Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Karin Meyer-Götz / § 1571

§ 1571 Unterhalt wegen Alters

Ein geschiedener Ehegatte kann von dem anderen Unterhalt verlangen, soweit von ihm im Zeitpunkt

  • 1.der Scheidung,
  • 2.der Beendigung der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes oder
  • 3.des Wegfalls der Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch nach den §§ 1572 und 1573

wegen seines Alters eine Erwerbstätigkeit nicht mehr erwartet werden kann.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

1Abweichend vom Unterhalt während der Trennungszeit können nacheheliche Unterhaltsansprüche ab Rechtskraft der Scheidung nur geltend gemacht werden, wenn ein gesetzlich festgelegter Grund dafür besteht. Die verschiedenen Unterhaltstatbestände sind in den §§ 1570 ff. BGB geregelt. 

2§ 1571 BGB betrifft den Unterhalt wegen Alters. Dabei kann ein geschiedener Ehegatte dann Unterhalt verlangen, wenn von ihm eine Erwerbstätigkeit nicht mehr erwartet werden kann. Ein festes Alter gibt es dafür nicht, die Entscheidung muss vielmehr im Einzelfall erfolgen.

Grundsätzlich gilt indessen folgendes: Je näher der unterhaltsberechtigte Ehegatte an der gesetzlichen Altersgrenze der Rentenberechtigung ist, umso weniger wird ihm noch eine Berufstätigkeit - vor allem die erstmalige Aufnahme einer solchen - zumutbar sein.

3Das Alter des unterhaltsberechtigten Ehegatten muss kausal für die fehlende Erwerbstätigkeit sein, also den Hauptgrund dafür darstellen. Liegt der Grund dagegen in der allgemeinen Arbeitsmarktsituation, kann allenfalls ein Unterhaltsanspruch gemäß § 1573 BGB in Betracht kommen. 

Kann der Unterhaltsberechtigte altersbedingt nur noch eine Teilzeittätigkeit ausüben und deckt diese Tätigkeit nicht den vollen Bedarf, so kann die Differenz allenfalls nach den Regeln des § 1571 BGB verlangt werden.

4Die Voraussetzungen des Unterhalts wegen Alters müssen entweder im Zeitpunkt der Scheidung, bei Beendigung der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes oder im Anschluss an einen anderen Unterhaltstatbestand (§§ 1570, 1572 oder 1573 BGB) vorliegen. 

Die Darlegungs- und Beweislast der Voraussetzungen liegt beim Unterhaltsberechtigten. 

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

5Die Vorschrift des § 1571 BGB regelt den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten wegen Alters, soweit von ihm im Zeitpunkt der Scheidung, der Beendigung der Kinderbetreuung oder des Wegfalls eines sonstigen Unterhaltsanspruches eine Erwerbstätigkeit nicht mehr erwartet werden kann. Mit der Regelung hat der Gesetzgeber der Tatsache Rechnung getragen, dass erfahrungsgemäß mit steigendem Alter die Wiederaufnahme und vor allem die erstmalige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zunehmend schwierig ist.

Die Vorschrift wurde durch das zum 01.01.2008 in Kraft getretene Unterhaltsrechtsänderungsgesetz inhaltlich nicht verändert. Allerdings kann der Unterhaltsanspruch nun sowohl zeitlich, als auch der Höhe nach begrenzt werden. 

6Der Unterhalt nach § 1571 BGB ist ein Ausfluss der nachehelichen Solidarität. Voraussetzung ist, dass der geschiedene Ehepartner aufgrund seines Alters nicht mehr erwerbstätig sein kann. Dabei ist ein festes Alter nicht vorgesehen. Die Entscheidung muss vielmehr nach unterhaltsrechtlichen Gesichtspunkten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erfolgen.BGH FamRZ 1999, 708 

Eine Ehebedingtheit des Unterhaltsanspruches ist ebenfalls nicht erforderlich. Der Anspruch besteht auch dann, wenn der geschiedene Ehegatte bereits bei der Heirat aufgrund seines Alters keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen konnte oder selbst schon Rentenempfänger war.BGH FamRZ 1983, 150 

Die Darlegungs-und Beweislast für das Vorliegen des Anspruches trägt der Unterhaltsberechtigte.

2) Definitionen

Der Unterhaltsanspruch setzt voraus, dass ein geschiedener Ehegatte wegen seines Alters keine Erwerbstätigkeit ausüben kann.

a) Alter

7Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, eine starre Altersgrenze für den Unterhaltsanspruch festzusetzen. Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, dass eine Erwerbsobliegenheit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung besteht. Darüber hinaus ist die Altersgrenze nach den Umständen des Einzelfalls zu ermitteln. Dabei können zahlreiche Faktoren, wie die Ausbildung des Unterhaltsberechtigten, die Arbeitsmarktlage oder die Dauer der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit entscheidend sein. Zudem müssen die Dauer der Ehe und die ehelichen Verhältnisse einbezogen werden. 

Liegt ein Fall des vorgezogenen Ruhestandes vor, muss ebenfalls anhand der Umstände des Einzelfalls geprüft werden. Hat sich der Ehegatte bereits während der Ehezeit für einen vorgezogenen Ruhestand entschieden (z.B. Altersteilzeitmodell) und wusste der andere Ehegatte davon, wird eine darüber hinausgehende Erwerbsobliegenheit nicht anzunehmen sein. Etwas anderes gilt, wenn ein Ehegatte diese Entscheidung erst nach der Trennung bzw. Scheidung und ohne besondere Gründe - u.a. die Gesundheit betreffend - und ohne Einverständnis des anderen Ehepartners trifft.

8Gehört einer der Ehegatten zu einer Berufsgruppe mit speziellen Altersgrenzen, z.B. Piloten oder Polizisten, so entfällt die Erwerbsobliegenheit nicht automatisch mit Erreichen dieser Altersgrenze. Es ist darüber hinaus zu prüfen, ob dem Ehegatten neben seinem Rentenbezug eine weitere, angemessene Erwerbstätigkeit zugemutet werden kann.

Bei Selbstständigen oder Freiberuflern gelten keine Altersgrenzen. Dennoch wird auch bei diesen Gruppen grundsätzlich das allgemeine Rentenalter zugrunde gelegt. 

b) altersbedingte Nichterwerbstätigkeit

9Das Alter muss kausal dafür sein, dass der Ehegatte keine angemessene Erwerbstätigkeit ausüben kann.BGH FamRZ 2014, 1276 Es reicht nicht aus, wenn das Alter auch ein Grund für die fehlende Erwerbstätigkeit ist, z.B. bei Wiedereingliederungsschwierigkeiten in den Beruf nach langer Arbeitslosigkeit.

c) Einsatzeitpunkte

10Der Anspruch nach § 1571 BGB besteht nur dann, wenn die altersbedingte Nichterwerbstätigkeit zu bestimmten Einsatzzeitpunkten vorliegt.

aa) Zeitpunkt der Scheidung

Der Unterhaltsanspruch im Zeitpunkt der Ehescheidung ist die klassische Form des Altersunterhalts. Dabei müssen die Voraussetzungen bei Eintritt der Rechtskraft der Scheidung vorliegen.

bb) Beendigung der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes

11In diesem Fall wird der Altersunterhalt typischerweise als Anschlussunterhalt geltend gemacht, sobald die Betreuungsbedürftigkeit eines gemeinschaftlichen Kindes entfallen ist. Die Voraussetzen für den Wegfall der Betreuungsbedürftigkeit des Kindes entsprechen denen des § 1570 BGB

cc) Wegfall der Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch nach §§ 1572, 1573 BGB

12Hierbei handelt es sich ebenfalls um einen Fall eines Anschlussunterhalts. Wichtig ist wiederum die Kausalität zwischen dem Alter des ehemaligen Ehegatten und der Nichterwerbstätigkeit. 

Ein Anspruch auf Altersunterhalt im Anschluss an den Unterhalt wegen Krankheit gemäß § 1572 BGB ist gegeben, wenn der Unterhaltsberechtigte zwar wieder gesund ist, aber nun aufgrund seines Alters keiner angemessenen Erwerbstätigkeit mehr nachgehen kann. 

Demgegenüber kann Altersunterhalt im Anschluss an den Erwerbslosigkeitsunterhalt nach § 1573 Abs. 1 BGB verlangt werden, wenn die Nichterwerbstätigkeit nicht mehr der Arbeitsmarktsituation, sondern zwischenzeitlich dem Alter des Unterhaltsberechtigten geschuldet ist.

Gleiches gilt für den Auftstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2. BGB. Verliert der Unterhaltsberechtigte seine Erwerbseinkünfte durch Erreichen des Renteneintrittsalters und der damit verbundenen Befreiung von der Arbeitsverpflichtung, ist ein Anspruch auf Altersunterhalt zu prüfen. 

13Voraussetzung für den Anspruch auf Altersunterhalt ist weiterhin das Vorliegen der Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten zu den vorgenannten Einsatzzeitpunkten. Demgegenüber ist es nicht zwingend erforderlich, dass der Unterhaltsschuldner zu den Einsatzzeitpunkten uneingeschränkt leistungsfähig ist. Eine vorübergehende, eingeschränkte Leistungsfähigkeit, z.B. wegen Krankheit schließt den Unterhaltsanspruch nicht gänzlich aus.BGH FamRZ 2016, 203 

3) Abgrenzungen, Kasuistik

14Der Anspruch auf Altersunterhalt wird bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzung sowohl vom Betreuungsunterhalt gemäß § 1570 BGB als auch durch den Unterhalt wegen Krankheit gemäß § 1572 BGB verdrängt. 

Ein Anspruch auf Altersunterhalt kann nicht neben einem Anspruch auf Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit nach § 1573 Abs. 1 BGB geltend gemacht werden. Ist der Unterhaltsberechtigte also sowohl wegen seines Alters, als auch wegen der Arbeitsmarktsituation an einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit gehindert, muss eine der beiden Anspruchsgrundlagen gewählt werden.BGH FamRZ 2010, 869 

15Ist der Unterhaltsberechtigte aufgrund seines Alters vollständig an einer angemessenen Erwerbstätigkeit gehindert, wird sein Bedarf über den Altersunterhalt gedeckt. Ein darüber hinausgehender Anspruch nach § 1573 BGB besteht nicht.BGH FamRZ 2014, 1276  Übt der Unterhaltsberechtigte stattdessen eine altersbedingte Teilzeittätigkeit aus, wird nur der Differenzbetrag zu einer Vollzeittätigkeit durch den Altersunterhalt gedeckt. Daneben kann ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB bestehen, wenn der Bedarf des Unterhaltsberechtigten durch die Teilzeittätigkeit und den Altersunterhalt nicht ausreichend gedeckt werden.BGH 1990, 492

4) Prozessuales

16Der Altersunterhalt kann gemäß § 1579 BGB ausgeschlossen sowie gemäß § 1578b BGB zeitlich und der Höhe nach begrenzt werden.

17Der Unterhaltsberechtigte trägt die Darlegungs-und Beweislast für das Bestehen des Anspruchs zu den maßgeblichen Einsatzzeitpunkten.

Demgegenüber hat der Unterhaltsschuldner die Voraussetzungen für eine Begrenzung des Anspruchs darzulegen und zu beweisen.BGH FamRZ 2010, 1971 Macht der Unterhaltsschuldner geltend, der Berechtigte könne über dessen Regelaltersgrenze hinaus erwerbstätig sein, so hat er auch dies darzulegen und zu beweisen.Palandt/Brudermüller § 1571 Rn. 11 


Fußnoten