Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Vera Knatz / § 1935

§ 1935 Folgen der Erbteilserhöhung

Fällt ein gesetzlicher Erbe vor oder nach dem Erbfall weg und erhöht sich infolgedessen der Erbteil eines anderen gesetzlichen Erben, so gilt der Teil, um welchen sich der Erbteil erhöht, in Ansehung der Vermächtnisse und Auflagen, mit denen dieser Erbe oder der wegfallende Erbe beschwert ist, sowie in Ansehung der Ausgleichungspflicht als besonderer Erbteil.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

1Bei der gesetzlichen Erbfolge begünstigt der Wegfall eines gesetzlichen Erben die anderen gesetzlichen Erben, wenn sich durch den Wegfall ihre jeweilige Erbquoten erhöhen.
Sie erhalten dann einen einheitlichen Erbteil, welcher nur insgesamt angenommen oder ausgeschlagen werden kann. Auch die Haftung für Nachlassverbindlichkeiten umfasst den hinzugekommenen und den ursprünglichen Erbteil als Einheit.
Sind allerdings Belastungen auf dem hinzugekommenen Erbteil vorhanden, bestimmt § 1935 BGB, dass sich diese Belastungen nur auf den hinzugekommenen Erbteil beschränken und sich nicht auf den ursprünglichen Erbteil ausweiten.
Mit diesen Belastungen sind Vermächtnisse und Auflagen gemeint, aber auch die Ausgleichungspflicht unter den Kindern des Erblassers.

1Mit dem Begriff Wegfall sind vor dem Erbfall das Vorversterben eines Erben, die Auflösung der Ehe bzw. die Rechtshängigkeit eines zulässigen und begründeten Scheidungsverfahrens, der Ausschluss durch letztwillige Verfügung oder durch Erbverzicht gemeint.

2Ein Wegfall nach dem Erbfall umfasst die Ausschlagung, die Erbunwürdigkeitserklärung und die Totgeburt eines bei dem Erbfall bereits gezeugten, aber noch nicht geborenen erbberechtigten Verwandten.

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

3Normzweck

Mit der Regelung des § 1935 BGB soll verhindert werden, dass sich die Erhöhung eines gesetzlichen Erbteils durch den Wegfall eines gesetzlichen Erben für den begünstigten Erben nachteilig auswirkt. Dieser Fall würde eintreten, wenn der Teil, um den sich der Erbteil des begünstigten Erben erhöht, mit Vermächtnissen, Auflagen oder einer Ausgleichungspflicht belastet wäre, und wenn sich diese Belastung dann auch auf den gesamten Erbteil des Begünstigten auswirken würde.

Rechtstechnisch wird diese unerwünschte Folge verhindert, indem die Erhöhung des Erbteils bezogen auf Vermächtnisse, Auflagen und einer Ausgleichungspflicht als besonderer Erbteil behandelt wird. Gleichzeitig wird aber auch verhindert, dass bei vorhandener Beschwerung des ursprünglichen Erbteils sich die Beschwerungen auch auf den hinzukommenden Erbteil erstrecken.

§ 1935 BGB soll damit eine nicht gerechtfertigte Beschwerung des Erben und eine nicht gerechtfertigte Begünstigung des Vermächtnisnehmers etc. verhindern.

2) Definitionen

4a) Wegfall des gesetzlichen Erben vor dem Erbfall

Da vor dem Erbfall genau genommen ein gesetzlicher Erbe nicht wegfallen kann, da niemand vor dem Erbfall gesetzlicher Erbe sein kann, ist hier der Wegfall derjenigen Person gemeint, die für den Fall als gesetzlicher Erbe berufen gewesen wäre, wenn der Erbfall vor dem Wegfall eingetreten wäre.

Unter „Wegfall“ ist das Vorversterben des gesetzlichen Erben, der Erbverzicht gem. § 2346 BGB, der Ausschluss von der gesetzlichen Erbfolge durch Enterbung nach § 1938 BGB, der Ausschluss des Ehegattenerbrechts gem. § 1933 BGB oder der vor dem 1.4.1998 rechtsgültig zustande gekommene vorzeitige Erbausgleich nach Art. 227 Abs. 1 EGBGB, § 1934e BGB a.F. zu verstehen.

5b) Wegfall des gesetzlichen Erben nach dem Erbfall

Hierunter fallen Ereignisse, die das gesetzliche Erbrecht entfallen lassen und dabei auf den Erbfall zurückwirken. Dazu gehören die Ausschlagung gem. § 1953 BGB und die Erbunwürdigkeitserklärung gem. § 2344 BGB. Ebenso gehört dazu der Fall, dass ein bereits bei dem Erbfall Gezeugter (§ 1923 Abs. 2 BGB "nasciturus") nicht lebend geboren wird.

Darunter fällt aber nicht der Tod des gesetzlichen Erben nach dem Erbfall. Hier hat der gesetzliche Erbe seinen Erbteil bereits erlangt. Sein Tod ändert daran nichts mehr.

6c) Erhöhung des Erbteils

Infolge des Wegfalls des gesetzlichen Erben muss es zu einer Erhöhung des Erbteils eines anderen gesetzlichen Erben gekommen sein. Eine Erhöhung tritt ein, wenn derjenige gesetzliche Erbe, dem die Erhöhung zugutekommt, bereits vor dem Wegfall zum gesetzlichen Erben berufen war, allerdings mit einer geringeren Quote.

Der gesetzliche Erbteil des Ehegatten kann sich nach § 1931 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB erhöhen, während sich der gesetzliche Erbteil eines Verwandten innerhalb der ersten drei Ordnungen durch Wegfall des Ehegatten oder eines anderen erbberechtigten Verwandten derselben Ordnung ohne Abkömmlinge erhöhen kann.

Lebte der Ehegatte mit dem Erblasser im Güterstand der Gütertrennung, kann sich der gesetzliche Erbteil des Ehegatten auch durch den Wegfall eines Kindes sowie seines gesamten Stammes (§ 1931 Abs. 4 BGB) erhöhen, da sich durch den Wegfall des Kindes die Zahl der erbberechtigten Kinder reduziert.

Unter die Vorschrift des § 1935 BGB fällt nicht der Fall der mehrfachen Verwandtschaft und damit einhergehend die Anfall mehrerer Erbteile gem. § 1927 S. 2 BGB.

7d) Wegfall eines eingesetzten Erben

Nach dem Wortlaut gilt § 1935 BGB nur, wenn der Weggefallene und der Begünstigte als gesetzliche Erben berufen sind.

Fällt einem durch letztwillige Verfügung eingesetzten Erben der Erbteil eines anderen durch letztwillige Verfügung eingesetzten Erben durch Anwachsung gem. § 2094 BGB zu, enthält § 2095 BGB die gleiche Rechtsfolge wie § 1935 BGB.

Hat der Erblasser aber den Erben gem. § 2088 BGB nur auf einen Bruchteil eingesetzt und gleichzeitig die Anwachsung nach § 2094 Abs. 2 und 3 BGB ausgeschlossen, kann der Wegfall eines testamentarischen Erben auch dazu führen, dass sich der Erbteil des gesetzlichen Erben erhöht. In einem solchen Fall findet eine analoge Anwendung des § 1935 BGB statt, wenn es sich um die gleiche Interessenlage handelt.BeckOK/BGB/Müller-Christmann § 1935 BGB Rn. 5; Damrau/Seiler-Schopp § 1935 BGB Rn. 5; MüKo/Leipold § 1935 BGB Rn. 6

3) Abgrenzungen, Kasuistik

 Rechtsfolgen

8a) Einheitlicher Erbteil

Der angefallene Erbteil einschließlich der Erhöhung bildet eine Einheit. Der Erbteil kann daher nur insgesamt angenommen oder ausgeschlagen werden. Der Erbteil haftet auch insgesamt für Nachlassverbindlichkeiten.

Nur für die in § 1935 BGB genannten Beschwerungen wird die Erhöhung als gesonderter Erbteil dargestellt.

9b) Vermächtnisse, Auflagen

Die Vorschrift des § 1935 BGB führt dazu, dass der Erbe die Verpflichtungen aus Vermächtnissen und Auflagen nur aus dem beschwerten Anteil zu erfüllen braucht und dass er nach § 1922 BGB vorgehen kann, wenn nur der beschwerte Anteil durch Vermächtnis oder Auflage überschuldet ist. Er braucht die auf den anderen Anteil entfallenden Nachlasswerte nicht herauszugeben. Auch die Rechtsfolgen einer Inventarerrichtung bzw. der Unterlassung beschränken sich auf den jeweiligen Anteil, soweit verschiedene Beschwerungen mit Vermächtnis oder Auflage vorliegen.

10c) Ausgleichungspflicht eines Abkömmlings

Die Ausgleichungspflichten eines Abkömmlings gem. § 2050 BGB erstrecken sich bei seinem Wegfall auf den Abkömmling, der an seine Stelle tritt (vgl. § 2051 BGB). War dieser schon ohne den Wegfall erbberechtigt und ist damit eine Erhöhung eingetreten, so sind bei der Berechnung der Ausgleichungspflichten die Anteile gesondert zu betrachten.

Soweit die Ausgleichungspflicht aus dem belasteten Anteil nicht erfüllt werden kann, gilt § 2056 BGB. Danach braucht eine Ausgleichung aus dem anderen Anteil nicht geleistet zu werden. Vielmehr bleiben dann der Wert der Zuwendung und der mit der Ausgleichungspflicht beschwerte Anteil außer Ansatz.

4) Literaturstimmen

BeckOK/BGB/Müller-Christmann § 1935 BGB

Damrau/Seiler-Schopp § 1935 BGB

MüKo/Leipold § 1935 BGB


Fußnoten