Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Michael Grüßenmeyer, Isabelle Jung / § 2286

§ 2286 Verfügungen unter Lebenden

Durch den Erbvertrag wird das Recht des Erblassers, über sein Vermögen durch Rechtsgeschäft unter Lebenden zu verfügen, nicht beschränkt.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

1Die Vorschrift regelt das Verhältnis zwischen den in einem Erbvertrag getroffenen letztwilligen Verfügungen eines Erblassers und der Behandlung seines Vermögens zu seinen Lebzeiten.

2Durch eine letztwillige Verfügung (z.B. Erbeinsetzung, Sachvermächtnis) bestimmt der Erblasser, wer nach seinem Tod die wirtschaftliche und rechtliche Berechtigung an seinem gesamten Nachlass oder an einzelnen Gegenständen aus diesem Nachlass erhält. Durch eine solche letztwillige Verfügung legt sich der Erblasser allerdings für die lebzeitige Behandlung des Vermögens (des späteren Erbes) keinerlei Bindungen auf. Der Erblasser muss seinen Erben, auch den durch sein Testament Begünstigten nichts übriglassen. Wenn zum Zeitpunkt des Erbfalls kein Vermögen (mehr) vorhanden ist, geht die Erbeinsetzung ins Leere. Wenn ein Gegenstand (Immobilie, bewegliche Sachen, Wertpapiere, Geld, sonstige Wertgegenstände aller Art wie Kunst, Schmuck usw.), den der Erblasser in einem Testament jemandem zugedacht hat, zum Zeitpunkt seines Todes nicht mehr vorhanden ist, geht der „auf dem Papier" Begünstigte leer aus.

3Dies gilt gemäß § 2286 BGB ausdrücklich auch für letztwillige Verfügungen, die der Erblasser nicht in einem persönlichen einseitigen Testament getroffen hat, sondern in einem Erbvertrag. Zwar liegt das Wesen des Erbvertrags darin, dass der erbvertraglich gebundene Erblasser seine in dem Erbvertrag getroffenen Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagen im Zweifel nicht einseitig ohne Zustimmung des Erbvertragspartners ändern kann. Der Verfügende bleibt also an die erbrechtliche Verfügung gebunden, wenn er sich nicht das Recht zu einer einseitigen Abänderung oder das Recht zum Rücktritt vom Erbvertrag vorbehalten hat oder wenn er den Erbvertrag nicht wegen irriger Vorstellungen anfechten kann.

4Er verliert damit aber grundsätzlich nicht das Recht, zu seinen Lebzeiten mit seinem Vermögen zu machen, was er will. Auch der Erblasser, der in einem Erbvertrag verbindlich eine Erbfolge angeordnet oder einen Gegenstand als Vermächtnis zugewandt hat, muss dem Erben oder dem durch das Vermächtnis Begünstigten nichts übriglassen. Wenn der Erblasser sein Vermögen unter Wert veräußert oder verbraucht, geht auch der vertragsmäßige Erbe leer aus.

5Die Möglichkeit eines Missbrauchs dieser Verfügungsbefugnis liegt auf der Hand. Der Erbvertragspartner, der aus der erbvertraglichen Bindung heraus möchte, den Vertrag aber nicht mehr aufheben oder ändern kann, weil der andere Teil nicht einverstanden ist, weil der andere Teil verstorben ist, weil ein Rücktritt nicht vorbehalten wurde, weil ein Anfechtungsgrund nicht darstellbar ist oder die Anfechtungsfrist abgelaufen ist, könnte die vertragsmäßig getroffenen Verfügung einfach dadurch unterlaufen, dass er zu Lebzeiten sein Vermögen ganz oder teilweise einer anderen Person als dem erbrechtlich Begünstigten schenkt.

6Zur Verhinderung eines solchen Missbrauchs hat der Gesetzgeber in § 2287 BGB vorgesehen, dass der durch einen Erbvertrag begünstigte Erbe oder Vermächtnisnehmer ein Geschenk, das der Erblasser in der Absicht, die Erberwartung des Vertragserben zu beeinträchtigen, einem Dritten gemacht hat, nach dem Erbfall von diesem zurückfordern kann. Das Geschenk ist also zunächst wirksam, kann aber nach dem Erbfall, wenn es in Beeinträchtigungsabsicht geschehen ist und dadurch das Erbe beeinträchtigt wird, zurückgefordert werden. Der Beschenkte muss es also, soweit er noch bereichert ist, an den Vertragserben oder an denjenigen, dem der geschenkte Gegenstand als Vermächtnis zugewandt war, herausgeben.

1.            Analoger Anwendungsbereich gemeinschaftliches Testament

7Die Vorschrift gilt nicht nur für Erbverträge; sie gilt in entsprechender Anwendung auch für gemeinschaftliche Testamente von Eheleuten. Eheleute können gemeinschaftliche Testamente errichten. In diesen gemeinschaftlichen Testamenten können erbrechtliche Anordnungen wechselbezüglich getroffen werden, d.h. sie erzeugen wie ein Erbvertrag eine Bindung des anderen Teils. Eine solche Bindung wird gemäß § 2270 Abs. 2 BGB angenommen, wenn Eheleute sich gegenseitig bedenken oder wenn einem der Ehegatten für den Fall seines Längerlebens eine Zuwendung gemacht wird und für den Fall seines Nachversterbens das vererbte Vermögen zugunsten einer Person weitervererbt werden soll, die mit dem Erstversterbenden verwandt war oder ihm sonst nahesteht.

8Ob eine solche Wechselbezüglichkeit vorliegt, ist jeweils durch Auslegung des Testaments zu ermitteln. Auch bei einer solchen wechselbezüglichen, d.h. verbindlichen Regelung in einem gemeinschaftlichen Testament von Eheleuten, besteht die Gefahr, dass die Bindung durch lebzeitige unentgeltliche Verfügungen unterlaufen wird. Daher wendet die Rechtsprechung § 2287 BGB auf wechselbezügliche Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten von Eheleuten analog anBGH, NJW 1983, 2376, 21378; Grüneberg/Weidlich, 83. Auflage 2024, § 2271 BGB, Rn.10.

9Die klassische Konstellation, in denen das Problem in der Rechtswirklichkeit auftritt, ist folgende:

10Eheleute haben sich in einem sogenannten Berliner Testament gegenseitig als Erben eingesetzt. Schlusserben des Längerlebenden sollen die gemeinsamen Kinder sein. Nachdem einer der Ehegatten verstorben ist, geht der überlebende Ehegatte eine neue Partnerschaft ein. An die Erbeinsetzung seiner erstehelichen Kinder ist er allerdings gebunden. So entwickelt sich das Bedürfnis, die neue Partnerin oder den neuen Partner, der oder die sich um den oder die Überlebende kümmert, möglicherweise sogar Pflegeleistungen erbringt, für die weitere Zukunft abzusichern. Womöglich hat sich auch das persönliche Verhältnis zu den gemeinsamen Kindern nach dem Tod des erstverstorbenen Ehegatten verschlechtert. Wegen der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments kann der überlebende Ehegatte keine erbrechtlichen Verfügungen zugunsten des neuen Partners treffen; diese wären wegen der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments mit dem vorverstorbenen Ehegatten unwirksam.

11Also wendet sie oder er dem neuen Partner bzw. der neuen Partnerin schenkweise Vermögen zu, überträgt einzelnen Vermögensgegenstände, wendet regelmäßig Geldmittel weit über den unterhaltsrechtlichen Bedarf hinaus zu, zahlt also z.B. ein weit überhöhtes Haushaltsgeld, das der Empfänger nicht verbraucht und für sich behält.

12Ähnliche Konstellationen gibt es, wenn ein Elternteil nach dem Tod des erstverstorbenen Elternteils von einem der Kinder aufgenommen wird und sich dann in dem Haushalt des ihn aufnehmenden Kindes dafür erkenntlich zeigt, dass er aufgenommen und umsorgt wird. Die durch das gemeindliche Testament begünstigten (anderen) Kinder schauen argwöhnisch darauf, ob und in welchem Umfang der überlebende Ehegatte Vermögen auf den neuen Partner oder das ihn aufnehmende Kind überträgt. Nach dem Tod des überlebenden Ehegatten fordern die Kinder vom Begünstigten zweiten Partner oder Geschwisterkind die Zuwendungen als beeinträchtigende missbräuchliche Schenkungen zurück.

2.            Vorsorge durch konkrete Regelungen

13Die vorstehend geschilderte Fallkonstellation tritt in Familien sehr häufig auf und kann zu schwerwiegenden Problemen und Konflikten führen. Eheleute tun daher gut daran, solche Konstellationen bei der Ausgestaltung ihrer gemeinschaftlichen Testamente vorherzusehen und möglichst zu regeln, in welchem Umfang der überlebende Ehegatte von den Bindungen des gemeinschaftlichen Testaments befreit wird, ob und in welchem Umfang er also von der Begünstigung der als Schlusserben vorgesehenen (nicht notwendig gemeinsamen) Kinder durch abweichende letztwillige Verfügungen oder durch lebzeitige Verfügungen abweichen darf.

3.            Bei der Anwendung des § 2287 sind folgende Fragestellungen zu klären:
a)                   Begriff der Schenkung:

14Schenkung ist jede freigiebige unentgeltliche Zuwendung, mit der das Vermögen des Empfängers vermehrt wird und bei der sich die Beteiligten einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt. Es muss nicht ausdrücklich von einer Schenkung die Rede sein. Bei einem auffallend groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine unentgeltliche Zuwendung gewollt ist.

15Abzugrenzen ist eine entgeltliche Veräußerung zu einem günstigen („Freundschaft-") Preis; hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Es gibt auch sogenannte gemischte Schenkungen, bei denen eine Vermögensübertragung teils unentgeltlich, teils entgeltlich ist. Hier sind vor allem Fälle zu nennen, in denen in der beschriebenen familiären Konstellation ein neuer Partner oder ein Kind einen Vermögensgegenstand, beispielsweise eine Immobilie übertragen erhält, sich im Gegenzug aber verpflichtet, zukünftig hauswirtschaftliche Versorgung sicherzustellen oder Pflegeleistungen zu erbringen. Hier muss genau geschaut werden, welchen langfristigen Wert die Verpflichtungen haben, die der Zuwendungsempfänger im Gegenzug übernimmt.

16Wenn der Zuwendende sich die Nutzung des übertragenen Gegenstands vorbehält, beispielsweise durch ein Wohnrecht oder ein Nießbrauchsrecht an einer übertragenen Immobilie, spricht dies nicht gegen die Unentgeltlichkeit. Allerdings mindert sich der Wert der unentgeltlichen Zuwendung um den Wert des vorbehaltenen Nutzungsrechts.

17Abzugrenzen ist die unentgeltliche Zuwendung auch von einer rechtlichen Verpflichtung, z.B. zur Leistung von Unterhalt. Ist der überlebende Ehegatte mit einem neuen Partner verheiratet, schuldet er möglicherweise dem neuen Ehegatten Unterhaltsleistungen. Insbesondere regelmäßige Geldzuwendungen im Rahmen der gemeinsamen Haushaltsführung können dann zumindest in Teilen auch Ausfluss der rechtlichen Verpflichtung zur Mitwirkung an der Finanzierung der gemeinsamen Lebensführung sein (Unterhalt, Taschengeld für die persönliche Verwendung, Haushaltsführungsmittel). Hier muss dann im Einzelfall ermessen werden, wo regelmäßige Zuwendungen die Grenzen zur finanziellen Ausstattung der gemeinsamen Lebensführung überschreiten und Schenkungscharakter erhalten, weil der Zahlungsempfänger überschüssige Geldmittel zur Vermögensbildung verwendet oder eigene Einkünfte zur Vermögensbildung verwenden kann, weil er seinerseits überhaupt keine Beiträge zur gemeinsamen Lebensführung daraus leisten muss.

18Hier kommt es sehr auf den Einzelfall an. Ob die Grenzen zu einer unentgeltlichen Zuwendung nach den objektiven und subjektiven Maßstäben überschritten sind, ist im Einzelnen schwer festzustellen. Dies kann man als gebundener Erblasser auch durch geschickte Ausgestaltung von finanziellen Transfers ausnutzen. Grundsätzlich gilt, dass man sich hauswirtschaftliche oder Pflegeleistungen durch Angehörige auch etwas kosten lassen darf. Wenn es ausdrücklich so geregelt wird, kann man durchaus eine Vergütung vereinbaren, die dem Entgelt für einen Angestellten oder Dienstleister entspricht und deren Wert dann auf die angenommene Dauer der Verpflichtung (beispielsweise die Lebenszeit des Zuwendenden) kapitalisiert werden kann. Hier gibt es Gestaltungsmöglichkeiten.

19Wenn und soweit Entgeltlichkeit konkret vereinbart ist, kann ein Schenkungswille nicht einfach unterstellt werden, es sei denn, es liegt ein objektives Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor. Wird keine Gegenleistung vereinbart, muss die Übertragung eines Wertgegenstands (beispielsweise Immobilie) als unentgeltlich angesehen werde, auch wenn sie im Hinblick auf Betreuung und Versorgung des Zuwendenden durch den Begünstigten erfolgt. Es handelt sich dann um eine sogenannte belohnende Schenkung.

b) Beeinträchtigungsabsicht

20Von einer Beeinträchtigungsabsicht ist dann zu sprechen, wenn eine unentgeltliche Zuwendung nicht nur, aber auch zu dem Zweck erfolgt, das vertragsmäßige Erbe oder Vermächtnis zu verringern. Der Begriff hat eine objektive und eine subjektive Komponente:

aa) objektive Beeinträchtigung:

21Die Zuwendung muss das Erbe objektiv verringern. Eine objektive Beeinträchtigung liegt nicht vor, wenn der Erblasser zwar eine unentgeltliche Zuwendung macht, stattdessen aber aufgrund der Gestaltung des gemeinschaftlichen Testaments oder des Erbvertrags auch berechtigt gewesen wäre, die Erbfolge oder das Vermächtnis zulasten des begünstigten Erben zu ändern oder das gemeinschaftliche Testament aus rechtlichen Gründen anzufechten.

22Wenn der Schenker also mit dem Geschenk wirtschaftlich genau das gleiche bezweckt und erreicht, was er sonst auch mit einer ihm möglichen Änderung des Erbvertrags oder gemeinschaftlichen Testaments oder dessen Anfechtung hätte erreichen können, liegt eine objektive Beeinträchtigung nicht vor.

23Eine objektive Beeinträchtigung liegt auch nicht vor, wenn und soweit er durch die Schenkung nur den Pflichtteil vorwegnimmt, der dem Beschenkten gebührt hätte. Ist der Beschenkte pflichtteilsberechtigt, muss also geprüft wenn, welcher Pflichtteil ihm unter Hinzurechnung des Wertes des Geschenks beim Tod des Schenkers zusteht. Soweit der Wert seines Pflichtteils unter Einbezug des Geschenks reicht, liegt objektiv keine Beeinträchtigung vor; natürlich kann der Beschenkte dann darüber hinaus nicht den Pflichtteil verlangen, weil er ihn ja durch das Geschenk schon erhalten hat. Bei der Rückforderung beeinträchtigender Schenkungen von Pflichtteilsberechtigten ist also stets auch zu ermitteln, welcher Pflichtteilsanspruch entgegensteht, wobei das Geschenk dann bei der Berechnung des Pflichtteils als fiktiver Nachlassbestandteil mit eingerechnet wird. Wird also nur der Pflichtteil vorweggenommen, liegt keine objektive Beeinträchtigung und dementsprechend noch keine Beeinträchtigungsabsicht vor.

bb) Subjektive Beeinträchtigung:

24Die Beeinträchtigung des Vertragserben oder Vermächtnisnehmers muss nicht das alleinige Motiv sein. Von einer Beeinträchtigungsabsicht ist aber in der Regel auszugehen, wenn der Erblasser versucht, durch die lebzeitige unentgeltliche Zuwendung ihm nicht mehr gerecht erscheinende testamentarische Regelungen zu korrigieren. Wenn beispielsweise der überlebende Ehegatte ein Kind bevorzugen will, weil das andere Kind sich von ihm abgewendet hat, dann ist es nichts anderes, als der Versuch einer Korrektur, die als Beeinträchtigungsabsicht anzusehen ist, auch wenn das Motiv wegen der Entwicklung der persönlichen Beziehung nicht verwerflich erscheint.

25Die Prüfung der Beeinträchtigungsabsicht ist eine Missbrauchsprüfung, bei der aus den objektiven Umständen Rückschlüsse auf das Motiv des Erblassers für die objektiv beeinträchtigende Schenkung gezogen werden können. Bei der Prüfung, ob eine missbräuchliche Verfügung vorliegt, ist eine Gesamtabwägung aller beteiligten Interessen vorzunehmen. Es liegt kein Missbrauch vor, wenn nach dem Urteil eines objektiven Beobachters die unentgeltliche Verfügung in Anbetracht aller Umstände auch unter Berücksichtigung der erbvertraglichen Bindung als billigenswert und gerechtfertigt erscheint.

26Zu prüfen ist, ob der durch das gemeinschaftliche Testament oder den Erbvertrag Bedachte nach objektiven Kriterien die unentgeltliche Verfügung anerkennen und deshalb die sich aus der Verfügung für ihn ergebende Begrenzung seines Erbanspruchs hinnehmen muss. Dies ist vor allem der Fall, wenn die lebzeitige Zuwendung von einem lebzeitigen Eigeninteresse des zuwendenden Erblassers getragen ist.

27Kein Missbrauch liegt auch vor, wenn die unentgeltliche Zuwendung einer sittlichen Verpflichtung des Erblassers aufgrund besonderer Leistungen, Opfer oder Versorgungszusagen des Beschenkten genügt. Kein Missbrauch liegt zum Beispiel vor, wenn der Erblasser mit der Schenkung seine eigene Altersversorgung und Pflege sicherstellen oder verbessern will, wobei ein Bedürfnis hierfür mit den Jahren auch dringender und gewichtiger werden kann. Es ist z.B. ein berechtigtes legitimes Interesse, einen Verwandten oder eine andere nahestehende Person durch Zuwendungen an sich zu binden und ihn dadurch zu Betreuung und Versorgung zu motivieren, selbst wenn der Beschenkte dafür keine rechtliche Verpflichtung übernimmt. Der schenkende Erblasser darf sich die Zuwendung oder Zuneigung des Beschenkten dabei auch etwas kosten lassen. Dies gilt vor allem für die Fälle, in denen die Beteiligten davon absehen, eine konkrete Vergütungsvereinbarung für hauswirtschaftliche oder Pflegeleistungen zu treffen, weil dies dem persönlichen Vertrauens- und Näheverhältnis nicht entspräche. Allerdings reicht allein das Motiv, den Beschenkten versorgen zu wollen, nicht aus, denn das Versorgungsmotiv als solches ist rein altruistisch und muss vom begünstigten Erben daher nicht hingenommen werden. Entscheidend ist, dass das Motiv zur unentgeltlichen Zuwendung auch einen Selbstbezug zu den Interessen des zuwendenden Erblassers hat.

Beispiele:

  • Der Schenker sucht für sich eine Reisebegleitung, und lädt den so Beschenkten ein.
  • Der Schenker motiviert den Beschenkten, sich um ihn zu kümmern und/oder ihn zu pflegen, sich überhaupt auf eine Lebensgemeinschaft einzulassen, eine eigene Wohnung aufzugeben usw.
  • Der Schenker überträgt einen Gegenstand zu dessen Erhalt, beispielsweise ein Unternehmen, das ohne die unentgeltliche Zuwendung nicht fortgesetzt werden könnte und aus dem der Erblasser auch Erträgnisse bezieht; oder Übertragung einer Immobilie, die der Erblasser wegen Schuldverpflichtungen oder wegen deren Zustands nicht halten könnte, wenn der Beschenkte sie nicht übernähme und bewirtschaftet.
  • Der Schenker genügt mit dem Geschenk einer sittlichen Verpflichtung (sogenannte Sitten- und Anstandsschenkung), je nach Umfang des Vermögens können auch wertmäßig größere Geschenke einer sittlichen Verpflichtung entsprechen.

28Die Missbrauchskontrolle kann in vertikaler und in horizontaler Hinsicht stattfinden. Beispielsweise ist es auch denkbar, eine Geldzuwendung als teilweise gerechtfertigt und nicht missbräuchlich zu behandeln; und als teilweise überhöht, missbräuchlich und damit rückforderbar. Letztlich ist es immer eine Frage des Einzelfalls, schematische Lösungen sind kaum möglich.

4.            Herausgabeanspruch

29Soweit man zu dem Ergebnis kommt, dass eine beeinträchtigende Schenkung vorliegt, muss der Beschenkte das Geschenk an den Erben (nicht an die Erbengemeinschaft) herausgeben. Es handelt sich um einen Herausgabeanspruch, den jeder Miterbe für sich geltend machen muss und kann. Bei mehreren begünstigten Vertragserben kann es sein, dass nur einzelne Erben den Rückzahlungsanspruch geltend machen, und andere darauf verzichten. Derjenige, der den Rückforderungsanspruch geltend macht, kann dann nur den seinem Erbteil entsprechenden Anteil an der Rückforderung geltend machen, beispielsweise also bei Rückforderung eines Grundstücks den Miteigentumsanteil nach Bruchteilen, der seinem Erbteil entspricht.

30Bei gemischten Schenkungen kommt es darauf an, ob der unentgeltliche oder der entgeltliche Teil überwiegt: Überwiegt der unentgeltliche Teil, kann der geschenkte Gegenstand Zug um Zug gegen Ausgleich des Werts der Gegenleistung verlangt werden. Überwiegt der entgeltliche Teil, kann nur Wertausgleich für den schenkweise übertragenen Anteil in Geld verlangt werden.

31Soweit ein Pflichtteilsanspruch entgegensteht, kommt es ebenfalls auf das Wertverhältnis an, ob der geschenkte Gegenstand gegen Ausgleich des Pflichtteils zurückzugeben ist oder der Beschenkte den Gegenstand behalten darf und in Geld den Teil auszugleichen hat, der über seinen Pflichtteil hinausgeht.

32Der Rückgabeanspruch ist darüber hinaus ein Bereicherungsanspruch. Soweit also der Beschenkte zum Zeitpunkt der Rückforderung nicht mehr bereichert ist, kann er sich unter Umständen auf den Wegfall der Bereicherung berufen, insbesondere wenn er im Hinblick auf die Beeinträchtigung nicht bösgläubig war. Mit dem Geschenk sind eventuell auch Nutzungen herauszugeben, die nach dem Erbfall gezogen wurden, z.B. Mieteinnahmen, Zinsen.

5.            Praktische Durchsetzung

33Liegen die Voraussetzungen einer beeinträchtigenden Schenkung vor, muss der Beschenkte dem Erben auch Auskunft über den Umfang des Geschenks und aus dem Geschenk seit dem Todestag gezogenen Erträgnissen erteilen. Ansonsten ist die Feststellung lebzeitiger unentgeltlicher und beeinträchtigender Zuwendungen des Erblassers unter Umständen sehr aufwendig und bedarf akribischer Kleinarbeit. Gerade wenn es um Zuwendungen jeweils kleineren Umfangs geht, die im Zuge der gemeinsamen Lebensführung getätigt werden, lassen sich diese nur durch akribische Auswertung von Kontenunterlagen und hartnäckiges Nachfragen ermitteln. Leicht festzustellen sind nur große Zuwendungen wie beispielsweise die Übertragung von Immobilien. Wenn der Erbe Verdachtsmomenten nachgehen will, muss er sich alle noch verfügbaren Kontoauszüge für die Erblasserkonten beschaffen und auswerten. In der Regel werden Kontodaten nur für zehn Jahre zurück durch die Banken gespeichert. Bei Grundbesitz ergeben sich Informationen aus dem Grundbuch und gegebenenfalls der Grundbuchakte, in der den Grundbucheintragungen zugrunde liegende Verträge und Bewilligungen verwahrt werden.

6.            Verjährung

34Für den Anspruch gilt eine kurze strikte Verjährungsfrist von drei Jahren, gerechnet ab dem Todestag (§ 2287 Abs. 2 BGB).

7.            Besonderheiten bei Beeinträchtigung eines Vermächtnisses gemäß § 2288 BGB

35Soweit ein durch Erbvertrag oder gemeinschaftliches bindendes Testament zugunsten eines Vermächtnisnehmers verbindlich ausgesprochenes Vermächtnis durch eine lebzeitige beeinträchtigende Schenkung des Erblassers vereitelt oder verkürzt wird, kann der Vermächtnisnehmer vom Beschenkten die Herausgabe des Geschenks zur Durchsetzung seines Vermächtnisses fordern.

36Der Schutz des Vermächtnisnehmers geht aber in der Sache noch etwas weiter, insofern er nicht nur vor unentgeltlichen beeinträchtigenden Verfügungen des vertraglich gebundenen Erblassers geschützt wird, sondern auch vor Fällen der entgeltlichen Veräußerung, der Beschädigung oder des Beiseiteschaffens. Ein Vermächtnis, wenn es nicht ein sogenanntes Verschaffungsvermächtnis ist, geht grundsätzlich ins Leere, wenn der vermachte Gegenstand zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr da ist (§ 2169 BGB).

37Bei einem einseitigen Testament ist ein Vermächtnis also wertlos, wenn der Erblasser noch zu Lebzeiten den vermachten Gegenstand veräußert und der Erblasser für diesen Fall nichts anderes angeordnet hat. Das Vermächtnis erstreckt sich, wenn der Erblasser nicht anderes bestimmt hat, im Zweifel nicht auf das Surrogat oder Wertausgleich für den veräußerten Gegenstand.

38Deshalb gewährt das Gesetz in § 2288 BGB dem durch einen Erbvertrag oder in gemeinschaftlichem verbindlichem Testament begünstigten Vermächtnisnehmer einen Anspruch gegen den Erben (nicht den Beschenkten) auf Verschaffung des Gegenstands oder Wertersatz. Durch die vertragliche Bindung verstärkt sich also der Schutzumfang des Vermächtnisnehmers erheblich, sofern bei der - gleich ob entgeltlichen oder unentgeltlichen - Veräußerung des Vermächtnisgegenstandes eine Beeinträchtigungsabsicht (siehe oben Rn 20) vorgeherrscht hat. Dies gilt auch dann, wenn in Benachteiligungsabsicht der Gegenstand zerstört, beiseite geschafft oder beschädigt wird.

8.            Alternativen

39Eine unentgeltliche Zuwendung des vertraglich gebundenen Erblassers führt möglicherweise auch zu Pflichtteilsergänzungsansprüchen gemäß § 2325 BGB des beeinträchtigten Erben (sofern er auch pflichtteilsberechtigt ist), die unter Umständen alternativ zu einem Rückübertragungsanspruch gemäß § 2287 BGB geltend gemacht werden können, wenn die Schenkung dazu führt, dass der verbleibende Nachlass weniger als den Pflichtteil des Vertragserben ausmacht.

40Während lebzeitige Schenkungen im Pflichtteilsrecht nach § 2325 Abs. 3 BGB aber nur abschmelzend berücksichtigt werden, also bei Schenkungen im letzten Jahr vor dem Tode zu 100 %, im zweiten Jahr vor dem Tor zu 90 % usw., gibt es solche zeitlichen Grenzen für die Geltendmachung eines Herausgabeanspruchs gemäß § 2287 BGB nicht. Der Herausgabeanspruch ist daher im Zweifel der weitergehende Anspruch.


Fußnoten