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von Göler (Hrsg.) / Markus Roscher / § 1924

§ 1924 Gesetzliche Erben erster Ordnung

(1) Gesetzliche Erben der ersten Ordnung sind die Abkömmlinge des Erblassers.

(2) Ein zur Zeit des Erbfalls lebender Abkömmling schließt die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge von der Erbfolge aus.

(3) An die Stelle eines zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebenden Abkömmlings treten die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge (Erbfolge nach Stämmen).

(4) Kinder erben zu gleichen Teilen.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

An dem Grundgedanken des Familienerbrechts orientiert sich die Rangfolge der Erbberechtigten. Daher sind die Abkömmlinge des Erblassers nach Abs. 1 Erben erster Ordnung (Kinder, Kindeskinder usw.), also nicht dessen Geschwister. Diese bleiben außen vor, solange es Erben erster Ordnung gibt.

Innerhalb der ersten Ordnung wird im Abs. 2 eine Reihenfolge durch das Linearsystem definiert. Hiernach schließt die dem Erblasser nähere Linie die Abkömmlinge auf weiter entfernten Linien aus. Hat also der Erblasser eine Tochter und einen Enkel, ist die Tochter Repräsentantin ihrer Linie und schließt alle mit dem Erblasser durch sie (die Tochter) verwandten Abkömmlinge von der Erbfolge aus. Bei mehreren Kindern des Erblassers erben diese zu gleichen Teilen (Abs. 4).

Der Enkel erbt zunächst nichts, rückt aber als nächstgelegene Linie zur erbbegünstigten Mutter dem Erbe näher. Sollte aber - wie im Beispiel - die Mutter als Tochter des Erblassers den Erbfall, also Ableben ihres Vaters, nicht erleben, und bliebe nur der Enkel als "nächster" Abkömmling, würde dieser nach Abs. 3 an deren Stelle (also die Stelle seiner Mutter) treten. Diese Erbfolge nach Stämmen bedeutet für die angeheirateten Verwandten, dass nicht sie erben, sondern ausschließlich die "Blutsverwandten" des Erblassers. In unserem Beispiel würde also der Ehemann der vor ihrem Vater verstorbenen Tochter kein Erbe werden, sondern nur dessen gemeinsamer Sohn mit der Tochter des Erblassers. Diese Regelung der Ersetzung des Repräsentanten seiner Linie gilt bis zur dritten Ordnung (§ 1926).

Ob Kinder in der Ehe oder außerhalb der Ehe entstanden sind, spielt spätestens seit der Bestätigung europäischer Rechtsprechung durch das BVerfG im Jahre 2013 endgültig keine Rolle mehr, sofern die Vaterschaft des Kindes förmlich festgestellt wurde.

Fragen des vorzeitigen Erbausgleichs nichtehelicher Kinder, treten somit nicht mehr auf. Es gibt weder einen verpflichtenden, noch anderweitig normierten vorzeitigen Erbausgleich, weder für eheliche Kinder, noch für Kinder, die nicht in der Ehe entstanden sind. Dies hindert jedoch den zukünftigen Erblasser und seine Abkömmlinge nicht, freiwillig sich zu Lebzeiten auf entsprechende Regelungen, zumeist unter Verzicht des Begünstigten auf den Pflichtteil, zu einigen. 

 

    

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

1Die gesetzliche Erbfolge ist zunächst nur von Bedeutung für den Fall, dass der Erblasser keine letztwillige Verfügung getroffen hat (Subsidiarität der Erbfolgeregelung, § 1922). In diesem Fall regeln §§ 1924-1936 die Reihenfolge der Erben, die den Erblasser beerben. Der Gesetzgeber hat sich bei dieser Reihenfolge an der familiären Nähe zum Erblasser orientiert (Familienerbrecht). Der Verwandtschaftsgrad bestimmt sich jedoch nicht schlicht nach dem "Blut" des Verwandten, sondern danach, dass er wirklich rechtlich Teil der Familie ist. Das biologische Verwandtschaftsverhältnis für sich, reicht nicht (Palandt/Weidlich, BGB, 79. Aufl. (2020), § 1924 Rn. 2). Sind keine Verwandten auffindbar, erbt das Bundesland in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Wohnsitz hatte (1936). 

2Dem Erblasser am nächsten stehend sind dessen eigene Abkömmlinge. Mit ihnen wird die erste Ordnung der Erben begründet, also die Kinder und deren Kinder. Bis zur vierten Ordnung (§ 1928) ist der Verwandtschaftsgrad nicht entscheidend. Sind also Eltern des Erblassers vorhanden, aber auch Enkel, sind allein die Enkel erbberechtigt, weil sie in der Ordnung des Erblassers als Abkömmlinge eines Abkömmlings dem Erblasser näher stehen, als die vom Grade her näher stehenden Eltern des Erblassers. Geschwister des Erblassers, selbst wenn die menschliche Nähe durch ein gemeinsames Aufwachsen als sehr nah erscheint, sind danach nicht Erben der ersten Ordnung und in der Erbfolge nachrangig. Sie gehören auch nicht zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten (§ 2303).

3Der Ehegatte gehört zwar keiner Ordnung an, ist jedoch durch die §§ 1931, 1371 in besonderer Weise privilegiert. Im "Normalfall" (also, wenn die Ehegatten bei der Heirat nichts anderes vereinbart haben) lebte er mit dem Erblasser im Güterstand der Zugewinngemeinschaft und erhält neben den Kindern allein die Hälfte (1931 II, 1371 I).  

4In II wird innerhalb der Ordnung mittels Linearsystem die Reihenfolge der Erben geregelt. Hiernach schließt der dem Erblasser nähere Abkömmling (i.d.R. sein Kind) als Repräsentant seiner Linie die nach ihm folgenden Abkömmlinge (also i.d.R. Enkel) aus. Bei mehreren Abkömmlingen (Kindern) des Erblassers erben diese zu gleichen Teilen (IV). Das dem Adelsrecht oder dem biblischen Recht entsprungene Vorrecht des Erstgeborenen gibt es im deutschen Recht nicht mehr (Ausnahme: Höferecht für landwirtschaftliche Betriebe). 

5III regelt die Erbfolge nach Stämmen: Jedes Kind des Erblassers begründet einen eigenen Stamm. Stirbt also das Kind des Erblassers vor diesem, rücken die Abkömmlinge des bereits verstorbenen Kindes an seine Stelle. Diese Ersetzung des weggefallenen Repräsentanten des Stammes erfolgt bis zur dritten Ordnung (1924-1926). Die Erbfolge nach Stämmen hat zur Folge, dass Ehegatten gegenüber den "Blutsverwandten" des Erblassers schlechtergestellt sind (was aber durch §§ 1931, 1371 abgefedert wird).

6Die erheblichen Schwierigkeiten, die vor dem Erbrechtsgleichstellungsgesetz vom 16.12.1997 und der klärenden Entscheidung des EGMR zum Nichtehelichenerbrecht in Deutschland (EGMR, Urteil vom 28.5.2009, 3545/04) bei Adoptionen und auch zu nichtehelichen Kindern vorhanden waren, spielen in der Rechtswirklichkeit durch Zeitablauf nahezu keine Rolle mehr. Ob Kinder in der Ehe oder außerhalb der Ehe entstanden sind, ist solange nicht von Bedeutung, als die Vaterschaft des Kindes förmlich festgestellt wurde.

7Es gibt auch keinen vorzeitigen Erbausgleichsanspruch von Adoptivkindern (§§ 1934d; e aF) oder angenommenen Kindern. Dies gilt umso mehr für die in der Ehe entstandenen Kinder, die in der Rechtspraxis jedoch oft bemüht sind, Ihren Pflichtteil oder einen vorzeitigen Erbausgleich frühzeitig zu erhalten, obwohl ein diesbezüglicher Rechtsanspruch darauf nicht besteht.


Fußnoten