§ 2327 Beschenkter Pflichtteilsberechtigter
(1) Hat der Pflichtteilsberechtigte selbst ein Geschenk von dem Erblasser erhalten, so ist das Geschenk in gleicher Weise wie das dem Dritten gemachte Geschenk dem Nachlass hinzuzurechnen und zugleich dem Pflichtteilsberechtigten auf die Ergänzung anzurechnen. Ein nach § 2315 anzurechnendes Geschenk ist auf den Gesamtbetrag des Pflichtteils und der Ergänzung anzurechnen.
(2) Ist der Pflichtteilsberechtigte ein Abkömmling des Erblassers, so findet die Vorschrift des § 2051 Abs. 1 entsprechende Anwendung.
Für den Rechtsverkehr
(für Nichtjuristen)
zum Expertenteil (für Juristen)
Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle
1Die Regelung des
Der Pflichtteilsberechtigte (das sind Abkömmlinge, Eltern, Ehegatten) hat gegen den Erben nach
Hat der Pflichtteilsberechtigte vom Erblasser zu dessen Lebzeiten bereits Geschenke erhalten, würde sich ohne Berücksichtigung des Werts dieser Geschenke die tatsächliche Quote dessen, was der Pflichtteilsberechtigte erhalten hat, verändern. Der Pflichtteilsberechtigte würde mehr erhalten als den Pflichtteil. Dies würde zu einem unbilligen und nicht gewünschten Ergebnis führen.
Um eine solche „Verwässerung“ des Anspruchs zu vermeiden, bestimmt die Regelung des
Wird nur der ordentliche Pflichtteilsanspruch nach
Wird neben dem ordentlichen Pflichtteil auch der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach
Ein Beispiel:
2Der Vater V verstirbt, er hinterlässt einen Sohn S. Weitere Pflichtteilsberechtigte sind nicht vorhanden. Er setzt seinen Bruder B (Geschwister sind nicht pflichtteilsberechtigt) als Alleinerben ein. Sein Nachlass beträgt € 100.000,00. Er hat seinem Sohn vor seinem Ableben einen Betrag in Höhe von € 20.000,00 geschenkt. Er hat keine Anrechnungsbestimmung getroffen und sonst keine Geschenke gemacht.
Der S hat einen gesetzlichen Erbanspruch von 1/1. Sein Pflichtteil beträgt 1/2, also € 50.000,00. Eine Anrechnungsbestimmung ist nicht getroffen, S erhält € 50.000,00.
Das Geschenk würde zwar den Wert des auszugleichenden Nachlass erhöhen (€ 100.000,00 + € 20.000,00 = €120.000,00), gleichzeitig hat sich S den Wert des Geschenks aber wieder in Abzug bringen zu lassen. Eine Anrechnung des Geschenks auf den ordentlichen Pflichtteil nach
Ein weiteres Beispiel:
3Der V bestimmt mit Hingabe des Geschenks an S, dass dieser sich den Wert auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen muss.
S erhält also seinen Pflichtteil abzüglich des Werts des Geschenks, wobei die Anrechnung nach herrschender Meinung (hierzu weiter unten) auf den Pflichtteil und die Ergänzung zu erfolgen hat:
Gesamtpflichtteil: Nachlass 100.000,00 + Geschenk 20.000,00 = 120.000,00, hieraus Gesamtpflichtteil = 60.000,00, nach Abzug des Geschenks 40.000,00.
Ordentlicher Pflichtteil unter Berücksichtigung der Anrechnung: € 50.000,00 ./. € 40.000,00 = € 10.000,00.
Danach beträgt der Ergänzungspflichtteil: € 40.000,00 ./. € 10.000 = € 30.000,00.
Wichtig ist diese Unterscheidung insbesondere dann, wenn der Nachlass zur Ausgleichung nicht ausreicht und der Ergänzungsberechtigte Ansprüche gegen den Beschenkten nach
Ein drittes Beispiel:
4V hat keine Anrechnungsbestimmung getroffen, er hat aber zu Lebzeiten seiner Freundin F ebenfalls € 10.000,00 geschenkt.
Es ist vorab unter Hinzurechnung der Werte der Geschenke der sogenannte Ausgleichungsnachlass zu ermitteln (zur Berechnung im Einzelnen
Der Ausgleichungsnachlass beträgt (€ 100.000,00 + € 20.000,00 + € 10.000,00) € 130.000,00
Der Gesamtpflichtteil des S beträgt danach € 65.000,00, wobei auf den ordentlichen Pflichtteil € 50.000,00 und auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch € 15.000,00 entfallen.
Eine Anrechnung des Eigengeschenks findet nur auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch statt (€ 15.000,00 ./. € 20.000,00). Das Eigengeschenk übersteigt in seinem Wert den Ergänzungsanspruch, S erhält nur den ordentlichen Pflichtteil.
Hätte V seiner Freundin F € 30.000,00 geschenkt, würde der Ausgleichungsnachlass € 150.000,00 betragen, der Gesamtpflichtteil € 75.000,00. Hieraus ergäbe sich ein Ergänzungsanspruch von € 25.000,00 und nach Abzug des Eigengeschenks von € 5.000,00. S würde also insgesamt € 55.000,00 als Pflichtteil- und Pflichtteilsergänzungsanspruch erhalten.
(Aus Gründen der Vereinfachung sind bei den Beispielen Indexierungen und Abschmelzungen nach
Expertenhinweise
(für Juristen)
1) Allgemeines
5Der Anwendungsbereich der Norm ist eröffnet, wenn neben dem Geschenk an den Pflichtteilsberechtigten selbst auch ein Geschenk an einen Dritten geleistet worden ist.
Dabei kann Dritter jede andere Person sein, also auch der Erbe oder ein anderer Pflichtteilsberechtigter.
Das Geschenk muss nach dem Wortlaut der Norm („von dem Erblasser erhalten“) vom Erblasser stammen.
2) Definitionen
Geschenk
8Ein Geschenk ist dann gegeben, wenn Leistung und Gegenleistung nicht kongruent sind.vgl. hierzu Pitz in BGB-online Kommentar zu
Nicht in den Anwendungsbereich des
Geschenke, die einer sittlichen Anstandspflicht entsprechen, also unter den Anwendungsbereich des
Mittelbare Schenkungen, können unter den Anwendungsbereich des
Eigengeschenke
9Eigengeschenke sind diejenigen Geschenke, die der Pflichtteilsberechtigte selbst zu Lebzeiten erhalten hat.
Ausgleichungsnachlass (auch fiktiver Nachlass)
10Der Ausgleichungsnachlass ist die Summe des ordentlichen Nachlasses unter Hinzurechnung des Werts der durch den Erblasser zu Lebzeiten getätigten Geschenke.
Flucht in den Pflichtteilsergänzungsanspruch
11Von der Flucht in den Pflichtteilsergänzungsanspruch spricht man, wenn durch Lebzeitige Zuwendungen bereits Vermögenswerte an einen Pflichtteilsberechtigten übertragen worden sind und eine Anrechnungsbestimmung nicht getroffen wurde.
Werden nun weitere lebzeitige Zuwendungen getätigt, hat der pflichtteilsberechtigte Beschenkte zwar grundsätzlich einen Pflichtteilsergänzungsanspruch, er muss sich allerdings den Wert der Eigengeschenke anrechnen lassen. Die Anrechnung erfolgt dabei ohne Bindung an die aus dem Pflichtteilsergänzungsanspruch nach
3) Zusammenfassung der Rechtsprechung
- Der Pflichtteilsergänzungsanspruch setzt lediglich eine Pflichtteilsberechtigung im Zeitpunkt des Erbfalls voraus, nicht aber zum Zeitpunkt der Schenkung (BGH, IV ZR 250/11).
- Der Pflichtteilsergänzungsanspruch setzt wenigstens noch eine Schenkung an einen Dritten neben der Schenkung an den Ergänzungsberechtigten voraus. Wurde nur der Ergänzungsberechtigte beschenkt, scheidet ein Pflichtteilsergänzungsanspruch aus, auch wenn der Ergänzungsberechtigte wegfällt und an dessen Stelle sein Abkömmling tritt (OLG München, Urteil vom 06.02.2019, 20 U 2354/18).
- Die kostenfreie Überlassung von Wohnraum stellt regelmäßig keine pflichtteilsergänzungspflichtige Schenkung dar (LG Kaiserslautern, Urteil vom 04.09.2018, 3 O 133/18).
- Wird Eigentum an einem Grundstück übertragen, ist für die Pflichtteilsergänzung der Wert des Eigentums relevant. Finanzierungsleistungen des Erblassers zum Erwerb dieses Eigentums sind hierin bereits enthalten und stellen keine gesonderte Leistung dar (OLG Dresden, Urteil vom 22.06.2016, 17 U 360/16).