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von Göler (Hrsg.) / Sieglinde Linderer / § 2312

§ 2312 Wert eines Landguts

(1) Hat der Erblasser angeordnet oder ist nach § 2049 anzunehmen, dass einer von mehreren Erben das Recht haben soll, ein zum Nachlass gehörendes Landgut zu dem Ertragswert zu übernehmen, so ist, wenn von dem Recht Gebrauch gemacht wird, der Ertragswert auch für die Berechnung des Pflichtteils maßgebend. Hat der Erblasser einen anderen Übernahmepreis bestimmt, so ist dieser maßgebend, wenn er den Ertragswert erreicht und den Schätzungswert nicht übersteigt.

(2) Hinterlässt der Erblasser nur einen Erben, so kann er anordnen, dass der Berechnung des Pflichtteils der Ertragswert oder ein nach Absatz 1 Satz 2 bestimmter Wert zugrunde gelegt werden soll.

(3) Diese Vorschriften finden nur Anwendung, wenn der Erbe, der das Landgut erwirbt, zu den in § 2303 bezeichneten pflichtteilsberechtigten Personen gehört.

 

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

Das Pflichtteilsrecht regelt, dass es für die Bewertung aller aktiven und passiven Vermögenspositionen für die Wertermittlung auf den Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls ankommt. Dies ist in der Regel der Verkehrswert.

Von diesem Grundsatz wird bei Vererbung von landwirtschaftlichen Betrieben nach § 2312 BGB eine Ausnahme gemacht, sofern der Erblasser die Ertragswertbewertung angeordnet hat oder es sich bei dem landwirtschaftlichen Betrieb um ein Landgut handelt. Landgutqualität liegt vor, wenn die Hofstelle dem Erben (auch Übernehmer) die Betriebsfortführung ermöglicht und die wirtschaftliche Existenz sichert.

Das Landgut ist bei der Pflichtteilsberechnung dann privilegiert und nicht mit dem Zeitwert (Verkehrswert) anzusetzen, sondern nur mit dem - in der Regel deutlich niedrigeren - Ertragswert.

Ziel der Regelung ist es, dem Erben zu ermöglichen, den zum Nachlass gehörenden landwirtschaftlichen Betrieb fortzuführen und zu verhindern, dass der landwirtschaftliche Betrieb mit nicht erfüllbaren Pflichtteilsforderungen belastet wird. Es soll die Erhaltung bäuerlicher Betriebsstrukturen gesichert werden.

Die Schutzvorschrift greift, wenn der Erbe zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen (Kinder, Eltern, Ehegatte) gehört, der Erblasser angeordnet hat, dass der Ertragswert gilt oder im Übrigen die Landgutqualität nach § 2049 BGB vorliegt.

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

1§ 2312 BGB ist eine agrarpolitische Schutzvorschrift, die bezweckt, dass einem privilegierten Personenkreis (§ 2312 Abs. 3 BGB), den dort genannten Pflichtteilsberechtigten die Erhaltung und die Fortführung eines zum Nachlass gehörenden Landgutes gesichert werden soll, um so die im übergeordneten öffentlichen Interesse gelegene Fortführung leistungsfähiger landwirtschaftlicher Betriebe

2) Definitionen

a) Landgut

7Es muss ferner ein Landgut vorliegen. Eine Legaldefinition für das Landgut kennt das BGB nicht. Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW-RR 1992, 770) ist unter einem „Landgut” i. S. von §§ 23122049 BGB eine Besitzung zu verstehen,

„die eine zum selbstständigen und dauernden Betrieb der Landwirtschaft einschließlich der Viehzucht oder der Forstwirtschaft geeignete und bestimmte Wirtschaftseinheit darstellt und mit den nötigen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden versehen ist. Sie muss eine gewisse Größe erreichen und für den Inhaber eine selbstständige Nahrungsquelle darstellen, ohne dass eine sog. Ackernahrung vorliegen muss. Der Betrieb kann auch nebenberuflich geführt werden, wenn er nur zu einem erheblichen Teil zum Lebensunterhalt seines Inhabers beiträgt, auch wenn der Inhaber zusätzlich auf andere Einkommensquellen zurückgreifen muss. Damit kann sogar eine landwirtschaftliche Nebenerwerbsstelle Landgut sein (BGH v. 22. 10. 1986, IVa ZR 76/85, BGHZ 98, 375378, NJW 1987, 951. Zur Vermeidung verfassungswidriger Ergebnisse (vgl. BVerfG v. 16. 10. 1984, 1 BvL 17/80, BVerfGE 67, 348, NJW 1985, 1329) ist der Begriff des Landguts i. S. von §§ 23122049 BGB und damit der Anwendungsbereich dieser Vorschriften allerdings dahin einzuschränken, dass der Gesetzeszweck, nämlich die Erhaltung eines im obigen Sinne noch leistungsfähigen, landwirtschaftlichen Betriebs in der Hand einer vom Gesetz begünstigten Person, erreicht werden wird (BGH v. 22. 10. 1986, a. a. O.; WM 1991, 21152116; ebenso für § 1376 Abs. 4 BGB: BGH, FamRZ 1989, 1276).

8Wenn das Landgut eine landwirtschaftliche Nebenerwerbslandwirtschaft ist, muss sie doch zu einem erheblichen Teil zum Lebensunterhalt seines Inhabers beitragen. Der landwirtschaftliche Betrieb muss selbständig leistungsfähig sein und am Markt überleben können. Auch Sonderkulturen, Vieh- oder Geflügelzucht, ein Gartenbaubetrieb oder ein Forstbetrieb können Landgut sein. 

Die Landguteigenschaft geht auch nicht durch eine stadtnahe Lage verloren. Allerdings sind baureife Grundstücke oder Bauerwartungsland nicht Teile eines Landguts, auch nicht Grundstücke, für die ein Kiesabbau bereits genehmigt ist.

9Betriebe mit Massentierhaltung, die im Wesentlichen mit Hilfe zugekauften Futters betrieben werden, stellen in der Regel keine Landgüter dar. Auch eine Pferdepension hat keine Landguteigenschaft. Das gilt auch dann, wenn ein Zusammenhang mit einer Grünland- oder Forstbewirtschaftung besteht. Denn die Pensionstierhaltung stellt keine landwirtschaftliche Urproduktion dar. Auch eine Landwirtschaft im Hobbybetrieb oder ein, einem anderen Betrieb untergeordneter Betrieb ist kein Landgut.

10Werden auf einem Landgut weitere Gewerbe, z.B. ein Gasthof, eine Brennerei oder Brauerei betrieben, handelt es sich um einen sog. Mischbetrieb. Die Betriebsteile sind dabei getrennt voneinander zu bewerten.

b) Grenzen

11Für das Landgut muss eine positive Fortführungsprognose bestehen. Wird ein landwirtschaftlicher Betrieb zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr bewirtschaftet, ist aber die Wiederaufnahme der Bewirtschaftung möglich und zu erwarten, kann noch ein Landgut gegeben sein.  

Beim Verkauf des Landgutes durch den Erben entfällt der Schutzzweck des § 2312 BGB, da es an der Erhaltung eines leistungsfähigen Betriebes fehlt. Es ist dann der Verkehrswert anzusetzen. Latente Ertragssteuern sind dabei in Abzug zu bringen.

c) Berechnung des Ertragswertes

12Für die Berechnung des Ertragswertes ist nach § 2049 Abs. 2 BGB der Reinertrag maßgeblich, den das Landgut nach seiner bisherigen Bestimmung bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung erzielt.

Für die Wertermittlung gilt nach Art 137 EGBGB das jeweilige Landesrecht. Als Ertragswert ist der 18 – 25-fache Betrag des Reinertrages vorgesehen (z.B. das 18-fache für BY: Art 68 AGBGB; BW: Art 48 AGBGB; das 25-fache für Hess: 32 AGBGB; NRW: 46 AGBGB oder diverse andere BL nach § 36 Abs. 2 S. 3 BewG).

 

3) Abgrenzungen, Kasuistik

13Typischer Anwendungsbereich der Norm ist die Wertbestimmung des Nachlasses im Rahmen der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen und / oder Pflichtteilsergänzungsansprüchen, wenn der Erblasser den landwirtschaftlichen Betrieb schon zu Lebzeiten an einen pflichtteilsberechtigten Erben übertragen hat. Im Einzelfall kann die Bewertungsbestimmung auch für Übergaben, wenn für weichende Erben Abgeltungsbeträge zur Abgabe eines Pflichtteilsverzichts ermittelt werden sollen, Bedeutung erlangen. 

4) Zusammenfassung der Rechtsprechung

15BGH FamRZ 1992, 172              Agrarpolitische Schutzvorschrift zugunsten vom Gesetz begünstigter Personen   

BVerfG BVerfGE 67, 348               Ertragswertprivilegierung gerechtfertigt

BGH BGHZ 1998, 375                  Privilegierung mit Art. 3 GG vereinbar, Landgut muss leistungs- und lebensfähiger Betrieb sein 

BGH FamRZ 1977, 195                § 2312 BGB nicht für Miterben anwendbar  

BGH FamRZ 1983, 1220              Anforderungen an die konkludente Anordnung des Ertragswerts - Schutzzweck der Norm zu beachten

OLG München ZEV 2009, 301       Konkludente Anordnung des Ertragswertes

BGH NJW-RR 1992, 770               Definition Landgut        

BGH NJW-RR 1992, 66                 Kein Landgut für Grundstücke mit genehmigtem Kiesabbau

BGH NJW 1987, 1260                   Kein Landgut bei baureifen Grundstücken 

BGH FamRZ 1989, 1276               Darlegungs- und Beweislast          

5) Literaturstimmen

16Mayer, Pflichtteil und Ertragswertprivileg, MittBayNot 2004, 334,

Ruby, Landwirtschaftserbrecht: Ein Überblick, ZEV 2006, 351

Ruby, Landwirtschaftserbrecht: Das Landgut im BGB, ZEV 2007, 263     

Steffen, Ertragswert des Landguts, RdL 1988, 253

Weidlich, Ertragswertanordnung und Ehegattenbeteiligung an einem Landgut, ZEV 1996, 380          

6) Häufige Paragraphenketten

§§ 2303, 2311, 2312 BGB

§§ 2312, 2049 BGB

§§ 2312, 2049, 2325 ff. BGB

7) Prozessuales

17Die Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 2312 BGB im Einzelfall erfüllt sind oder nicht, ist Aufgabe des Tatrichters. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür obliegt dem Beteiligten des Rechtsstreits, der sich auf die Bestimmung beruft.

Dem Erben, der auf den Pflichtteil in Anspruch genommen wird, obliegt es, die künftige Fortführung der Bewirtschaftung darzutun und zu beweisen.  

8) Anmerkungen

18Für die Prüfung der Anwendbarkeit von §§ 2312, 2049 BGB kommt es entscheidend auf die Frage der Landgutqualität des vererbten oder übertragenen landwirtschaftlichen Besitzes an. Dies bedarf stets einer sorgfältigen Einzelfallprüfung. Dabei sind auch die dem Bewertungsstichtag vorangehenden steuerlichen Jahresabschlüsse von wenigstens drei Jahren heranzuziehen, um die Ertragslage zu ermitteln.

Es ist weder eine Mindestgröße noch ein Mindestwirtschaftswert des Betriebes vorgegeben. Das Landgut muss eine Familie nicht alleine ernähren können. Jedoch muss ein erheblicher bzw. sogar wesentlicher Teil des Einkommens aus der Landwirtschaft fließen. Zur Vermeidung von verfassungswidrigen Ergebnissen muss jedenfalls in Bezug auf das Landgut ein leistungsfähiger Betrieb vorliegen, der auch am Markt überlebensfähig ist. Ansonsten entfällt die Privilegierung in Bezug auf die Bewertung mit dem Ertragswert.  

19In der Regel wird die Einholung eines Gutachtens durch einen Landwirtschaftssachverständigen geboten sein. Zu beachten ist dabei auch, dass hoffremde Erträge bei der Ermittlung des Ertrags der Landwirtschaft auszusondern sind, weil es je nach Betrachtungsansatz zur Bevorzugung des Erben oder Benachteiligung des Pflichtteilsberechtigten mit der begünstigenden Wertermittlung auf Basis des Ertragswertes kommen kann.

20Im Verfahren vor Gericht ist bei der Beweiserhebung in Bezug auf einen landwirtschaftlichen Betrieb besonders auf die an den Sachverständigen gerichtete Fragestellung zum Vorliegen eines Landguts und der Bewertungsmethode zu achten.


Fußnoten