Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Andreas Gerhardinger / § 611

§ 611 Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag

(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

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§ 611 Abs. 1 BGB gibt dem Dienstberechtigten (z.B. Arbeitgeber) gegen den Dienstverpflichteten (z.B. Arbeitnehmer) einen Anspruch auf Leistung der vereinbarten Dienste und dem Dienstverpflichteten seinerseits einen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung, regelmäßig die Zahlung von Geld. Dienstverhältnisse sind in aller Regel Dauerschuldverhältnisse, die entweder nach Ablauf der vereinbarten Zeit oder durch Kündigung enden. Das in der Praxis bedeutsamste Dienstverhältnis ist das Arbeitsverhältnis, das durch persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit sowie Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers hinsichtlich Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung gekennzeichnet ist (sog. Weisungs- oder Direktionsrecht, § 106 GewO).BAG, Beschluss v. 11.06.2003 – Gz. 5 AZB 63/02 (= NJW 2003, 3365), http://lexetius.com/2003,1250: Zu den Voraussetzungen eines Arbeitsverhältnisses; Abgrenzung zur arbeitnehmerähnlichen Person Hiervon abzugrenzen sind die sog. „freien“ Dienstverträge der freien Berufe auf der einen Seite („Dienste höherer Art“, z.B. von Ärzten, Rechtsanwälten, Steuerberatern) und der Anstellungsverträge geschäftsführender Organmitglieder juristischer Personen auf der anderen Seite. 

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

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§ 611 BGB regelt die typischen Hauptleistungspflichten des Dienstvertrages, d.h. die Pflicht zur Dienstleistung einerseits und die Pflicht zur Zahlung einer Vergütung hierfür andererseits. Der Abschluss des Dienstvertrages ist grundsätzlich formfrei möglich, kann also auch mündlich erfolgen. Lediglich für das Arbeitsverhältnis ist in § 2 des Nachweisgesetzes die Pflicht des Arbeitgebers zur schriftlichen Niederlegung der wesentlichen Vertragsbedingungen vorgesehen. Die Pflichten der Parteien des Dienstvertrages stehen im Gegenseitigkeitsverhältnis (sog. Synallagma) gem. § 320 BGB. Da Gegenstand des Dienstvertrages Dienste unterschiedlichster Art sein können, ist die Abgrenzung zu anderen Verträgen bisweilen schwierig. Hauptanwendungsfall des § 611 BGB ist der Arbeitsvertrag, wobei die Vorschriften des BGB in diesem Bereich durch eine Vielzahl von Spezialregelungen überlagert werden.  

3Dienstverhältnisse sind in aller Regel Dauerschuldverhältnisse, die entweder durch Zeitablauf oder durch Kündigung enden. Im Rahmen des Dienstvertrages schuldet der Dienstverpflichtete nur die Erbringung einer bestimmten vereinbarten Dienstleistung an sich und zwar im Zweifel in Person (§ 613 S. 1 BGB) und unter "unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit" (BAG, Urteil v. 17.01.2008, 2 AZR 536/06). Die genaue Art und Weise sowie der Ort der geschuldeten Dienstleistung ergeben sich aus den Vereinbarungen der Vertragsparteien und unterliegen ggf. der Konkretisierung durch das Direktions- und Weisungsrecht des Dienstberechtigten (§ 315 BGB; § 106 GewO). 

2) Definitionen

a) Dienstvertrag und Dienstverhältnis

4Als Dienstvertrag wird die schuldrechtliche Vertragsgrundlage bezeichnet, mit welcher sich der Dienstberechtigte zur Leistung von Diensten und der Dienstverpflichtete zur Leistung einer Vergütung verpflichten. Das sog. Dienstverhältnis stellt demgegenüber das durch Dienstvertrag begründete tatsächliche Dauerschuldverhältnis zwischen Dienstberechtigten und Dienstverpflichteten dar.

b) Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis

5Der Arbeitsvertrag wird als Unterfall des Dienstvertrages zwischen Arbeitgeber als Dienstberechtigtem und Arbeitnehmer als Dienstverpflichtetem geschlossen. Als Arbeitsverhältnis wird das Dauerschuldverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezeichnet. Wesentliche Unterscheidungsmerkmale zum Dienstverhältnis sind die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit und die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers.

c) Arbeitgeber

6Arbeitgeber ist jede natürliche oder juristische Person, die mindestens eine weisungsgebundene und persönlich abhängige natürliche Person mit der Pflicht zur Zahlung einer Vergütung beschäftigt.

d) Arbeitnehmer

7Als Arbeitnehmer wird jede natürliche Person bezeichnet, die auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages für einen anderen weisungsgebundene und persönlich abhängige Arbeitsleistungen gegen Vergütung erbringt. Die weitere Unterscheidung zwischen Arbeiter und Angestellten hat wegen verbleibender Sonderregelungen im Bereich des Kündigungsschutzes und der Betriebsverfassung im Wesentlichen nur noch Bedeutung für sog. leitende Angestellte.

e) Arbeitnehmerähnliche Personen

8Nach der Legaldefinition in § 12a Tarifvertragsgesetz sind dies Personen, die im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrages zwar selbstständig und weisungsfrei, jedoch in wirtschaftlicher Abhängigkeit Leistungen für Dritte erbringen und daher vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind. Typische Beispiele sind Handelsvertreter, die nur für eine Firma tätig sind, sowie Heimarbeiter.

f) Leitende Angestellte

9Leitende Angestellte sind grundsätzlich als Arbeitnehmer und nicht als Organmitglieder anzusehen. Es gelten für diese jedoch Sonderregelungen mit jeweils unterschiedlichen Begriffsdefinitionen für den Kündigungsschutz (§ 14 Kündigungsschutzgesetz) und die Mitbestimmung (§ 5 Betriebsverfassungsgesetz).

g) Organmitglieder

10Gesetzliche Vertreter juristischer Personen, z.B. der Vorstand einer Aktiengesellschaft oder der Geschäftsführer einer GmbH. Der Anstellungsvertrag eines Organmitglieds ist in der Regel kein Arbeitsvertrag, sondern Dienstvertrag. Für Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem Anstellungsverhältnis ist die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben. Der nicht am Stammkapital der Gesellschaft beteiligte angestellte GmbH-Geschäftsführer wird jedoch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht als Arbeitnehmer behandelt, sodass grundsätzlich Sozialversicherungspflicht besteht.

3) Abgrenzungen, Kasuistik

a) Abgrenzung des Dienstvertrages zu sonstigen Vertragsverhältnissen

aa) Geschäftsbesorgungsvertrag

11Sofern und soweit der Dienstverpflichtete für den Dienstberechtigten im fremden Interesse eine selbstständige Tätigkeit wirtschaftlicher Art ausübt,BGH, Urt. v. 29.04.2004 - Gz. III ZR 279/03 (= NJW-RR 2004, 989), http://lexetius.com/2004,850 liegt zusätzlich eine Geschäftsbesorgung im Sinne des § 675 BGB vor.

4) Zusammenfassung der Rechtsprechung

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BAG. Urteil v. 29.09.2014 – Gz. 5 AZR 506/12, http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&nr=17680: Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt ("equal pay") - arbeitsvertragliche Ausschlussfrist 

BAG. Urt. v. 24.09.2014 – Gz. 5 AZR 1024/12, http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?

5) Literaturstimmen

Bozhilova, Polina/Tonikidis, Stelios: Der Arbeitnehmer als Verbraucher i. S. d. § 13 BGB, in: HFR 2010, 1 ff., http://www.humboldt-forum-recht.de/deutsch/13-2010/beitrag.html.  

Adomeit, Klaus: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – Kritisch gesehen, in: HFR 2008, 92 ff., http://www.humboldt-forum-recht.de/deutsch/8-2008/index.html  

Brors, Christiane: „Whistleblowing“ und „Verpfeifen“ bei Verdacht auf Straftaten des Arbeitgebers nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.7.2011, in: HFR 2012, 9 ff., http://www.humboldt-forum-recht.de/deutsch/2-2012/index.html

6) Häufige Paragraphenketten

§ 611 Abs. 1 Hs. 1 BGB ist unmittelbare Grundlage für den Anspruch des Dienstberechtigten auf Leistung der versprochenen Dienste.  

§ 611 Abs. 1 Hs. 2 BGB wiederum gibt dem Dienstverpflichteten einen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung. 

§ 611 i.V.m. § 612 BGB, als Anspruchsgrundlage für die ortsübliche Vergütung, falls eine Vergütungsvereinbarung nicht vorhanden oder unwirksam ist. 

§ 615 S. 1 i.V.m. § 611, §§ 293 ff. BGB, als Anspruchsgrundlage für Annahmeverzugslohn.

7) Prozessuales

a) Leistungsanspruch des Dienstberechtigten

aa) Klageart

36Zur Durchsetzung des Leistungsanspruches des Dienstberechtigten gegen den Dienstverpflichteten kommt die Leistungsklage in Betracht. So könnte etwa beantragt werden, den Dienstverpflichteten zu verurteilen, seine Tätigkeit beim Dienstberechtigten wieder aufzunehmen. Auch wenn die Verurteilung zur Vornahme einer unvertretbaren Handlung gem.


Fußnoten