§ 2325 Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkungen
(1) Hat der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht, so kann der Pflichtteilsberechtigte als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird.
(2) Eine verbrauchbare Sache kommt mit dem Werte in Ansatz, den sie zur Zeit der Schenkung hatte. Ein anderer Gegenstand kommt mit dem Werte in Ansatz, den er zur Zeit des Erbfalls hat; hatte er zur Zeit der Schenkung einen geringeren Wert, so wird nur dieser in Ansatz gebracht.
(3) Die Schenkung wird innerhalb des ersten Jahres vor dem Erbfall in vollem Umfang, innerhalb jedes weiteren Jahres vor dem Erbfall um jeweils ein Zehntel weniger berücksichtigt. Sind zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichen, bleibt die Schenkung unberücksichtigt. Ist die Schenkung an den Ehegatten erfolgt, so beginnt die Frist nicht vor der Auflösung der Ehe.
Für den Rechtsverkehr
(für Nichtjuristen)
zum Expertenteil (für Juristen)
Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle
Die Norm gehört zu den grundlegenden Regelungen des Pflichtteilsrechts.
Anspruchsberechtigt sind Pflichtteilsberechtigte, also diejenigen, die durch den Erblasser enterbt worden sind, als auch Erben, denen ein Erbteil hinterlassen worden ist, der geringer ist als der Pflichtteil.
Die durch die lebzeitige Schenkung erfolgte Beeinträchtigung wird dadurch ausgeglichen, dass der Wert des Geschenks dem Nachlass hinzugerechnet wird und bei der Berechnung der Ansprüche berücksichtigt wird.
Voraussetzung ist deshalb das Vorliegen einer Schenkung (
Bei der Ermittlung des Pflichtteilergänzungsanspruchs werden alle Geschenke berücksichtigt, die innerhalb der letzten 10 Jahren vom Erblasser getätigt worden sind. Hat der Erblasser dabei seinem Ehegatten ein Geschenk gemacht oder hat er sich Rechte, wie etwa ein Wohnrecht oder einen Nießbrauch vorbehalten, kann die Berücksichtigung auch über den 10-Jahres-Zeitraum hinausgehen. Als Faustformel gilt: Die 10-Jahres-Frist beginnt erst zu laufen, wenn der Erblasser das Geschenk auch tatsächlich aus seinem Vermögen ausgegliedert hat.
Um den Rechten des Erblasser grundsätzlich über sein Vermögen frei verfügen zu können Rechnung zu tragen wurde mit der Erbrechtsreform 2010 eine pro-rata-temporis-Regelung aufgenommen. Dies bedeutet, dass der bei der Berechnung des Pflichtteils bzw. Pflichtteilsergänzungsanspruchs zu berücksichtigende Wert sich mit Fristbeginn jährlich um 1/10 verringert.
Während der Pflichtteilsanspruch der Regelverjährung unterliegt, also innerhalb von 3 Jahren beginnend mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden, verjährt und bekannt geworden ist, unterliegt der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten der kurzen Verjährungsfrist von 3 Jahren. Diese beginnt unabhängig der Kenntnis mit dem Tag des Erbfalls. In diesen unterschiedlichen Fristläufen liegt ein hohes Risiko, dass die Pflichtteilsergänzungsansprüche unbemerkt verjähren und nicht mehr durchgesetzt werden können. Nach einer Entscheidung des BundesgerichtshofsBGH, Urteil vom 09.10.1985, Az. IV a ZR 1/84
gilt die kurze Verjährungsfrist selbst dann, wenn er Beschenkte Miterbe ist. Kann danach eine Vereinbarung über den Verzicht auf die Einrede der Verjährungshemmung nicht erreicht werden, ist gegen den Beschenkten Feststellungsklage zu erheben.
Expertenhinweise
(für Juristen)
1) Allgemeines
2Bei der Regelung des
Durch die Bildung eines fiktiven Nachlasses wird der Erbrechtsgarantie des Art. 14 GG Rechnung getragen. Der Pflichtteilsanspruch soll dem Pflichtteilsberechtigten die Mindestteilhabe am Erbe sichern, der Pflichtteilsergänzungsanspruch soll die Aushöhlung des Anspruchs auf Mindestteilhabe verhindernMüller-Engels in BeckOK BGB, Bamberger/Roth/Hau/Poseck, 53. Edition 01.02.20, § 2325, Rn. 4.
Der Anspruch ist vom Schicksal des ordentlichen Pflichtteilsanspruch unabhängig.
2) Definitionen
2Gläubiger des Anspruchs ist der Pflichtteilsberechtigte, also die nach
3) Abgrenzungen, Kasuistik
4Bereits nach dem Wortlaut der Norm ist zwischen verbrauchbaren Sachen und anderen Sachen zu unterscheiden.
Verbrauchbare Sachen
Der Wert von verbrauchbaren Sachen, also insbesondere von Geld und Wertpapieren, ist mit ihrem Wert zum Stichtag der Zuwendung zu berücksichtigen. Der Betrag ist um den Kaufkraftschwund zu bereinigen.Lange in MüKo, BGB, 8. Auflage,
Andere Sachen (nicht verbrauchbare Sachen)
Komplizierter gestaltet sich die Wertermittlung bei nicht verbrauchbaren Sachen, also insbesondere bei Grundstücken.
Hier ist das sog. Niederstwertprinzip zu beachten, es ist eine Vergleichswertberechnung anzustellen.Weidlich in Palandt, BGB, 75. Auflage 2016,
Zu ermitteln ist nach dem Niederstwertprinzip zunächst der Wert des Geschenks zum Zeitpunkt des Erbfalls. Sodann ist in einem weiteren Schritt der Wert zum Zeitpunkt des Vollzugs der Schenkung zu ermitteln. Bei Grundstücken ist der Tag des Vollzugs der Tag der Eintragung in das Grundbuch.BGH IV ZR 3/74 Der Wert ist auf den Stichtag des Erbfalls zu indexieren, also um den Geldwertverfall zu bereinigen.
Sodann sind im nächsten Schritt die Werte einander gegenüberzustellen.
Ist der Wert am Stichtag des Erbfalls der niedrigere, ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch aus diesem Betrag zu ermitteln.
Ist der Wert am Stichtag des Schenkungsvollzugs der niedrigere, ist mit diesem zu rechnen. In diesem Fall sind nach h.M. Belastungen des Geschenks, etwa vorbehaltene Rechte zu kapitalisieren und vom Wert der Schenkung in Abzug zu bringen.Weidlich in Palandt, BGB, 75. Auflage 2016,
5Zeitliche Begrenzung, 10-Jahres-Frist (pro-rata-temporis-Regelung)
Schenkungen sind im Rahmen der Ermittlung der Pflichtteilsergänzungsansprüche mit ihrem Wert zeitratierlich über einen Zeitraum von 10 Jahren zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass für jedes Jahr, das seit der Schenkung vergangen ist, ein Abzug in Höhe von 1/10 vom Hinzurechnungsbetrag für die Ermittlung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs in Abzug zu bringen. Die Schenkung wird also in dem Jahr, in dem der Erblasser verstorben ist in vollständiger Höhe berücksichtigt und dann mit fortschreitender Zeitdauer jährlich um 1/10 abgeschmolzen. Sind seit der Schenkung 10 Jahre vergangen, bleibt die Schenkung unberücksichtigt.
Bei Ehegatten beginnt diese Frist nicht vor der Auflösung der Ehe, in der Praxis meist die Ehescheidung.
Darüber hinaus beginnt die Frist nicht, wenn der Vermögensgegenstand nicht aus dem Vermögen des Erblassers ausgegliedert worden ist, also etwa bei vorbehaltenen (Nutzungs-) Rechten.BGHZ 125,395, Urteil vom 29.06.2016 Hier spielen Wohnrechte und Nießbrauch eine bedeutende Rolle. Zu betrachten ist jeweils der Einzelfall. Eine bestimmte Quote hat sich noch nicht herauskristallisiert. Das OLG Karlsruhe bejahte in seiner Entscheidung vom 20.09.2007 bei Vorbehalt eines Wohnrechts an nur einer von mehreren Wohnungen im Haus (dort behielten sich die Übergeber ein Wohnungsrecht an der Souterrainwohnung vor) den Fristlauf, betonte allerdings, dass es zwischen Wohnungsrecht und Nießbrauch unterschied.OLG Karlsruhe, Urteil vom 20.09.2007, 12 U 124/07
6Eigengeschenke
Der Pflichtteilsergänzungsberechtigte hat sich Eigengeschenke in Abzug bringen zu lassen.OLG Koblenz, Urteil vom 09.08.2004, 12 U 432/03 Bezüglich der Eigengeschenkte gilt keine 10-Jahres-Frist, so dass grundsätzlich alle Geschenke an den Pflichtteilsberechtigten in Frage kommen.
Nicht Gegenstand des