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von Göler (Hrsg.) / Barbara Ackermann-Sprenger / § 2304

§ 2304 Auslegungsregel

Die Zuwendung des Pflichtteils ist im Zweifel nicht als Erbeinsetzung anzusehen.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

1Wendet der Erblasser testamentarisch den Pflichtteil zu, findet die negative Auslegungsregel von § 2304 BGB Anwendung. Danach handelt es sich im Zweifel nicht um eine Erbeinsetzung. Wie bei jeder Auslegungsregel kommt diese nur dann zum Tragen, wenn anderweitige Anhaltspunkte für den tatsächlichen Erblasserwillen fehlen. Dieser ist gemäß § 2084 BGB bei der Auslegung vorrangig zu ermitteln. Erst wenn der Erblasserwillen nicht festgestellt werden kann, kann auf Auslegungsregeln zurückgegriffen werden. Von der Abgrenzung hängt ab, ob der Begünstigte die Stellung eines Miterben mit den entsprechenden Mitwirkungsrechten oder lediglich einen Zahlungsanspruch gegen der Nachlass erhält.    

Mit der Zuwendung des Pflichtteils kann der Erblasser entweder eine Erbeinsetzung auf die Pflichtteilsquote des Berechtigten, eine Enterbung gemäß § 1378 BGB oder ein Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils gemeint haben. Für die Abgrenzung erheblich ist, ob der Erblasser dem Begünstigten testamentarisch einen besonderen Anspruch zuwenden oder ihm nur belassen wollte, was ihm nach dem Pflichtteilsrecht ohnehin zusteht und nicht entzogen werden kann (BGH NJW 2004, 3558). Im letzteren Fall hat die testamentarische Zuwendung des Pflichtteils lediglich redaktionelle bzw. deklaratorische Bedeutung.

Die Abgrenzung der drei verschiedenen Auslegungsalternativen ist von erheblicher praktischer Bedeutung: Bei einer Erbeinsetzung in Höhe der Pflichtteils-, also regelmäßig der hälftigen Erbquote, wird der so Begünstigte Mitglied der Erbengemeinschaft. Ihm stehen alle Mitbestimmungsrechte zu, die einem anderen Miterben mit höherer Erbquote zustehen. Lediglich bei der Verteilung des Nachlasses ist sein Anteil geringer als z.B. bei Eintritt der gesetzlichen Erbfolge. Die Vermächtnisanordnung kann insbesondere im Anwendungsbereich von § 1371 Abs. 1 BGB zwischen Ehegatten von Bedeutung sein, da der Ehegatte nur bei dieser Auslegung das Recht hat, zwischen Ausschlagung und Annahme der Zuwendung zu wählen, wobei durch Auslegung zu ermitteln ist, ob der große oder kleine Pflichtteil zugewendet werden sollte.

Für die Auslegung als Vermächtnisanordnung bzw. Erbeinsetzung spricht, wenn der Erblasser den Pflichtteil zuwendet, obwohl der Begünstigte auf diesen etwa vertraglich verzichtet hat.

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

a) Zweifelsregelung

2Wie jede Auslegungsregel ist § 2304 BGB nur anwendbar, wenn sich der Erblasserwille nicht zweifelsfrei ermitteln lässt. Die Zweifelsregel ist deshalb jederzeit durch Nachweis des tatsächlichen, anderslautenden Erblasserwillens widerlegbar.vgl. BayObLGZ 1966, 391 (398)  Beweisbelastet dafür, dass die Zweifelsregel des § 2304 BGB nicht eingreift, ist jedoch derjenige, der daraus Rechte für sich ableiten will, regelmäßig also der Pflichtteilsberechtigte, der die Anerkennung seiner Position als Miterbe oder Vermächtnisnehmer anstrebt.

b) Auslegungsalternative Pflichtteilszuwendung als Erbeinsetzung

3Für die Annahme einer Erbeinsetzung und gegen die Anwendung der Auslegungsregel gemäß § 2304 BGB spricht insbesondere bei notariellen Verfügungen oder einem erkennbar nach anwaltlicher Beratung errichteten Testament eine entsprechende Formulierung, die auf die Erbenstellung Bezug nimmt (z.B. "XY soll Erbe in Höhe von [Pflichtteilsquote] werden" oder "soll den Pflichtteil erben").vgl. MüKo/Lange Rn. 7  Das Wortlautargument verliert jedoch an Bedeutung, wenn es sich um ein von einem Laien errichtetes Testament handelt, das erkennbar umgangssprachliche Formulierungen verwendet,vgl. OLG Hamm OLGZ 1982, 41 (44)  bei Annahme von Kenntnis des Unterschieds bei präziser Wortwahl des Erblassers. Hat der Erblasser erkennbar angestrebt, den Pflichtteilsberechtigten mit den Miterben auf dieselbe Stufe insbesondere hinsichtlich von Mitentscheidungs- und Verwaltungsrechten sowie einer gegenständlichen Teilhabe am Nachlass statt der möglichen Geltendmachung lediglich eines Zahlungsanspruchs zu stellen, spricht dies für eine Erbeinsetzung.

c) Auslegungsalternative Pflichtteilszuwendung als Vermächtnisanordnung

4Für die Annahme einer Vermächtnisanordnung spricht in erster Linie, wenn der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten bestimmte Gegenstände aus dem Nachlass zuwendet, auch wenn diese Zuwendung erkennbar mit der Absicht verbunden ist, damit den Pflichtteilsanspruch zu decken (Deckungsvermächtnis). Die Abgrenzung zwischen Vermächtnisanordnung und Pflichtteilsverweisung im Sinn einer Enterbung soll sich danach richten, ob der Erblasserwille "beschränkenden" oder "gewährenden" Charakter hat.vgl. RGZ 129, 239 (241)  Die Abgrenzung allein nach dem Zuwendungswillen des Erblassers wird im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Eine Vermächtnisanordnung, die dadurch motiviert ist, den Begünstigten von der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs abzuhalten, wird regelmäßig gegen einen bloßen Rechtsfolgenverweis sprechen. Dies gilt umso mehr, wenn ausdrücklich der Begriff Vermächtnis verwendet wird. Wird der Begünstigte allein durch die Anwendung einer sogenannten Pflichtteilsstrafklausel oder sonstige Ungehorsamsklausel, z.B. Wiederverheiratungsklausel angesprochen, legt dies eine reine Rechtsfolgenverweisung in die Bestimmungen zum Pflichtteilsrecht nahe.vgl. OLG Celle ZEV 1996, 307 (308) 

d) Zuwendung des Pflichtteils zwischen Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft

5Wird ein Ehegatte enterbt und ihm auch kein Vermächtnis zugewandt, erhält er gemäß § 1371 Abs. 2 BGB nur den sogenannten kleinen Pflichtteil, jedoch den vollen Zugewinnausgleich. Wird er jedoch Erbe oder Vermächtnisnehmer, kann er bei Ausschlagung zwischen der güterrechtlichen (Zugewinnausgleich und kleiner Pflichtteil) und der erbrechtlichen Lösung (großer Pflichtteil) wählen.vgl. BGH NJW 1964, 2404  Das Wahlrecht zwischen der erbrechtlichen und güterrechtlichen Lösung steht dem Ehegatten also bei Zuwendung des Pflichtteils nur zu, wenn die Zweifelsregelung gemäß § 2304 BGB widerlegt, also eine Erbeinsetzung nach der Pflichtteilsquote oder eine Vermächtnisanordnung angenommen werden kann. Wird dabei eine bezifferte Quote verwendet, bleibt noch zu klären, ob bei der Beurteilung der Quotenidentität auf den kleinen oder den großen Pflichtteil abzustellen ist.vgl. MüKo/Lange Rn. 14  Wird der kleine Pflichtteil, also z.B. 1/8 zugewandt und handelt es sich um eine Erbeinsetzung oder Vermächtnisanordnung, spielt dies praktisch deshalb keine Rolle, weil die Geltendmachung des Restanspruchs auf den großen Pflichtteil gemäß §§ 2305, 2307 Abs. 1 Satz 2 BGB möglich ist. Dabei spricht die Zuwendung einer dem "kleinen", also nicht erhöhten Pflichtteil entsprechenden Quote grundsätzlich eher für, die Zuwendung der großen Pflichtteilsquote eher gegen die Anwendung von § 2304 BGB. Wird die große Pflichtteilsquote zugewandt, erhält der Ehegatte etwas, das ihm im Fall einer Enterbung nicht zustehen würde.vgl. MüKo/Lange Rn. 14; a.A. Ferid NJW 1960, 126 

2) Definitionen

Auslegung 

Pflichtteil

Vermächtnis

Erbeinsetzung 

3) Zusammenfassung der Rechtsprechung

6Die Abgrenzung, ob Abkömmlingen ein Vermächtnis in Höhe des Pflichtteilsanspruchs zugewandt werden soll, hängt davon ab, ob der Erblasser den Abkömmling begünstigen oder ihm lediglich belassen wollte, was ihm ohnehin nicht entzogen werden kann.vgl. BGH DNotZ 2005, 45 

Wird Stiefkindern, die nicht pflichtteilsberechtigt sind, ein Pflichtteil zugewandt, stellt dies ein Vermächtnis dar.vgl. BGH NJW-RR 1991, 706 

Die Verwendung der Begriffs Vermächtnis oder vermachen kann eine Auslegungshilfe dahingehend sein, dass ein Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils zugewandt werden soll. Fehlt eine solche Formulierung, kann daraus allein aber noch nicht darauf geschlossen werden, dass kein Vermächtnis gewünscht war.vgl. OLG Nürnberg BeckRS 2001, 301819200 

4) Häufige Paragraphenketten

§§ 2304, 2084 BGB

5) Prozessuales

7Die Zweifelsregel des § 2304 BGB ist jederzeit durch Nachweis des tatsächlichen, anderslautenden Erblasserwillens widerlegbar.vgl. BayObLGZ 1966, 391 (398)  Beweisbelastet dafür, dass die Zweifelsregel des § 2304 BGB nicht eingreift, ist regelmäßig der Pflichtteilsberechtigte, der die Anerkennung seiner Position als Miterbe oder Vermächtnisnehmer anstrebt. Trägt er zum Erblasserwillen nicht ausreichend vor, zieht das Gericht die Auslegungsregel heran.


Fußnoten