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von Göler (Hrsg.) / Jörn Vinnen / § 2317

§ 2317 Entstehung und Übertragbarkeit des Pflichtteilsanspruchs

(1) Der Anspruch auf den Pflichtteil entsteht mit dem Erbfall.

(2) Der Anspruch ist vererblich und übertragbar.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

1Dem Erblasser steht es im Wege seiner Testierfreiheit grundsätzlich zu, seinen Erben frei zu wählen. Das Gesetz hat für einen engen Personenkreis gesetzlicher Erben allerdings einen Ersatzanspruch konzipiert: den Pflichtteilsanspruch. Dieser stellt allerdings nur einen Zahlungsanspruch dar und bemisst sich hinsichtlich der Höhe auf die Hälfte des gesetzlichen Anspruchs. Die vorliegende Norm regelt die Entstehung bzw. Fälligkeit dieser Forderung gegenüber dem Erben und stellt klar, wann solche Ansprüche geltend gemacht werden können, aber auch, dass sie vererblich und übertragbar sind. Auf die Geltendmachung kann verzichtet werden, was vor Eintritt des Erbfalles allerdings nur unter Einhaltung von Formvorschriften möglich ist; mit Eintritt aber formfrei erfolgen kann. Die Entstehung ist gerade auch hinsichtlich der Geltendmachung von Zinsen, des Erfordernisses der Erbschaftssteuer und für Pfändungs-/Insolvenzansprüche etc. durchaus entscheidend. 

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

2Der Pflichtteil ist ein schuldrechtlicher Geldanspruch, der mit dem Eintritt des Erbfalls entsteht. Im Nachlassinsolvenzverfahren ist der Pflichtteilsanspruch nachrangig, aber vor Vermächtnissen und Auflagen zu erfüllen (InsO § 327). Anders als Vermächtnisse ist der Anspruch nicht ausschlagbar; eine Verpflichtung zur Geltendmachung besteht allerdings nicht. Der Anspruch kann dem Erben gegenüber gemäß § 397 BGB erlassen werdenLange in Münchner Kommentar, 5. Auflage, § 2317 Rn. 9, was allerdings steuerrechtlich durchaus problematisch sein kann.

Vor dem Eintritt des Erbfalls ist eine Sicherung schwierig, zumal eine Sicherung weder durch Arrest, noch einstweilige Verfügung möglich ist. Allerdings kann die Klärung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Pflichtteilsanspruchs bereits vor Eintritt des Erbfalles durch eine Feststellungsklage herbeigeführt werden.BGH, FamRZ 1974, 303. 

2) Definitionen

a) Pflichtteilsgläubiger

3Pflichtteilsgläubiger sind gesetzliche Erben, denen vom Gesetz bei Entziehung des Erbrechts durch eine Verfügung von Todes wegen des Erblassers ein Pflichtteilsanspruch zusteht.Vgl. Weidlich, in: Palandt, BGB Kommentar, 73. Aufl. 2014, § 2317, Rn. 4. 

b) Pflichtteilsschuldner

4Pflichtteilsschuldner ist der Erbe oder die Miterben.

3) Abgrenzungen, Kasuistik

a) Überleitung durch den Sozialhilfeträger

11Ein wichtiger Fall ist der Zugriff des Sozialhilfeträgers, der gemäß § 93 SGB XII für von ihm erbrachte Leistungen auf einsetzbares Vermögen des Sozialhilfeempfängers zugreifen kann. Hierzu zählt auch der Pflichtteilsanspruch inklusive des Auskunftsanspruchs gegenüber dem Erben. Voraussetzung ist, dass der Pflichtteilsanspruch in der Zeit, in der die Hilfe geleistet wird, bereits bestehtBGH NJW 1985, 2416; OLG Frankfurt/Main ZEV 2004, 24.. Ab Bestehen des Anspruchs kann der Sozialträger auch gegen den Willen des Pflichtteilsberechtigten den Anspruch durchsetzen.

Ist die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs allerdings von einer Ausschlagung gemäß §§ 2306, 2307 BGB abhängig, ist eine Überleitung wegen der höchstpersönlichen Natur des Ausschlagungsrechtes nicht möglich.OLG Frankfurt/Main ZEV 2004, 24; OLG Stuttgart ZEV 2002, 367. Dies gilt insbesondere für sogenannte Behindertentestamente, in denen das behinderte Kind als Vorerbe bedacht ist und nicht über § 2306 BGB zur Ausschlagung und Geltendmachung seines Pflichtteils gezwungen werden kann. Anderes gilt allerdings für die Fälle, in denen das Kind über eine sog. Pflichtteilsbestrafungsklausel bei Geltendmachung des Pflichtteils seine Erbenstellung für den Schlusserbfall verlieren würde. Falls sich hier durch Auslegung ergebe, dass die Bestrafungsklausel in diesen Fällen nicht greift, soll eine Überleitungsmöglichkeit durchaus bestehen können.BGH FamRZ 2005, 448; BGH ZEV 2005, 117, 118 mit abl. Anm. Muscheler. 

b) Pfändung und Insolvenz

12Als abtretbare Forderung unterliegt auch der Pflichtteilsanspruch grundsätzlich der Pfändungsmöglichkeit, wobei aber die Ausnahmeregelung des § 852 Abs. 1 ZPO zu beachten ist. Ein Pflichtteilsanspruch ist erst dann pfändbar, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist.BGH FamRZ 2009, 502, 503. Der Pflichtteilsberechtigte soll wegen der familienrechtlichen Grundlage des Anspruchs zum Erhalt des Familienfriedens nicht zur Geltendmachung gezwungen werden können.BGH NJW 1982, 2771, 2772.  Geschützt werden durch § 852 Abs. 1 ZPO der ordentliche Pflichtteil, der Pflichtteilsrestanspruch, der Pflichtteilsergänzungsanspruch und der Anspruch des von der fortgesetzten Gütergemeinschaft ausgeschlossenen Abkömmlings.Vgl. Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 14 RN 12. Es muss ohne Erfordernis einer Schriftform zwischen Pflichtteilsberechtigten und Erbe Einigkeit bestehen, dass der Pflichtteilsanspruch besteht und geltend gemacht wird, wobei ein einseitiges Anerkenntnis nicht ausreicht.Lange in Münchner Kommentar, 5. Auflage, § 2317 Rn 24; OLG Düsseldorf FamRZ 2000, 367, 368. Nach der Rspr. des BGH kann der Pflichtteilsanspruch allerdings schon vor Anerkennung oder Rechtshängigkeit als aufschiebend bedingter Anspruch gepfändet werden.BGH ZEV 2009, 247. 

Der Anspruch ist dann bereits ohne Einschränkung mit einem Pfandrecht belegt, darf aber erst mit Eintritt der Verwertungsvoraussetzungen bzw. der Voraussetzungen des § 852 Abs. 1 ZPO verwertet werden.Lange in Münchner Kommentar, 5.Auflage, § 2317 Rn. 25. 

Ein Insolvenzverfahren umfasst gemäß §§ 35, 36 InsO das gesamte der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen, welches auch einen Pflichtteilsanspruch umfassen kann, der ab dem Erbfall zum Vermögen des Berechtigten zu zählen ist, wobei der Pflichtteilsschuldner über die Geltendmachung entscheidet.Klumpp, ZEV 1998, 123, 126. Auch wenn der Pflichtteilsanspruch erst nach Beendigung der Wohlverhaltensperiode rechtskräftig durchgesetzt wird, gehört er zur Insolvenzmasse, wenn der Erbfall nach Insolvenzeröffnung eingetreten ist und wird über eine Nachtragsverteilung gemäß § 203 Abs. 1 Ziff. 3 InsO berücksichtigt.LG Münster NZI 2009, 657, 659. 

c) Erlass

13Eine Ausschlagungsmöglichkeit sieht das Gesetz nicht vor. Allerdings kann der Pflichtteilsberechtigte nach Eintritt des Erbfalles durch formlosen Vertrag mit dem Pflichtteilsschuldner entsprechend der allgemeinen Regel des Forderungserlass (§ 397 BGB) auf seinen bereits entstandenen Pflichtteilsanspruch verzichten.Lange in Münchner Kommentar, 5. Auflage, § 2317 Rn. 9; RG JW 1928, 907; OLG Düsseldorf FamRZ 2000, 367, 368.  Voraussetzung ist, dass der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis vom Bestehen des Pflichtteilsanspruchs hat oder zumindest mit der Möglichkeit des Bestehens rechnet und seinen Willen zum Verzicht nach außen eindeutig erklärt.RZG 93, 297; Haas in Staudinger, BGB Kommentar, § 2317 Rn 17. Vor Eintritt des Erbfalles kann unter dem Erfordernis der Einhaltung der Formvorschrift des § 2348 BGB zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten ein Pflichtteilsverzichtsvertrag gemäß § 2346 Abs. BGB abgeschlossen werden, wobei streitig ist, ob nicht auch der Abschluss eines Erlassvertrages über den künftig entstehenden schuldrechtlichen Pflichtteilsanspruch möglich sein könnte.siehe Haas in Staudinger, BGB Kommentar, § 2317 Rn 18; BGH JZ 1997, 851 

Für den Erlass benötigt der in einer Zugewinngemeinschaftsehe lebende Pflichtteilsberechtigte nicht die Zustimmung seines Ehepartners gemäß § 1365 BGB, selbst wenn der Pflichtteil das gesamte Vermögen des Verzichtenden ausmachen würdeHaas in Staudinger, BGB Kommentar, § 2317 Rn 21. Gleiches gilt bei einer Gütergemeinschaftsehe, bei der der pflichtteilsberechtigte Ehegatte allein über den Erlass entscheiden kann (§§ 1432 Abs. 1, 1455 Ziff. 2 BGB).Lange in Münchner Kommentar, 5.Auflage, § 2317 Rn. 10. 

Bei einer Verzichtserklärung für einen minderjährigen Pflichtteilsberechtigten durch seine Sorgeberechtigten ist eine familienrechtliche Genehmigung gemäß §§ 1822, 1643 Abs. 1 BGB erforderlich.

4) Zusammenfassung der Rechtsprechung

5) Literaturstimmen

Palandt, BGB-Kommentar, 73. Auflage, 2014

Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch: BGB Band 5, Erbrecht, §§ 1922 – 2385 BGB §§ 27-35 BeurkG

Soergel, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch: Band 22, Erbrecht 1, 13. Auflage.

Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, Handbuch zum Pflichtteilsrecht, 3. Auflage 2013

6) Häufige Paragraphenketten

§ 271, § 280, § 286, § 291, § 397, § 398, § 401,§ 1365, § 1432, § 1455, § 1643, § 1822,§ 1952, § 2180, § 2306, § 2307, § 2314, § 2333, § 2348 BGB

§ 27, 254, 852 ZPO

§ 93 SGB XII

§ 1, § 3, § 7 ErbStG

§ 35, § 36, § 203, § 327, § 397 InsO

7) Prozessuales

8) Anmerkungen

15Die Norm ist als gesetzliche Voraussetzung zur Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durchaus wichtig. Zudem sind aber auch die steuerrechtlichen Aspekte zu beachten. Der Pflichtteilsanspruch wird erst in dem Moment steuerrechtlich relevant, in dem der Berechtigte den Anspruch geltend macht,Wälzholz in Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, Handbuch Pflichtteilsrecht, § 17 RN 35 ff.  wobei eine Bezifferung allerdings keine Voraussetzung für die steuerliche Relevanz darstellt.BFH ZEV 2006, 514. 

Besonderheiten sind hier bei einer Stundung zu beachten. Die zinslose Stundung kann als unentgeltliche Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG angesehen werden, unabhängig davon, ob der Pflichtteilsanspruch zum Zeitpunkt der Stundung bereits zivilrechtlich entstanden war.FG Münster ZErb 2009, 213 ff. 


Fußnoten