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von Göler (Hrsg.) / Claudia Nowack, Hans-Dieter Wurster / § 616

§ 616 Vorübergehende Verhinderung

Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Er muss sich jedoch den Betrag anrechnen lassen, welcher ihm für die Zeit der Verhinderung aus einer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Kranken- oder Unfallversicherung zukommt.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

1Das Arbeitsrecht ist geprägt von dem Grundsatz "ohne Arbeit kein Lohn". Dennoch gibt es mehrere gesetzliche Ausnahmen, aus denen sich dennoch ein Anspruch auf Bezahlung gegen den Arbeitgeber ergibt (Entgeltfortzahlung bei Krankheit, Urlaubsentgelt während des Urlaubs).

Eine weitere Regelung ist § 616 BGB, der unter engen Voraussetzungen eine Entgeltfortzahlung für wenige Tage vorsieht, wenn ein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann.

Ursache für die Verhinderung müssen persönliche Gründe sein. Die Verhinderung muss aus der persönlichen Sphäre des Betroffenen kommen. Betrifft die Verhinderung mehrere Arbeitnehmer, so ist § 616 BGB nicht anwendbar.

Beispiele für die Anwendbarkeit:

  • eigene Hochzeit
  • Begräbnisse im engsten Familienkreis
  • Pflege naher Angehöriger

Beispiele für die Nichtanwendbarkeit:

  • Verkehrsstörung
  • Glatteis

Die Verhinderung darf nur einen nicht erheblichen Zeitraum andauern. Dieser ist im Einzelfall zu bestimmen und hängt auch von der Dauer des Arbeitsverhältnisses ab. Eine Dauer von bis zu fünf Tagen wird grundsätzlich nicht als erheblich angesehen. Bei einem langjährigen Arbeitsverhältnis können auch 14 Tage noch als nicht erheblich angesehen werden.

Der Arbeitnehmer darf die an der Verhinderung nicht schuldhaft verursacht haben. Dies wird z.B. bejaht bei einem Verkehrsunfall aufgrund grob verkehrswidrigem Verhaltens.

§ 616 BGB kann durch Tarif- oder Arbeitsvertrag abbedungen werden.

Corona und § 616 BGB

Wenn Arbeitnehmer aufgrund einer behördlich angeordneten Quarantäne ihre Arbeit nicht verrichten, besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Zahlung gegen den Arbeitgeber. Umstritten ist derzeit noch, ob sich dieser Anspruch aus § 616 BGB oder aus dem Infektionsschutzgesetz ergibt. In letzterem Fall muss der Arbeitgeber mit der Zahlung in Vorleistung gehen, ihm werden die Zahlungen dann aber von der Bundesagentur erstattet.

Gleiches gilt für den Fall, dass Kitas oder Schulen geschlossen sind und Arbeitnehmer ihre Kinder unter 12 Jahren betreuen müssen, wenn keine andere Betreuungsmöglichkeit besteht.

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

2Der Anwendungsbereich des § 616 BGB umfasst die Fortzahlung der Vergütung für Arbeitnehmer und sonstige Dienstverpflichtete in Fällen, in denen diese verhindert sind, ihre Arbeitsleistung zu erbringen, die Verhinderung aber nicht auf Krankheit beruht. Für Fälle der Verhinderung aufgrund Krankheit gilt ausschließlich das Entgeltfortzahlungsgesetz (EfzG).

§ 616 BGB ist nicht anwendbar auf Berufsausbildungsverhältnisse. Für diese gelten die Sonderregelungen des § 19 Berufsausbildungsgesetz (BBiG).

2) Definitionen

a) Zur Dienstleistung Verpflichtete

3Unter diesen Begriff fallen nicht nur Arbeitnehmer mit Ausnahme der zur Berufsausbildung Beschäftigten (für welche § 19 BBiG als Sonderregelung gilt), sondern alle Dienstnehmer i.S.d. §§ 611 ff. BGB. Zur Dienstleistung Verpflichtete sind somit auch Freie Mitarbeiter oder arbeitnehmerähnliche Personen.Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Preis, 21. Aufl. (2021), § 616 Rn. 2

3) Zusammenfassung der Rechtsprechung

7Als persönliche Leistungshindernisse, die in den Anwendungsbereich des § 616 BGB fallen, gelten

  • vor allem familiäre Ereignisse, bei denen die eigene Anwesenheit unverzichtbar ist,Münchener Kommentar zum BGB/Henssler, 8. Auflg. (2018), § 616 RdNr. 43 wie z.B. die eigene HochzeitBAG, Urteil vom 27.4.1983, 4 AZR 506/80 = AP BGB § 616 Nr. 61 oder Begräbnisse im engen Familienkreis (Eltern, Kind, Geschwister) oder von im Haushalt lebenden AngehörigenMünchener Kommentar zum BGB/Henssler, 8. Auflg. (2018), § 616 RdNr. 346 
  • Zeugenaussage vor GerichtBAG, Urteil vom 13.12.2001 - 6 AZR 30/01, BAGE 100, 151-156 https://www.juris.de/perma?d=KARE60006226  
  • Arztbesuche: Liegt im Zeitpunkt des Arztbesuches bereits Arbeitsunfähigkeit vor, ist das EFZG anwendbar. Ansonsten liegt eine Verhinderung nach § 616 BGB nur dann vor, wenn der Arztbesuch während der Arbeitszeit medizinisch notwendig war oder der Arzt dem Arbeitnehmer nur einen Termin während der Arbeitszeit anbietet und der Arbeitnehmer auf diesen Termin keinen Einfluss hat.BAG, Urteil vom 29.02.1984, 5 AZR 92/82, BAGE, 171-178, https://www.juris.de/perma?d=KARE268650331
  • Pflege naher Angehöriger:
    • Kinder bis zur Altersgrenze (12 Jahre) des § 45 Abs. 1 SGB V. Der Anspruch auf Kinderkrankengeld gegen die Krankenkasse nach § 45 SGB V ist gegenüber dem Anspruch gegen den Arbeitgeber nach § 616 BGB subsidiär.Thüringer Landesarbeitsgericht, Urteil vom 20.09.2007, 3 Sa 78/07, juris Rn. 45 ,https://www.juris.de/perma?d=JUR070119414
  • Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter, soweit er die Lage der Sitzung nicht beeinflussen oder für die Dauer keine Gleitzeit in Anspruch nehmen kann.BAG, Urteil vom 22.01.2009, 6 AZR 78/08, <br>Link zu: https://www.juris.de/perma?d=KARE600025745 
  • Raucherpausen fallen nicht unter den Anwendungsbereich des § 616 BGBLArbG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.06.2007, 4 TaBV 12/07, juris Rn. 43<br>Link zu: https://www.juris.de/perma?d=KARE600025745 

Fußnoten