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von Göler (Hrsg.) / Sebastian Höhmann, Elisabeta Schidowezki / § 2330

§ 2330 Anstandsschenkungen

Die Vorschriften der §§ 2325 bis 2329 finden keine Anwendung auf Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

1Grundsätzlich sind Geschenke des Erblassers in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall (und manchmal auch darüber hinaus) bei der Pflichtteilsergänzung (§ 2325 bzw. § 2329 BGB) zu berücksichtigen.

Keine Pflichtteilsergänzung bei Pflicht- und Anstandsschenkungen

Eine wichtige Ausnahme bilden dabei die sog. Pflicht- und Anstandsschenkungen des Erblassers, die nicht zu Pflichtteilsergänzungsansprüchen führen.

2Anstandsschenkungen sind dabei insbesondere übliche Zuwendungen zu besonderen Anlässen oder unter Verwandten, wie sie den Gepflogenheiten in sozial vergleichbaren Kreisen entsprechen, insbesondere

  • Geburtstags-, Weihnachts- und Hochzeitsgeschenke
  • Gabe bei öffentlichen Sammlungen (Kirchenkollekte)
  • Taschengeld
  • Besuchsgeschenke, Mitbringsel, Trinkgeld

Achtung: Übersteigen die Geschenke das übliche Maß, bleibt das übersteigende Maß pflichtteilsergänzungspflichtig.

Beispiel: Der Sohn hat zu Weihnachten immer Geschenke im Wert von 200 – 300 € bekommen; bekommt er einmalig 5.000 € zu Weihnachten, ist ersichtlich das „übliche Maß“ jedenfalls um 4.700 € überschritten, so dass dieser Betrag bei der Pflichtteilsergänzung anzusetzen ist. Was das übliche Maß ist, lässt sich dabei nicht konkret beziffern. Vor allem ist schwer einzuschätzen, wie der zuständige Richter diesen sog. „unbestimmten Rechtsbegriff“ auslegen wird. Ein starkes Argument für die Üblichkeit ist aber immer, wenn man auf vergleichbare Geschenke im Umfeld verweisen kann.

3Pflichtschenkungen können grundsätzlich auch größere Werte umfassen, liegen aber seltener vor, da sie nur gegeben sind, wenn das Geschenk „sittlich geboten“ ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Geschenk, dessen Kennzeichen ja gerade die Freiwilligkeit ist, nur selten sittlich geboten sein wird. So reicht es grundsätzlich nicht aus, Angehörige „nur“ unentgeltlich zu pflegen, um eine Pflichtschenkung zu rechtfertigen. Hinzukommen muss nach Meinung des Bundesgerichtshofs, dass der Pflegende besondere Opfer erbringt oder aufgrund der Pflege selbst in eine Notlage gerät, um von einer „sittlichen Pflicht“ der belohnenden Schenkung sprechen zu können.

Tipp zur Pflichtteilsreduzierung: Vergütung statt Pflichtschenkung vereinbaren

4Gerade bei Pflegeleistungen ist es zwar üblich, dass Angehörige diese ohne Entgelt erbringen, aber nicht zwingend. Anstatt sich in einen späteren Streit über die Voraussetzungen einer Pflichtschenkung zu verstricken, kann von vornherein ein Entgelt für die Pflegeleistungen (am besten schriftlich) vereinbart werden. Bleibt das Entgelt im angemessenen Rahmen, liegt keine Schenkung vor, und die Frage der Pflichtteilsergänzung stellt sich nicht.

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

5Mit Rücksicht auf den Erblasser und dessen sittliche Pflichten und die Wahrung des Anstands sind Anstands- und Pflichtschenkungen im Sinne von 534 BGB von der Pflichtteilsergänzung ausgenommen. Ob derartige Geschenke gegeben sind, ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen, die allerdigs von der persönlichen Lebensstellung des Erblassers, seinen Vermögensverhälntissen und seiner Beziehung zum Beschenkten abhängen. Übersteigen die Geschenke das gebotene Maß, ist nur der übersteigende Betrag ergänzungspflichtigBGH, Urteil vom 27.05.1981 - IVa ZR 132/80, NJW 1981, 2458 .

2) Definitionen

6Anstandsschenkungen sind solche kleinere Zuwendungen, die nicht unterbleiben könnte, ohne daß dort der Schenkende an Achtung und Ansehen verlieren würdeBGH vom 19.09.1980 - Az. V ZR 78/79, NJW 1981, 111. Maßgebend für die Beurteilung sind die Anschauungen, die in den Kreisen vorherrschen, die dem Schenkenden sozial gleichstehen. Zu den Anstandsschenkungen gehören insbesondere die gebräuchlichen Gelegenheitsgeschenke des täglichen Lebens (z.B. Trinkgeld, Mitbringsel) oder übliche Geschenke zu besonderen Anlässen (Geburtstag, Weihnachten, Taufe, Hochzeit, Jubiläum, etc.)OLG Oldenburg, Urteil vom 23.02.2010 – 12 U 6810, ErbR 2010, 170; OLG Koblenz, Urteil vom 13. 7. 2006 - 7 U 1801/05, NJOZ 2006, 3869. Sie dürfen aber das in den örtlichen und gesellschaftlichen Kreisen übliche Maß nicht überschreiten.

7Pflichtschenkungen können dagegen auch größere Geschenke sein, sogar wenn sie den Nachlass im Wesentlichen erschöpfenBGH vom 27.05.1981 - IVa ZR 132/80, NJW 1981, 2458. Maßgeblich ist nicht die Höhe des Geschenks, sondern die Feststellung, dass die Schenkung in solcher Weise sittlich geboten war, dass umgekehrt die Unterlassung als Verletzung einer sittlichen Pflicht anzusehen wäreBGH, Urteil vom 07-03-1984 - IVa ZR 152/82, NJW 1984, 2939  . Namentlich kommen als eine sittliche Pflicht auslösend langjährige unvergütete Dienste und Hilfen in Notlagen, ggf. verbunden mit eigenen Notlagen des Beschenkten in Betracht. Es fällt allerdings auf, dass die Annahme von Pflichtschenkungen seit Mitte der 1990er Jahre in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht mehr zu finden ist, so dass ältere Urteile auch unter dem Gesichtspunkt gewandelter gesellschaftlicher Anschauungen kritisch überprüft werden müssenvgl. so auch mit Beispielen aus der Rechtsprechung Staudinger/Olshausen § 2330 Rn. 9. Zu beachten ist allerdings die Rechtsprechung des BGHBGH vom 14.02.2007 - IV ZR 258/05, wonach ein Geschenk der Pflichtteilsergänzung entzogen ist, wenn nachträglich eine angemessene Gegenleistung für das Geschenk vereinbart wird. Der BGH hat in diesem Urteil auch seine Rechtsprechung bestätigt, wonach es auch keine Schenkung darstellt (und daher keine Pflichtteilsergänzungsansprüche auslöst), wenn der Erblasser nachträglich eine frühere Vergütung erhöht (solange die Vergütung nicht aufgrund eines auffallenden, groben Mißverhältnis eine Schenkung indiziert). Daher kann die nachträgliche Vereinbarung einer Gegenleistung für ein Geschenk vertraglich (Formerfordernisse beachten!) mit der nachträglichen Vergütung von Diensten verknüpft werden kannBGH, Urteil vom 15-03-1989 - IV a ZR 338/87, NJW-RR 1989, 706. Im Rahmen des angemessenen kann somit nachträglich ein entgeltlicher Vertrag geschaffen werden, bei dem sich die Frage nach der Pflichtteilsergänzung und somit der "Notwendigkeit" einer Pflichtschenkung nicht mehr stelltso auch Steinhauer, FD-ErbR 2007, 220778 .

8Liegen Anstand oder Pflichtschenkungen zwar im Rahmen des mit Anstand und sittlicher Pflicht vereinbaren Maß, überschreiten aber das gebotene Maß, so unterliegt der das gebotene Maß übersteigende Anteil der PflichtteilsergänzungBGH, Urteil vom 27.05.1981 - IVa ZR 132/80, NJW 1981, 2458.

3) Prozessuales

7Für das Vorliegen eines Geschenks trägt der Pflichtteilsberechtigte die Beweislast, ebenso für die Werte von Leistung und Gegenleistung, wenn er in einem vom Erblasser abgeschlossenen Kaufvertrag eine gemischte Schenkung siehtBGH vom 27.05.1981, IVa ZR 132/80, NJW 1981, 2458 . Dagegen trägt der Erbe die Beweislast für die Tatsache, ein (unstreitiges oder erwiesenes) Geschenk sei nicht zu berücksichtigen, da es mit Rücksicht auf Anstand oder sittliche Pflicht geboten warBurandt/Rojahn/Horn, 3. Aufl. 2019, BGB § 2330 Rn. 21; Staudinger/Olshausen, § 2330 BGB Rn. 11.


Fußnoten