§ 2227 Entlassung des Testamentsvollstreckers
Das Nachlassgericht kann den Testamentsvollstrecker auf Antrag eines der Beteiligten entlassen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt; ein solcher Grund ist insbesondere grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung.
Für den Rechtsverkehr
(für Nichtjuristen)
zum Expertenteil (für Juristen)
Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle
a) Grundsatz: Starke Stellung ohne gerichtliche Kontrolle
1Der Testamentsvollstrecker benötigt von Gesetzes wegen keinerlei Ausbildung, Kenntnisse oder Erfahrungen, noch nicht einmal eine Versicherung. Anders als bspw. ein Betreuer unterliegt er grundsätzlich keiner gerichtlichen Kontrolle. Gleichwohl weist ihm das deutsche Erbrecht eine sehr starke Stellung zu. Je nach Gestaltung der letztwilligen Verfügung, in der der Erblasser die Testamentsvollstreckung angeordnet hat, kann er die Erben von der Verwaltung des Nachlasses vollkommen ausschließen. Dies führt dazu, dass der Testamentsvollstrecker vom Erben oft als sein Feind angesehen wird. Dies ist aber nur eine Seite der Medaille.
Der grundrechtliche Schutz, den das Erbrecht genießt, ermächtigt den Erblasser nicht nur, gar kein Erbe auszusetzen, sondern lässt gleichsam als ein Weniger die Anordnung der Testamentsvollstreckung nun einmal zu. Der Erbe kann selbst entscheiden, ob er die Erbschaft mit der angeordneten Testamentsvollstreckung annimmt, oder die Erbschaft ausschlägt. Die Ausschlagung der Erbschaft ist für viele Erben aber keine ernsthafte Alternative, weil sie dann, wenn sie nicht zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehören, in der Regel gar keine erbrechtlichen Ansprüche haben. Außerdem kennt der Erbe innerhalb der recht kurz bemessenen Ausschlagungsfrist des
b) Nur schwer überschaubare Kasuistik
In diesem Spannungsverhältnis gibt der Gesetzgeber dem Erben und anderen am Nachlass Beteiligten die Möglichkeit, die Entlassung des Testamentsvollstreckers durch das Nachlassgericht beantragen zu können. Es wird aber nicht jeder Fehler eines Testamentsvollstreckers zu einer Entlassung. Der Gesetzgeber fordert vielmehr das Vorliegen eines "wichtigen" Grundes und führt hierfür exemplarisch "grobe" Pflichtverletzungen oder die Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung an. Für den Laien wie die Abgrenzung regelmäßig sehr schwer zu treffen sein. Was für ihn aus seiner Interessenlage heraus bereits als grobe Pflichtverletzung erscheinen mag, kann sich aus der Sicht des zur Entscheidung berufenen Gerichts durchaus anders darstellen.
Auch darf nicht übersehen werden, dass jede Testamentvollstreckung ihre Besonderheiten hat. Keine Testamentsvollstreckung gleicht der anderen. Dies führt dazu, dass sich im Bereich der Entlassungsgründe für Testamentsvollstrecker eine sehr große Kasuistik entwickelt hat, daie der Laie kaum zu überschauen vermag. Selbst für Juristen handelt es sich um eine Spezialmaterie. Gehört nach den juristischen Ausbildungsordnungen das Erbrecht schon nur in seinen Grundzügen zu den Prüfungsinhalten des ersten juristischen Examens, so ist die Spezialmaterie der Testamentsvollstreckung hiervon regelmäßig sogar ausdrücklich ausgeschlossen.
c) Empfehlung für Testierende:
Die aufgezeigten Probleme im Umgang der Erben mit dem Testamentsvollstrecker sollten denjenigen, der sich mit dem Gedanken trägt, in seinem Testament oder Erbvertrag eine Testamentsvollstreckung anzuordnen, auf keinen Fall davon abhalten. Die Vorteile einer gut angelegten Testamentsvollstreckung für den Nachlass überwiegen bei Weitem. Dabei muss es gar nicht immer um unternehmerisches Vermögen gehen. Auch im privaten Bereich, beispielsweise bei familiären Patchwork-Strukturen, bei minderjährigen Abkömmlingen, bei der Versorgung behinderter Familienmitglieder, bei überschuldeten Erben, denen die Erbschaft zu großen Teilen nur an die Gläubiger oder einen Insolvenzverwalter fallen würde, aber auch bei unerfahrenen Erben, gemeinnützigen Organisationen oder der Errichtung einer Stiftung von Todes wegen sind Testamentsvollstrecker unerlässlich.
Entscheidend sind zwei Dinge: Zum einen muss derjenige, der den letzten Willen niederlegt, sich im Recht der Testamentsvollstreckung bestens auskennen, denn Fehler, die bei der Anordnung der Testamentsvollstreckung gemacht werden, sind später nicht mehr zu korrigieren. Und zum anderen muss die Person des Testamentsvollstreckers den hohen persönlichen und fachlichen Eignungsvoraussetzungen, die an das Amt im konkreten Fall zu stellen sind, genügen. Eine gute Hilfestellung hierzu bietet die Arbeitsgemeinschaft Testamentsvollstreckung und Vermögenssorge (AGT) e. V. (www.agt-ev.de) und in die von ihr verfolgte Qualifizierung von Testamentsvollstreckern (www.testamentsvollstreckerliste.de).
Expertenhinweise
(für Juristen)
1) Allgemeines
3Die Entlassung des Testamentsvollstreckers auf Betreiben von Nachlassbeteiligten gilt als das schärfste Schwert in der Hand des Erben.Muscheler, AcP 197, 226, 227 Dogmatisch stellt sie einen Sonderfall der Amtsbeendigung des Testamentsvollstreckers dar. Sie tritt neben die Beendigungstatbestände der Amtsniederlegung,
4Gemeinsam mit der strengen Haftungsverpflichtung des Testamentsvollstreckers nach § 2219 bildet das Entlassungsverfahren einen Kontrapunkt zu der starken Stellung, die dem Testamentsvollstrecker im deutschen Recht zukommt. Dies zeigt sich auch daran, dass der Erblasser nicht befugt ist, in seiner letztwilligen Verfügung die Möglichkeit zur Entlassung nach
5Voraussetzung für die Entlassung eines Testamentsvollstreckers sind das Vorliegen eines Entlassungsantrages sowie ein Entlassungsgrund.
2) Definitionen
5a) Entlassungsantrag
6Antragsberechtigt ist jeder Beteiligte. Hierunter fallen sowohl Erben, als auch Vermächtnisnehmer, weiterhin etwaige Mittestamentsvollstrecker sowie grundsätzlich auch Pflichtteilsberechtigte.KG, Beschl. v. 22.02.2005, 1 W 234/02, FamRZ 2005, 1595 Miterben, die ihren Erbteil übertragen haben oder deren Erbteil gepfändet ist, kommen ebenfalls in Betracht.Rott in: Rott u.a., Testamentsvollstreckung, 2. Aufl. 2012,
3) Abgrenzungen, Kasuistik
20a) Beispielsfälle für grobe Pflichtverletzungen des Testamentsvollstreckers:Nach Rott in Frieser, Fachanwaltskommentar Erbrecht, 4. Aufl. 2013, § 2227 BGB , Rn 15 ff. m.w.N.
- Schuldhafte Unterlassung der Vorlage des Nachlassverzeichnisses bei ernsthafter Gefährdung des NachlassesOLG Zweibrücken, Beschl. v. 29.01.1997, 3 W 219/96, FGPrax 1997, 109, 110
- Nichtbeachtung von Auskunftsansprüchen und RechnungslegungspflichtenBayObLG, Beschl. v. 05.11.1987, BReg 1 Z 43/87, FamRZ 1988, 436-437
4) Zusammenfassung der Rechtsprechung
24Die Rechtsprechung legt immer wieder Wert darauf, den Besonderheiten des Einzelfalls gerecht zu werden. Dies führt im Ergebnis zu einer großen Kasuistik. Ein schneller Überblick zu bereits entschiedenen Entlassungssachverhalten - wie auch anderer Rechtsprechung zu Themen der Testamentsvollstreckung - findet sich bei Rott, Rechtsprechungssammlung für Testamentsvollstrecker, Zerb-Verlag 2023 (https://www.zerb.de/rechtsgebiete/rechtsgebiete-von-a-bis-z/erbrecht/2364/rechtsprechungssammlung-fuer-testamentsvollstrecker-ebroschuere-pdf), einer Online-Zusammenstellung mit Verlinkung zu im Internet frei zugänglichen Entscheidungen.
5) Literaturstimmen
Rott, u.a., Praxishandbuch Testamentsvollstreckung, 3. Auflage 2022, Zerb-Verlag, Bonn (Praxishandbuch Testamentsvollstreckung | Zerb Verlag - Fachverlag für die Erbrechtspraxis - Fachverlag für die Erbrechtspraxis)
Rott, Rechtsprechungssammlung für Testamentsvollstrecker, 1. Auflage 2023, Zerb-Verlag, Bonn (Rechtsprechungssammlung für Testamentsvollstrecker - eBroschüre (pdf) | Zerb Verlag - Fachverlag für die Erbrechtspraxis - Fachverlag für die Erbrechtspraxis)
Rott in Schiffer/Rott/Pruns, Die Vergütung des Testamentsvollstreckers, 2. Aufl. 2022, Zerb-Verlag, Bonn (Die Vergütung des Testamentsvollstreckers | Zerb Verlag - Fachverlag für die Erbrechtspraxis - Fachverlag für die Erbrechtspraxis)
3Rott, Testamentsvollstreckung – Kommentierung zu §
Rott, Eberhard, Aktuelles zur Testamentsvollstreckung – Rechtsprechung, Gestaltungsmöglichkeiten und Praxishinweise, NWB-EV 2023, 333-339
Rott, Eberhard, Wie werde ich den Testamentsvollstreckervermerk wieder los? Zugleich Anmerkung zu OLG Karlsruhe Beschl. 7.9.2022 –19 W 64/21 und KG Beschl. v. 13.10.2022 – 1 W 268/22, ErbR 2023, 199-202
Rott, Eberhard (gemeinsam mit Weber, Elena), Aktuelles zur Testamentsvollstreckung – Rechtsprechung, Gestaltungsmöglichkeiten und Praxishinweise, NWB-EV 2023, S. 23-31
Rott, Eberhard (gemeinsam mit Schiffer, Dr. Jan und Pruns, Matthias), Fortschreibung der „Empfehlungen des Deutschen Notarvereins zur Vergütung des Testamentsvollstreckers“ durch die AGT, ZErb 2022,420-425.
Rott, Eberhard (gemeinsam mit Weber, Elena), Aktuelles zur Testamentsvollstreckung – Rechtsprechung, Gestaltungsmöglichkeiten und Praxishinweise, Verlagssonderveröffentlichung der NWB-EV 2022, S. 1-10 zum 16. Deutschen Testamentsvollstreckertag.
Rott, Eberhard, Anmerkung zu OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.05.2022, 21 W 39/22 (Gerichtliche Ernennung des Testamentsvollstreckers durch Verfügung statt durch Beschluss), ErbR 2022, 807 – 815
Rott, Eberhard, Anmerkung zu OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.03.2022, 21 W 10/22 (Gerichtsgebührenbefreiung des Testamentsvollstreckers), ErbR 2022, 624-625.
Rott, Eberhard, Die Krux mit der tabellenmäßigen Vergütung des Testamentsvollstreckers, ErbR 2022, 379-382.
Rott, Eberhard, Anmerkung zu LG Köln, Urteil vom 16.12.2021 (Vergütung des Testamentsvollstreckers), ErbR 2022, 427.
Rott, Eberhard (gemeinsam mit Schiffer, Jan und Pruns, Matthias) als Herausgeber und Autor), Die Vergütung des Testamentsvollstreckers, 2. Auflage 2022, ZErb-Verlag, Bonn
Rott, Eberhard, Anmerkung zu OLG München, Urteil vom 21.06.2021, ErbR 2022, 248-250 („Rheinische“ Tabelle)
Rott, Wer kontrolliert den Testamentsvollstrecker? Instrumentarien zur Kontrolle des Testamentsvollstreckers, NWB-EV 2009, 389 – 397
Rott, Die Entlassung des Testamentsvollstreckers wegen Pflichtverletzungen, AZO-Erbrecht 10/2009
6) Häufige Paragraphenketten
7) Prozessuales
3Das Entlassungsverfahren auf eine konstitutive Entscheidung des Nachlassgerichtes gerichtet, die zur Beendigung des Testamentsvollstreckeramtes führt.OLG Hamm Beschl. v. 15.01.2007 – 15 W 277/06, Rpfleger 2007, 324–327
4Zuständig in erster Instanz ist das Amtsgericht als Nachlassgericht, in zweiter Instanz das Oberlandesgericht. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit folgt aus §
8) Anmerkungen
5Zu unterscheiden ist zwischen der Entlassung der konkreten Person des Testamentsvollstreckers und der Beendigung des Amtes als Testamentsvollstrecker. Dem Gericht kommt keine Befugnis zur Aufhebung der Testamentsvollstreckung insgesamt zu. In der Praxis wird daher nur in Einzelfällen die Entlassung des Testamentsvollstreckers dazu führen, dass die Testamentsvollstreckung insgesamt beendet ist, beispielsweise dann, wenn sich aus der letztwilligen Verfügung entnehmen lässt, dass die Testamentsvollstreckung auf die konkrete Person des Testamentsvollstreckers beschränkt ist.