Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Benjamin Haßelbach / § 622

§ 622 Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen

(1) Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten (Arbeitnehmers) kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden.

(2) Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen

  • 1. zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats,
  • 2. fünf Jahre bestanden hat, zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
  • 3. acht Jahre bestanden hat, drei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
  • 4. zehn Jahre bestanden hat, vier Monate zum Ende eines Kalendermonats,
  • 5. zwölf Jahre bestanden hat, fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats,
  • 6. 15 Jahre bestanden hat, sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats,
  • 7. 20 Jahre bestanden hat, sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats.

(3) Während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Monaten, kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.

(4) Von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Regelungen können durch Tarifvertrag vereinbart werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags gelten die abweichenden tarifvertraglichen Bestimmungen zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wenn ihre Anwendung zwischen ihnen vereinbart ist.

(5) Einzelvertraglich kann eine kürzere als die in Absatz 1 genannte Kündigungsfrist nur vereinbart werden,

  • 1. wenn ein Arbeitnehmer zur vorübergehenden Aushilfe eingestellt ist; dies gilt nicht, wenn das Arbeitsverhältnis über die Zeit von drei Monaten hinaus fortgesetzt wird;
  • 2. wenn der Arbeitgeber in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt und die Kündigungsfrist vier Wochen nicht unterschreitet.

Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen. Die einzelvertragliche Vereinbarung längerer als der in den Absätzen 1 bis 3 genannten Kündigungsfristen bleibt hiervon unberührt.

(6) Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer darf keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

§ 622 BGB regelt die gesetzliche Kündigungsfrist für unbefristete Arbeitsverhältnisse aller Art und legt in Abs. 1 eine vierwöchige Grundkündigungsfrist zum 15. oder zum Monatsende innerhalb der ersten zwei Beschäftigungsjahre für beide Vertragsparteien fest. Gemäß § 622 Abs. 2 BGB verlängert sich diese Frist bei zunehmender Beschäftigungsdauer (nur) für die arbeitgeberseitige Kündigung stufenweise auf bis zu sieben Monate zum Monatsende. Durch die Regelung wird die Privatautonomie der Parteien in Bezug auf die Vertragsbeendigung zum Schutz des Vertragspartners, der sich rechtzeitig auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses einstellen können soll, eingeschränkt und ein zeitlich limitierter Kündigungsschutz bewirkt.Erman/Riesenhuber, BGB § 622 Rn. 3; ErfK/Müller-Glöge BGB § 622 Rn. 1.

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

a) Anwendungsvoraussetzungen

aa) Persönlicher Anwendungsbereich

1§ 622 BGB gilt für alle Arbeitsverhältnisse, einschließlich Teilzeitbeschäftigten (und damit auch für die geringfügig Beschäftigten), nicht jedoch für Verträge mit arbeitnehmerähnlichen Personen (s. die Kommentierung zu § 621 BGB).jurisPK-BGB, § 622 Rn. 4; Henssler/Willemsen/Kalb/Bittner/Tiedemann, ArbR, § 622 Rn. 11; BAG, Urt. v. 08.05.2007 - 9 AZR 777/06 – juris

2) Abgrenzungen, Kasuistik

3) Zusammenfassung der Rechtsprechung

-       BAG, Urt. v. 11.06.2020 – 2 AZR 660/19, NZA 2020, 1241 (Ordentliche Kündigung von Hausangestellten)

-       BAG, Urt. v. 29.01.2015 - 2 AZR 280/14, NZW 2015, 2205 (Abweichen von der gesetzlichen Kündigungsfrist – Günstigkeitsvergleich)

-       BAG, Urt. v. 17.12.2015 – 6 AZR 709/14, NZA 2016, 361 (Möglichkeit des vorzeitigen Ausscheidens durch Abwicklungsvertrag)

-       BAG, Urt. v. 26.10.2017 – 6 AZR 158/16, NZA 2018, 297; BAG, Urt. v. 24.02.2016 – 5 AZR 258/14, NZA 2016, 762 (Unangemessene Verlängerung der Kündigungsfrist in AGB)

-       BAG, Urt. v. 18.10.2018 - 2 AZR 374/18, NZA 2019, 246 (Kündigungsfrist für den Arbeitgeber bei Verstoß gegen § 622 Abs. 6 BGB)

-       BAG, Urt. v. 15.12.2016 – 6 AZR 430/15, NZA 2017, 502; BAG, Urt. v. 01.09.2010 – 5 AZR 700/09, NZA 2010, 1409 (Umdeutung einer Kündigung mit zu kurzer Kündigungsfrist)

-       BAG, Urt. v. 25.04.2018 – 2 AZR 493/17, NZA 2018, 1157; BAG, Versäumnisurt. v. 26.03.2015 – 2 AZR 483/14, NZA 2015, 1183; BAG, Urt. v. 22.09.2005 – 2 AZR 366/04, NZA 2006, 204 (Zugang einer Kündigungserklärung – Zugangsvereitelung)

-       BAG, Urt. v. 22.08.2019 – 2 AZR 111/19, NZA 2019, 1490 (Zugang einer Kündigungserklärung – Einwurf in den Hausbriefkasten)

-       BAG, Urt. v. 09.06.2011 – 6 AZR 687/09, NZA 2011, 847 (Zugang der Kündigung – Ehegatte als Empfangsbote)

-       BAG, Urt. v. 25.03.2004 - 2 AZR 324/03, NJW 2004, 3444 (Kündigung vor Dienstantritt – regelmäßiger Beginn der Kündigungsfrist)

-       BAG, Urt. v. 23.03.2017 – 6 AZR 705/15, NZA 2017, 773 (Kündigungsfrist in der Probezeit)

-       BAG, Urt. v. 29.01.2015 – 2 AZR 280/14, NZA 2015, 673; BAG, Urt. v. 04.07.2001 -2 AZR 469/00, NZA 2002, 380 (Günstigkeitsvergleich zwischen einzelvertraglicher bzw. tarifvertraglicher und gesetzlicher Regelung)

-       BAG, Urt. v. 14.12.2016 – 7 AZR 49/15, NZA 2017, 634; BAG, Urt. v. 12.01.2000 – 7 AZR 48/99 – juris (Abgrenzung Befristung/Aufhebungsvereinbarung)

-       LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 06.05.2015 – 4 Sa 94/14 – juris; BAG, Urt. v. 07.03.2002 – 2 AZR 93/01, NJOZ 2003, 1211 (Kündigung zur Probezeitverlängerung)

4) Literaturstimmen

-       Die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB – durch den EuGH zu neuer Relevanz, Kursawe, ArbRAktuell 2010, 110

-       Kündigungsfristen gestalten – Individual- und tarifvertragliche Möglichkeiten zur Abweichung vom gesetzlichen Fristenregime, Laber/Santon, ArbRB 2018, 57

-       Wie kann die Probezeit verlängert werden? von Steinau-Steinrück/Jöris, NJW-Spezial 2020, 498

-       Kündigungsrechtliche Herausforderungen bei grenzüberschreitenden Arbeitsverträgen, Gumnior/Pfaffenberger, NZA 2019, 1326

-       Das Arbeitsverhältnis im internationalen Kontext – Ein Überblick über das anwendbare Arbeits- und Sozialrecht, die Arbeitnehmerentsendung und das Home-Office im Ausland, Hördt, ArbRAktuell 2020, 485

-       Arbeitsrechtliche Aspekte bei einem Einsatz von Mitarbeitern im Ausland, Deutscher Bundestag (2019) WD 6: Arbeit und Soziales, https://www.bundestag.de/resource/blob/656690/a731a903766607498657921b90f5b12f/WD-6-040-19-pdf-data.pdf

5) Prozessuales

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen verlängerter Kündigungsfristen oder eines Aushilfsarbeitsverhältnisses gem. § 622 Abs. 5 Nr. 1 BGB liegt bei demjenigen, der Rechte hieraus herleitet.

6) Anmerkungen

a) Aufhebungs- / Abwicklungsvertrag 

33Möchte der Arbeitnehmer zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist abwarten -etwa, weil er bereits eine neue Arbeitsstelle gefunden hat-, besteht die Möglichkeit, die Kündigungsfrist durch den Abschluss eines Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrages zu verkürzen.

34Der Abschluss eines Aufhebungsvertrages ermöglicht den Vertragsparteien die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem von ihnen frei wählbaren Termin. Auch die Beendigung des Arbeitsvertrages durch einen Aufhebungsvertrag bedarf gem. § 623 BGB der Schriftform. Abzugrenzen ist der Aufhebungsvertrag von einem nachträglich befristeten Arbeitsvertrag, der einer arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle unterliegt. Der Aufhebungsvertrag beendet das Arbeitsverhältnis zeitnah und enthält regelmäßig weitere Vereinbarungen über Rechte und Pflichten aus Anlass der vorzeitigen Vertragsbeendigung. Eine Befristung kann -unabhängig von der Bezeichnung als Aufhebungsvertrag- dagegen vorliegen, wenn der vereinbarte Beendigungszeitpunkt die jeweilige Kündigungsfrist um ein Vielfaches überschreitet und weitere -für einen Abwicklungsvertrag typische- Vereinbarungen, wie etwa einem Anspruch auf Freistellung, einer Urlaubsregelung und gegebenenfalls einer Abfindung, fehlen.Schaub/Koch/Koch, Arbeitsrecht von A-Z, Aufhebungsvertrag; BAG, Urt. v. 14.12.2016 – 7 AZR 49/15, NZA 2017, 634; BAG, Urt. v. 12.01.2000 – 7 AZR 48/99 – juris 

35Im Rahmen eines Abwicklungsvertrages können die Parteien im Anschluss an eine Kündigung die Bedingungen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vertraglich abweichend regeln. Der Abwicklungsvertrag selbst beendet das Arbeitsverhältnis nicht, sondern regelt lediglich Folgefragen, die sich aus der vorangegangenen Kündigung ergeben. Kernelement des Abwicklungsvertrages ist die Vereinbarung, dass der Arbeitnehmer auf eine Kündigungsschutzklage verzichtet bzw. eine bereits erhobene Klage zurücknimmt, und zum Ausgleich dafür Anspruch auf eine Abfindung erhält. Daneben können auch weitere Vereinbarungen, wie die Freistellung für die Dauer der Kündigungsfrist oder die Weiternutzung eines Dienstfahrzeugs etc. getroffen werden. Insbesondere im Fall von längeren gesetzlichen Kündigungsfristen ist es üblich, eine Sprinter-/Turboklausel zu vereinbaren, nach der ein Sonderkündigungsrecht zusteht für den Fall, dass der Arbeitnehmer vor Ablauf der Kündigungsfrist eine neue Arbeitsstelle findet.jurisPK-BGB, § 622 Rn. 19; Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs Kündigungsrecht, Aufhebungsvertrag Rn. 25 

Beachte: Beide Verträge beinhalten für den Arbeitnehmer die Gefahr, dass es zu einer -in der Regel zwölfwöchigen- Sperrzeit des Arbeitslosengeldes kommt. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer i.S.d. § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III aktiv zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses beiträgt, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben. Eine Abfindung kann zudem nach Maßgabe des § 158 SGB III zu einem weiteren Ruhen des Arbeitslosengeldanspruches führen.Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs Kündigungsrecht, Aufhebungsvertrag Rn. 4; Schaub/Koch/Koch, Arbeitsrecht von A-Z, Aufhebungsvertrag 

b) Anwendbarkeit der Kündigungsfristen (§ 622 BGB) bei grenzüberschreitendem Arbeitsverhältnis ins EU-Ausland

36Bei Arbeitsverträgen mit grenzüberschreitendem Bezug stellt sich die Frage nach dem anwendbaren Recht und damit einhergehend nach dem zuständigen Gerichtsstand. Nur wenn deutsches Recht überhaupt anwendbar ist, kann § 622 BGB zur Bestimmung der Kündigungsfristen herangezogen werden. Zur Veranschaulichung der Problematik soll der folgende Beispielsfall dienen. 

Fall: Der Arbeitnehmer A schließt einen Arbeitsvertrag mit einem in Luxemburg ansässigen Arbeitgeber L. Seine Tätigkeit übt A an einer Zweigstelle der L in Trier aus. Weil L mit der Leistung des A nicht zufrieden ist, kündigt er das Arbeitsverhältnis unter Wahrung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist.vgl. Gumnior/Pfaffenberger, NZA 2019, 1326 

Die Gerichtszuständigkeit folgt bei einem, gegen den Arbeitgeber mit Sitz in der EU geführten, Rechtsstreit aus Art. 21 Abs. 1 EuGVVO. A kann danach vor den deutschen Gerichten klagen, da er seinen gewöhnlichen Arbeitsort am Betriebssitz der Zweigstelle der L in Trier hat. Er hat allerdings auch die Möglichkeit, in Luxemburg, am Wohnsitz des Arbeitgebers zu klagen. Wählt A den deutschen Gerichtsstand, ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet, da es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 b) ArbGG handelt. Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Trier folgt nach § 48 Abs. 1a S. 1 ArbGG, da A seinen gewöhnlichen Arbeitsort am Betriebssitz der L in Trier hatte. 

Bei Klagen gegen den Arbeitnehmer ist die Klage dagegen vor den Gerichten des Mitgliedstaates zu erheben, in dem der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz hat (Art. 22 Abs. 1 EuGVVO). Eine von den Regelungen der EuGVVO abweichende Gerichtsstandsvereinbarung können die Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich nur nach Entstehen der Streitigkeit treffen; außer, dem Arbeitnehmer wird die Möglichkeit eingeräumt, weitere Gerichte anzurufen, als die in den Art. 20 ff. EuGVVO bezeichneten.

Das anwendbare materielle Recht richtet sich nach den Vorschriften der Rom-I-VO, da ein vertragliches Schuldverhältnis mit Verbindung zum Recht verschiedener Staaten betroffen ist (Art. 1 Abs. 1 Rom-I-VO). Nach Art. 3 Rom-I-VO haben die Parteien vorrangig die Möglichkeit, eine freie Rechtswahl zu treffen. Diese muss ausdrücklich erfolgen oder sich zumindest eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrages oder den Umständen des Falls ergeben (Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom-I-VO). Sofern eine solche nicht getroffen wurde, bestimmt sich das anwendbare Recht für Individualarbeitsverträge anhand der objektiven Kriterien von Art. 8 Rom-I-VO. In dem obigen Fall ist die Regelanknüpfung nach Art. 8 Abs. 2 Rom-I-VO an den gewöhnlichen Arbeitsort einschlägig, da A seine Tätigkeit dauerhaft in Deutschland erbringt und dort in die Betriebsorganisation eingegliedert ist. Nur sofern ein gewöhnlicher Arbeitsort nicht bestimmbar ist, weil der Arbeitnehmer seine Tätigkeit regelmäßig an wechselnden Orten erbringt (bspw. Schiffs- oder Flugpersonal, Reiseleiter, Fernfahrer, Monteure), unterliegt der Arbeitsvertrag dem Recht der einstellenden Niederlassung (Art. 8 Abs. 3 Rom-I-VO). Eine Ausnahme von dem Vorstehen gilt gem. Art. 8 Abs. 4 Rom-I-VO wiederum, wenn sich aus den Gesamtumständen eine engere Verbindung des Vertrages zu einem anderen als dem Staat des gewöhnlichen Arbeitsortes bzw. der einstellenden Niederlassung ergibt.

Abwandlung: Die Arbeitsvertragsparteien vereinbaren im Arbeitsvertrag ausdrücklich die Geltung Luxemburger Rechts.

37Nach dem Vorstehenden unterliegt das Individualarbeitsverhältnis gem. Art. 3, 8 Abs. 1 S. 1 Rom-I-VO dem von den Parteien gewählten Recht. Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom-I-VO beschränkt jedoch die Privatautonomie der Parteien dahingehend, dass deren Rechtswahl nicht die Anwendung vertraglich unabdingbarer Arbeitnehmerschutzvorschriften der Rechtsordnung am gewöhnlichen Arbeitsort des Arbeitnehmers (sog. objektives Arbeitsvertragsstatut) umgehen darf. Neben dem übereinstimmend gewählten Recht sind also -im Sinne eines Mindestschutzes für den Arbeitnehmer- stets die zwingenden Bestimmungen des objektiven Arbeitsvertragsstatuts, welches sich nach den Bestimmungen des Art. 8 Abs. 2 – 4 Rom-I-VO richtet, anwendbar.Gumnior/Pfaffenberger, NZA 2019, 1326; Ferrari IntVertragsR/Staudinger, Rom-I-VO Art. 8, Rn. 12 f.; Hördt, ArbRAktuell 2020, 485 Da der gewöhnliche Arbeitsort des A in Deutschland liegt, sind in der Abwandlung daher die zwingenden Schutzbestimmungen des deutschen Rechts -trotz abweichender Rechtswahl- anwendbar, sofern diese für A einen stärkeren Schutz bewirken, mit der Folge, dass verschieden Rechtsordnungen das Arbeitsverhältnis beherrschen würden.

Hierfür ist ein Günstigkeitsvergleich zwischen dem objektiven und dem gewählten Vertragsstatut erforderlich, den das Gericht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von Amts wegen vorzunehmen hat.Ferrari IntVertragsR/Staudinger, Rom-I-VO Art. 8, Rn. 13; BAG, Urt. v. 10.04.2014 – 2 AZR 741/13, NJOZ 2016, 535 Zwingende Vorschriften i.S.d. Art. 3 Abs. 3 Rom-I-VO sind nur solche Arbeitnehmerschutzvorschriften, von denen nicht durch einzelvertragliche Vereinbarung abgewichen werden kann – insbesondere auch Tarifnormen und normativ wirkende Kollektivverträge wie Betriebsvereinbarungen.Gumnior/Pfaffenberger, NZA 2019, 1326; Erman/Stürner, BGB Art. 8, Rom-I-VO Rn. 10 In der Abwandlung betrifft dies vor allem die Normen nach dem deutschen KSchG (§§ 1, 14, 23 KSchG) im Vergleich zu den in Luxemburg geltenden Kündigungsschutzvorschriften.

Beachte: Von dem Vorstehenden zu unterscheiden sind die zwingenden Eingriffsnormen der inländischen Rechtsordnung i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom-I-VO, die der Rechtswahl -unabhängig von einem Günstigkeitsvergleich- stets vorgehen. Neben den, sich aus der Entsenderichtlinie ergebenden Bestimmungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes, wie den Höchstarbeits- und Mindestruhezeiten, dem bezahlten Jahresurlaub, den Mindestentgeltsätzen (einschl. der Überstundensätze), sind dies insbesondere die Vorschriften zur Massenentlassung (§§ 17 ff. KSchG), der Sonderkündigungsschutz von Arbeitnehmervertretern nach § 15 KSchG, § 103 BetrVG und der Lohnfortzahlungsanspruch gem. § 3 EFZG.Gumnior/Pfaffenberger, NZA 2019, 1326; Ferrari IntVertragsR/Staudinger, Rom-I-VO Art. 8, Rn. 15 f. 

Da Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom-I-VO lediglich eine Wahrung des Schutzniveaus erfordert, bleibt die Rechtswahl der Parteien anwendbar, sofern das objektive Vertragsstatut insoweit „nur“ einen gleichwertigen Schutz des Arbeitnehmers bewirkt. Dies dürfte auch in der Abwandlung anzunehmen sein, da das luxemburgische Recht zumindest einen gleichwertigen Kündigungsschutz gewährt. Im Zweifel gilt also das gewählte -luxemburgische- Recht.Gumnior/Pfaffenberger, NZA 2019, 1326; vgl. ErfK/Schlachter, Rom-I-VO Art. 8 Rn. 19 

In Deutschland gibt es nur sehr wenige Gerichtsentscheidungen, in denen bereits ein solcher Günstigkeitsvergleich vorgenommen wurde. Dies mag auch daran liegen, dass sich ein solcher erübrigt, wenn das gewählte Arbeitsvertragsstatut dem Arbeitnehmer bereits alles zuspricht, was er in dem Gerichtsverfahren beantragt hat. An diese Anträge bzw. den Streitgegenstand ist das Gericht nach § 308 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG gebunden, so dass dem Kläger nichts darüber hinaus zugesprochen werden könnte, auch wenn das objektive Arbeitsvertragsstatut insoweit einen weitergehenden Schutz enthielte.Gumnior/Pfaffenberger, NZA 2019, 1326.


Fußnoten