§ 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Für den Rechtsverkehr
(für Nichtjuristen)
zum Expertenteil (für Juristen)
Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle
1Die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB ist für den Rechtsverkehr von erheblicher Bedeutung. Die Rechtsfolge der Kündigung aus wichtigem Grund ist grundsätzlich die sofortige Beendigung eines auf Dauer angelegten Vertragsverhältnisses (Dauerschuldverhältnis), wie insbesondere der Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bzw. zwischen Unternehmen und freiem Mitarbeiter. Eine Kündigungsfrist, wie etwa bei der ordentlichen Kündigung, muss - abgesehen von Ausnahmefällen wie z.B. der außerordentlichen Kündigung mit notwendiger AuslauffristBAG, Urteil vom 20.3.2014 - 2 AZR 288/13 - nicht eingehalten werden. Die wirksame außerordentliche Kündigung führt nicht nur dazu, dass der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz verliert, sondern es kann auch zu Nachteilen beim Anspruch auf Arbeitslosengeld kommen (Sperrzeit).§ 159 Abs. 1 S.1, S.2 Nr. 1 SGB III
2Aufgrund dieser weitreichenden Folgen unterliegt die Kündigung aus wichtigem Grund, auch außerordentliche Kündigung genannt, besonders strengen Voraussetzungen. Diese ergeben sich aus der Abwägung der unterschiedlichen Interessen der Beteiligten und setzen voraus, dass einem Vertragsteil eine Fortführung des Vertragsverhältnisses nicht mehr, auch nicht für den Zeitraum bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist, zugemutet werden kann. Hierfür muss es zu einer erheblichen und nicht mehr wieder gut zu machenden Störung des Vertragsverhältnisses gekommen sein. Typische Beispiele sind etwa Straftaten des Arbeitnehmers zulasten des Arbeitgebers oder der Missbrauch vertraulicher Informationen durch Weitergabe an Wettbewerber.
Das Recht zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB stellt zwingendes Recht darbereits BAG, Urteil vom 5.2.1998 - 2 AZR 227/97 = NZA 1998, 771, d.h. es kann weder durch Arbeitsvertrag noch durch Tarif- oder Betriebsvereinbarung völlig ausgeschlossen werden.
3Abzugrenzen ist die außerordentliche Kündigung insbesondere von der ordentlichen Kündigung, bei der gegebenenfalls die soziale Rechtfertigung im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) geprüft werden muss. Weiter abzugrenzen ist sie von einem Aufhebungsvertrag, der einvernehmlich geschlossen wird, aber ebenfalls die sofortige Beendigung zum Gegenstand haben kann. Ebenfalls ist die außerordentliche Kündigung von der Anfechtung eines Arbeitsvertrages abzugrenzen, von der Suspendierung des Arbeitsverhältnisses – etwa bei Streiks und Aussperrungen – oder vom Widerruf einer bestehenden Organstellung.
Anwendungsbereich
4Grundsätzlich findet § 626 BGB auf sämtliche - auch befristete - Arbeits- und Dienstverträge Anwendung. Im Bereich der Berufsausbildungsverhältnisse und bei Handelsvertreterverträgen gelten abweichende Sonderregelungen. Für sonstige auf Dauer angelegte Verträge ist § 314 BGB anzuwenden, der in seinen Wertungen jedoch große Ähnlichkeiten zu § 626 BGB aufweist. Den Hauptanwendungsbereich des § 626 BGB stellt sicherlich das Arbeitsverhältnis oder das Dienstverhältnis eines Geschäftsführers dar.
Expertenhinweise
(für Juristen)
1) Allgemeines
5Nach dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB kann das Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
2) Definitionen
a) Wichtiger Grund
16Das BAGBAG, Urteil vom 13.12.2018 - 2 AZR 370/18 prüft in ständiger Rechtsprechung das Vorliegen eines wichtigen Grundes in zwei Stufen.
aa) Wichtiger Grund "an sich"
17Auf der ersten Stufe wird geprüft, ob ein wichtiger Grund "an sich" vorliegt. Aus objektiver Sicht muss der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände generell geeignet
3) Abgrenzungen, Kasuistik
a) Abgrenzungen
37Die außerordentliche (fristlose) Kündigung ist von anderen einseitigen Beendigungstatbeständen zu unterscheiden, die insbesondere nach dem allgemeinen Schuldrecht für eine sofortige Beendigung von Vertragsbeziehungen zur Verfügung stehen.
aa) Kündigung nach § 314 BGB
38Gegenüber § 314 BGB ist § 626 BGB für Arbeits- und Dienstverhältnisse die speziellere Norm.BeckOGK/Günther, Stand: 1.12.2019, § 626 BGB Rn. 23
bb) Rücktritt
39Das allgemeine Rücktrittsrecht der §§ 323 ff. BGB ist auf Dienstverhältnisse aufgrund ihres Dauerschuldcharakters nicht anwendbar.MüKoBGB/Henssler, 8. Auflage 2020, § 626 BGB Rn. 51
cc) Wegfall der Geschäftsgrundlage
40§ 313 BGB ist für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses entgegen der früheren Rechtsprechung des BAG wohl nicht mehr anwendbar, da gemäß § 313 Abs. 3 S. 2 BGB für Dauerschuldverhältnisse die Kündigung einschlägig ist.BeckOGK/Günther, Stand: 1.12.2019, § 626 BGB Rn. 21
dd) Anfechtung
41Die Anfechtung des Arbeitsvertrags ist neben der außerordentlichen Kündigung möglich.BAG, Urteil vom 6.9.2012 - 2 AZR 270/11 Die Anfechtung bedarf eines Anfechtungsgrundes im Sinne der §§ 119, 123 BGB und der Einhaltung der Anfechtungsfrist, § 121 bzw. § 124 BGB. Soweit die Anfechtung innerhalb der Frist nach § 121 Abs. 1 S. 1 BGB zu erklären ist, wird die zweiwöchige Frist des § 626 Abs. 2 BGB zur Konkretisierung des Merkmals "unverzüglich" herangezogen. Danach ist die Anfechtung des Arbeitsvertrags nur dann "unverzüglich" erklärt, wenn sie spätestens innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Kenntnis der für die Anfechtung maßgebenden Tatsachen erfolgt. Auf die Frist nach § 124 BGB wirkt sich die Ausschlussfrist hingegen nicht aus.BAG, Urteil vom 19.5.1983 - 2 AZR 171/81 = AP BGB § 123 Nr. 25
Die Anfechtung wirkt abweichend von der gesetzlichen Regelung des § 142 Abs. 1 BGB grundsätzlich nur ex nunc, sofern das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt wurde. Das Arbeitsverhältnis wird damit nur für die Zukunft ohne Rückabwicklung bereits ausgetauschter Leistungen beendet und entfaltet mit der Kündigung vergleichbare Rechtsfolgen. Etwas anderes gilt, wenn das Arbeitsverhältnis außer Vollzug gesetzt wurde, wie beispielsweise bei Zugang einer fristlosen Kündigung. In diesem Fall wirkt die Anfechtung auf den Zeitpunkt der Außervollzugsetzung zurück - unabhängig von der Wirksamkeit der Kündigung.BAG, Urteil vom 12.5.2011 - 2 AZR 479/09
Bei der Anfechtung des Arbeitsvertrags muss der Arbeitgeber jedoch weder einen etwaig bestehenden Betriebsrat anhören noch behördliche Zustimmungen einholen (z.B. des Integrationsamtes bei schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmern§§ 174 Abs. 1, 168 ff. SGB IX). Zudem stehen auch etwaige Kündigungsverbote§ 17 MuSchG, § 18 BEEG der Anfechtung nicht entgegen und auch die Schriftform des § 623 BGB muss nicht eingehalten werden.
Eine Anfechtung kann im Einzelfall nicht mehr erklärt werden, wenn das Arbeitsverhältnis über Jahre beanstandungsfrei durchgeführt wurde und der Anfechtungsgrund im Zeitpunkt der Anfechtungserklärung seine Bedeutung für die weitere Durchführung des Arbeitsverhältnisses verloren hat.BAG, Urteil vom 6.7.2000 - 2 AZR 543/99 = NJW 2001, 701
ee) Widerruf der Organstellung
42Vorstände einer Aktiengesellschaft oder Geschäftsführer einer GmbH sind zum einen Organe der Gesellschaft und zum anderen dort angestellt. Die Beendigung der Organstellung in Form des Widerrufs der Bestellung§ 84 Abs. 3 S. 1 AktG, § 38 Abs. 1 GmbHG ist strikt von der Beendigung des der Organstellung zugrundeliegenden schuldrechtlichen Anstellungsverhältnisses zu trennen (sog. Trennungsprinzip).MüKoBGB/Henssler, 8. Auflage 2020, § 626 BGB Rn. 33 Für den Geschäftsführer ergibt sich dies schon daraus, dass nach § 38 Abs. 1 GmbHG die Bestellung zum Geschäftsführer jederzeit widerruflich ist. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist hierfür nicht erforderlich. Aber auch beim Widerruf der Bestellung zum Vorstand nach § 84 Abs. 3 S. 1 AktG, der eines wichtigen Grundes bedarf, ist kein zwingender Gleichlauf gegeben. Nicht jeder wichtige Grund – insbesondere nicht für sich allein der in § 84 Abs. 3 S. 2 AktG legal definierte wichtige Grund des Vertrauensentzuges durch die Hauptversammlung, der vielmehr auf körperschaftlichen Erwägungen beruht – stützt auch die außerordentliche Beendigung des Anstellungsverhältnisses und den damit verbundenen Entzug sämtlicher Vergütungsansprüche.MüKoBGB/Henssler, 8. Auflage 2020, § 626 BGB Rn. 36 Sonderfragen stellen sich, soweit es um die Frage einer möglichen Koppelung der Kündigung des Anstellungsverhältnisses an den Widerruf der Organstellung geht. Insoweit wird auf die einschlägige gesellschaftsrechtliche Kommentarliteratur und Rechtsprechung zu verweisen.
b) Fallgruppen Arbeitgeberkündigung
43Eine außerordentliche Arbeitgeberkündigung kommt ebenso wie eine ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten, personenbedingten oder betriebsbedingten Gründen in Betracht. Die nachfolgende Übersicht zeigt die wichtigsten Fallgruppen sowie deren grundsätzliche Behandlung in der Rechtsprechung. Es sei aber nochmals betont, dass bei diesen Fallgruppen nur der bestimmte Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls grundsätzlich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund "an sich" darzustellen. Es bedarf zusätzlich stets der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht.BAG, Urteil vom 13.12.2018 - 2 AZR 370/18
aa) Verhaltensbedingte Kündigung
44Eine verhaltensbedingte (außerordentliche) Kündigung kommt dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat.SWK Arbeitsrecht/Mohnke, 3. Auflage Edition 11 2020, Kündigung, verhaltensbedingte Rn. 3 Der größte Anteil der außerordentlichen Arbeitgeberkündigungen dürfte im Bereich der verhaltensbedingten Kündigung liegen. Dementsprechend gibt es vor allem in diesem Bereich eine Vielzahl von Rechtsprechung, woraus sich im Laufe der Zeit verschiedene Fallgruppen herausgebildet haben.
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bb) Personenbedingte Kündigung
45Personenbedingte Kündigungsgründe sind solche, die auf den persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Arbeitnehmers beruhen.BAG, Urteil vom 13.3.1987 - 7 AZR 724/85 = NZA 1987, 629 Es handelt sich also um Gründe, die vom Arbeitnehmer nicht steuerbar sind.BeckOK ArbR/Soffels, Stand: 1.3.2020, § 626 BGB Rn. 138 Hier haben sich insbesondere folgende Fallgruppen herausgebildet:
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cc) Betriebsbedingte Kündigung
46Betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung können sich sowohl aus innerbetrieblichen (beispielsweise Organisationsentscheidung des Arbeitgebers) als auch aus außerbetrieblichen Gründen (beispielsweise Auftragsrückgang) ergeben. Beiden ist gemeinsam, dass das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer auf Dauer entfällt.BAG, Urteil vom 24.5.2012 - 2 AZR 124/11 Grundsätzlich kommt eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung nur in Ausnahmefällen in Betracht, da der Arbeitgeber sein Wirtschaftsrisiko nicht auf den Arbeitnehmer abwälzen darf.BAG, Urteil vom 28.3.1985 - 2 AZR 113/84 = AP BGB § 626 Nr. 86
Ist die ordentliche Kündigung ausgeschlossen, kann jedoch eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist in Betracht kommen. Das heißt, dass eine außerordentliche Kündigung unter Einhaltung der fiktiv geltenden gesetzlichen oder tarifvertraglichen Kündigungsfrist erklärt wird. Auch in diesem Fall muss der Arbeitgeber allerdings vorrangig als milderes Mittel die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz prüfen. Die Anforderungen an die Bemühungen des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung eines vom Wegfall seines bisherigen Arbeitsplatzes betroffenen ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers sind hoch. Es muss sichergestellt sein, dass eine Kündigung unumgänglich ist. Aus den hohen materiell-rechtlichen Anforderungen an das Vorliegen eines aus betrieblichen Erfordernissen resultierenden wichtigen Grundes resultieren auch entsprechende prozessuale Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers. Dieser muss darlegen, dass keinerlei Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis – möglicherweise zu anderen Bedingungen und nach entsprechender Umschulung – sinnvoll fortzusetzen. Das Fehlen jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit zählt bei der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung bereits zum Vorliegen des wichtigen Grundes "an sich".BAG, Urteil vom 18.6.2015 - 2 AZR 480/14 BAG, Urteil vom 27.6.2019 - 2 AZR 50/19
Allerdings muss der Arbeitgeber in der Regel auch dann nicht von der Fremdvergabe von Aufgaben absehen, wenn dadurch einem ordentlich unkündbarem Arbeitnehmer die vertragliche Grundlage entzogen wird. Selbst die Fremdvergabe nur von Aufgaben eines Arbeitnehmers ist nicht per se rechtsmissbräuchlich.BAG, Urteil vom 20.6.2013 - 2 AZR 380/12
Bei der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber zumindest die Schranken beachten, die den Arbeitnehmer im Fall einer ordentlichen Kündigung schützen. In einer Konkurrenzsituation ist der Arbeitgeber deshalb zu einer Sozialauswahl entsprechend § 1 Abs. 3 KSchG verpflichtet. Hält die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers einer Sozialauswahl nicht stand, fehlt es an einem wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen.BAG, Urteil vom 27.6.2019 - 2 AZR 50/19
c) Sonderfälle
aa) Verdachtskündigung
47Die Verdachtskündigung ist ein Sonderfall der personenbedingten Kündigung und stellt einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Der Arbeitgeber kann bereits den Verdacht einer Straftat oder vergleichbar schwerwiegenden Pflichtverletzung zum Anlass nehmen, eine außerordentliche Kündigung auszusprechen. Da hierin das große Risiko besteht, dass sich im Nachhinein die Unschuld des Arbeitnehmers herausstellt, bestehen hohe Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer solchen Verdachtskündigung. Der Arbeitgeber kann die Verdachtskündigung auch zusätzlich oder hilfsweise zur Tatkündigung aussprechen, also in Fällen, in denen die Überzeugung des Arbeitgebers besteht, der Arbeitnehmer habe den schwerwiegenden Pflichtenverstoß tatsächlich begangen.
Die Verdachtskündigung ist nach der Rechtsprechung des BAGBAG, Urteil vom 2.3.2017 - 2 AZR 698/15 nur zulässig, wenn
- starke, objektive Tatsachen vorliegen, die den dringenden Verdacht begründen, der Arbeitnehmer habe die Straftat oder den schweren Pflichtenverstoß begangen,
- bereits die starken Verdachtsmomente geeignet sind, das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen des Arbeitgebers zu zerstören,
- der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat, insbesondere den Arbeitnehmer zum Vorwurf angehört hat.
Dies bedarf einer umfassenden Darlegung seitens des Arbeitgebers. Insbesondere nicht ausreichend ist anstelle des Vortrags ausreichend objektiver Tatsachen, die eine hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung der Tat bzw. schweren Pflichtverletzung für den Arbeitgeber ergeben, lediglich darauf zu verweisen, dass auch die Strafverfolgungsbehörden von einem entsprechenden Tatverdacht ausgingen. Im Übrigen ist auch das Arbeitsgericht nicht an eine Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden gebunden, sondern muss zu einer eigenständigen Überzeugung gelangen.
Das BAGBAG, Urteil vom 12.2.2015 - 6 AZR 845/13 hat die Möglichkeit zum Ausspruch einer Verdachtskündigung auch für ein Ausbildungsverhältnis bejaht. Der dringende Verdacht einer Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund zur Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses darstellen, wenn bereits der Verdacht die Fortsetzung der Ausbildung dem Ausbildenden unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Ausbildungsverhältnisses unzumutbar macht.
Es sei an dieser Stelle ergänzend angemerkt, dass auch eine ordentliche Verdachtskündigung nach der Rechtsprechung des BAGBAG, Urteil vom 31.1.2019 - 2 AZR 426/18 nur dann sozial gerechtfertigt ist, wenn das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer dringend verdächtig ist, - wäre es erwiesen - sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte.
48Zwingende Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung ist grundsätzlich die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung Gelegenheit geben, zu den Verdachtsmomenten Stellung zu nehmen, um dessen Einlassungen bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen gegebenenfalls zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen.BAG, Urteil vom 25.4.2018 -2 AZR 611/17 Keine ordnungsgemäße Anhörung liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer der Eindruck vermittelt wird, dass er die Kündigung durch Darlegung seiner Sichtweise sowieso nicht mehr abwenden kann.BAG, Urteil vom 23.8.2018 - 2 AZR 133/18 Soll, beziehungsweise muss, der Arbeitnehmer angehört werden, muss dies nach der Rechtsprechung des BAGBAG, Urteil vom 20.3.2014 - 2 AZR 1037/12 innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Diese darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen, es sei denn, es liegen besondere Umstände vor. Unerheblich ist auch, ob die Anhörung zur Aufklärung des Sachverhalts letztendlich beiträgt.
Nur ausnahmsweise kann eine vorherige Anhörung des Arbeitnehmers unterbleiben. Zum einen, wenn der Arbeitnehmer von vornherein (erkennbar) nicht bereit ist, sich auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe einzulassen und nach seinen Kräften an der Aufklärung mitzuwirken. In diesem Fall steht die fehlende Anhörung der Wirksamkeit der Verdachtskündigung nicht entgegen. Zum anderen kann ein Unterlassen der Anhörung auch dann unschädlich sein, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Rahmen des Zumutbaren Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, der Arbeitnehmer sich gleichwohl innerhalb der gesetzten angemessenen Frist nicht geäußert hat. Dies kann selbst bei unfreiwilligem, z.B. krankheitsbedingtem Schweigen des Arbeitnehmers gelten. Der Arbeitgeber kann zwar unter Hemmung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB die Stellungnahme abwarten, er muss es jedoch nicht und kann nach Ablauf der angemessenen Anhörungsfrist kündigen, wenn ihm abhängig von den Umständen des Einzelfalls eine weitere Verzögerung unzumutbar ist.BAG, Urteil vom 20.3.2014 - 2 AZR 1037/12
Keiner (erneuten) Anhörung bedarf es, wenn der Arbeitgeber verdachtserhärtende neue Tatsachen in den Rechtsstreit einführt, da der Arbeitnehmer zum Kündigungsvorwurf als solchem bereits gehört worden ist und sich im Kündigungsschutzprozess dagegen verteidigen kann. Auch wenn der Arbeitgeber neue Tatsachen in das Verfahren einführt, die den Verdacht einer weiteren Pflichtverletzung begründen und bei Kündigungsausspruch objektiv bereits vorlagen, bedarf es keiner (erneuten) Anhörung des Arbeitnehmers. Die Rechte des Arbeitnehmers werden dadurch gewahrt, dass er sich im anhängigen Kündigungsschutzprozess gegen den neuen Tatverdacht verteidigen kann. Der Betriebsrat ist zu den erweiterten Kündigungsgründen jedoch anzuhören, damit er auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers aktiv einwirken kann. Das lässt sich bezogen auf nachgeschobene Gründe nur erreichen, wenn diese dem – anders als der Arbeitnehmer am Rechtsstreit nicht beteiligten – Betriebsrat vor ihrer Einführung in den laufenden Prozess zur Kenntnis gebracht werden.BAG, Urteil vom 23.5.2013 - 2 AZR 102/12
49Der Arbeitgeber kann nach Ausspruch einer Tatkündigung auch später noch eine Verdachtskündigung im Kündigungsschutzprozess nachschieben, sofern er bereits im Rahmen der Tatkündigung die erforderlichen umfassenden Aufklärungsmaßnahmen betrieben und insbesondere auch den Arbeitnehmer zum Vorwurf angehört hatte. Bei Betrieben mit Betriebsrat muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat zusätzlich seine Absicht mitteilen, dem Arbeitnehmer auch wegen des starken Verdachts der Pflichtverletzung kündigen zu wollen und ihm insbesondere auch das Ergebnis der Arbeitnehmeranhörung als mögliche den Arbeitnehmer entlastende Umstände mitteilen. Die Anhörung allein zur Tatkündigung ist nicht ausreichend, da die Kündigung aufgrund des bloßen Verdachts einen schwerwiegenderen Eingriff für den Arbeitnehmer bedeutet.BAG, Urteil vom 20.6.2013 - 2 AZR 546/12
Das mit der Kündigung befasste Gericht hat im Falle einer ausgesprochenen Verdachtskündigung, die an formellen Voraussetzungen scheitert, von sich aus zu prüfen, ob es zur eigenen hinreichenden Überzeugung gelangt, der Arbeitnehmer habe die Tat bzw. den schweren Pflichtenverstoß tatsächlich begangen. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung des Parteivorbringens und etwaiger Beweisaufnahme das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf beruft, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat.BAG, Urteil vom 27.1.2011 - 2 AZR 825/09
In Betrieben mit Betriebsrat kann die Tatkündigung in diesem Fall dann wirksam sein, wenn dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung zur Verdachtskündigung sämtliche Umstände mitgeteilt wurden, die auch den Tatvorwurf selbst begründen. In diesem Fall ist das Recht aus § 102 Abs. 1 BetrVG mit der Anhörung zur Verdachtskündigung gewahrt. Die Anhörung zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gibt dem Betriebsrat gerade einen stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden, da bei der Verdachtskündigung ein Unschuldiger betroffen sein könnte.BAG, Urteil vom 23.6.2009 - 2 AZR 474/07 = NZA 2009, 1136
bb) außerordentliche Änderungskündigung
50Eine außerordentliche Änderungskündigung ist grundsätzlich rechtlich zulässig. Ein wichtiger Grund setzt voraus, dass die alsbaldige Änderung der Arbeitsbedingungen unabweisbar notwendig ist und diese geänderten Arbeitsbedingungen dem Arbeitnehmer zumutbar sind.BAG, Urteil vom 20.10.2017 - 2 AZR 783/16
Aktuelle Fragestellung im Zusammenhang mit der Corona-Krise: außerordentliche Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit?
(1) Allgemeines zur Kurzarbeit
50aIn Krisenzeiten gewinnt das Instrument der Kurzarbeit an Bedeutung. Kurzarbeit bedeutet, dass die vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitszeit aufgrund eines erheblichen Arbeitsausfalls vorübergehend herabgesetzt wird. Die verminderte Arbeitszeit führt zu einer verminderten Vergütungspflicht des Arbeitgebers.ErfK/Preis, 20. Auflage 2020, § 611a BGB Rn. 657 Der Arbeitgeber kann mithilfe der Kurzarbeit also Lohnkosten einsparen und so eine wirtschaftliche Entlastung erreichen. Der Entgeltausfall auf Seiten des Arbeitnehmers wird zu einem Teil über das sogenannte "Kurzarbeitergeld" ausgeglichen. Das Kurzarbeitergeld wird anhand einer Tabelle berechnet und beträgt 60 bzw. 67 Prozent der Nettoentgeltdifferenz im Anspruchszeitraum (=Kalendermonat).§ 105 SGB III
Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld sind:§§ 95 ff. SGB III
- Erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall
- Beruhen des Arbeitsausfalls auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis (hierunter fällt insbesondere die betriebliche Schließung aufgrund behördlicher Anordnung)
- Vorübergehender Arbeitsausfall
- Unvermeidbarer Arbeitsausfall
- Im jeweiligen Kalendermonat sind mindestens ein Drittel der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 Prozent ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen. Diese Quote wurde befristet bis 31.12.2020 herabgesenkt. Ein Anspruch auf Kurzarbeitergeld besteht bereits dann, wenn mindestens 10 Prozent der Beschäftigten einen Arbeitsentgeltausfall von mehr als 10 Prozent haben
- Betriebliche Voraussetzungen
- Persönliche Voraussetzungen
- Anzeige des Arbeitsausfalls bei der Agentur für Arbeit
(2) Einführung von Kurzarbeit
50bDie Durchführung von Kurzarbeit setzt voraus, dass der Arbeitgeber die Kurzarbeit auch arbeitsrechtlich wirksam eingeführt hat. Da die Einführung von Kurzarbeit einen schwerwiegenden Eingriff in das Leistungsverhältnis darstellt, ist die einseitige Anordnung des Arbeitgebers ohne entsprechende Rechtsgrundlage nicht möglich. Insbesondere ist die Anordnung von Kurzarbeit nicht vom arbeitgeberseitigem Direktionsrecht gedeckt. Es bedarf vielmehr einer kollektiv- oder einzelvertraglichen Grundlage.BAG, Urteil vom 18.11.2015 - 5 AZR 491/14 Ist eine solche Grundlage nicht bereits vorhanden, muss sie geschaffen werden. In Betrieben mit Betriebsrat ist eine Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit abzuschließen.Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG In Betrieben ohne Betriebsrat muss mit jedem einzelnen Arbeitnehmer ein Nachtrag zum Arbeitsvertrag vereinbart werden, wonach der Arbeitgeber zur Einführung von Kurzarbeit berechtigt ist. Hierbei sind AGB-rechtliche Gesichtspunkte zu beachten.
Weigern sich einzelne oder mehrere Arbeitnehmer, einer Änderung der Arbeitsvertrages zur Einführung von Kurzarbeit zuzustimmen, stellt sich die Frage, wie der Arbeitgeber dennoch wirksam Kurzarbeit einführen kann. Ohne vertragliche Grundlage ist ihm die Anordnung der Kurzarbeit für diese Arbeitnehmer nicht möglich. Das kann beispielweise dazu führen, dass die erforderliche Quote von vom Arbeitsausfall mit Entgeltausfall betroffenen Arbeitnehmern§ 96 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB III nicht erreicht wird und die Gewährung von Kurzarbeitergeld damit insgesamt ausscheidet. Denn nur wenn wirksam Kurzarbeit eingeführt wurde liegt auch ein Entgeltausfall vor. Wird die Kurzarbeit nicht wirksam eingeführt, gerät der Arbeitgeber unter den allgemeinen Voraussetzungen in Annahmeverzug§ 615 S. 1 BGB, so dass er zur Zahlung des vollen Entgelts verpflichtet ist.BAG, Urteil vom 18.11.2015 - 5 AZR 491/14
Als letzte Handlungsoption kommt dann nur eine Änderungskündigung in Betracht. Das BAGBAG, Urteil vom 14.2.1991 - 2 AZR 415/90 = NZA 1991, 607 hat in seiner Rechtsprechung angedeutet, dass die Möglichkeit des Ausspruchs einer Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit besteht. Eine ordentliche Änderungskündigung ist jedoch kaum praktikabel, da das Abwarten der individuellen Kündigungsfristen dazu führt, dass Kurzarbeit nicht einheitlich und vor allem nicht kurzfristig eingeführt werden kann.SWK-ArbR/Panzer-Heermeier/Esskandari/Groß, 3. Auflage Edition 11 2020, Kurzarbeit Rn. 6 Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist besteht ein Anspruch auf das ungekürzte Arbeitsentgelt.Brand/Kühl, 8. Auflage 2018, § 95 SGB III Rn. 13 Als effektive Reaktionsmöglichkeit verbleibt daher nur der Ausspruch einer außerordentlichen Änderungskündigung. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine außerordentliche Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit wirksam ist oder sein kann, ist höchstrichterlich jedoch noch nicht geklärt.
Das BAGBAG, Urteil vom 1.3.2007 - 2 AZR 580/05 = NZA 2007, 1445BAG, Urteil vom 20.10.2017 - 2 AZR 783/16 stellt strenge Anforderungen an die Wirksamkeit einer Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung. Bereits eine betriebsbedingte ordentliche Änderungskündigung unterliegt sehr strengen Voraussetzungen. Das BAG fordert einen umfassenden Sanierungsplan, der alle gegenüber der beabsichtigten Änderungskündigung milderen Mittel ausschöpft (beispielsweise Rationalisierungsmaßnahmen und sonstige Einsparungen). Denn der Arbeitgeber greift mit einer Änderungskündigung in das arbeitsvertraglich vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung ein. Der Arbeitgeber hat die Finanzlage des Betriebs, den Anteil der Personalkosten, die Auswirkung der erstrebten Kostensenkungen für den Betrieb und für die Arbeitnehmer darzustellen und darzulegen, weshalb andere Maßnahmen nicht in Betracht kommen.BAG, Urteil vom 10.9.2009 - 2 AZR 822/07 = NZA 2010, 333 Die Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags den geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Diese Voraussetzungen müssen für alle vorgesehenen Änderungen vorliegen. Ausgangspunkt ist die bisherige vertragliche Regelung. Die angebotenen Änderungen dürfen sich nicht weiter vom Inhalt des bisherigen Arbeitsverhältnisses entfernen, als dies zur Erreichung des angestrebten Zwecks erforderlich ist.BAG, Urteil vom 20.10.2017 - 2 AZR 783/16
Die Anforderungen an eine betriebsbedingte außerordentliche Änderungskündigung sind umso höher.
50cIn der Literatur wird die Wirksamkeit einer außerordentlichen Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit daher zum Teil sehr kritisch gesehen. Voraussetzung für eine außerordentliche Änderungskündigung ist, dass für die umgehende Einführung von Kurzarbeit ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB gegeben ist. Wie oben bereits erwähnt setzt ein wichtiger Grund voraus, dass die alsbaldige Änderung der Arbeitsbedingungen unabweisbar notwendig ist und diese geänderten Arbeitsbedingungen dem Arbeitnehmer zumutbar sind.BAG, Urteil vom 20.10.2017 - 2 AZR 783/16 Es wird daher vertreten, dass eine außerordentliche Kündigung zur Einführung von Kurzarbeit allenfalls dann in Betracht kommt, wenn die konkrete Gefahr einer Insolvenz des Arbeitgebers abgewendet werden soll.Weller/König, Kurzarbeit durch Änderungskündigung - Nur ein theoretisches Konstrukt?, in: BB 2020, 953
Auf der anderen Seite wird vertreten, dass die strenge Rechtsprechung des BAG zur Änderungskündigung zur bloßen Entgeltreduzierung nicht ohne Weiteres unbesehen auf die Einführung von Kurzarbeit übertragen werden kann. Folgende Überlegungen sollen zu berücksichtigen sein:Bauer/Günther, Kurzarbeit zur Krisenbewältigung - Einführung durch Änderungskündigung?, in: NZA 2020, 419
- Es liegt keine dauerhafte Vertragsänderung vor, da die Kurzarbeit nur von vorübergehender Dauer ist.
- Es liegt keine bloße Entgeltreduzierung vor, sondern neben der Vergütung wird gleichermaßen auch die Arbeitszeit verringert. Das Äquivalent von Leistung und Gegenleistung bleibt also erhalten.
- Der Entgeltausfall wird in gewissem Umfang durch Kurzarbeitergeld ausgeglichen.
- Die Kurzarbeit soll nach der gesetzgeberischen Wertung eine angemessene Lösung zur Krisenbewältigung darstellen und den Bestand von Arbeitsplätzen sicherstellen. Dann muss es dem Arbeitgeber auch möglich sein, Kurzarbeit arbeitsrechtlich wirksam einführen zu können.
- Die Kurzarbeit dient letztlich auch Arbeitnehmerinteressen, indem sie hilft, den Verlust von Arbeitsplätzen zu verhindern.
Es lassen sich also durchaus Argumente dafür finden, dass eine außerordentliche Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit im Einzelfall wirksam sein kann. Nur durch die außerordentliche Änderungskündigung könne der gesetzgeberischen Wertung, Betriebe durch Senkung der Personalkosten wirtschaftlich zu entlasten und dabei die Arbeitsplätze zu erhalten, entsprochen werden.
Jedenfalls sind aber strenge Maßstäbe an die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu stellen. Das Änderungsangebot darf nicht weiter gehen als es erforderlich ist, um Kurzarbeit einführen zu können.Weller/König, Kurzarbeit durch Änderungskündigung - Nur ein theoretisches Konstrukt?, in: BB 2020, 953 Der Arbeitgeber muss zunächst versucht haben, die Kurzarbeit auf einem anderen Weg einzuführen. Er muss also dem Arbeitnehmer zuvor ein Angebot zu einer Nachtragsvereinbarung unterbreitet haben, das der Arbeitnehmer abgelehnt hat. Auch wird eine befristete Änderung der Arbeitsbedingungen im Regelfall ausreichend sein und eine angemessene Ankündigungsfrist muss eingehalten werden, damit der Arbeitnehmer sich auf die veränderten Arbeitsbedingungen einstellen kann. Eine fristlose außerordentliche Änderungskündigung dürfte daher wohl eher nicht in Betracht kommen.Bauer/Günther, Kurzarbeit zur Krisenbewältigung - Einführung durch Änderungskündigung?, in: NZA 2020, 419 Wie bei jeder Kündigung ist darauf zu achten, dass erforderliche behördliche Zustimmungen zur Kündigung, beispielsweise nach MuSchG und SGB IX, vorliegen, da die Änderungskündigung sonst unwirksam ist. Kurzarbeitergeld kann dann nicht gewährt werden.Brand/Kühl, 8. Auflage 2018, § 95 SGB III Rn. 13
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung im Hinblick auf diesen Themenkomplex entwickelt. Wie immer bei der außerordentlichen Kündigung wird die Frage der Wirksamkeit stark von den Umständen des Einzelfalls abhängen.
cc) Druckkündigung
51Von einer sogenannten "echten" Druckkündigung ist die Rede, wenn ein Dritter - beispielsweise Kunden des Arbeitgeber, andere Mitarbeiter oder die Gewerkschaft - unter Androhung von Nachteilen für den Arbeitgeber die Kündigung eines bestimmten Arbeitnehmers verlangt, obwohl in dessen Verhalten oder Person keine Umstände vorliegen, die objektiv als Kündigungsgrund geeignet wären. Die außerordentliche "echte" Druckkündigung unterliegt strengen Voraussetzungen. Der Arbeitgeber darf einem Kündigungsverlangen Dritter nicht ohne Weiteres nachgeben, vielmehr muss er sich aktiv schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer stellen und alles Zumutbare versuchen, um die Dritten von ihrer Drohung abzubringen. Nur wenn die Verwirklichung der Drohung trotz der Bemühungen des Arbeitgebers in Aussicht gestellt wird und dem Arbeitgeber dadurch schwere wirtschaftliche Nachteile drohen, kann eine Kündigung gerechtfertigt sein. Die Kündigung muss das einzig praktisch in Betracht kommende Mittel sein, um diese Nachteile abzuwenden.BAG, Urteil vom 19.7.2016 - 2 AZR 637/15
Gründet das Verlangen dritter Personen, einem Arbeitnehmer zu kündigen, allerdings in dem Verhalten oder der Person des Arbeitnehmers ("unechte" Druckkündigung), so beurteilt sich die Rechtmäßigkeit der außerordentlichen Kündigung nach den allgemeinen Grundsätzen zur verhaltens- bzw. personenbedingten Kündigung.
d) Fallgruppen außerordentliche Arbeitnehmerkündigung
52Die außerordentliche Kündigung durch den Arbeitnehmer beurteilt sich nach denselben Grundsätzen wie eine Arbeitgeberkündigung.BAG, Urteil vom 22.3.2018 - 8 AZR 190/17 Folgende Gründe können beispielsweise einen wichtigen Grund "an sich" darstellen:
- BeleidigungenBeckOK ArbR/Stoffels, Stand: 1.3.2020, § 626 BGB Rn. 170
- Krankheit für unabsehbare ZeitBAG, Urteil vom 22.3.2018 - 8 AZR 190/17
- LohnrückständeBAG, Urteil vom 26.7.2007 - 8 AZR 796/06 = NZA 2007, 1419
- Verletzung der BeschäftigungspflichtBAG, Urteil vom 19.8.1976 - 3 AZR 173/75 = NJW 1977, 215
- Weigerung des Arbeitgebers, zwingende Arbeitsschutzvorschriften zu beachtenBAG, Urteil vom 28.10.1971 - 2 AZR 15/71 = AP BGB § 626 Nr. 62
- Wiederholte, unberechtigte Weigerung der UrlaubsgewährungErfK/Niemann, 20. Auflage 2020, § 626 BGB Rn. 169
4) Zusammenfassung der Rechtsprechung
53Abmahnung
- BAG, Urteil vom 15.11.2001 - 2 AZR 609/00: Abschwächung der Warnfunktion; "letztmalige Abmahnung" (NZA 2002, 968)
- LAG Berlin-Brandenburg, 12.8.2014 - 7 Sa 852/14: Abmahnung bei grundsätzlicher Therapiebereitschaft; personenbedingte Kündigung
- BAG, Urteil vom 29.6.2017 - 2 AZR 302 /16: Entbehrlichkeit der Abmahnung
54Anhörung des Arbeitnehmers
5) Literaturstimmen
- Niemann, Antragstellung und Tenorierung im Kündigungsschutzprozess, in: NZA 2019, 65
- Bauer/Günther, Kurzarbeit zur Krisenbewältigung - Einführung durch Änderungskündigung?, in: NZA 2020, 419
- Weller/König, Kurzarbeit durch Änderungskündigung - Nur ein theoretisches Konstrukt?, in: BB 2020, 953
6) Häufige Paragraphenketten
7) Prozessuales
a) Hilfsweise ordentliche Kündigung
61Da der Arbeitgeber im Regelfall schwer einschätzen kann, ob die von ihm vorgenommene Interessenabwägung im Einzelfall vor Gericht Bestand haben wird, sollte er hilfsweise die ordentliche fristgerechte Kündigung aussprechen (sogenannte Verbundkündigung). Eine hilfsweise erklärte Kündigung steht unter der zulässigen auflösenden Rechtsbedingung im Sinne des § 158 Abs.
8) Anmerkungen
EXKURS - Die (außerordentliche) Kündigung in Zeiten der Corona-Krise
a) Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit
68siehe hierzu und zur Kurzarbeit allgemein unter 3) Abgrenzung, Kasuistik Rn. 50a ff.
b) Betriebsbedingte Kündigung versus Kurzarbeit
69Unter Kurzarbeit versteht man die vorübergehende Kürzung des Volumens der regelmäßig geschuldeten Arbeitszeit bei anschließender Rückkehr zum vereinbarten Zeitumfang.