§ 615 Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko
Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.
Für den Rechtsverkehr
(für Nichtjuristen)
zum Expertenteil (für Juristen)
Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle
Autor: Rechtsanwalt Heiko OrmanschickDer Autor ist als Rechtsanwalt in Hamburg schwerpunktmäßig mit Fragen der Wohn- und Geschäftsraummiete, des Wohnungseigentumsrechts sowie des Arbeitsrechts befasst. Er ist Dozent an der Hagen Law School im Bereich der Fachanwaltsausbildung zum Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht sowie Mitherausgeber der ZMR und Fachredakteur der DW.
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2Ein Annahmeverzug setzt gemäß
3Der Arbeitnehmer muss im Zeitpunkt seines Angebots (bzw. der Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers) rechtlich und tatsächlich auch in der Lage sein, die Arbeitsleistung zu erbringen. Rechtliche Hindernisse können sich aus einem gesetzlichen Beschäftigungsverbot oder aus dem Fehlen einer erforderlichen Arbeitserlaubnis eröffnen. Ein tatsächliches Hindernis ergibt sich häufig aus der arbeitsunfähigen Erkrankung des Arbeitnehmers. Das Angebot einer Tätigkeit in einem Wiedereingliederungsverhältnis genügt nicht. Dieses ist nicht Teil des Arbeitsverhältnisses, sondern stellt neben diesem ein Vertragsverhältnis eigener Art dar. Anders als das Arbeitsverhältnis ist das Wiedereingliederungsverhältnis nicht durch den Austausch von Leistung und Gegenleistung gekennzeichnet, sondern durch den Rehabilitationszweck.BAG, Urteil vom 06.12.2017 - 5 AZR 815/16
4Die Rechtswirkung des Annahmeverzugs besteht darin, dass der Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung verlangen kann. Gemeint ist damit derjenige Vergütungsanspruch, den der Arbeitnehmer gehabt hätte, wäre der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug geraten. Es gilt grundsätzlich das Lohnausfallprinzip. Im Arbeitsverhältnis ist der Anspruch auf die Bruttovergütung gerichtet.BAG, Urteil vom 19.10.2000 - 8 AZR 20/2000, NZA 2001, 598 Zu gewähren sind alle Leistungen, die Entgeltcharakter haben, also auch Leistungszulagen, Gratifikationen, Tantiemen sowie Provisionen. Wären ohne Annahmeverzug Überstunden erbracht worden, sind auch diese zu vergüten.BAG, Urteil vom 18.09.2001 - 9 AZR 307/00, NZA 2002, 268 Der Vergütungsanspruch wird so fällig, als ob die Dienste tatsächlich geleistet worden wären, also abschnittsweiseBAG, Urteil vom 16.05.2012 - 5 AZR 251/11, NZA 2012, 971; http://juris.bundesarbeitsgericht.de/zweitesformat/bag/2015/2015-03-05/5_AZR_251-11.pdf . Vergütung für Teile eines Monats werden nach Tagessätzen von 1/30 des Monatsentgelts berechnet.
5Ab Fälligkeit laufen die Verjährungsfristen und eventuelle einzelvertragliche oder tarifliche Ausschlussfristen.
6Da der Arbeitnehmer aus dem Annahmeverzug des Arbeitgebers keine finanziellen Vorteile ziehen soll, bestimmt
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Muss der Arbeitgeber seinen Betrieb aufgrund eines staatlich verfügten allgemeinen Lockdowns zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorübergehend schließen, trägt er nicht das Risiko des Arbeitsausfalls und ist nicht verpflichtet, den Beschäftigten Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu zahlen. In einem solchen Fall realisiert sich nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes Betriebsrisiko. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage. Es ist Sache des Staates, ggf. für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile zu sorgen. Aus dem Fehlen nachgelagerter Ansprüche lässt sich keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herleiten.BAG, Urteil vom 13.10.2021 - 5 AZR 211/21
Expertenhinweise
(für Juristen)
1) Allgemeines
8Die Arbeitsleistung stellt eine absolute Fixschuld dar. Jeder Verzug bei der Annahme dieser Arbeitsleistung führt damit an und für sich zur Unmöglichkeit - und
9Ist zwischen den Parteien das Zustandekommen eines Aufhebungsvertrags streitig, ist zur Begründung des Annahmeverzugs des Arbeitgebers i. d. R. ein tatsächliches Angebot durch den Arbeitnehmer erforderlich. Denn anders als bei einer Kündigung beendet der Arbeitgeber in diesen Fällen das Arbeitsverhältnis nicht einseitig.BAG, Urteil vom 07.12.2005 - 5 AZR 19/05, NZA 2006, 435
10Soweit das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet, wird
11Nach ständiger Rechtsprechung und überwiegender Literatur enthalten die Regelungen in
12Die Durchführung einer Anrechnung nach
2) Definitionen
13Abzugrenzen vom Betriebsrisiko ist das Arbeitskampfrisiko. Können die Fernwirkungen eines Streiks das Kräfteverhältnis der kämpfenden Parteien beeinflussen, so tragen beide Seiten das Arbeitskampfrisiko mit der Maßgabe, dass keine Vergütungs- oder Beschäftigungsansprüche bestehen. Ist die Betriebsstörung auf den Streik anderer Arbeitnehmer desselben Betriebs zurückzuführen, so verlieren die betroffenen Arbeitnehmer grundsätzlich ihren Beschäftigungs- und Vergütungsanspruch. Kann der Arbeitgeber allerdings die Folgen der Betriebsstörung durch organisatorische Gegenmaßnahmen begrenzen, behalten arbeitswillige Arbeitnehmer den Vergütungsanspruch, wenn ihre Beschäftigung rechtlich möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist.BAG, Urteil vom 11.07.1995 - 1 AZR 161/95, NJW 1996, 1227 Die streikenden Arbeitnehmer tragen das Lohnrisiko auch dann, wenn zeitlich aufeinanderfolgend in verschiedenen Abteilungen oder Schichten und insbesondere Kurzstreiks stattfinden, und dem Arbeitgeber eine darauf eingestellte andere Arbeitsplanung unmöglich oder unzumutbar ist.BAG, Urteil vom 12.11.1996 - 1 AZR 364/96, NJW 1997, 1801 Dieses gilt auch, wenn der Arbeitgeber mit einer Ersatzmannschaft die Produktion reduziert weiterführen kann.BAG, Urteil vom 15.12.1998 - 1 AZR 216/98, NJW 1999, 2389
3) Abgrenzungen, Kasuistik
14Annahmeverzug trotz Weiterbeschäftigungsangebot? Zwecks Meidung/Reduzierung des Annahmeverzugsrisikos nach unwirksamer Kündigung bieten Arbeitgeber häufig die Weiterbeschäftigung im Rahmen einer sog. Prozessbeschäftigung längstens bis zur erstinstanzlichen Entscheidung an. Dabei kann die Ausgestaltung der Prozessbeschäftigung als faktisches Arbeitsverhältnis als auch durch befristete
4) Literaturstimmen
21Eine Übersicht zum Annahmeverzug und Prozessbeschäftigung während des Kündigungsrechtsstreits gibt Ricken, NZA 2005, 323 ff. Mit dem Zumutbarkeitsbegriff i. S. v.
5) Häufige Paragraphenketten
6) Prozessuales
22Im Vergütungsprozess hat der Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen, dass im Verzugszeitraum ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Auch hat er den Umfang der geltend gemachten Forderung sowie die Ablehnung der Arbeitsleistung zu beweisen. Für einen fehlenden Leistungswillen oder das Leistungsunvermögen des Arbeitnehmers trifft demgegenüber den Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast.
7) Anmerkungen
26Das BAG legt jede nicht ausdrücklich widerruflich ausgebrachte Freistellungserklärung, welche zugleich eine Urlaubsabgeltung vorsieht, als unwiderrufliche Freistellung aus.BAG, Urteil vom 14.03.2006 - 9 AZR 11/05, NZA 2006, 1008 Den Urlaubsanspruch kann ein Arbeitgeber im Rahmen der Freistellung wirksam deshalb nur dann erfüllen, wenn er den Arbeitgeber unwiderruflich von der Arbeitspflicht freigestellt hat.BAG, Urteil vom 19.05.2009 - 9 AZR 433/08, NZA 2009, 1211 Darüber hinaus muss deutlich werden, in welchem Umfang die Urlaubsansprüche abgegolten werden sollen. Ist diese Konkretisierung nicht hinreichend deutlich, geht dieses zu Lasten des Arbeitgebers.BAG, Urteil vom 15.05.2011- 9 AZR 189/10, NZA 2011, 1032; http://juris.bundesarbeitsgericht.de/zweitesformat/bag/2015/2015-03-20/9_AZR_189-10.pdf
27Haben die Parteien einvernehmlich die Freistellung vereinbart (etwa in einem Prozessvergleich), kann eine Anrechnung von anderweitigem Verdienst nur erfolgen, wenn die Parteien eine entsprechende ausdrückliche Regelung getroffen haben. Fehlt eine solche, darf der Arbeitnehmer während der Freistellungszeit „doppelt“ verdienen, ohne dass der Arbeitgeber dieses verhindern kann. Dieses gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer während der Freistellungszeit für einen Konkurrenten seines bisherigen Arbeitgebers tätig wird!BAG, Urteil vom 17.10.2012 - 10 AZR 809/11, NZA 2013, 207; http://juris.bundesarbeitsgericht.de/zweitesformat/bag/2015/2015-01-23/10_AZR_809-11.pdf