§ 2039 Nachlassforderungen
Gehört ein Anspruch zum Nachlass, so kann der Verpflichtete nur an alle Erben gemeinschaftlich leisten und jeder Miterbe nur die Leistung an alle Erben fordern. Jeder Miterbe kann verlangen, dass der Verpflichtete die zu leistende Sache für alle Erben hinterlegt oder, wenn sie sich nicht zur Hinterlegung eignet, an einen gerichtlich zu bestellenden Verwahrer abliefert.
Für den Rechtsverkehr
(für Nichtjuristen)
zum Expertenteil (für Juristen)
Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle
1Nachlassforderungen – das Gesetz spricht von Anspruch – stellen erhebliche geldwerte Vermögenspositionen dar. Sie gehören zum Aktivvermögen des Nachlasses. Nachlassforderungen können sein: der Rückzahlungsanspruch oder Zinsanspruch für ein Darlehen, das der Erblasser ausgereicht hatte, Mietzahlungsansprüche für eine vermietete Wohnung des Erblassers etc. Nachlassforderungen können auch Ansprüche gegen einen Miterben sein, etwa wegen Darlehens des Erblassers an diesen oder Nutzungsersatzansprüche gegen einen Miterben, der unter Ausschluss der anderen Miterben ein Nachlassgrundstück bewohnt und nutzt. Nachlassforderungen erhöhen den Nachlasswert und sind daher bei der Bemessung der ErbschaftssteuerVgl. exemplarisch BFH, Urteil vom 7. Oktober 1998 – II R 64/96 – dort sogar zum Fall der Konfusion: Die zivilrechtlich erloschene Forderung wird erbschaftssteuerrechtlich fingiert und erhöht die Bereicherung durch Erbanfall. oder bei der Berechnung von PflichtteilsansprüchenPalandt/Edenhofer,
Wie Nachlassforderungen geltend gemacht werden können regelt
21) Alleinerbenstellung
Gibt es nur einen Erben (Alleinerbe), ist die Rechtslage einfach. Wegen
Schuldet der Erbe die Nachlassforderung selbst (also z.B. die Darlehensrückzahlung), geht die Nachlassforderung automatisch mit dem Erbanfall an ihn unter (sog. Konfusion). Der Erbe kann nicht zugleich Gläubiger und Schuldner des Anspruchs sein.Beachte aber: erbschaftssteuerrechtlich wird das Fortbestehen der Forderung fingiert; vgl. hierzu etwa BFH, Urteil vom 7. Oktober 1998 – II R 64/96.
32) Mehrheit von Erben (Erbengemeinschaft)
Erst im Falle einer Miterbengemeinschaft wird
4Sind die einzelnen Miterben danach „zur gesamten Hand“ die Vermögens- und Rechtsträger, obliegt es grundsätzlich auch den Miterben, die Nachlassforderungen geltend zu machen. Nicht selten besteht in der Erbengemeinschaft jedoch Streit. Eine Erbengemeinschaft kann viele Konfliktherde bergen, bis hin zu Familienstreitigkeiten aus der Kindheit der Erben. Bedürfte es nunmehr für die Geltendmachung von Nachlassforderungen immer der Mitwirkung sämtlicher Miterben oder auch nur der Mehrheit der Miterben, wäre die Geltendmachung von Nachlassforderung in erheblichem Maß gelähmt, bis hin zu einem drohenden Rechtsverlust infolge Verjährung. Die anderen Miterben hätten es in der Hand, zumindest vorübergehend die Einforderung von Nachlassansprüchen zu boykottieren.Schütte, juris PK, § 2039, Rn. 1, 10. Um daher nicht erst zeitintensiv – ggf. im Klagewege – die Zustimmung der Miterben einholen zu müssen, räumt der Gesetzgeber in
Ein Widerspruch der anderen Miterben gegen die gerichtliche Geltendmachung hindert diese nicht. Dies ist durch den Bundesgerichtshof anerkannt.vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2014 – III ZB 99/13. Sinn und Zweck von
Denkbar ist es auch, dass die Miterben – insoweit soll ein Mehrheitsbeschluss genügenVgl. BGH, Urteil vom 19. September 2012 – XII ZR 151/10. – einen der Miterben ermächtigen und bevollmächtigen, die Nachlassforderung gemäß §
Expertenhinweise
(für Juristen)
1) Allgemeines
5
2) Definitionen
8Inhaltlich erfasst
9a) Begriff Nachlassforderung
Gemeint sind Ansprüche im Sinne des
10Materiell-rechtlich findet
11Ebenso ist es dem einzelnen Miterben grundsätzlich auch versagt, Nachlassforderungen durch Aufrechnung mit Nachlassschulden zu realisieren. Die Aufrechnung hat – wie eben auch die Ausübung anderer Gestaltungsrechte – VerfügungscharakterVgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1962 – V ZR 1/61.. Im Übrigen ist sehr zweifelhaft, ob die Erklärung einer Aufrechnung – mag diese auch gestaltende Wirkung haben – von dem aktuellen Rechtsprechungswechsel,BGH, Urteil vom 28. April 2006 – LwZR 10/05 – Kündigung eines Pachtverhältnisses; BGH, Urteil vom 11. November 2009 – XII ZR 210/05 – Kündigung eines Mietverhältnisses; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 24. August 2011 – 13 U 56/10 – Kündigung eine Girovertrages bzw. Sparkontos; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 18. September 2014 – 3 U 82/13 – Kündigung eines Darlehens; bestätigt durch BGH, Beschluss vom 03.12.2014 – IV ZA 22/14. wonach die Mehrheit der Erben die Befugnis zur Gestaltung hat, auch auf die Fälle der Aufrechnung ausgedehnt werden kann. Denn anders als in den bisher geklärten Fällen der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen (Kündigung von Pachtverträgen, Mietverträgen, Sparkonten etc.), die eine anspruchsbegründende Funktion hatten (Herausgabe der Sache, des Geldes o.ä.), ist Ziel der Aufrechnung die Anspruchsvernichtung.
Selbstverständlich verhält es sich anders, wenn die Aufrechnung bereits erklärt war, etwa durch den Erblasser noch zu Lebzeiten. In diesem Fall bleibt dem Erben belassen, sich auf die Aufrechnung und die Erfüllungswirkung zu berufen.MüKo/Gergen, 6. Auflage,
12Eine weitere Einschränkung erfährt
13b) Leistung an alle Miterben (gemeinschaftliche Gläubigerschaft)
In Anlehnung an
14Dieser Grundgedanke des Gesetzes ist gleichwohl durch die jüngere Rechtsprechung des BundesgerichtshofesBGH, Urteil vom 19. September 2012 – XII ZR 151/10., wonach eine Einziehung von Forderungen auch dem Mehrheitserben auf ein von ihm allein eingerichtetes Konto als Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung zugestanden sei, erheblich aufgeweicht. Denn selbstverständlich besteht für die (Mit-) Erbengemeinschaft auch die Möglichkeit, einen der Miterben unter ihnen mit der Einziehung der Forderung zu betrauen und zu bevollmächtigen sowie zur Zahlung an sich gemäß
Praxistipp: Ob ein Mehrheitserbe auch tatsächlich Mehrheitserbe ist und sich überdies mit der Einziehung der Forderung im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung hält, wird für den außenstehenden Schuldner kaum zu ergründen sein. Ein Schuldner ist daher im Zweifel gut beraten, die Hinterlegungsvoraussetzungen gemäß
15Der Schuldner hat – um die Erben in Annahmeverzug zu setzen (vgl. §
16Der handelnde Miterbe kann im Innenverhältnis von den übrigen Miterben die Mitwirkung zur Annahme der Leistung nach
17Losgelöst von den Fällen der Einziehungsermächtigung ist es in eng umrissenen Ausnahmekonstellationen auch denkbar, dass der Miterbe direkt Leistung an sich verlangt. Dies kann dann angenommen werden, wenn ein Eingriff in die Auseinandersetzungshoheit der Erbengemeinschaft nicht – bzw. nicht mehr – zu befürchten steht und sich die Leistung an die Miterben in Erbengemeinschaft nur als purer Formalismus darstellen würde.Palandt/Weidlich, § 2039, Rn. 9. Ein solcher Fall wurde durch den Bundesgerichtshof bei der Geltendmachung von Gewinnbeteiligungsansprüchen gegen den einzigen anderen Miterben aus einem nachlassverstrickten Unternehmen bejaht, da andere Miterben als die Parteien nicht vorhanden waren, ein Bestehen von Nachlassverbindlichkeiten nicht geltend gemacht war und die klagende Miterbin nur den Anteil verlangte, der ihr bei der endgültigen Auseinandersetzung ohnehin zugefallen wäre.BGH, Urteil vom 13. März 1963 – V ZR 208/61. In diesem Fall sei es unter Hinweis auf den das Verhältnis der Miterben zueinander beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben (
Ein vergleichbarer Ausnahmefall liegt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung des OLG Dresden vorVgl. OLG Dresden, Urteil vom 14. August 1997 – 7 U 361/96., wenn einer der Miterben bei der Verteilung des Veräußerungserlöses, also bereits in der (Teil-) Auseinandersetzungsphase, übergangen worden ist. Auch in diesem Fall wäre es widersprüchlich – ggf. sogar dolos –, zunächst Rückzahlung bzw. Hinterlegung des gesamten bereits verteilten Veräußerungserlöses an die Erbengemeinschaft zu verlangen, um sonach die Verteilung erneut vorzunehmen. Es sei daher in dieser Phase – entspricht die (Teil-) Auseinandersetzung eben dem Willen der Miterben – sachgerecht, von jedem der Erben dasjenige herauszuverlangen, was sie über ihre jeweiligen Erbquote hinaus zu Lasten des übergangenen Erben erhalten haben.Wie vor.
Denkbar sind überdies Fälle, in denen sich der im Übrigen schon auseinandergesetzte Nachlass lediglich noch auf eine Nachlass(geld-)forderung beschränkt, die gegen den einzigen weiteren Miterben besteht. Auch in diesen Fällen wäre es purer Formalismus, zunächst Zahlung an beide Miterben zur „gesamten Hand“ zu verlangen, um sodann den Zahlbetrag gemäß den Erbquoten wieder aufzuteilen.Palandt/Weidlich, § 2039, Rn. 9.
18c) Hinterlegung/ Verwahrung
Statt der klageweisen Durchsetzung der Mitwirkung der anderen Miterben, kann der handelnde Miterbe – oder auch jeder der anderen Miterben – gemäß
Eine Hinterlegung bzw. Verwahrung kann aber ausnahmsweise versagt sein, etwa wenn dringende Gründe der Verwaltung des Nachlasses die Bewirkung der Leistung an die Miterben erfordern oder das Hinterlegungsbegehren rechtsmissbräuchlich ist.MüKo/Gergen, § 2039, Rn. 15.
3) Abgrenzungen, Kasuistik
19Der Anwendungsbereich des
20a) Überblick
aa) Klagen auf Leistung
- Ansprüche gegen den Erbschaftsbesitzer, insbesondere Ansprüche auf Herausgabe aus
§ 2018 BGB und Auskunft aus§ 2027 BGB Vgl. Olzen, JuS 1989, 374, 375; Soergel/Wolf,§ 2039 Rn. 4; Müko/Gergen,§ 2039 Rn. 7.
4) Zusammenfassung der Rechtsprechung
1. Bundesverfassungsgericht
- BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1963 – 1 BvR 103/60
2. Ordentliche Gerichte
a) Reichsgericht
- RGZ 158, 40 ff.
b) Bundesgerichtshof
- Teilurteil vom 13. Juli 1954 – V ZR 56/50
- Urteil vom 13. Juli 1956 – I ZR 75/54
- Urteil vom 24. Oktober 1962 – V ZR 1/61
- Urteil vom 13. März 1963 – V ZR 208/61
- Urteil vom 17. Dezember 1964 - III ZR 79/63
- Urteil vom 11.
5) Literaturstimmen
a) Kommentare
- Münchener Kommentar zum BGB, Band 9, Erbrecht, 5. Auflage, 2010
- Soergel, Kommentar zum BGB, Band 21, Erbrecht 1, 2002
- Jauernig, Kommentar zum BGB, 14.Auflage, 2011
- Palandt, Kommentar zum BGB, 74. Auflage, 2015
- Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth, juris Praxiskommentar BGB, Band 5, Erbrecht, 7. Auflage, 2014
b) Lehr- und Fachbücher
- Rißmann, Die Erbengemeinschaft, 2. Auflage, 2014
- Bonefeld/Kroiß/Tanck, Der Erbprozess, 4. Auflage, 2012
c) Zeitschriften
- Rupp, DÖV 1957, 144 ff.
- Bachof, JZ 1957, 374 ff.
- Olzen, JuS 1989, 374 ff.
- Schütte, NJW 2012, 2596 ff.