Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Jonathan Schlitt / § 2079

§ 2079 Anfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten

Eine letztwillige Verfügung kann angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei der Errichtung der Verfügung nicht bekannt war oder der erst nach der Errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden ist. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, soweit anzunehmen ist, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen haben würde.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

1.      1Allgemeines 

a)   Normzweck 

§ 2079 BGB regelt einen speziellen Anfechtungsgrund zur Anfechtung letztwilliger Verfügungen. Die Vorschrift dient dem Schutz des unbewusst nicht bedachten Pflichtteilsberechtigten und erhält ihm seine gesetzliche Mindestpartizipation am Nachlass.

Nach überwiegender Auffassung kann die Anfechtung nach § 2079 BGB zugleich auch auf die Anfechtung nach § 2078 BGB gestützt werden,So bereits das RGZ 148, 218 (223); BayObLG NJW-RR 1997, 1027; OLG Karlsruhe ZEV 1995, 454 (456) sodass beide Anfechtungsgründe selbstständig nebeneinander stehen.

In der Praxis taucht die Anfechtung nach § 2079 BGB am häufigsten im Falle einer Wiederheirat oder aber im Falle des "unerwarteten Auftauchens" unehelicher Kinder auf. 

b)  Anwendungsbereich

Die Anfechtung wegen Übergehens eine Pflichtteilsberechtigten ist grundsätzlich auf Testamente anwendbar.  Gemäß § 2279 Abs. 1 BGB gelten die Vorschriften der §§ 2078 ff. BGB auch für die Anfechtung von Erbverträgen entsprechend, soweit nicht im Rahmen der Vorschriften über Erbverträge etwas anderes geregelt ist.Burandt/Rojahn/Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB § 2079 Rn. 1, § 2078 Rn. 2 

Eine Besonderheit der Anfechtung wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten ist, dass bereits die Unkenntnis des Erblassers von der Existenz eines Pflichtteilsberechtigten, ohne, dass die Kausalität zwischen der Unkenntnis und der letztwilligen Verfügung nachgewiesen werden muss, zur Anfechtung berechtigt. Die Kausalität wird daher grundsätzlich unterstellt.  

Sofern der Erblasser die letztwillige Verfügung aber in Kenntnis der Sachlage, daher der Existenz eines Pflichtteilsberechtigten oder späteren Hinzutretens eines Pflichtteilsberechtigten, trotzdem getroffen hätte, ist die Anfechtung ausgeschlossen. Entscheidend für die Ausnahme der Anfechtbarkeit ist der hypothetischer Erblasserwille zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung.BayObLG NJW-RR 2005, 91 (93) Verbleiben bei dieser Prüfung nach ausreichender Ermittlung des hypothetischen Erblasserwillens noch verbleibende Zweifel, bleibt es bei der gesetzlichen Vermutung und daher der Anfechtbarkeit der letztwilligen Verfügung.BGH LM BGB § 2079 Nr. 1; BayObLG ZEV 2001, 314 (315)

c)   Vorrang der Auslegung 

Bevor man allerdings die Anfechtbarkeit und ihr zugrunde liegende Vermutung annehmen darf, ist anhand der Auslegung der Erblasserwille zu ermittlen. Die Verfügung ist daher erst auszulegen, bevor man von einer Anfechtbarkeit ausgehen darf. Der Grundsatz des Vorrangs der Auslegung, auch der ergänzenden Auslegung, ist vor der Anfechtung zu beachten.Burandt/Rojahn/Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB § 2079 Rn. 5; BGH ZEV 1995, 456; BayObLG FamRZ 1991, 982 (983); OLG München 1995, 237

Die Anfechtung ist somit immer ausgeschlossen, wenn der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten ausdrücklich nicht bedacht bzw. enterbt und daher bewusst übergangen hatSo auch Burandt/Rojahn/Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB § 2079 Rn. 5; RG 59, 60 (62) oder aber eine abschließende Regelung ohne Rücksicht etwa auf noch hinzutretende Pflichtteilsberechtigte treffen wollte.BGH NJW 1983, 2247 (2248); BayObLG NJW-RR 1997, 1027 (1030); FamRZ 1992, 988 (989)

Sofern daher etwa Formulierungen im Testament enthalten sind, wie etwa – "…unabhängig davon, wie viele Kinder wir haben werden…." – oder ähnliches, stellt dies ein starkes Indiz für den Willen des Erblassers dar, eine abschließende Regelung treffen zu wollen. 

 2.     Definitionen

a)   Pflichtteilsberechtige

Hinsichtlich der Pflichtteilsberechtigung bzw. des diesbezüglichen Zeitpunkts unterscheidet § 2079 BGB drei Fallgruppen. 

Die letztwillige Verfügung kann daher angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls 

-       einen vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei der Errichtung der Verfügung nicht bekannt war oder

-       der erst nach der Errichtung geboren oder 

-       pflichtteilsberechtigt geworden ist

Pflichtteilsberechtigte sind nach § 2303 BGB die leiblichen und adoptierten Abkömmlinge und der Ehepartner bzw. der eingetragene Lebenspartner.

Sind keine Abkömmlinge der Erblassers vorhanden, sind die seine Eltern pflichtteilsberechtigt. Die Eltern und entferntere Abkömmlinge werden allerdings von näheren Abkömmlingen ausgeschlossen. 

b)  Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten

Grundsätzlich liegt das Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten im Sinne des § 2079 S. 1 BGB vor, wenn der Erblasser ihn nicht bedacht hat, aber auch nicht von der Erbfolge ausschließen wollte.RG 148, 218 (223); RG 59, 60 (62); RG 50, 238 (239)

c)   Kein Ausschluss der Anfechtung gemäß § 2285 BGB analog 

Die Anfechtung darf nicht nach § 2285 BGB ausgeschlossen sein. Demnach können anfechtungsberechtige Personen den Erbvertrag nicht mehr anfechten, wenn das Anfechtungsrecht des Erblassers zur Zeit des Erbfalls erloschen ist. 

Nach herrschender Auffassung findet diese Vorschrift, obwohl unmittelbar nur für Erbvertrag normiert, analog auch auf wechselbezügliche Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments Anwendung.BayObLG NJW-RR 1989, 1090; Grüneberg/Weidlich BGB § 2285 Rn. 1

Der Erblasser kann einen Erbvertrag oder eine wechselbezügliche Verfügung eines gemeinschaftlichen Testaments nach §§ 2281, 2285, 2079 BGB anfechten, sobald er erfährt, dass er bei Abfassung seiner letztwilligen Verfügung ein Pflichtteilsberechtigter übergangen hat. Der typische und häufigste Fall ist die Wiederheirat. Die Anfechtung des Erblassers muss innerhalb der Jahresfrist gemäß des § 2283 BGB erfolgen. Sofern diese Frist zu Lebzeiten des Erblassers abgelaufen ist, ist auch das Anfechtungsrecht des übergangenen Pflichtteilsberechtigten nach § 2285 BGB ausgeschlossen.Burandt/Rojahn/Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB § 2079 Rn. 17

d)  Beweislast
aa) § 2079 S. 1 BGB

Die Beweislast für das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes unterliegt den allgemeinen Beweislastregeln, sodass diese denjenigen trifft, der sich auf die Wirksamkeit der Anfechtung beruft.BayBbLG FamRZ 1997, 772 (773); 1985, 534 (535); OLG München NJW-RR 2008, 1112 Der Anfechtende muss daher die Pflichtteilsberechtigung und die Nichtberücksichtigung in der letztwilligen Verfügung beweisen. 

bb) § 2079 S. 2 BGB

Den entgegenstehenden hypothetischen Erblasserwillen im Sinne des § 2079 S. 2 BGB, dass der Erblasser ebenso testiert hätte, sofern er Kenntnis von der Sachlage gehabt hätte, muss der Anfechtungsgegner beweisen.BGH LM BGB § 2079 Nr. 1; BayObLG NJW-RR 2005, 91 (93); ZEV 2001, 314 (315); NJW-RR 1989, 1090; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 1024; OLG Frankfurt a.M: NJW-RR 1995, 1350; OLG Hamburg FamRZ 1990, 910 (912) 

e)   Rechtsfolge 

Die Rechtsfolge einer durchgreifenden Anfechtung ist grundsätzlich die rückwirkende Gesamtnichtigkeit gemäß § 142 Abs. 1 BGB. Das Testament wird daher im Falle einer durchgreifenden Anfechtung behandelt, als wäre es nie geschrieben worden. 

Im Gegensatz zur Anfechtung nach § 2078 BGB führt daher eine nach § 2079 BGB durchgreifende Anfechtung grundsätzlich zur Nichtigkeit des gesamten Testaments.BayObLG NJW-RR 2005, 91 (93); FamRZ 1985, 534 (535); BayObLGZ 1975, 6 ff.; NJW 1971, 1565; OLG Schleswig ZEV 2016 263 (265); OLG Stuttgart ErbR 2018, 529 f.; OLG Hamburg FamRZ 1990, 910 (912); Grüneberg/Weidlich Rn. 6; a.A. OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 122 (123); MüKoBGB/Leipold Rn. 26 ff. mit unterschiedlichen Begründung und rechtlichen Auffassungen zum Umfang der Gesamtnichtigkeit Im Detail ist der Regelfall der Gesamtnichtigkeit allerdings streitig. 

Sofern die Gesamtnichtigkeit eintritt, wirkt diese absolut und daher nicht nur gegenüber dem Anfechtenden, sondern gegen über Jedermann.BGH NJW 1985, 2025 (2026)

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

2a) Normzweck

§ 2079 BGB ist eine weitere Spezialvorschrift für die Anfechtung letztwilliger Verfügungen. Es handelt sich bei der Vorschrift um einen Sonderfall des Motivirrtums nach § 2078 Abs. 2 BGB.Burandt/Rojahn/Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB § 2079 Rn. 1  Eine Anfechtung kann nach herrschender Auffassung auf beide Normen gestützt werde,So bereits das RGZ 148, 218 (223); BayObLG NJW-RR 1997, 1027; OLG Karlsruhe ZEV 1995, 454 (456)

2) Definitionen

a)    4Pflichtteilsberechtige

Nach § 2079 S. 1 BGB kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei der Errichtung der Verfügung nicht bekannt war oder der erst nach der Errichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden ist.

3) Abgrenzungen, Kasuistik

12Probleme bereitet in der Praxis häufig die Prüfung, ob das vermeintlich objektiv vorliegende Übergehen des Pflichtteilsberechtigten bewusst oder unbewusst seitens des Erblassers bzw. Testierenden erfolgte. Sofern er den Pflichtteilsberechtigten bewusst nicht bedacht hat, liegt kein Übergehen des Pflichtteilsberechtigten im Sinne von § 2079 S. 1 BGB vor. 

Grundsätzlich liegt das Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten im Sinne des § 2079 S. 1 BGB vor, wenn der Erblasser ihn nicht bedacht hat, aber auch nicht von der Erbfolge ausschließen wollte.RG 148, 218 (223); RG 59, 60 (62); RG 50, 238 (239) 

a) Ungewolltes Ausschließen bzw. Nichterwähnung

Der Pflichtteilsberechtigte darf weder ausdrücklich enterbt, noch als Erbe eingesetzt oder mit einem Vermächtnis bedacht worden sein.OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 122; OLG Karlsruhe ZEV 1995, 454; BayObLG ZEV 1994, 106 (107); OLG Celle NJW 1969, 101 Der Erblasser muss daher den Pflichtteilsberechtigten daher unbewusst nicht bedacht haben. Die Enterbung darf kein Resultat bewusster Willensbildung sein.BGH NJW 1983, 2247 (2249) Die Nichterwähnung - etwa bereits im Rahmen der Vorbemerkungen eines notariellen Testaments - des Pflichtteilsberechtigten ist ein klares Indiz für das ungewollte Ausschließen des Pflichtteilsberechtigten. 

b) Bewusstes Ausschließen

Ein bewusster Ausschluss der Erbfolge liegt nicht bereits dann vor, wenn der später Pflichtteilsberechtigter allein deshalb nach dem Testament nichts erhält, weil andere darin bedacht sind. Die Absicht des Erblassers muss vielmehr andeutungsweise dahingehend zum Ausdruck gekommen sein, dem Pflichtteilsberechtigen nichts zuwenden zu wollen.BGH NJW 1983, 2247 (2248); RGZ 59, 60 (62)

Sofern sich Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament „ohne Rücksicht auf gegenwärtige oder künftige Pflichtteilsberechtigte“ gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt haben, liegt kein Übergehen eines zukünftigen Pflichtteilsberechtigen vor.BGH NJW 1983, 2247 (2248); BayObLG NJW-RR 1997, 1027 (1030) Die Eheleute haben mit diesem ausdrücklichen Zusatz im Rahmen ihrer gegenseitigen Erbeinsetzung zum Ausdruck gebracht, dass der/die Erblasser die Verfügung auch bei späteren Hinzutreten eines Pflichtteilsberechtigten die Verfügung getroffen hätten. Daher haben sie nach der hier vertreten Auffassung die Anfechtung nach § 2079 S. 2 BGB konkludent ausgeschlossen.

c) Übergehen eines Bedachten, später pflichtteilsberechtigt Gewordenen, § 2079 S. 1 Alt. 3 BGB

Streitig ist die Qualifizierung des Sachverhaltes, in dem ein Übergehen einer zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung bereits existierenden, aber erst später pflichtteilsberechtigt gewordenen Person vorliegt, diese aber bereits in der letztwilligen Verfügung von dem Erblasser bedacht worden war. Typischerweise erfolgt diese Konstellation dadurch, dass eine im Testament bedachte Person durch spätere Heirat oder Adoption pflichtteilsberechtigt wird.  

Leipold vertritt in dieser Fallkonstellation die Auffassung, dass ein Übergehen im Sinne von § 2079 S. 1 BGB auch dann vorliegt, da die Zuwendung nicht auf die Stellung als pflichtteilsberechtigter, gesetzlicher Erbe gemacht wurde. Der Erblasser habe diese Rechtsposition als Pflichtteilsberechtigten genauso wenig in seine Erwägungen miteinbezogen, als wenn er die betreffende Person überhaupt nicht bedacht hätte. Die Motivation des Erblassers bei Errichtung des Testaments bliebe hinter dem von § 2079 BGB gemeinten Sinn zurück. Daher würde es dem Zweck der Vorschrift entsprechen, dass von einem Übergehen "als Pflichtteilsberechtigten" anzunehmen sei, solange die Zuwendung unter dem gesetzlichen Erbteil bliebe.MüKoBGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, BGB § 2081 Rn. 6 m.w.N. 

Weite Teile der Literatur lehnen diese Auffassung als zu weitgehend abBurandt/Rojahn/Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB § 2079 Rn. 16 und vertreten die Auffassung der Rechtsprechung. Die Rechtsprechung löst die Fallkonstellation anhand von objektiven Kriterien. Es sei alleine auf den objektiven Umstand abzustellen, ob der Erblasser den Pflichtteilsberechtigen bzw. späteren pflichtteilsberechtig Gewordenen als Person in der anzufechtenden letztwilligen Verfügung erwähnt hat. Der Pflichtteilsberechtigte darf weder enterbt noch als Erbe eingesetzt oder mit einem Vermächtnis bedacht sein.RGZ 148, 218 (223); 50, 238 (239); BayObLG FamRZ 1995, 1174; NJW-RR 1994, 590; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 122; OLG Karlsruhe ZEV 1995, 454; OLG Celle NJW 1969, 101; nicht abschließend entschieden OLG Hamm NJW-RR 1994, 462 

Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Auffassung der Rechtsprechung zutreffend, da es für das Übergehen im Sinne von § 2079 BGB nicht darauf ankommen kann, mit welcher Quote der Pflichtteilsberechtigte oder später Pflichtteilsberechtigte eingesetzt wird oder aber hinter seinem gesetzlichen Erbteil zurückbleibt. Dafür lässt nach der hier vertretenen Auffassung der Wortlaut des § 2079 BGB keinen Raum.Gleicher Auffassung Burandt/Rojahn/Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB § 2079 Rn. 16

Entscheidend ist allein, ob der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten bzw. später pflichtteilsberechtigt Gewordenen in der letztwilligen Verfügung überhaupt erwähnt hat.So und mit weiteren sehr guten Argumenten Burandt/Rojahn/Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB § 2079 Rn. 16

4) Zusammenfassung der Rechtsprechung

  • 13RG, 06.10.1904 - Rep. IV. 97/04
  • RG (4. Senat), Urteil vom 19.02.1907 - IV 292/06
  • RG, 22.06.1935 - IV B 36/35
  • OLG Hamburg v. 18. 9. 64 - 2a W 4/64
  • OLG Celle,  Beschluß vom  10. 9. 1968 -  10 Wx 6/68
  • BGH,  Urteil vom  3. 11.

5) Literaturstimmen

  • 14Grüneberg BGB-Kommentar, 81. Auflage 2022 
  • Schlitt/Müller Handbuch Pflichtteilsrecht, 2. Auflage 2017 
  • Burandt/Rojahn Erbrecht, 4. Auflage 2022 
  • Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch 9. Aufl. 2022 
  • Hau/Poseck, Beck Online-Kommentar BGB, 63. Edition, Stand 01.08.2022

6) Häufige Paragraphenketten

15§ 2079, § 2078, § 2080, § 2081, § 2082, § 2083, § 2084, § 2085, § 2086, § 2281 BGB

7) Prozessuales

a)    16Beweislast

aa) § 2079 S. 1 BGB

Die Beweislast für das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes unterliegt den allgemeinen Beweislastregeln, sodass diese denjenigen trifft, der sich auf die Wirksamkeit der Anfechtung beruft.BayBbLG FamRZ 1997, 772 (773); 1985, 534 (535); OLG München NJW-RR 2008, 1112 Der Anfechtende muss daher die Pflichtteilsberechtigung und die Nichtberücksichtigung in der letztwilligen Verfügung beweisen. 

Die falsche Personenstandsangabe in einem notariellen Testament durch den Erblasser reicht nach dem OLG München zum Nachweis eines Anfechtungsgrundes – Nichtberücksichtigung - nicht aus.OLG München NJW-RR 2008, 1112

Sofern sich der Anfechtungsgegner auf den Ausschluss der Anfechtung aufgrund der analogen Anwendung von § 2285 BGB beruft, trägt er für die entsprechenden Tatsachen die Beweislast.Burandt/Rojahn/Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB § 2079 Rn. 17, 21 Der Anfechtungsgegner trägt daher die Beweislast für die Kenntnis des Erblassers von allen die Anfechtung begründeten Tatsachen, insbesondere über die Kenntnis der Existenz der Bindungswirkung der früheren letztwilligen Verfügung.BayObLG ZEV 1995, 105; OLG Düsseldorf NJW-RR 2007, 947 (948)

bb) § 2079 S. 2 BGB

Den entgegenstehenden hypothetischen Erblasserwillen im Sinne des § 2079 S. 2 BGB, dass der Erblasser ebenso testiert hätte, sofern er Kenntnis von der Sachlage gehabt hätte, muss der Anfechtungsgegner beweisen.BGH LM BGB § 2079 Nr. 1; BayObLG NJW-RR 2005, 91 (93); ZEV 2001, 314 (315); NJW-RR 1989, 1090; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 1024; OLG Frankfurt a.M: NJW-RR 1995, 1350; OLG Hamburg FamRZ 1990, 910 (912)

 

8) Anmerkungen

17§ 2079 BGB ist eine der Vorschriften, die zeigen, welcher Stellenwert der Schutz des Pflichtteilsberechtigten für den Gesetzgeber hat. 

Aufgrund der Tatsache, dass die bloße Nichterwähnung des Pflichtteilsberechtigten - etwa bereits im Rahmen der Vorbemerkungen eines notariellen Testaments - ein klares Indiz für das ungewollte Ausschließen des Pflichtteilsberechtigten ist und der Tatsache, dass der Gesetzgeber in § 2079 BGB grundsätzlich für diese Fälle von einer Anfechtbarkeit ausgeht, muss besonderes Augenmerk auf Vollständigkeit der Verwandtschaftsverhältnisse im Rahmen von Vorbemerkungen von letztwilligen Verfügungen gelegt werden. 

Natürlich sind im Zeitpunkt der Testamentserrichtung spätere Adoptionen, etwa typischerweise Stiefkindadoptionen, nicht abschließend zu antizipieren, aber dennoch sollte man unter den durchaus geringen Voraussetzungen im Sinne von § 2079 BGB sämtliche zukünftige das Verwandtschaftsverhältnis betreffende Maßnahmen im Zeitpunkt mit der Testamentserrichtung durchdenken, um das Bestehen der eigenen letztwilligen Verfügung sicherzustellen. 

Um selbst einer Anfechtung im Rahmen der eigenen testamentarischen Verfügung entgegenzuwirken, ist über eine auflösende Bedingung im Falle der Anfechtung durch einen nichtbedachten, übergangen Pflichtteilsberechtigten bzw. eine klare Formulierung der Begünstigung dahingehend anzuraten, dass diese auch gelten soll, wenn später ein Pflichtteilsberechtigter hinzutritt etc., um den Ausnahmetatbestand der Anfechtbarkeit nach § 2079 S. 2 BGB zu erfüllen, indem man den hypothetischen Willen zu einem klar formulierten Erlasserwillen werden lässt. 

Die Vorschrift stellt ferner einen besonderen Fall dar, in dem insbesondere die Bindungswirkung gemeinschaftlicher Testamente und von Erbverträgen über den Verweis von § 2281 Abs. 1 BGB durchbrochen wird. 

Es ist insbesondere bemerkenswert, dass § 2079 BGB aufgrund der gesetzlich angeordneten Vermutung im Regelfall von einer Anfechtbarkeit ausgeht. Nur durch Nachweis eines entgegenstehenden hypothetischen Erblasserwillens kann die gesetzliche Vermutung durchbrochen werden. Der Nachweis eines hypothetischen Erblasserwillens stellt sich in der Praxis zumeist mehr als schwierig dar, sodass die Anfechtbarkeit nach § 2079 BGB in der Praxis eine "erhebliche Gefahr" für eigentlich bindend oder zumindest partiell bindend gewünschte, gemeinschaftliche Testamente oder Erbverträge darstellt. 

Es ist daher von erheblicher Relevanz, dass im Rahmen der Besprechung der Bindungswirkung bzw. etwaigen Öffnungsklauseln im Rahmen von gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen über einen vorweggenommenen Verzicht des Längerlebenden auf die Geltendmachung der Anfechtung nach § 2079 BGB gesprochen wird. 


Fußnoten