§ 1572 Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen
Ein geschiedener Ehegatte kann von dem anderen Unterhalt verlangen, solange und soweit von ihm vom Zeitpunkt
- 1.der Scheidung,
- 2.der Beendigung der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes,
- 3.der Beendigung der Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung oder
- 4.des Wegfalls der Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch nach § 1573
an wegen Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann.
Für den Rechtsverkehr
(für Nichtjuristen)
zum Expertenteil (für Juristen)
Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle
1Abweichend vom Unterhalt während der Trennungszeit können nacheheliche Unterhaltsansprüche ab der Rechtskraft der Scheidung nur geltend gemacht werden, wenn ein gesetzlich festgelegter Grund dafür besteht. Die verschiedenen Unterhaltstatbestände sind in den §
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Dabei muss die Erkrankung nicht wegen oder während der Ehe eingetreten sein. Auch eine bereits vor der Eheschließung vorhandene Krankheit kann den Unterhaltsanspruch gemäß
3Die Voraussetzungen des Unterhalts wegen Krankheit oder Gebrechlichkeit müssen im Zeitpunkt der Scheidung, bei Beendigung der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, bei Beendigung einer Ausbildung oder Fortbildung oder bei Wegfall der Voraussetzungen eines Unterhaltsanspruches gemäß
4Die Darlegungs-und Beweislast der Voraussetzungen liegt beim Unterhaltsberechtigten.
Expertenhinweise
(für Juristen)
1) Allgemeines
5Der Unterhaltsanspruch wegen Krankheit oder Gebrechlichkeit ist ein Ausfluss der nachehelichen Solidarität und beruht auf der Verantwortung der Ehegatten füreinander auch über die Scheidung hinaus.
Der Unterhaltsanspruch besteht, soweit der Unterhaltsberechtigte infolge von Krankheit, Gebrechen oder Schwäche der körperlichen und geistigen Gesundheit seinen Lebensbedarf nicht oder nur teilweise decken kann. Eine Ehebedingtheit der Krankheit ist nicht erforderlich.BGH FamRZ 2004, 779
6Als maßgebliche Einsatzzeitpunkte für den Unterhaltsanspruch gelten die Scheidung, die Beendigung der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, die Beendigung der Ausbildung oder Fortbildung sowie der Wegfall der Voraussetzungen eines Unterhaltsanspruches gemäß
Der Unterhaltsanspruch nach
2) Definitionen
Der Unterhaltsanspruch setzt voraus, dass ein Ehegatte wegen Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte eine Erwerbstätigkeit nicht ausüben kann.
a) Krankheit oder Gebrechen
aa) Begriff
7Die Begriffe „Krankheit“ und „Gebrechen“ sind gesetzlich nicht definiert, sodass diesbezüglich auf die Grundsätze des Sozialversicherungsrechtes zurückgegriffen wird.
Danach liegt eine Krankheit vor bei einem objektiv fassbaren, regelwidrigen Körper-oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf und/oder eine Arbeitsunfähigkeit nach sich zieht.BGH FamRZ 1973, 52 Regelwidrig bedeutet dabei eine Abweichung vom körperlichen oder geistigen Normalzustand eines Menschen.
Gebrechen sind alle von der Norm abweichenden Körper-und Geisteszustände eines Menschen von nicht absehbarer Dauer.BSG NJW 1961, 987
bb) einzelne Fallgruppen
8Unter den Krankheitsbegriff fallen vor allem dauerhafte Leiden, wie Suchterkrankungen (z.B. Alkohol oder Drogen), Depressionen oder Neurosen.
Daneben kann der Unterhaltsanspruch nach
Der Unterhaltsberechtigte ist verpflichtet, alle zumutbaren Mitwirkungshandlungen zu unternehmen, um die Krankheit behandeln zu lassen und aktiv seine Genesung zu fördern. Unterlässt er solche Mitwirkungshandlungen mutwillig, so kann der Unterhaltsanspruch u.U. nach
9Zu den Gebrechen zählen u.a. Blindheit, Taubheit und Körperbehinderung, solange sie nicht nur vorübergehend auftreten.
Die körperlichen und geistigen Schwächen treten im Gegensatz zu Krankheiten oder Gebrechen zwar weniger häufig auf, umfassen aber u.a. den Altersabbau, Abnutzungserscheinungen, geringe Intelligenz oder auch nicht kompensierbare Persönlichkeitsstörungen.OLG Bamberg FamRZ 2000, 231.
b) krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit
10Krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit bedeutet, dass die Krankheit kausal dafür sein muss, dass keine Erwerbstätigkeit durch den Unterhaltsberechtigten ausgeübt werden kann. Es reicht nicht aus, dass krankheitsbedingt lediglich eine Teilzeittätigkeit ausgeübt werden kann.
Es ist weiterhin nicht ausreichend, wenn der Unterhaltsberechtigte nur in seinem ursprünglichen Beruf nicht mehr tätig sein kann, solange ihm eine im Sinne des
Ist dem Unterhaltsberechtigten demgegenüber zumindest eine Teilzeittätigkeit möglich, so kann die Differenz zwischen den daraus und den fiktiven Einkünften einer Vollzeittätigkeit allenfalls über den Aufstockungsunterhalt gemäß
c) Einsatzzeitpunkte
Der Anspruch nach
aa) Zeitpunkt der Scheidung
11Der Unterhaltsanspruch im Zeitpunkt der Ehescheidung ist die klassische Form des Unterhalts wegen Krankheit. Dabei müssen die Voraussetzungen bei Eintritt der Rechtskraft der Scheidung vorliegen.
Umfasst hiervor sind auch Krankheiten, die bereits zum Zeitpunkt der Scheidung latent vorhanden waren, aber erst nach der Rechtskraft ausbrechen. Dies gilt jedoch nur, soweit ein naher zeitlicher Zusammenhang zwischen der Scheidung und der mit dem Ausbruch der Krankheit verbundenen Erwerbsunfähigkeit besteht.BGH FamRZ 2001, 1291 Der zeitliche Zusammenhang ist eine Frage des Einzelfalls, wurde jedoch beispielsweise bei einer Dauer von 21 Monaten abgelehnt.OLG Koblenz, NJW-RR 2006, 151
Ähnlich verhält es sich bei Krankheiten, die bereits zum Zeitpunkt der Scheidung vorgelegen haben und sich in einem nahen zeitlichen Zusammenhang so weit verschlimmern, dass eine völlige Erwerbsunfähigkeit eintritt.OLG Hamm FamRZ 1999, 230
Übt der Unterhaltsberechtigte zunächst nach der Scheidung weiterhin seine Berufstätigkeit aus und sichert damit nachhaltig seinen eigenen Bedarf, hat er keinen Unterhaltsanspruch mehr, wenn er später erkrankt.OLG Schleswig 26.01.2009 - 15 UF 76/08 Von einer nachhaltigen Unterhaltssicherung wird in der Regel nach etwa 2 Jahren ausgegangen.OLG Karlsruhe FamRZ 2000, 233. Eine spätere Erkrankung ist dann vom allgemeinen Lebensrisiko umfasst.
bb) Beendigung der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes
12In diesem Fall wird der Altersunterhalt typischerweise als Anschlussunterhalt geltend gemacht, sobald die Betreuungsbedürftigkeit eines gemeinschaftlichen Kindes entfallen ist. Die Voraussetzung für den Wegfall der Betreuungsbedürftigkeit des Kindes entsprechen denen des
cc) Beendigung einer Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung
13Der Unterhalt wegen Krankheit kann als Anschlussunterhalt im Zeitpunkt der Beendigung einer Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung nach
dd) Wegfall der Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch nach
14Hierbei handelt es sich ebenfalls um einen Fall eines Anschlussunterhalts. Tritt beim Unterhaltsberechtigten eine Krankheit ein, während er entweder einen Anspruch auf Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit gemäß
15Voraussetzung für den Anspruch auf Unterhalt wegen Krankheit ist weiterhin das Vorliegen der Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten zu den vorgenannten Einsatzzeitpunkten. Dabei führt eine vorübergehende fehlende Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten nicht zwingend zu einer Unterbrechung der Unterhaltskette, solange der zeitliche Zusammenhang zu den Einsatzzeitpunkten gewahrt bleibt.BGH FamRZ 2016, 203 Demgegenüber ist es nicht zwingend erforderlich, dass der Unterhaltsschuldner zu den Einsatzzeitpunkten uneingeschränkt leistungsfähig ist. Eine vorübergehende eingeschränkte Leistungsfähigkeit, z.B. wegen Krankheit schließt den Unterhaltsanspruch nicht gänzlich aus.OLG Celle FamZR 2016, 1169
3) Abgrenzungen, Kasuistik
16Ist der Unterhaltsberechtigte wegen Krankheit vollumfänglich an einer Erwerbstätigkeit gehindert, hat er einen Unterhaltsanspruch nach
Daneben kann möglicherweise ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nach
17Gleichzeitig bestehende Unterhaltsansprüche nach §§ 1570, 1571 oder 1575 BGB können einen Anspruch auf Unterhalt wegen Krankheit überlagern.
4) Prozessuales
18Der Unterhaltsberechtigte trägt die Darlegungs- und Beweislast für seine krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit zu den jeweiligen Einsatzzeitpunkten. Er muss vortragen, an welcher Krankheit er leidet sowie deren Art und Umfang und wie sich die damit verbundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf seine Erwerbsfähigkeit auswirken.BGH FamRZ 2001, 1291
Bezieht der Unterhaltsberechtigte eine Erwerbsunfähigkeitsrente (
Der Unterhaltsanspruch kann ausgeschlossen (
19Das Gericht muss die Feststellungen zur krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit treffen.BGH FamRZ 1988, 265 Dies kann in Form eines Sachverständigengutachtens erfolgen, vor allem wenn privatärztliche Atteste oder Gutachten nicht aussagekräftig genug sind oder bereits zu lange zurückliegen.
Der Unterhaltspflichtige hat gemäß