Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Leander J. Gast, René Wenzel / § 2039

§ 2039 Nachlassforderungen

Gehört ein Anspruch zum Nachlass, so kann der Verpflichtete nur an alle Erben gemeinschaftlich leisten und jeder Miterbe nur die Leistung an alle Erben fordern. Jeder Miterbe kann verlangen, dass der Verpflichtete die zu leistende Sache für alle Erben hinterlegt oder, wenn sie sich nicht zur Hinterlegung eignet, an einen gerichtlich zu bestellenden Verwahrer abliefert.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

1Nachlassforderungen – das Gesetz spricht von Anspruch – stellen erhebliche geldwerte Vermögenspositionen dar. Sie gehören zum Aktivvermögen des Nachlasses. Nachlassforderungen können sein: der Rückzahlungsanspruch oder Zinsanspruch für ein Darlehen, das der Erblasser ausgereicht hatte, Mietzahlungsansprüche für eine vermietete Wohnung des Erblassers etc. Nachlassforderungen können auch Ansprüche gegen einen Miterben sein, etwa wegen Darlehens des Erblassers an diesen oder Nutzungsersatzansprüche gegen einen Miterben, der unter Ausschluss der anderen Miterben ein Nachlassgrundstück bewohnt und nutzt. Nachlassforderungen erhöhen den Nachlasswert und sind daher bei der Bemessung der ErbschaftssteuerVgl. exemplarisch BFH, Urteil vom 7. Oktober 1998 – II R 64/96 – dort sogar zum Fall der Konfusion: Die zivilrechtlich erloschene Forderung wird erbschaftssteuerrechtlich fingiert und erhöht die Bereicherung durch Erbanfall. oder bei der Berechnung von PflichtteilsansprüchenPalandt/Edenhofer, § 2311 Rn. 1, 6. zu berücksichtigen.

Wie Nachlassforderungen geltend gemacht werden können regelt § 2039 BGB.

21) Alleinerbenstellung

Gibt es nur einen Erben (Alleinerbe), ist die Rechtslage einfach. Wegen § 1922 BGB (sog. Universalsukzession) rückt der Erben in die Rechten- und Pflichtenstellung des Erblassers ein. Er wird mithin Inhaber, und bei Alleinerbschaft alleiniger Inhaber der Nachlassforderungen. Eine Nachlassforderung gehört also unmittelbar mit Anfall der Erbschaft nunmehr zum Vermögen des Erben. Dies gilt losgelöst davon, ob dem Erben bereits ein Erbschein erteilt ist – dieser hat lediglich Nachweis- bzw. LegitimationsfunktionVgl. hierzu § 2365 BGB und insbesondere § 2367 BGB. gegenüber Dritten (z.B. gegenüber Versicherungen und BankenNach gefestigter Rechtsprechung genügt für den Nachweis der Erbenstellung auch die Vorlage eines notariellen Testaments, vgl. hierzu BGH, Urteil vom 7. Juni 2005 – XI ZR 311/04 – sowie OLG Hamm, Urteil vom 1. Oktober 2012 – 31 U 55/12 – bestätigt durch BGH, Urteil vom 8. Oktober 2013 – XI ZR 401/12. etc.) – oder das Erbrecht gerichtlich festgestellt ist (Erbenfeststellungsklage). Entscheidend für die Forderungsinhaberschaft ist zunächst allein die materielle Rechtslage. Der Erbe kann also nach Anfall der Erbschaft die Nachlassforderung als eigene Forderung für sich allein geltend machen und auch an sich einklagen; im Gerichtsprozess wird dann inzident die Erbenstellung als Voraussetzung der Forderungsinhaberschaft (sog. Aktivlegitimation) geprüft.

Schuldet der Erbe die Nachlassforderung selbst (also z.B. die Darlehensrückzahlung), geht die Nachlassforderung automatisch mit dem Erbanfall an ihn unter (sog. Konfusion). Der Erbe kann nicht zugleich Gläubiger und Schuldner des Anspruchs sein.Beachte aber: erbschaftssteuerrechtlich wird das Fortbestehen der Forderung fingiert; vgl. hierzu etwa BFH, Urteil vom 7. Oktober 1998 – II R 64/96.

32) Mehrheit von Erben (Erbengemeinschaft)

Erst im Falle einer Miterbengemeinschaft wird § 2039 relevant. Denn in diesem Fall gehören die Nachlassforderungen nicht jedem der Miterben einzeln, etwa nach ihrer jeweiligen Quote. Es ist entgegen einer weit verbreiteten Vorstellung in der Bevölkerung gerade nicht so, dass ein Erbe mit einer Erbquote von z.B. ¼ am Nachlass von einem Darlehensrückzahlungsanspruch in Höhe von € 100.000,- jetzt Rückzahlung in Höhe € 25.000,- direkt an sich verlangen kann. Dies verbietet das Gesetz in § 2039 S. 1 BGB. Die Nachlassforderungen stehen den Erben nur gemeinschaftlich zu. Das Nachlassvermögen, einschließlich der Nachlassforderungen, fällt den Erben „zur gesamten Hand“ an. Das Gesetz geht davon aus, dass erst zum Schluss der Nachlassabwicklung (vgl. § 2047 BGB) – dies ist grundsätzlich erst dann der Fall, wenn sämtliche Nachlasswerte versilbert, die Nachlassforderungen eingeholt und sämtliche Nachlassverbindlichkeiten bedient sind (sogenannte Teilungsreife)Palandt/Edenhofer, § 2042 Rn. 16; OLG Karlsruhe, Urteil vom 29. November 1973 – 4 U 209/72. –  eine Teilung des Nachlasses erfolgt und erst dann entsprechend der jeweiligen Erbquoten jeder Erbe seinen Anteil für sich beanspruchen kann.Palandt/Edenhofer, § 2047 Rn. 2. Zwar können die Erben durch gemeinschaftliche Beschlussfassung – eine Mehrheit genügt nicht – hiervon abweichen, etwa einvernehmlich eine Teilauseinandersetzung beschließen, und in diesem Zusammenhang auch einzelnen Miterben einzelne Nachlassforderungen zuweisen und diesen abtreten. Auch bleibt es den Erben belassen, eine sogenannte Abschichtungsvereinbarung zu treffen, mit der Folge, dass einer oder mehrere Erben aus der Erbengemeinschaft ausscheiden.vgl. hierzu bereits BGH, Urteil vom 21. Januar 1998 – IV ZR 346/96 – sowie OLG Hamm, Beschluss vom 12. November 2013 – 15 W 43/13. Insbesondere bedarf die Abschichtung danach auch keiner notariellen Beurkundung; dies gilt selbst dann, wenn Grundstücke im Nachlass vorhanden sind. Solange dies jedoch nicht der Fall ist, steht eine Nachlassforderung allen Erben nur gemeinschaftlich zu und die Rückzahlung z.B. eines Darlehens hat an alle Erben gemeinschaftlich zu erfolgen. Dies kann dann durch Überweisung auf ein Nachlasskonto geschehen, das die Erben gemeinschaftlich eingerichtet haben oder das noch auf den  Erblasser lautet. Eine Zahlung an nur einen der Miterben hat für den Schuldner der Nachlassforderung grundsätzlich keine Erfüllungswirkung.MüKo/Gergen, § 2039, Rn. 10; Jauernig/Stürner, § 2039, Rn. 4; Ausnahme bei Einziehungsermächtigung des einzelnen Miterben durch die Erbengemeinschaft, vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 19. April 2005 – VI ZB 47/03 –, in dem der BGH die materiell-rechtliche Einziehungsbefugnis des einzelnen Miterben verneint – bzw. die Verneinung durch das Amtsgericht billigt –, da keine Einziehungsermächtigung durch die Erbengemeinschaft vorlag. Der Schuldner läuft also Gefahr, ein weiteres Mal zahlen zu müssen, wenn er nicht an alle Erben gemeinschaftlich zahlt. Das heißt aber nicht – jedenfalls nicht nach dem derzeitigen gefestigten Standpunkt der RechtsprechungVgl. hierzu die Kommentierung von § 2038, dort Rn. 28; BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2006 – VIII ZB 94/05; Urteil vom 11. September 2002 – XII ZR 187/00; Beschluss vom 16. März 2004 – VIII ZB 114/03. –, dass die Miterben in Erbengemeinschaft eine Gesellschaft bilden, oder dass die Erbengemeinschaft selbst als Personenmehrheit Rechtsfähigkeit hätte. Vermögensträger sind allein die Miterben „zur gesamten Hand“, eine Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Erbengemeinschaft entsprechend der Gesellschaft bürgerlichen Rechts wurde vom Bundesgerichtshof  jedenfalls bisher verneint.wie vor.

4Sind die einzelnen Miterben danach „zur gesamten Hand“ die Vermögens- und Rechtsträger, obliegt es grundsätzlich auch den Miterben, die Nachlassforderungen geltend zu machen. Nicht selten besteht in der Erbengemeinschaft jedoch Streit. Eine Erbengemeinschaft kann viele Konfliktherde bergen, bis hin zu Familienstreitigkeiten aus der Kindheit der Erben. Bedürfte es nunmehr für die Geltendmachung von Nachlassforderungen immer der Mitwirkung sämtlicher Miterben oder auch nur der Mehrheit der Miterben, wäre die Geltendmachung von Nachlassforderung in erheblichem Maß gelähmt, bis hin zu einem drohenden Rechtsverlust infolge Verjährung. Die anderen Miterben hätten es in der Hand, zumindest vorübergehend die Einforderung von Nachlassansprüchen zu boykottieren.Schütte, juris PK, § 2039, Rn. 1, 10. Um daher nicht erst zeitintensiv – ggf. im Klagewege – die Zustimmung der Miterben einholen zu müssen, räumt der Gesetzgeber in § 2039 S. 1 BGB jedem einzelnen Miterben die Berechtigung ein, allein die Nachlassforderungen geltend zu machen und einzuklagen, jedoch nur auf Leistung an alle Miterben oder Hinterlegung bzw. Verwahrung für alle Miterben (vgl. § 2039 S. 2 BGB). Es handelt sich um eine gesetzliche ProzessstandschaftBGH, Beschluss vom 19. April 2005 – VI ZB 47/03; MüKo/Gergen, § 2039, Rn. 20; Palandt/Weidlich, § 2039, Rn. 6. und VollstreckungsstandschaftMüKo/Gergen, § 2039, Rn. 28.. Hierdurch ist sichergestellt, dass auf der einen Seite ein Rechtsverlust von Nachlassansprüchen infolge Boykottierung nicht eintreten kann und andererseits der einzelne Miterbe noch nicht bekommt, was ihm vor Teilungsreife oder vor (einvernehmlicher) Teilauseinandersetzung auch noch nicht zusteht. 

Ein Widerspruch der anderen Miterben gegen die gerichtliche Geltendmachung hindert diese nicht. Dies ist durch den Bundesgerichtshof anerkannt.vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2014 – III ZB 99/13. Sinn und Zweck von § 2039 BGB ist es gerade, eine Einziehung auch gegen den Widerspruch der anderen Miterben zu ermöglichenvgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2014 – III ZB 99/13; MüKo/Gergen, § 2039, Rn. 14; Schütte, NJW 2012, 2596..

Denkbar ist es auch, dass die Miterben – insoweit soll ein Mehrheitsbeschluss genügenVgl. BGH, Urteil vom 19. September 2012 – XII ZR 151/10. – einen der Miterben ermächtigen und bevollmächtigen, die Nachlassforderung gemäß §§ 362 Abs. 2, 185 BGB für die Miterben einzuziehen (z.B. auf sein Konto, das nicht zwingend Nachlasskonto sein muss, überweisen zu lassen)in der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 19. September 2012 - XII ZR 151/10 - legte der Senat jedoch Wert auf die Feststellung, dass der Mehrheitserbe in seiner Kontobezeichnung deutlich gemacht habe, dass er das eingezogene Geld treuhänderisch für die Erbengemeinschaft halte. .

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

5§ 2039 BGB ergänzt § 2038 BGB und bringt das Verhältnis des in Personenmehrheit der Erbengemeinschaft gesamthänderisch gebundenem Sondervermögens und den hiermit verbundenen Schwierigkeiten der Entscheidungsfindung auf der einen Seite, und dem Bedürfnis einer effektiven und zügigen Rechtsverfolgung zugunsten des Nachlasses auf der anderen Seite, zueinander in Einklang.

2) Definitionen

8Inhaltlich erfasst § 2039 ausschließlich Nachlassforderungen.

9a) Begriff Nachlassforderung

Gemeint sind Ansprüche im Sinne des § 194 Abs. 1 BGB, gleich ob schuldrechtlicher, dinglicher oder öffentlich-rechtlicher Natur.Vgl. MüKo/Gergen, § 2039, Rn. 5 ff.; Palandt/Weidlich, § 2039, Rn. 1. Die Ansprüche müssen dem Nachlass zugehören. Das sind grundsätzlich die Ansprüche, die bereits beim Erblasser entstanden und auf die Erben durch den Anfall der Erbschaft gemäß § 1922 BGB übergegangen sind sowie Ansprüche, die durch die Erben selbst im Rahmen der Verwaltung des Nachlasses aufgrund eines Rechts begründet bzw. mit Mitteln des Nachlasses erworben wurden oder durch Eingriffe aus den Nachlass entstanden sind. Zu den Nachlassforderungen i.S.d. § 2039 BGB zählen auch die Ansprüche, die gemäß § 2041 BGB durch dingliche Surrogation in den Nachlass fallen.Vgl. Soergel/ Wolf, § 2039 Rn. 3.; Schütte, jurisPK, § 2039, Rn. 3.

10Materiell-rechtlich findet § 2039 BGB seine Einschränkung in der Geltendmachung von Ansprüchen, die die Ausübung eines Gestaltungsrechts erfordern, z.B. Rücktritt vom Kaufvertrag.Vgl. Palandt/Weidlich, § 2039, Rn. 4, m.w.N. Ist das Gestaltungsrecht noch nicht ausgeübt, kann der einzelne Miterbe dies auch nicht allein tun. Die Ausübung von Gestaltungsrechten obliegt der Erbengemeinschaft, daher gerade nicht dem einzelnen Miterben, und richtet sich nach § 2040 BGB oder § 2038 BGB. Wegen der mit der Ausübung von Gestaltungsrechten gestalterischen Wirkung der Rechtslage handelt es sich hierbei um Verfügungen.Vgl. MüKo/Gergen, § 2040, Rn. 4; Palandt/Weidlich, § 2040, Rn. 2, jeweils m.w.N. Wegen des Verfügungscharakters der Gestaltungsrechte ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten, ob eine Ausübung in Gemäßheit des § 2040 BGB nur gemeinschaftlich erfolgen kann.Vgl. zu diesem Problem die ausführliche Darstellung bei der Kommentierung zu § 2038 BGB, dort Rn. 34 f. Der Bundesgerichtshof und die Obergerichte tendieren jedoch in den letzten Jahren zumindest für den Fall der Ausübung von Gestaltungsrechten, die sich im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung hält, zum Mehrheitsprinzip gemäß § 2038 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 745 Abs. 1 BGB (bzw. § 2038 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB). Die Rechtsprechung lässt daher nunmehr eine Ausübung auf Grundlage eines Mehrheitsbeschlusses bzw. durch den Mehrheitserben zu.wie vor; BGH, Urteil vom 28. April 2006 – LwZR 10/05 – Kündigung eines Pachtverhältnisses; BGH, Urteil vom 11. November 2009 – XII ZR 210/05 – Kündigung eines Mietverhältnisses; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 24. August 2011 – 13 U 56/10 – Kündigung eine Girovertrages bzw. Sparkontos; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 18. September 2014 – 3 U 82/13 – Kündigung eines Darlehens; bestätigt durch BGH, Beschluss vom 03.12.2014 – IV ZA 22/14. Handelt ein Mehrheitserbe, kann dieser mithin – legt man die aktuelle Rechtsprechung zugrunde – auch alleine ein Rechtsgeschäft zur Begründung des Anspruchs gestalten. § 2040 BGB wird insoweit durch § 2038 BGB und die Regeln über die ordnungsgemäße Verwaltung überlagert. Die Ausübung von Gestaltungsrechten durch nur einen Minderheitserben dürfte indessen – jedenfalls soweit die Ausübung (etwa wegen drohender Verfristung z.B. des Rücktritts gemäß § 218 BGB oder des Kündigungsrechts nach § 564 S. 2 BGB) nicht im Rahmen der Notgeschäftsführung erfolgt – im Regelfall ausscheiden. Ob demgegenüber die Ausübung von Gestaltungsrechten auf § 2038 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB (Notverwaltung) gestützt und daher auch durch einen Minderheitserben – die Erfüllung der Voraussetzungen des § 2038 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB unterstelltVgl. hierzu die Kommentierung zu § 2038, dort Rn. 21 und Rn. 32. – erfolgen kann, ist nicht ganz klar. Anerkannt ist dies jedenfalls für andere Rechtshandlungen mit Verfügungs- bzw. Gestaltungscharakter, z.B. für die Erhebung einer Anfechtungsklage gegen einen Gesellschafterbeschluss in der GmbHVgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 1989 – II ZR 246/88. oder die Anfechtung eines belastenden VerwaltungsaktesVgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 1997 – 7 B 248/97 – m.w.N.. Daher spricht viel dafür, die Einzelvornahmebefugnis des § 2038 Abs. 1 S. 2. Hs. 2 BGB auch auf die Ausübung von Gestaltungsrechten anzuwenden, jedenfalls dann, wenn mit der Maßnahme dem Ausfall einer begründeten Nachlassforderung nachhaltig begegnet oder der Nachlass vor der Vertiefung eines Schadens geschützt wird. 

11Ebenso ist es dem einzelnen Miterben grundsätzlich auch versagt, Nachlassforderungen durch Aufrechnung mit Nachlassschulden zu realisieren. Die Aufrechnung hat – wie eben auch die Ausübung anderer Gestaltungsrechte – VerfügungscharakterVgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1962 – V ZR 1/61.. Im Übrigen ist sehr zweifelhaft, ob die Erklärung einer Aufrechnung – mag diese auch gestaltende Wirkung haben – von dem aktuellen Rechtsprechungswechsel,BGH, Urteil vom 28. April 2006 – LwZR 10/05 – Kündigung eines Pachtverhältnisses; BGH, Urteil vom 11. November 2009 – XII ZR 210/05 – Kündigung eines Mietverhältnisses; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 24. August 2011 – 13 U 56/10 – Kündigung eine Girovertrages bzw. Sparkontos; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 18. September 2014 – 3 U 82/13 – Kündigung eines Darlehens; bestätigt durch BGH, Beschluss vom 03.12.2014 – IV ZA 22/14. wonach die Mehrheit der Erben die Befugnis zur Gestaltung hat, auch auf die Fälle der Aufrechnung ausgedehnt werden kann. Denn anders als in den bisher geklärten Fällen der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen (Kündigung von Pachtverträgen, Mietverträgen, Sparkonten etc.), die eine anspruchsbegründende Funktion hatten (Herausgabe der Sache, des Geldes o.ä.), ist Ziel der Aufrechnung die Anspruchsvernichtung.

Selbstverständlich verhält es sich anders, wenn die Aufrechnung bereits erklärt war, etwa durch den Erblasser noch zu Lebzeiten. In diesem Fall bleibt dem Erben belassen, sich auf die Aufrechnung und die Erfüllungswirkung zu berufen.MüKo/Gergen, 6. Auflage, § 2039 Rn. 18.

12Eine weitere Einschränkung erfährt § 2039 BGB im Falle der Anordnung einer Testamentsvollstreckung. In den Fällen der Testamentsvollstreckung geht die Klagebefugnis des Testamentsvollstreckers gemäß § 2212 BGB vor.vgl. Bonefeld in Bonefeld/Kroiß/Tanck, Der Erbprozess, § 1 Rn. 85.

13b) Leistung an alle Miterben (gemeinschaftliche Gläubigerschaft)

In Anlehnung an § 432 BGB liegt die Einziehungshoheit von Forderungen bei der Erbengemeinschaft. Daher formuliert das Gesetz auch, dass im Falle der Geltendmachung von Forderungen, der Verpflichtete „nur an alle Erben gemeinschaftlich leisten und jeder Miterbe nur die Leistung an alle Erben fordern“ kann. Der Schuldner, der lediglich an einzelne Miterben leistet, läuft Gefahr, nicht mit Erfüllungswirkung (vgl. § 362 BGB) zu leisten und daher nochmals in Anspruch genommen zu werden.MüKo/Gergen, § 2039, Rn. 10; Jauernig/Stürner, § 2039, Rn. 4.; OLG Koblenz, Urteil vom 11. Juli 2005 – 12 U 647/04. Dies ist sachgerecht, denn andernfalls hätte es ein Nachlassschuldner – ggf. mit einem der Miterben gut bekannt – in der Hand, durch Zahlung an einzelne Miterben in den Prozess der Erbauseinandersetzung einzugreifen und diesen maßgeblich durch Leistung – etwa von Barmitteln – zu beeinflussen. Die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft hinsichtlich des Gesamtnachlasses und die Aufteilung der einzelnen Nachlassgegenstände ist jedoch allein Sache der Erbengemeinschaft und der Miterben untereinander. Weder kann ein einzelner Miterbe dem ohne oder gegen den Willen der anderen Miterben vorgreifen, noch darf ein Dritter als Nachlassschuldner mit Rechtswirkungen für und gegen die Erbengemeinschaft Einfluss auf deren Auseinandersetzung nehmen. Das Gesetz will in § 2039 BGB gerade verhindern, dass durch Rechtshandlungen zwischen einem Nachlassschuldner und einem einzelnen Miterben ohne Ermächtigung durch die Erbengemeinschaft in die Auseinandersetzung eingegriffen wird.So nahezu wörtlich: OLG Koblenz, Urteil vom 11. Juli 2005 – 12 U 647/04.

14Dieser Grundgedanke des Gesetzes ist gleichwohl durch die jüngere Rechtsprechung des BundesgerichtshofesBGH, Urteil vom 19. September 2012 – XII ZR 151/10., wonach eine Einziehung von Forderungen auch dem Mehrheitserben auf ein von ihm allein eingerichtetes Konto als Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung zugestanden sei, erheblich aufgeweicht. Denn selbstverständlich besteht für die (Mit-) Erbengemeinschaft auch die Möglichkeit, einen der Miterben unter ihnen mit der Einziehung der Forderung zu betrauen und zu bevollmächtigen sowie zur Zahlung an sich gemäß § 362 Abs. 2 i.V.m. § 185 BGB zu ermächtigen.MüKo/Gergen, § 2039, Rn. 10. Verzichtet man zusätzlich mit der ständigen Rechtsprechung auf den kollektiven EntscheidungsfindungsprozessVgl. BGH, Urteil vom 19. September 2012 – XII ZR 151/10, wo es wörtlich heißt: „...Hat ein Miterbe die Stimmenmehrheit in einer Erbengemeinschaft, kann er im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung ohne besondere Förmlichkeiten einen Mehrheitsbeschluss fassen. ...“; insbesondere sei nicht Voraussetzung, die übrigen Erben zumindest anzuhören. – wogegen ernstliche Zweifel bestehenVgl. die Kommentierung zu § 2038 BGB, dort Rn. 24. –, ist es nur konsequent, die Einziehung auch durch nur einen Miterben auf ein allein von diesem für die Erbengemeinschaft eingerichtetes, aber allein (treuhänderisch) haltendes Konto zu zulassen, solange eben dieser die Mehrheit bzw. die größte Erbquote hat. 

Praxistipp: Ob ein Mehrheitserbe auch tatsächlich Mehrheitserbe ist und sich überdies mit der Einziehung der Forderung im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung hält, wird für den außenstehenden Schuldner kaum zu ergründen sein. Ein Schuldner ist daher im Zweifel gut beraten, die Hinterlegungsvoraussetzungen gemäß § 372 BGB herbeizuführen. Eine Hinterlegung ist z.B. möglich bei unbekannter ErbfolgeEhlers, jurisPK, § 372, Rn. 9. oder, sind die Erben bekannt, bei Annahmeverzug gemäß §§ 293 ff. BGBMüKo/Gergen, § 2039, Rn. 12..

15Der Schuldner hat – um die Erben in Annahmeverzug zu setzen (vgl. §§ 293 ff. BGB) – die Leistung allen Erben gegenüber so anzubieten, wie sie zu bewirken ist. Am Leistungs- bzw. Erfüllungsort (§ 269 BGB), also an dem Ort, wo die Leistungshandlung vorzunehmen ist,  und am Erfolgsort – ob dieser mit dem Erfüllungsort übereinstimmt hängt maßgeblich davon ab, ob eine Hol-, Bring- oder Schickschuld besteht – sowie am Zahlungsort (§ 270 BGB) ändert der Erbfall nichts.MüKo/Gergen, § 2039, Rn. 11. Ist die Leistung ordnungsgemäß angeboten, kommen sämtliche Miterben in den Gläubigerverzug, wenn auch nur einer der Miterben die gemeinschaftliche Annahme verweigert bzw. der Obliegenheit zur Annahme nicht nachkommt.Rüßmann, jurisPK, § 432 BGB, Rn. 15; MüKo/Gergen, § 2039, Rn. 12. Dies ist auch interessengerecht: Vermag einer der Miterben den Schuldner durch Mahnung in Schuldnerverzug zu setzen, muss als Gegenstück die Verweigerung auch nur eines Miterben den Annahmeverzug auslösen können.Rüßmann, jurisPK, § 432 BGB, Rn. 15.

16Der handelnde Miterbe kann im Innenverhältnis von den übrigen Miterben die Mitwirkung zur Annahme der Leistung nach § 2038 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB verlangen und erforderlichenfalls klageweise einfordern.

17Losgelöst von den Fällen der Einziehungsermächtigung ist es in eng umrissenen Ausnahmekonstellationen auch denkbar, dass der Miterbe direkt Leistung an sich verlangt. Dies kann dann angenommen werden, wenn ein Eingriff in die Auseinandersetzungshoheit der Erbengemeinschaft nicht – bzw. nicht mehr – zu befürchten steht und sich die Leistung an die  Miterben in Erbengemeinschaft nur als purer Formalismus darstellen würde.Palandt/Weidlich, § 2039, Rn. 9. Ein solcher Fall wurde durch den Bundesgerichtshof bei der Geltendmachung von Gewinnbeteiligungsansprüchen gegen den einzigen anderen Miterben aus einem nachlassverstrickten Unternehmen bejaht, da andere Miterben als die Parteien nicht vorhanden waren, ein Bestehen von Nachlassverbindlichkeiten nicht geltend gemacht war und die klagende Miterbin nur den Anteil verlangte, der ihr bei der endgültigen Auseinandersetzung ohnehin zugefallen wäre.BGH, Urteil vom 13. März 1963 – V ZR 208/61. In diesem Fall sei es unter Hinweis auf den das Verhältnis der Miterben zueinander beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ein sinnloser Formalismus, wenn der klagende Miterbe gezwungen sein sollte, zunächst gemäß § 2039 S. 2 BGB auf Hinterlegung des Gewinns zu klagen, damit demnächst der hinterlegte Betrag unter beiden Parteien sodann gleich wieder verteilt werde.Wie vor.

Ein vergleichbarer Ausnahmefall liegt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung des OLG Dresden vorVgl. OLG Dresden, Urteil vom 14. August 1997 – 7 U 361/96., wenn einer der Miterben bei der Verteilung des Veräußerungserlöses, also bereits in der (Teil-) Auseinandersetzungsphase, übergangen worden ist. Auch in diesem Fall wäre es widersprüchlich – ggf. sogar dolos –, zunächst Rückzahlung bzw. Hinterlegung des gesamten bereits verteilten Veräußerungserlöses an die Erbengemeinschaft zu verlangen, um sonach die Verteilung erneut vorzunehmen. Es sei daher in dieser Phase – entspricht die (Teil-) Auseinandersetzung eben dem Willen der Miterben – sachgerecht, von jedem der Erben dasjenige herauszuverlangen, was sie über ihre jeweiligen Erbquote hinaus zu Lasten des übergangenen Erben erhalten haben.Wie vor.

Denkbar sind überdies Fälle, in denen sich der im Übrigen schon auseinandergesetzte Nachlass lediglich noch auf eine Nachlass(geld-)forderung beschränkt, die gegen den einzigen weiteren Miterben besteht. Auch in diesen Fällen wäre es purer Formalismus, zunächst Zahlung an beide Miterben zur „gesamten Hand“ zu verlangen, um sodann den Zahlbetrag gemäß den Erbquoten wieder aufzuteilen.Palandt/Weidlich, § 2039, Rn. 9.

18c) Hinterlegung/ Verwahrung

Statt der klageweisen Durchsetzung der Mitwirkung der anderen Miterben, kann der handelnde Miterbe – oder auch jeder der anderen Miterben – gemäß § 2039 S. 2 Hs. 1 BGB verlangen, dass der Schuldner, den geschuldeten Gegenstand hinterlegt. § 2039 S. 2 Hs. 1 BGB begründet insoweit ein Recht der Erbengemeinschaft bzw. der Miterben, erweitert indessen nicht die Rechte des Schuldners auf Hinterlegung. Erst dann, wenn der Schuldner aufgefordert ist, zu hinterlegen, darf er auch nach § 374 ff. BGB – es sei denn zu seinen Gunsten greift bereits § 372 BGB – vorgehen. Eignen sich die geschuldeten Gegenstände nicht zur Hinterlegung – hinterlegungsfähig sind Geld, Wertpapiere und Kostbarkeiten (z.B. Schmuck, Edelsteine, Gold, Kunstwerke o.ä.) –, besteht die Möglichkeit, einen Verwahrer bestellen zu lassen. Dies erfolgt durch das Gericht und richtet sich nach § 410 Nr. 3 FamFG.Schütte, jurisPK, § 2039, Rn. 10.

Eine Hinterlegung bzw. Verwahrung kann aber ausnahmsweise versagt sein, etwa wenn dringende Gründe der Verwaltung des Nachlasses die Bewirkung der Leistung an die Miterben erfordern oder das Hinterlegungsbegehren rechtsmissbräuchlich ist.MüKo/Gergen, § 2039, Rn. 15.

3) Abgrenzungen, Kasuistik

19Der Anwendungsbereich des § 2039 BGB als Vorschrift, die gerade auch die Prozessführungsbefugnis der Miterben regelt, ist naturgemäß umfangreich.

20a) Überblick

aa) Klagen auf Leistung

  • Ansprüche gegen den Erbschaftsbesitzer, insbesondere Ansprüche auf Herausgabe aus § 2018 BGB und Auskunft aus § 2027 BGBVgl. Olzen, JuS 1989, 374, 375; Soergel/Wolf, § 2039 Rn. 4; Müko/Gergen, § 2039 Rn. 7.

4) Zusammenfassung der Rechtsprechung

1. Bundesverfassungsgericht

- BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1963 – 1 BvR 103/60

2. Ordentliche Gerichte

a)  Reichsgericht

- RGZ 158, 40 ff.

b)  Bundesgerichtshof

- Teilurteil vom 13. Juli 1954 – V ZR 56/50

- Urteil vom 13. Juli 1956 – I ZR 75/54

- Urteil vom 24. Oktober 1962 – V ZR 1/61

- Urteil vom 13. März 1963 – V ZR 208/61

- Urteil vom 17. Dezember 1964 - III ZR 79/63

- Urteil vom 11.

5) Literaturstimmen

a) Kommentare

  • Münchener Kommentar zum BGB, Band 9, Erbrecht, 5. Auflage, 2010
  • Soergel, Kommentar zum BGB, Band 21, Erbrecht 1, 2002
  • Jauernig, Kommentar zum BGB, 14.Auflage, 2011
  • Palandt, Kommentar zum BGB, 74. Auflage, 2015
  • Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth, juris Praxiskommentar BGB, Band 5, Erbrecht, 7. Auflage, 2014

 

b) Lehr- und Fachbücher

  • Rißmann, Die Erbengemeinschaft, 2. Auflage, 2014
  • Bonefeld/Kroiß/Tanck, Der Erbprozess, 4. Auflage, 2012

 

c) Zeitschriften

  • Rupp, DÖV 1957, 144 ff.
  • Bachof, JZ 1957, 374 ff.
  • Olzen, JuS 1989, 374 ff.
  • Schütte, NJW 2012, 2596 ff.

Fußnoten