiseveranstalter ist auf Verlangen des Reisenden verpflichtet, die Höhe der Entschädigung zu begründen.
(3) Abweichend von Absatz 1 Satz 3 kann der Reiseveranstalter keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Umstände sind unvermeidbar und außergewöhnlich im Sinne dieses Untertitels, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären.
(4) Der Reiseveranstalter kann vor Reisebeginn in den folgenden Fällen vom Vertrag zurücktreten:
- 1. für die Pauschalreise haben sich weniger Personen als die im Vertrag angegebene Mindestteilnehmerzahl angemeldet; in diesem Fall hat der Reiseveranstalter den Rücktritt innerhalb der im Vertrag bestimmten Frist zu erklären, jedoch spätestens a)20 Tage vor Reisebeginn bei einer Reisedauer von mehr als sechs Tagen,b)sieben Tage vor Reisebeginn bei einer Reisedauer von mindestens zwei und höchstens sechs Tagen,c)48 Stunden vor Reisebeginn bei einer Reisedauer von weniger als zwei Tagen,
- 2. der Reiseveranstalter ist aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände an der Erfüllung des Vertrags gehindert; in diesem Fall hat er den Rücktritt unverzüglich nach Kenntnis von dem Rücktrittsgrund zu erklären.
Tritt der Reiseveranstalter vom Vertrag zurück, verliert er den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis.
(5) Wenn der Reiseveranstalter infolge eines Rücktritts zur Rückerstattung des Reisepreises verpflichtet ist, hat er unverzüglich, auf jeden Fall aber innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt zu leisten.
Für den Rechtsverkehr
(für Nichtjuristen)
zum Expertenteil (für Juristen)
Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle
1Kann eine Reise nicht vom Reisenden oder vom Reiseveranstalter durchgeführt werden, stellt sich die Frage, wie das Vertragsverhältnis rückabgewickelt werden soll. Dabei ist zu beachten, dass der Reisevertrag aufgrund des häufig längeren Zeitraums zwischen seinem Abschluss und der Durchführung der Reise ein besonderer Vertragstyp ist. Dass es sich bei dem Reisevertrag um eine besondere Vertragsart handelt, zeigt sich bereits darin, dass der europäische Gesetzgeber es für nötig erachtet hat, den Reisevertrag speziell zu regeln (Grundlage der §
Dabei spricht das Gesetz entgegen mancher Ansicht aus der Literatur zu Recht von Rücktritt und nicht von einer Kündigung. Bei dem Reisevertrag handelt es sich nicht um ein Dauerschuldverhältnis im engeren Sinne, da die Zahlung des Reisepreises nicht, wie es bei einem Dauerschuldverhältnis typisch ist, abschnittsweise erfolgt.MüKO/Tonner, BGB, 8. Auflage (2020), § 651h, Rn. 12
Möchte sich der Reisende vom Vertrag vor Reisebeginn lösen, stehen ihm hierzu drei Rücktrittsmöglichkeiten mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen zu. Neben
Auch dem Reiseveranstalter steht nach
Durch diese Regelungen soll
Expertenhinweise
(für Juristen)
1) Allgemeines
2
Der Reisende kann hiernach ohne einen besonderen Grund zurücktreten (
Der Reiseveranstalter kann vor Reisebeginn von dem Vertrag zurücktreten, wenn einer der in
2) Definitionen
a) § 651h Abs. 1 BGB – Freies Rücktrittsrecht des Reisenden
aa) Voraussetzungen
(1) Rücktritt
3Der Reisende muss zunächst gegenüber dem Reiseveranstalter, einer empfangszuständigen Person oder dem Reisevermittler, bei dem die Reise gebucht wurde, den Rücktritt erklären.MüKO/Tonner, BGB, 8. Auflage (2020), § 651h, Rn. 11
3) Abgrenzungen, Kasuistik
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Entscheidend für das Rücktrittsrecht ist in diesen Fällen, inwiefern die Ausweisung eines Landes als Risikogebiet eine erhebliche Beeinträchtigung darstellt. Die Rechtsprechung bejaht die erhebliche Beeinträchtigung durch die COVID-19-Pandemie, sofern ein konkretes Risiko für einen erheblichen Gesundheitsschaden besteht, weil am Reiseort im Vergleich zum Wohnort des Reisenden und der Zeit der Reisebuchung ein deutlich erhöhtes Ansteckungsrisiko besteht.Amtsgericht Köln, Urt. v. 14.09.2020, BeckRS 2020,23502
Das Amtsgericht Stuttgart führte in einer Entscheidung dazu wie folgt aus: "Zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung stand - was wiederum allgemein bekannt ist - weder eine sichere Therapiemöglichkeit noch ein Impfstoff zur Verfügung und seine Verfügbarkeit bis zum Reiseantritt erschien - wenn nicht ausgeschlossen, so - jedenfalls gänzlich unwahrscheinlich. Da zum Reisezeitpunkt folglich vom Fehlen eines effektiven Schutzes gegen das Virus auszugehen war, bestand gerade im Falle einer Kreuzfahrt, bei welcher eine große Anzahl Menschen eng miteinander in Berührung kommen, die konkrete, letztlich vom Zufall abhängige Gefahr, dass es an Bord zu einem Infektionsgeschehen kommt.Amtsgericht Stuttgart, Urt. v. 13.10.2020, BeckRS 2020,26817. |
Teilweise wird schon unabhängig vom Vorliegen einer Reisewarnung die bloße Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitsgefährdende Ausbreitung des Virus im jeweiligen Reisegebiet als ein solcher unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand eingestuft.AG Frankfurt am Main, Urt. v. 11.08.2020, BeckRS 2020, 19493
4) Prozessuales
18Die Darlegungs- und Beweislast der Parteien richtet sich grundsätzlich nach den allgemeinen Regelungen, wonach die jeweilige Partei die für sie günstigen Tatsachen darzulegen und zu beweisen hat. Demnach muss der Reisende darlegen und beweisen, ob und wann er den Rücktritt erklärt hat.BeckOK/Geib, BGB, 55. Edition (2020), § 651h, Rn. 28 Die Höhe des Entschädigungsanspruchs hat hingegen der Reiseveranstalter darzulegen und zu beweisen. Dazu muss er auch darlegen, inwiefern er Aufwendungen gespart und versucht hat, die Reise anderweitig zu verwerten.BeckOK/Geib, BGB, 55. Edition (2020), § 651h, Rn. 28
Sollte der Reisende der vom Reiseveranstalter dargelegten Entschädigungshöhe widersprechen, trifft den Reisenden diesbezüglich die Darlegungs- und Beweispflicht. Allerdings kann den Reiseveranstalter unter Umständen eine sekundäre Darlegungslast treffen.BeckOK/Geib, BGB, 55. Edition (2020), § 651h, Rn. 30 Dies ist dann der Fall, wenn der Reisende keinen Zugang zu den nötigen Informationen (Betriebsinterna) hat, um die Entschädigungshöhe selbst substantiiert darlegen zu können.